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Die Welt in meinen Poren

****ra Frau
2.917 Beiträge
Themenersteller 
Die Welt in meinen Poren
Seit vielen Wochen, ja, eigentlich sind es bereits Monate, spüre ich das Leben direkt auf meiner Haut. Ungefiltert scheinen die Stimmungen, Launen und Gedanken meiner Mitmenschen in mich einzudringen. In jede meiner winzigen Öffnungen der Haut. Direkte Verbindungswege in meine Seele.
An den Ort in mir, der keinerlei Schutzschild, keine Wand oder Zaun besitzt, um sich zu schützen.
So schlagen die Eindrücke tief in den weichen Boden meiner Empfindungen ein, formen tiefe Krater, reißen Wunden, die nie, oder nur sehr langsam heilen werden.
Ich spüre eine innere Taubheit.

Auszeit! Ich habe sie mir genommen, entgegen aller Vernunft habe ich mich durchgesetzt, gegen die Normen und Verantwortungen – aber endlich einmal nur für mich.

Lange hat mein Körper gebraucht, um loszulassen, zu entspannen und wahrzunehmen, dass er frei sein darf. Eigene Bedürfnisse zu formulieren und auszudrücken, ohne sofort dafür mit Schmerzen bestraft zu werden.
Ich spüre Hoffnung.

Meine Seele, schwarz und verkrampft, fand endlich etwas Ruhe, ließ zögerlich das warme Licht der Sonne eindringen.
Auf einer Parkbank, in praller Hitze, ließ ich mich nieder um zu lesen. Der Park ist erst vor kurzem fertig gestellt worden, die Bank ganz neu, der strahlendweiße Lack dünstet noch Farbgerüche aus. Das frisch angelegte Beet direkt vor meinen Füßen, strotzt vor satten Farben. Dunkelbrauner Rindenmulch konkurriert mit dem satten Grün der Rosenstiele und dem wunderschönen Rot der Rosenblüten.
Ich stehe auf, barfuß, ich habe meine Schuhe von den Füßen gezogen. Harter Kies, der den breiten Weg bedeckt, bohrt sich in meine weichen Sohlen, ich spüre jeden einzelnen Stein. Kurz darauf betrete ich das Beet und spüre sofort die Feuchte des Mulches. Die Kühle kriecht zwischen meine Zehen und seitlich der Sohle nach oben, als ich ein wenig in diesem weichen Boden einsinke.
Vorsichtig streiche ich über die samtenen Blütenblätter und genieße dieses sanfte Gefühl, das mir die Rose vermittelt – sie dringt ein in meine Poren. Unschuldig und wehrlos steht sie hier, in diesem Beet, einzig geschützt durch ihre winzigen Dornen, doch was könnten diese gegen eine kräftige Gartenschere bewirken? Sanftes Wesen und doch so mutig.
Ich spüre Unendlichkeit.

Ich bemerke die verstohlenen Blicke der anderen Parkbesucher. Sie schätzen wohl ab, ob ich noch ganz normal bin. Eine Frau, die barfuß in einem Rosenbeet steht und gebeugt in Verzückung gerät, während sie Rosenblüten streichelt.
Mir scheinen diese murmelnden Gedanken der Gehirne über die Haut zu rinnen und gurgelnd in meine Poren einzudringen. Dort beginnen sie ihre rasante Reise auf winzigen Kanälen direkt in mein Innerstes. Viel zu viele Eindrücke drängen sich gegen die winzigen Pforten, die für alles und jeden offen stehen. Mit aller Gewalt pressen sie gegen die zarten Wände der Öffnungen, dehnen sie, bis sie bersten und alle Informationen auf einmal eindringen können.
In einer einzigen Explosion entladen sich die elektrischen Impulse und überfluten mein Gehirn. Sie brüllen, die Gedanken, sie rauschen in meinen Ohren, sorgen dafür, dass mir Schweiß aus allen Poren bricht. Ich fühle mich allein. Ausgeliefert. Zu viele Eindrücke auf einmal. Wie soll ich sie nur sortieren? Während ich dies durchlebe, dringen weitere Eindrücke durch meine Poren. Nichts wird abgewiesen, alles wird aufgenommen.
Ich spüre Angst und Verwirrung.

Wie ich in meine Schuhe geschlüpft bin und mich auf den Heimweg machte – keine Ahnung. Das sind wohl die einzigen Dinge, die automatisch ablaufen und keinerlei Auswirkungen haben. Doch kann es auch anders sein, sobald die Schuhe an einer Stelle drücken sollten. Körperlich scheint es dann nur noch diese eine Stelle zu geben. Der Schmerz an der Ferse, an der der Schuh reibt. Erst ist es nur Druck, dann entsteht Hitze unter der die Haut verbrennt. Eine Blase wächst und über dem Wasser der Wunde reibt unerbittlich der harte Stoff des Schuhes weiter. Reizt meine Haut – dringt in meine Poren.
Ich spüre Schmerz.

Zarte Berührungen, endlich wieder zulassen. Sie lösen wahre Feuerwerke in mir aus. Jeder Zentimeter meiner Haut scheint mehrere Quadratmeter groß zu sein. Ich öffne meine Poren, diese Empfindungen will ich wahrnehmen, ganz bewusst. Sie strömen in mich, drängen alles andere beiseite, löschen die Dominanz der Umwelt. Sanft überfluten sie meine Seele, wie Flüsse während einer Überschwemmung. Alles wird darunter bedeckt. Eine ruhige, glitzernde Oberfläche bedeckt Unebenheiten, Höhen und Tiefen – alles wird still und glatt.
Ich spüre Halt und Geborgenheit.

Ein einziger, fester Hieb macht Platz für ein neues Empfinden, das volle Aufmerksamkeit einfordert. Hoch schlagen die Wellen, Chaos bricht aus, Brennen dringt spitz in meine Poren. Ohne Umwege erreichen sie ihr Ziel, finden weit geöffnete Tore vor, die sie willig aufnehmen. Hektisch werden sie dort sortiert, das geschieht mit traumwandlerischer Sicherheit, alles hat seinen Platz, ich will mehr. Ich bekomme mehr, sie dringen in meine Poren.
Zarte Berührungen danach. Um ein vielfaches wirken sie nun intensiver, sie treffen auf einen anderen Boden. Vorbereitet durch das Aufwühlen der Gefühle, die begierig danach schreien, besänftigt zu werden. Der zarteste Kuss, das sanfte Streichen der Lippen, der leiseste Lufthauch, das Antippen der Zungenspitze – alles dringt ein in meine Poren.
Ich spüre Liebe und unendliches Vertrauen.


Nie will ich es verlieren, diese Gabe des tiefen Empfindens. Doch muss ich lernen, dem einen Riegel vorzuschieben, was meine Seele zerstören will.
**********_stgt Frau
1.355 Beiträge
Eindringlich ...
... sehr, sehr gefühlvoll!
Gefühlvoll finde ich es streckenweise auch. Insgesamt allerding eher demonstrativ gefühlvoll und eigentümlich egozentrisch. Dabei finde ich es stilistisch nicht reizvoll. Ich habe Langeweile gespürt.
Liebe Lys...
...mich irritieren die Wirrungen der Gefühle, die Achterbahn, alles auf einmal zu Süren und gleichzeitig... Taubheit!

So schlagen die Eindrücke tief in den weichen Boden meiner Empfindungen ein, formen tiefe Krater, reißen Wunden, die nie, oder nur sehr langsam heilen werden.
Ich spüre eine innere Taubheit.

Wo kommt die Taubheit her, wenn Empfindungen tiefe Krater schlagen?

Müsstest du nicht Schreien?
Wundervoll...
...einfach ganz wundervoll ge - und beschrieben!
Herzlichen Dank!

Diese Ambivalenz zwischen der vermeintlich fast ungefilterten Sensibilität und der vermeintlichen Verletzbarkeit...

Sehr schöne Verbindungen und Entwicklungen: Wunden - innere Taubheit - Auszeit - Hoffnung - Unendlichkeit - Angst - Verwirrung - Schmerz - zarte Berührungen - Halt und Geborgenheit - ein neues Empfinden - zarte Berührungen - Liebe und unendliches Vertrauen...

Für mich sehr gut nachvollziehbar.
Eine mögliche Lösung für den "Wunsch" im letzten Satz finde ich bereits am Anfang des Textes.

Bin begeistert!
Danke!
die Freesie *blume*
überwältigt
von diesem Hunger nach nach Gefühlen und diesem eigenartigen zurückschrecken davor staune ich...
...nur von dir selbst aus gesehen...warum nicht?!
vor ab: deutlich "besser" in vielfältiger Hinsicht als die letzte Geschichte! *g*

Warum jemand, der so extrem empfindsam ist, und daraus reiches Erleben und Genießen erfährt, den (plumpen) Hieb und den Schmerz braucht, werd ich nie verstehen...
**********Engel Frau
25.832 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ja, liebe Cleo, wer nicht so empfindet und diese Neigung liebt und lebt, wird es auch niemals verstehen können, was solch ein (ganz und gar das Gegenteil von plumper) Hieb in uns auslösen kann. Es geht viel viel tiefer, als Du es Dir jemals wirst vorstellen können. *g*

Sehr schön beschrieben, Lys. Da ich ebenso fühle, kann ich es nachempfinden und bin in Deinen niedergeschriebenen Gedanken voll und ganz zuhause. Diese Gefühlsverwirrungen und am Ende das Wieder-angekommen-sein in Deinem Innersten. Und es herrscht wieder Ruhe in Dir...
Es geht viel viel tiefer, als Du es Dir jemals wirst vorstellen können.

Na, da schau her! Das klingt für mich nach einer Art Fühl-Elite, deren Texte vom tumben Fußvolk nicht kritisiert werden können.

Es mag ja sein, daß die Beschreibung die eigentliche Befindlichkeit und Empfindsamkeit sehr treffend beschreibt und von ähnlich Befähigten nachempfunden werden kann. Wir haben es aber auch mit einem Text zu tun, und es wäre doch etwas zu beschränkt, ihn ausschließlich von und für Menschen wahrzunehmen, die sich zu den äußerst zart Besaiteten zählen.

Dieser Text war für mich deshalb langweilig zu lesen, weil er viele Stellen hat, die nach Ich-bin-zu-empfindsam-für-diese-böse-Welt klingen. Das ist für mich zu einfach. Allerdings – und das lag mir nach meinem harten Kommentar auf dem Herzen – will ich auch darlegen, daß ich sehr wohl spüren kann, daß mehr in ihm steckt. In diesem Sinne nehme ich meinen Kommentar zurück und entschuldige mich bei dir, Lysira, für seine Härte. Ich bin in meinen Reaktionen noch etwas ungehobelt, aber ich arbeite dran. Meine Partnerin ist mir dabei eine echte Freundin und hat mir in einem Gespräch über deinen Text zu mehr Verhältnismäßigkeit verholfen.

Sehr wohl spüren kann ich die Entwicklung einer Seele, die durch Peinigung, Gewalt oder überhaupt einer Form der Vergewaltigung verschlossen und verkrampft ist, hin zu einer Seele, die sich der Welt wieder öffnen und sie in ihrer Schönheit empfinden kann. Ob das über einen selbstgestalteten oder betreuten Prozess läuft, mag dabei gleichgültig sein; es ist auf jeden Fall ein Prozess der Findung und Neuorientierung, des Lernens und Kennenlernens der eigenen Gefühlswelt. Ein Prozess der (Wieder)Öffnung, der in einer sexuellen Begegnung mündet, die zeigt, daß er geglückt ist.

Insofern ist das inhaltlich sehr schön, was da in ihm steckt. Die Form sagt mir aber nicht so zu, weil sie mir zu sehr um das Eigene sich dreht und damit ihre Dramatik ausschließlich aus der Innenschau aufbaut. Dabei sind mir ein paar Stellen zu einfach in der Entgegensetzung von äußerer Welt und innerer Befindlichkeit; wie beispielsweise die Leute, die nicht unbedingt solche abfälligen Gedanken hegen, wenn sie eine Frau barfuß im Rosenbeet sehen. Sie könnten auch denken: Ach ja, das würde ich jetzt auch gerne machen. Diese Version würde viel eher passen zu einer inneren Öffnung und Bereitschaft, die Welt wieder zuzulassen.
****ra Frau
2.917 Beiträge
Themenersteller 
Vielen lieben Dank für Eure Beiträge und die Einblicke in Eure Empfindungen und Gedankenwelten *g*


@ Bernd:
Wo kommt die Taubheit her, wenn Empfindungen tiefe Krater schlagen?

Müsstest du nicht Schreien?

das erklär ich Dir bei einem lecker *wein* *gg*

*sonne* für Euch

Lys
**********Engel Frau
25.832 Beiträge
Gruppen-Mod 
Na, da schau her! Das klingt für mich nach einer Art Fühl-Elite, deren Texte vom tumben Fußvolk nicht kritisiert werden können.
*lol* Na, Du kommst auf Ideen.
Es tut mir leid, dass Du mich wohl völlig falsch verstanden hast, denn das wollte ich nun wirklich ganz und gar nicht ausdrücken. Wer mich kennt, weiß das *g*

Ich habe nur Cleo damit geantwortet, da sie es nicht verstehen kann, wie ein "plumper" Schlag solch tiefen Gefühle auslösen kann.
Ich weiß und verstehe es, dass jemand, der diese Neigung nicht hat, dies nie nachvollziehen kann. Es sollte keinesfalls irgendeine Wertung sein.

Heyeyey... *g*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ich werde vieles an dieser Art zu empfinden auch niemals verstehen. Und manches davon erscheint mir unlogisch und nicht nachvollziehbar, total widersprüchlich und nicht in sich stimmig. Und warum jemand, der so empfindsam ist, dann ausgerechnet auch noch Schmerzen fühlen will und möchte, dass ihm weh getan wird, ist für anders Fühlende wie mich unbegreiflich.

Aber das, um was es dabei geht (auch wenn ich es nicht verstehe), finde ich hier dennoch gut beschrieben, weshalb ich es fasziniert gelesen habe.

(Der Antaghar)
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