Penelopes Heimkehr, Teil 2
Wer Teil 1 nachlesen möchte:Kurzgeschichten: Penelopes HeimkehrTeil 2:
Die Begrüßung, so stürmisch wie wortlos: nach all den Jahren sind wir einfach übereinander hergefallen. Im Wasser schon hast du mich umarmt, beim Zurückschwimmen immer wieder geküsst, und am Strand, im Stehen an den warmen Fels gelehnt, bist du schnell in mich eingedrungen... ich kam noch vor dir, als hätte mein Körper auf nichts anderes gewartet als deine Stöße in meinen Leib.
Nun ziehst du mich hinter dir her, den Hang hinauf, aus meinen Haaren tropft das salzige Wasser, Rinnsale überall, mein Kleid klebt an der feuchten Haut und meine Slingpumps baumeln mit der Handtasche an meiner freien Hand.
Nicht so schnell, japse ich, ich bin eine alte Frau... du lachst, so flink wie eh und je läufst du über die Steine und sagst nur: sie warten doch alle schon so lange!
Endlich sind wir oben am Tor. Der Garten blüht üppig, die Bougainvilleen neigen sich in allen Pinktönen über Balustraden und Säulen – war es damals schon so schön, oder bist du zum Gärtner geworden?
Ich will durch die Küche ins Haus, will wenigstens kurz in ein Bad zu Handtuch, Kamm und Lippenstift; doch dein Griff zieht mich in den Garten, der voll von Menschen ist. Tische werden gedeckt, Lampions gehängt und Sonnenschirme werden aufgestellt und im Schatten sitzt eine Alte und faltet Servietten.
„Aber... das ist ja... Agatha!“ Ich laufe zu ihr, die Handtasche fällt ins Gras. Ich muss mich hinkien, so klein ist sie geworden. Agatha, meine Amme, die mir mehr eine Mutter war als die, die ich so nenne!
„Penelope“ murmelt sie, und ihre schwarzen Pupillen schwimmen in Tränen. Sie fährt mir mit ihren knotigen Händen übers nasse Haar. Lange hat mich keine Berührung mehr so ins Herz getroffen.
Du, Odysseus, hast sie ins Haus genommen, nachdem sie zu schwach wurde, um alleine zu leben.
Da ich nun schon weine, passt es, dass ein großer junger Mann über den Rasen gelaufen kommt – mein Sohn, unser Sohn, Odysseus, den du so prächtig aufgezogen hast!
Ein wenig scheu fallen auch wir uns in die Arme... „Mama“...
dann begrüße ich alle, die ich von früher kenne und auch die, von denen mir nur die Eltern bekannt sind.
Da stehe ich, barfuß mit nassem Haar, umringt von meiner Familie und Freunden, und Vergangenheit wird zur überwältigenden Gegenwart.
Irgendwann erlöst du mich, Odysseus, führst mich ins Haus, die Treppe hinauf...
„Ich habe dir Telemachs Kinderzimmer richten lassen... ich wusste ja nicht, ob du ins Schlafzimmer willst...“
Ich nicke, es ist gut so, ich muss jetzt allein sein. Du gehst, und bald darauf bringt ein junger Mann meinen Koffer.
Ich dusche und ziehe mich um.
Die Hochzeit beginnt.
Der Himmel ist noch dunkel, aber in der Luft zittert der nahende Morgen, den auch ein paar frühe Vögel schon ahnen. Ich sitze am offenen Fenster und atme die würzige Luft. Der Geruch meiner Kindheit und Jugend – nirgendwo auf der Welt habe ich den so gefunden.
Ich bin noch voll von den Bildern des vergangenen Tages: die Begegnung mit meiner Schwiegertochter Agnes... so jung, so strahlend glücklich... die Trauung in unserer Kirche, Odysseus... und wieder standen die Bilder von damals, als wir Ja zueinander sagten, so lebhaft vor mir...
seltsam, zwanzig Jahre habe ich nicht daran gedacht...
Danach das rauschende Fest und die vielen Menschen, die zum Gratulieren und Feiern kamen... ich habe Hunderte von Hände geschüttelt und viele alte Bekannte umarmt.... so viel Herzlichkeit und Wärme, trotz der Scheu vor der Frau, die aus einer ganz anderen Welt zu ihnen gekommen ist. Ich habe mit euch Ouzo getrunken, auf altes und neues Glück angestoßen, mit euch getanzt und gelacht...
Und dann du, mein Lieber, der Mittelpunkt, mehr als das junge Paar... ein wunderbarer Vater, ein fröhlicher Gastgeber... ich habe dich beobachtet, in den wenigen Momenten, in denen ich es konnte: grau bist du geworden und die Falten sind tiefer in deinem braunen Gesicht... aber dein Lächeln und dein Charme haben die gleiche Frische wie immer.
Es war mir angenehm, ab und zu deine Hand auf meinem Rücken zu spüren und deinen Blick in meinen Augen. Die Erinnerung an deine Leidenschaft am Morgen, und wie leicht ich ihr antworten konnte, verwirrt mich, ich gebe es zu. Das hatte ich nicht erwartet.
Überhaupt habe ich nicht erwartet, dass mich mein Besuch hier so berührt. Gut, dass mich die Hochzeit meines Sohnes eines Moment sentimental machen würde – damit hatte ich gerechnet. Aber
dass die Insel, die mir immer so klein und provinziell erschien– du verzeihst, lieber Odysseus, denn du weißt, wie ich es meine- nun so schön und doch Heimat für mich ist, das erstaunt mich.
Was geschieht mit mir?
Ein heller Streifen Licht zeigt sich am Horizont und ich sehe die Konturen von Wasser und Land jetzt deutlicher. Mein Herz öffnet sich im zarten Rosè der Morgendämmerung. Ich fühle es und beginne zu begreifen: Es ist meine Insel, meine Heimat! Ich bin zuhause!
Und ich möchte hier bleiben, hier will ich alt werden, in dieser archaischen Schönheit, dieser Wärme und dieser Ruhe, die ich zwanzig Jahre nirgendwo sonst gespürt habe.
Ich weiß nicht, wie ich das machen werde, wie ich meinen Job und mein anderes Leben verlassen kann – ich weiß auch nicht, was du dazu sagen wirst – vielleicht spielt es auch gar keine Rolle?
Drüben im anderen Zimmer spüre ich dich schlafend und ich muss dir danken: dass du die Verbindung zu mir gehalten hast, dass du mir den Sohn erhalten hast und dass du mir Anker geblieben bist, zu meiner Heimat und zu meiner Vergangenheit.
Und dass du mich zurückgeholt hast, und wieder aufgenommen – vielleicht hätte ich sonst nie erkannt, wohin ich gehöre?
Und ich gehöre hier her, nichts weiß gerade ich so sicher wie das!
Und ich werde hier bleiben, wo mein Herz schon immer war.
Gute Nacht, lieber Odysseus! ... und guten Morgen, liebes Ithaka!
Ithaka
Brichst du auf gen Ithaka,
wünsch dir eine lange Fahrt,
voller Abenteuer und Erkenntnisse.
Die Lästrygonen und Zyklopen,
den zornigen Poseidon fürchte nicht,
solcherlei wirst du auf deiner Fahrt nie finden,
wenn dein Denken hochgespannt, wenn edle
Regung deinen Geist und Körper anrührt.
Den Lästrygonen und Zyklopen,
dem wütenden Poseidon wirst du nicht begegnen,
falls du sie nicht in deiner Seele mit dir trägst,
falls deine Seele sie nicht vor dir aufbaut.
Wünsch dir eine lange Fahrt.
Der Sommermorgen möchten viele sein,
da du, mit welcher Freude und Zufriedenheit!
In nie zuvor gesehene Häfen einfährst;
Halte ein bei Handelsplätzen der Phönizier
Und erwirb die schönen Waren,
Perlmutter und Korallen, Bernstein, Ebenholz
Und erregende Essenzen aller Art,
so reichlich du vermagst, erregende Essenzen,
besuche viele Städte in Ägypten,
damit du von den Eingeweihten lernst und wieder lernst.
Immer halte Ithaka im Sinn.
Dort anzukommen ist dir vorbestimmt.
Doch beeile nur nicht deine Reise.
Besser ist, sie dauere viele Jahre;
Und alt geworden lege auf der Insel an,
reich an dem, was du auf deiner Fahrt gewannst,
und hoffe nicht, dass Ithaka dir Reichtum gäbe.
Ithaka gab dir die schöne Reise.
Du wärest ohne es nicht auf die Fahrt gegangen.
Nun hat es dir nicht mehr zu geben.
Auch wenn es sich dir ärmlich zeigt, Ithaka betrog dich nicht.
So weise, wie du wurdest, in solchem Maße erfahren,
wirst du ohnedies verstanden haben, was die Ithakas bedeuten.
Konstantinos Kavafis
*29.April 1863 in Alexandria/Ägypten, +29.April 1933 in Alexandria/Ägypten
Übersetzt von Wolfgang Josing und Doris Gundert
©tangocleo 2011