Stilsicher
*Zielsicher überquere ich die Straße. Besser gesagt nur die rechte Spur. Die Hauptverkehrstraße verläuft hier, in diesem Abschnitt getrennt. In der Mitte schlängelt sich geschickt die Straßenbahn hindurch. Es ist einer der ersten warmen Tage in diesem Jahr. Das macht Lust auf mehr und hebt die Stimmung ungemein.
Ich schwinge mich also hüftenschwingend über die Straße und weiß genau, dass dieser Arsch für viele ein schwankender Fixpunkt ist, der sie, solange er sich in ihrem Blickfeld aufhält, nicht mehr loslässt. Der Benz Fahrer, der eben noch an der roten Ampel gehalten hat, vergisst kurzfristig, als diese jetzt auf Grün umspringt, weiterzufahren. Der Fahrer des Fahrzeugs dahinter hupt ungeduldig. Ich wirble halb herum und strahle ihn an.
„Ist doch halb so wild“ blitzt es in meinen Augen. Der Fahrer blitzt zurück, allerdings mehr wütend als flirtend, weshalb ich mich beeile den, Fahrstreifenüberquerungsprozess zügig abzuschließen.
Blöderweise, werde ich aber in meinem „flow“ jedoch gleich wieder abgebremst, weil sich nun eine endlos scheinende Straßenbahnschlange an meiner Nase vorbeischlängelt.
Ich stehe da. Gute Musik auf den Ohren, im Takt wippend schaue ich mir die Leute an, die da so in der Bahn rumgurken.
Als sie vorüber ist, setze ich meinen Hüftslalom fort. Ein paar Meter weiter, an der Haltestelle hat sich schon ein illustres Grüppchen an Menschen versammelt. Die allesamt mit mir auf die nächste Bahn warten und ebenfalls in die Stadt wollen.
Ich will dort eine Freundin treffen und mit ihr gemeinsam die Welt am Kaffeehaustisch retten. Dafür sind wir prädestiniert!
Ich schaue mir das Grüppchen genauer an.
Einer sticht besonders heraus und mir sofort in mein Auge. Er ist anders als alle anderen und zieht meinen Blick wie magisch an. Unauffällig, auffällig starre ich ihn hinter meinen Sonnenbrillengläsern an, die, so meine ich, meinen Blick weitestgehend verhüllen.
Weit gefehlt wie sich an späterer Stelle noch herausstellen wird.
Aber zu diesem Zeitpunkt fühle ich mich sicher in meiner Welt. Ich fühle mich gut. Ich fühle mich beschwingt!
Ich male mir aus wie dieser Mann dort drüben, er wird so Ende vierzig, Anfang fünfzig sein, schätze ich, sich für ein Blind Date in der Stadt schick gemacht hat. Er wirkt ein wenig nervös und wirft immer wieder einen Blick auf seine Armbanduhr.
Ich mag es mir Geschichten über Passanten auszudenken. Diese Geschichte, die ich mir im hier und jetzt zu diesem Mann ausdenke, mag ich besonders:
Stilsicher
Oder: Wie man es garantiert schafft sein Blind Date in null Komma nix sprachlos werden zu lassen!
Man färbe seine leicht schütteren Haare möglich sehr dunkel, so dass sie in einem guten Kontrast zu den ergrauten Augenbrauen stehen und man den Haaren die Färbung auch ja ansieht. Man, bzw. frau soll ja schließlich merken, dass man sich um sein Aussehen Gedanken macht!
Dazu passend sollte man die kaum noch vorhandene Haarpracht am besten im klassischen Vorne-kurz-Hinten-lang-Stil stylen.
Für das Date sollte man zudem äußerste Aufmerksamkeit auf die richtige Auswahl der Kleidung legen. Sie wissen schon, die richtige Mischung aus leger, sportlich, elegant und ggf. auch ein dezenter Hang zur Extravaganz.
Wunderbar lässt sich in diesem Zuge das klassische, weiße Westernhemd mit silbernen Beschlägen am Kragen und Plastikperlmuttknöpfen, die wiederum ganz in violett gehalten sind, mit einem bordeauxfarbenen Blazer (Schulterpolster und eingenähtes, schwarzes Einstecktuch sollten an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben) kombinieren, dessen Farbton in einem wundervoll, beißenden Kontrast zu den Hemdknöpfen steht.
Um das Ensemble des Oberkörpers nach unten hin nicht abschwächen zu lassen, ließe sich hier wunderbar eine quietschgrüne Karottenjeans ergänzen, die im Schritt schön eng sitzt, damit der Damenwelt nicht vorenthalten wird was man zu bieten hat. Und das ist selbstverständlich einiges, ohne dass man sich hier der Selbstbeweihräucherung hingeben möchte.
Dieses farbenprächtige, mit viel Liebe und Sorgfalt zusammengestellte Outfit schreit nun noch förmlich nach exquisiten Tennissocken, den weißen mit den bunten Streifen und einem Paar, geflochtenen, congacfarbenen Herrensandalen. Abgerundet wird dieses Bild mit einer Brille, die sich ohne große Probleme, durch das Herunterklappen von getönten Gläsern, in eine coole, zeitlose Sonnenbrille verwandeln lässt.
Mit diesem Styling haben sie das Blind Date auf ihrer Seite.
Da KANN nun einfach gar nichts mehr schief gehen. Da brauchen sie sich keinerlei Gedanken mehr machen.
Hmmmm.
Allerdings, wenn ich sie mir so betrachte-
Irgendetwas fehlt noch-
Das Tüpfelchen auf dem I, der letzte Schliff, das besondere Etwas, DER Hingucker!
Ah richtig, ich hab´s!
Warum nehmen sie nicht diese ganz besonders extravagante Krawatte, die sich, der Einfachheit halber mit einem schnöden Gummi über ihren dicken Kopf ziehen lässt und sich ganz und gar aus einzelnen Holzlamellen zusammensetzt, die von, äh, sagen wir, Strafgefangenen Verkehrssündern in liebevollster Handarbeit in Form gesägt und gefeilt wurden.
Tja, sehen sie?!
So einfach geht´s.
TOP!
Und, werter Leser, sind Sie jetzt nicht auch schon ein wenig sprachlos?!
Was meinen Sie, wie sprachlos ich erst bin, als dieser besagte Mann, nachdem ich mir in der Bahn dieser wundervolle Geschichte zu seinem außergewöhnlichen Outfit ausgedacht habe, in der Stadt, statt einfach aus der Bahn auszusteigen, quer durch den Wagen kommt, um mir mit einer galanten Bewegung seine, am Heim-PC ausgedruckte Visitenkarte, in meine Handtasche zu stecken, welche auf meinen Oberschenkeln ruht.
An dieser Stelle wird mir, neben all meiner sang und klanglosen Sprachlosigkeit klar, dass meine sonnenbebrillten Blicke, da vorhin an der Haltestelle, doch weitaus auffälliger gewesen sein müssen, als ich angenommen habe.