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Ich mag den Heinz

*****_nw Mann
505 Beiträge
Themenersteller 
Ich mag den Heinz
Ich mag den Heinz. Er sieht nicht toll aus, kämmt sich seine wenigen langen Haare quer über den Kopf. Dort pappen sie fest, weil er sie fast nie wäscht. Ein bisschen sieht es so aus, als ob die fettigen Strähnen von Läusenestern zusammengehalten werden, aber das werden wohl nur verklebte Schuppen sein. Der Heinz ist ohne fliessend warmes Wasser aufgewachsen, in einer Vertriebenenbaracke. In seiner Heimat gab es einen See, da mussten die Kinder sommers wie winters einmal in der Woche hinein. In Herne gibt es keinen See.

Ich mag den Heinz. Es macht mir nichts aus, dass er nach Alkohol und fauligen Zähnen riecht. Wenn man trinkt achtet man ja nicht so auf sich. Und dass der Heinz trinkt, das kann ich gut verstehen. Sogar schon, bevor Else ihm weggelaufen ist. Seinen Job hätte ich keine drei Tage ausgehalten. Er hat das gemacht, seit er die Schule abgebrochen hat, fast vierzig Jahre lang. Jeden Tag, und reich geworden ist er dabei bestimmt nicht. Künstler wollte er mal werden, sein Vater hat ihn da sofort von der Schule genommen und in die Lehre gesteckt.

Ich mag den Heinz. Ich hätte vielleicht mit Else geredet, sie vielleicht angeschrien. Der Heinz hat die Else eben geschlagen. Sie ist ja auch ein Schandmaul, und das mit dem Schlagen kannte er ja von seinem Vater. Dagegen war er wirklich harmlos. Heinz hat sich noch in der Lehre fast jeden Tag eine Tracht Prügel eingefangen, für jede Kleinigkeit. Das mit dem Reden war auch nie sein Ding, das kann man ja nachvollziehen bei dem Vater.

Ich mag den Heinz. Ich finde es nicht richtig, dass sie ihn rausgeschmissen haben, weil er das Geld für den Spielsalon aus der Kasse genommen hat. Er hat es gebraucht, und bevor er eine Bank überfällt, hat er es sich da geholt, wo sie ihn viel zu schlecht bezahlen. Ist doch von allen Möglichkeiten die gerechteste. Jedenfalls verstehe ich ihn.

Ich mag den Heinz. Neben dem ganzen Brass noch in einer Partei mitmachen, ich würde das nie hinkriegen. Ist nicht so ganz meine Richtung, aber sie wollen dem Heinz sein Dorf mit dem See wiederholen. Kann man doch einsehen, er war ja damals noch ein Kind und konnte nichts dafür, was die in Berlin gemacht haben. Und was sein Vater damals gemacht hat, das weiß der Heinz sowieso nicht.

Ich mag den Heinz. Das Biest war ja auch fast achtzehn und lief rum wie die Nutten, die sich der Heinz nicht mehr leisten kann, seit die Else weg ist. Ich glaub auch nicht, dass die Else ihn noch rangelassen hat. Am Anfang vielleicht, aus Liebe, aber dann hat sie es nur noch mit ihm gemacht, wenn er genau tat, was sie wollte. Und das war selten, die hat ja auf feine Dame machen wollen. Da passte der Heinz nicht dazu, sie kann sich das also auf ihr eigenes Konto schreiben.

Ich mag den Heinz. Der macht jetzt nicht so rum, als ob ihm das leid tut, damit er besser wegkommt. Er sagt einfach nichts. Man weiß ja auch, wie die einem das Wort im Mund verdrehen. Sein Anwalt ist ok, der hat so einen Gutachter dazugeholt. Der sagt genau das Gleiche wie ich, und dann liegen wir ja wohl beide nicht so ganz falsch.
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Gut.

SEHR gut.

Kleine, feine Gänsehautpickelchen machend.

Sprachlich fast fleckenlos. So sehr fast, dass es schon Gemäkel wäre und das verkneife ich mir mal.

Weil es ansonsten wirklich gut ist.
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Ich mag den Heinz mit seinen fauligen Zähnen nicht.

Aber wie Du die Geschichte geschrieben hast, das mag ich!

Klasse!
*******ose Frau
793 Beiträge
Auf den Punkt!

Ich glaube, ich kenne Heinz...
Also - - -
ich kenne den Heinz nicht - - *nene*

aber ich kenne die Geschichte über ihn - - *ja*

und die finde ich super *spitze*


*freu* Ev
Ich
mag dem Heinz micht...
perfekt geschrieben, aber mir geht der Gedanke des Täterschutzes hier, wie in den meisten Fällen, entschieden zu weit.
*****_nw Mann
505 Beiträge
Themenersteller 
Naughty by Nature
Ich bekenne mich dazu, ein unverbesserlicher Satiriker zu sein. Es war beileibe nicht so gemeint, wie Du es auffasst. Ganz im Gegenteil.

'Alles verstehen heißt alles verzeihen' ist ziemlicher Schwachsinn. Die smarten Strahlemänner wegen makellosen Lebenslaufs durchzuwinken ist gemeingefährlich.
eyes002
******ace Mann
15.981 Beiträge
Gruppen-Mod 
Komisch
mein Heinz heißt Horst *zwinker*
Das ist eine Geschichte und eine Person, die jeder kennt. Die Geschichte ist so geschrieben, als säße jemand neben mir und würde sie live erzählen, Respekt.

Tom
Den Komplimenten schließe ich mich an: gut geschrieben.
Allerdings finde ich, das Portrait hätte mit gealterten Alt-68ern
und ihren Schrullen ebenso gut funktioniert.
So hat die Story trotz allem einen Beigeschmack von Effekthascherei.
So hat die Story trotz allem einen Beigeschmack von Effekthascherei.

*nono* finde ich überhaupt nicht - -
Treffendes Psychogramm - provokant mit der Wiederholungszeile verpackt - gerade so viel weggelassen, wie man sich eh denken kann.

Bitter, dass so eine Vita so oft vorkommt, dass wir schon verständnisvoll nicken beim Betrachten dieses Elends.
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Bitter, dass so eine Vita so oft vorkommt, dass wir schon verständnisvoll nicken beim Betrachten dieses Elends.

Das war auch meine "Erkenntnis" nach dem Lesen dieser Story ...

(Der Antaghar)
Bitter, dass so eine Vita so oft vorkommt, dass wir schon verständnisvoll nicken beim Betrachten dieses Elends.

DAS sehe ich nach meinen Erfahrungen in der Altenhilfe auch so.
eyes002
******ace Mann
15.981 Beiträge
Gruppen-Mod 
Nun....
da ist ein Mann, hier in Osnabrück. Er hat einen sehr gut bezahlten Job, einen einwandfreien Leumund, wird von allen geachtet und hat keine Feinde. Dann stirbt seine Frau. Er fällt und keiner fängt ihn. Die Kinder in der Welt verstreut, die Nachbarn teilnahmslos.
Man stellt Strom und Wasser ab... so vegetiert der Mann über 6 Monate im eigenen Dreck. Dann stirbt er. Ganz allein, von der Welt vergessen in seinem Wohnzimmer. In der Ecke neben der eichenhölzernen Stehlampe. Woran kann niemand mehr sagen. Denn der Mann iegt 5 Monate dort, bevor die "Nachbarn" sich selbst eingestehen müssen, dass es wohl nicht die Biotonnen sind, die da stinken. ( O-Ton der Nachbarin von der Wohnung darüber)
Der Mann ist kaum identifizierbar und unsere Firma wurde mit der Tatortreinigung beauftragt.
Nach dieser Erfahrung weiß ich, dass man everybodies Darling sein kann und doch in völliger Vereinsamung inmitten von Hunderten von Menschen sterben kann.
Das ist keine Geschichte. Sie ist wahr. Ich war dabei. Nachher beim aufräumen.
http://www.hausmeister-witte.de/refer.html

Und ich sage: Die Sendung von der dicken Tine Wittler ist gefaked. So sauberen Messi- Müll wie im TV habe ich nicht gesehen. Milliarden Tierchen, die Mutter aller Weberknecht- Nester, eine eigene Fauna und FLora hat sich dort gebildet und vom Gestank und den Inhalten der Tüten dort allüberall will ich gar nicht erst reden.
Meine Nachbarn, meine Umwelt und meine Verwandten betrachte ich seit dieser Erfahrung mit anderen Augen, versteht ihr das? Es ist einfach nur beschämend, dass man in einer angeblich soooo sozialen Gemeinschaft keine Fürsorge und keinen Zusammenhalt mehr findet.

Tom
JA - - - -
lieber Tom,
das verstehe ich - - kenne ich auch - -

das war aber auch früher schon so - -
ich weiß, dass mein Mann einmal solch eine Wohnung betreten musste - -
da kamen die Nachbarn erst drauf - - weil das Ungeziefer schon unter der Tür durchgekrochen kam - - -

das waren gaaaaaaaaaaaaaaanz liebe Nachbarn - - *vogel*
eyes002
******ace Mann
15.981 Beiträge
Gruppen-Mod 
Weißt du...
hätte jemand gesagt: Ja, ich dachte mir das. Aber ich war zu feige, ich hatte die Hosen voll und Pampers sind teuer. Ich habe Angst vor dem was ich sehe ich habe Angst, mich um andere zu kümmern, weil ich ncht weiß, ob man sich um mich kümmert.... irgend so etwas nicht blödes sondern ehrliches. Statt dessen: Haben wir nicht gewusst. Ja wie auch, wen man ( live gesehen bei der Tür - an - Tür Nachbarin) feuchte Tücher vor den Türschlitz packt. Monatelang....
Vogel Strauß ist das beliebteste Tier. Nicht der Vogel, die Taktik *zwinker*

Tom
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
So ist es, lieber Tom!

Und möglicherweise sind es dann auch noch genau diese Vogel-Strauß-Nachbarn, die sich hier im Joyclub wichtig machen oder einfach nur Spaß haben wollen - aber niemals gründlich und bis zu Ende über etwas nachdenken oder mal ihre Scheuklappen abnehmen!

Es könnte ja unbequem oder unangenehm sein oder gar weh tun - und das will man um jeden Preis vermeiden. Lieber Tine Wittler gucken und glauben, das sei das echte Leben ...

(Der Antaghar)
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Ich denke aber, dass das nicht der Punkt ist, um den es hier geht.

Das ist auch nicht das Problem, das die Geschichte beleuchten will.

Der Heinz aus der Geschichte, das ist kein bedauernswerter Nachbar, der vereinsamt in seiner Wohnung erst vermüllt und dann stirbt.

Das ist ein ganz anderes Thema. Bedauerlich, schrecklich, aber nicht das, was die Geschichte beleuchten will.

Die Geschichte will beleuchten, dass hinter der Fassade des Normalen oft das Grauen steckt. Dass jeder von uns einen kennt wie Heinz und dass auch die Heinze, die wir kennen, vielleicht nachts losziehen und Frauen überfallen. Oder Pläne für terroristische Anschläge machen. Oder im Keller Schießübungen für den Ernstfall machen.

Und byron geht sogar noch einen Schritt weiter, indem er immer wieder betonen lässt "Ich mag den Heinz" und damit darauf hinweist, dass es immer wieder auch tief verwurzelte, sorgsam verborgene Zustimmung gibt. Sympathie für den Massenmörder von nebenan. Ein leise gemurmeltes "Recht so, endlich greift mal einer durch."
eyes002
******ace Mann
15.981 Beiträge
Gruppen-Mod 
Nun
mein Heinz, der Horst, ist 62. Seine Frau ist schon lange tot, sein Sohn lebt in einem betreuten Wohnheim. Er ernährt sich von Tütensuppen und Konserven, die man nicht kauen muss weil er keine Zähne mehr hat.
Jeden Cent, den er selbst als extrem bescheidener Mensch nicht braucht, fährt er zu seinem Sohn, der 1,5 Stunden weit weg wohnt. Bei Tag und Nacht im Sommer wie im bittersten Winter auf seinem 50ccm Roller. Horst arbeitet wie ein Pferd, raucht wie ein Schlot und ist klapperdünn. Aber ich mag Horst. Jeder mag Horst auch wenn wir ihn nur schwer verstehen können so ganz ohne Beißerchen.
Montag kam er nicht zur Arbeit. Und Auftrag oder nicht, wir waren zu Viert da und haben nachgesehen. Er war gottlob nur erkältet und hatte keine Stimme. Und damit konnte er nicht anrufen. SMS schreiben konnte er auch nicht. Montag erfuhr ich, dass er weder lesen noch schreiben kann....

Ja Leute, das ist kein Bericht aus Bangladesh. Sondern aus Deutschland. Mitten unter uns. Und auch da hat die Tatorträumung meine Sichtweise verändert. So eklig das war, so lehrreich war es. Füreinander. Das ist mein Wort des Jahres....

Tom
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Ja, so etwas gibt es und es ist die Tragik unserer modernen Gesellschaft.

Nur, noch mal: ich denke nicht, dass es das war, was byron beleuchten wollte mit seiner Geschichte.

Aber vielleicht mag er uns dazu selbst etwas sagen. Mag ja sein, dass ich mich irre und seinen Text in den falschen Hals gekriegt habe ...
*****_nw Mann
505 Beiträge
Themenersteller 
Ich freue mich natürlich, dass meine kleine Story eine so lebhafte Diskussion ausgelöst hat, der ich inhaltlich nur zustimmen kann.

Posthum würde ich vielleicht grinsen oder heftig gegen den Sargdeckel klopfen. Da ich noch lebe, muss ich sehr viel eher Sinas als Ghostfaces Interpretation zustimmen.

Gestern haben wir intensiv über Tabu, Toleranz und Moral diskutiert. Dabei kam mir die Idee, einmal zu beleuchten, wohin es führt, wenn man Toleranz und Verstehen mit Billigung und Entgrenzung verwechselt.

Ein Strafverteidiger wird jede Erklärung für das Verhalten seines Mandanten heranziehen, die sprichwörtliche 'schlimme Kindheit' eben, weil er auf diese Verwechslung spekuliert. Eigentlich gerecht, hat doch der Angeklagte mit 'untadeligem Leumund' einen unsportlichen Vorteil gegenüber dem abstoßenden Heinz.

Ich halte beides für falsch. Eine Vergewaltigung ist für das Opfer nicht weniger traumatisch, wenn die Frau vor Gericht erfährt, dass ihr Peiniger als Knabe von der Wippe geschubst wurde. Ebenso wenig hilft ihr, wenn der Täter eine sichere Hand bei der Wahl seiner Sakkos beweist.

Die Frage danach, warum jemand so oder anders geworden ist, ist soziologisch und therapeutisch wichtig, darf für mein Gefühl aber nicht dazu führen, ursprünglich klare ethische oder gesetzliche Grenzen aufzuweichen. Für mich funktionieren sie nur als 'harte Anschläge'.
Für mich ist JEDER für SEIN TUN selbst verantwortlich - -

egal ob die Kindheit schlimm und grausam war oder nicht war.
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Die "schlimme Kindheit" als Rechtfertigungsgrund für Straftaten findet vor meinem ganz persönlichen Auge ohnehin keine Gnade.

Irgendwann sind wir alle erwachsen und sollten uns zumindest nicht mehr hinter unseren Erziehungstraumata verstecken müssen. Sonst würde ich die meinen jetzt zum Beispiel anführen um zu entschuldigen, dass ich mein Kind schlage.

Was ich nicht tue.

Weil ich nämlich kein hilfloses Opfer meiner eigenen kaputten Eltern bin sondern ein eigener Mensch, der irgendwann selbst gelernt hat, zu spüren, was richtig und was falsch ist.

Wir alle sollten irgendwann an den Punkt kommen, mehr als die Summe unserer anerzogenen Teile zu sein. Es ist eine Grundaufgabe des Lebens an sich, das zu hinterfragen, woraus wir entstanden sind.

Wenn wir das nicht tun, sind wir nichts weiter als ferngesteuerte Werkzeuge. Und ich zumindest bin freiwillig das Werkzeug von niemandem.


Was ich aber an Deiner Heinz-Geschichte am interressantesten finde, @***on, ist wie ich schon sagte der Moment der leisen Zustimmung.

Meine Großmutter war Jahrgang 1908. Als ich sie einmal nach der Zeit des Nationalsozialismus befragte, da murmelte sie "Es war ja auch nicht alles schlecht, was Hitler gemacht hat."

Diese Momente der leisen, im Verborgenen bleibenden Zustimmung für etwas oder jemanden, der eigentlich in seiner Krankheit unmöglich Zustimmung verdient hat, die sind interessant und betrachtenswert.

Meistens sind solche heimlichen Zustimmer Menschen, die nach außen hin am lautesten nach Moral und Anstand brüllen. Und hintenrum brummeln sie in ihren Bart dass es ja auch stimmt dass die ganzen Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen.

Und so eben finden sich auch Menschen, die den Heinz eigentlich ganz gut finden und es im Grunde auch nicht schlimm finden, was er getan hat. Was hat die Schlampe auch so nuttig rumzulaufen mit ihrem kurzen Rock und den hohen Stiefeln. Ist ja kein Wunder dass die Leute da auf Gedanken kommen.
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