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[RF] Treppenstufengeschichten: Valerie

[RF] Treppenstufengeschichten: Valerie
Es war kalt und nass in dieser Julinacht in London. Das Tropfen des Regens unterteilte die Nacht in kleine Zeitscheiben, als ob die Finsternis ihren Herzschlag mit ihr teilen mochte. Zeitsegmente, die wir alle nur geborgt haben und irgendwann wieder zurückgeben müssen.

Für Amy war es ein letzter Takt; ein stetiges »Platsch,… platsch, platsch«.


Zu jedem Taktanfang gesellte sich – immer dann, wenn ein Tropfen auf den kleinen Bistrotisch traf – ein helles »Ping«.

»Ping, platsch, platsch, platsch. Ping, platsch, platsch, platsch.«

Amy hatte die Türe zum Balkon geöffnet und der kühle Wind schlug ihr entgegen. Sie war alleine. Sie war immer alleine gewesen. Siebenundzwanzig Jahre lang. Alleine zu Hause bei den Eltern, die sie nie wirklich verstanden. Sie war allein in ihren Beziehungen und besonders in der kurzen Ehe. Crack machte einsam und raubte ihre Freunde.

Und nun war sie allein mit den Regentropfen.

Die Rehab‘ hatte sie irgendwie überstanden. Alkohol und Drogen lagen hinter ihr. Weit und dennoch in Sichtweite nah. Sie stand an der offenen Balkontüre. Unmerklich begannen ihre Finger den Takt der Regentropfen aufzunehmen.

»Ping, platsch, platsch, platsch.«

Sie schaute auf die träge und schwarz schimmernd fließende Themse hinunter und ihr Blick folgte den fernen Lichtern, die sich gelegentlich auf den Wellenkämmen spiegelten.

»Well, sometimes I go out by myself,
And I look across the water.«


Plötzlich fühlte sie sich nicht mehr alleine. Brian gesellte sich zu ihr. Sie konnte seine Gegenwart spüren. Dort am Tisch schien er mit den flachen Händen den Takt aufzugreifen und diesen auf der Kante des Tischs mitzuschlagen. Aus dem Regen wurde Soul. Von fern nahm sie vermeintlich den singenden Schmerz einer Fender Stratocaster war.
Amy hielt inne. »So spielte nur Jimi«, dachte sie. Aber Jimi ist tot.
Brian nickte zustimmend. »Auch Jimi ist tot.«

Ein Stuhl wurde herangerückt. Das Schleifen der Stuhlbeine auf den Betonplatten störte kurz und verlor sich dann doch gleich wieder im Regen.

»And I think of all the things, of what you're doing.«

…nahm Amy die Melodie wieder auf, als Janis leise mit ihr einstimmte:

»And in my head I paint a picture.«

Amy fühlte sich plötzlich nicht mehr alleine. Diese Seelen verstanden sie. Aeolischen Klänge begleiteten ihren Soul. Sie schloss die Augen und trat einen Schritt vor in den Regen. Langsam befeuchteten die Tränen des Himmels ihre Wangen und vermischten sich dort mit ihren eigenen salzigen Tropfen, die über die knochigen Wangen rannen.
Jim lehnte an der Brüstung und schaute irgendwie weggetreten zu ihr rüber. Er lächelte sie an und streckte die Hand aus. Scheinbar wollte er sagen: »Komm zu uns«, aber Amy zögerte. Sie fühlte sich unansehnlich und der Text ihrer Musik spiegelte es deutlich wieder:

»Since I've come home, well my body's been a mess,
and I miss your ginger hair, and the way you like to dress.«


Vielleicht war es Kurt, der schließlich den Ausschlag gab, als er mit einstimmte:

»Oh, won’t you come on over. Stop making a fool out of me,«

Janis nahm sie bei der Hand und leitete sie hinaus in den Regen. Die Tränen des Himmels nahmen nun ganz von ihr Besitz. Und der Himmel sang:

»Why don’t you come on over,…

Valerie.«




________________________________
Amy Winehouse (14. Sept. 1983 bis 23. Juli 2011) gewidmet.

*******ose Frau
793 Beiträge
Gänsehaut...
****tox Mann
709 Beiträge
Bedrückend frei.
Es war kalt und nass in dieser Julinacht in London. Das Tropfen des Regens unterteilte die Nacht in kleine Zeitscheiben, als ob die Finsternis ihren Herzschlag mit ihr teilen mochte.

Ich kenne nur einen Menschen, der die Atmosphäre so beschreiben kann, dass sie einem unter die Haut geht - -

*spitze* geschrieben und traurige Wahrheit

Ev
Danke...
aber warum ausgerechnet dieser Satz, liebe Ev?



Mittlerweile bin ich sehr dünnhäutig geworden und kann mit dem Tod nicht (mehr) umgehen. Wie kann so viel Talent so billig und so früh vergeudet werden? Ich verstehe es einfach nicht.
Warum?
Lieber Bernd, ich weiß es nicht - -

ich fühle einfach diese Atmosphäre - -
den Regen - die Nacht - die Verzweiflung -

Vielleicht weil mein Herz auch nicht mehr richtig schlägt ???
keine Ahnung - aber dieser Satz hat es mir angetan - -

Und den Tod habe ich schon lange vor Augen - -
die Frage ist nur - wann - - -
Berührend, geht unter die Haut...

Wie kann so viel Talent so billig und so früh vergeudet werden? Ich verstehe es einfach nicht.

Wir kennen viele dieser Rebellen. Außen harte Schale, innen ganz weicher Kern...Wollte sie nicht mehr als alles, einfach eine ganz normale Frau sein, eine Ehefrau mit Kindern? War sie nicht eine unglücklich Liebende?
Manche stecken das besser weg, mache ganz schwer...
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Viele dieser Talente verrauchen früh. Haben sich aufgebraucht. Und vergehen.

Eindringlich geschrieben. Danke!
**********_stgt Frau
1.355 Beiträge
Tränen des Himmels ...
ja, so kann man sich das vorstellen!

Sehr liebevoll geschrieben!
**********Engel Frau
25.832 Beiträge
Gruppen-Mod 
Wundervolle Zeilen, sehr gefühlvoll und einfühlsam geschrieben.
Sie malen eine kleine Vorstellung davon, wie es in einem einsamen Herzen in diesen Momenten wohl aussehen mag... tiefdunkel traurig.

Und den Tod verstehen? Ja, das funktioniert leider nicht immer. Ich habe da auch schon so manches Mal mit dem Schicksal oder auch irgendetwas "Höherem", das da oben vielleicht entscheidet, gehadert.
Man kann es nur akzeptieren und als gegeben hinnehmen.

Nur eines, denke ich, ist sicher: Amy geht es nun besser.
schöner Nachruf!
Manche Kerzen leuchten sehr hell, aber dafür sehr kurz!
*g*
das hat mich sehr berührt , aber hier will ich keinen smile mit" Daumen hoch" einsetzen-
dafür ist die Geschichte zu ernst und zu wunderbar geschrieben.
Kompliment Raven-Fox.
ausgezeichnet
sehr plastisch! sehr tief! und irgendwie von einer seltsamen Musik begleitet die die Seele berührt
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Schön!

*blume*

(und Du weißt, bei mir ist es so: je weniger ich schreibe, desto zufriedener bin ich ... *zwinker*)
Sina
warum?
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
@**R real:

Warum ich seinen Text schön finde oder warum es bei mir so ist, dass die positivsten Kommentare immer die kürzesten sind?
Danke...
...wenn wie Sina es formuliert...

die positivsten Kommentare die kürzesten sind

dann möchte ich eigentlich nicht mehr schreiben. Außer eben:


"Danke"





__________________________________________
...aber meine Musikerseele begreift es dennoch nicht.
@Sina
deshalb...

"bei mir ist es so: je weniger ich schreibe, desto zufriedener bin ich ... "

heißt das: wenn du gar nichts schreibst bist du am zufriedensten???
*sorry" ich steh manchmal auf der leitung...
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
@**R real:

Nein, das war in meinem Gedankengerüst in diesem Fall nicht die logische Schlussfolgerung. Wenn ich gar nichts schreibe, dann meist, weil ich den Text nicht gelesen habe.

*g*
****ra Frau
2.917 Beiträge
Sie weilt nun im Club 27 und es wird ihr sicher gut gehen, dort unter Gleichgesinnten.

Eine Seele, die zu tief empfunden hat, der Schwere des Lebens nicht widerstehen konnte.

Wunderschön beschrieben, lieber Bernd.
...Amy fühlte sich plötzlich nicht mehr alleine. Diese Seelen verstanden sie. Aeolischen Klänge begleiteten ihren Soul...

Vielleicht haben ja die meisten Menschen den tiefsten, inneren Wunsch nach "Verbunden-Sein", nach "Dazu-Gehören", nach "Gehört-oder Gesehen-Werden", einfach wahrgenommen sein und angenommen, so wie mensch eben ist...(?)...

Und... vielleicht sucht mensch sich eben diese "Seelen-Zugehörigkeit" wo immer mensch sie finden mag... hüben oder drüben... in dur oder moll.... in der uns bekannten oder der (noch) unbekannten "Welt"...

Amy hatte schon lange Tendenzen, nicht wirklich "hier" sein zu wollen....

Im besagten "Club" findet sich dann wohl auch einer meiner liebsten Musiker, wenngleich ich von einer Mystifizierung der "27er" nichts halte, vor allem wegen der damit verbundenen "Nachahmungsgefahr".
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ich gestehe, dass ich Amy weder als Mensch (soweit das möglich ist, wenn man jemanden nicht persönlich kennt) noch als Musikerin wirklich schätzen konnte. Wer so scheinbar verloren in dieser Welt umher geirrt und Halt in Alkohol und Drogen gesucht hat statt in sich selbst, hat es schwer unter den Menschen, ganz besonders in diesem Business. Möge ihre Seele Frieden finden.

Was mich aber berührt, bewegt, aufgewühlt und beeindruckt hat, ist dieser "Nachruf", für den ich einfach nur DANKE sagen will ...

(Der Antaghar)
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