Brief an eine ungeborene Tochter
Der Zeitpunkt Deiner Geburt rückt näher. Und täglich wird es mir schwerer mich zu tragen, so riesig und geschwollen, wie ich jetzt bin.
Ich denke gerade sehr oft ans Sterben.
Vielleicht ist das ganz normal so kurz vor einem angeblich so einschneidenden Erlebnis. Vielleicht ist es aber auch nur bei mir so.
Sollte ich sterben bei der Geburt, wünsche ich mir, dass auf meinem Grabstein steht: Sie hat das Leben geliebt und auch die Menschen, trotz deren schmerzvollen Verblödungen. Und darum wird sie wohl eine weitere Runde wiederkommen.
Und meiner noch ungeborenen Tochter möchte ich dann folgendes hinterlassen:
Lebe lieber ungewöhnlich. Liebe so tief und so intensiv Du kannst und so viele Wesen wie nötig, um das Wunder der Liebe in allen Facetten zu erforschen und zu erfahren.
Hab keine Angst vor den Schmerzen und Enttäuschungen, die vielleicht damit verbunden sein können, denn diese verbrennen nur die Schlacken, die das Herz daran hindern seiner Wahrheit zu folgen.
Lass zu, daß die Wahrheit deines Herzens sich entfalten kann, fördere dies so gut Du kannst und nimm Hilfe an, wo Du selbst nicht mehr weiter weißt.
Und folge Deinem Herzen, wohin es Dich auch führen mag. Immer.
Woran Du erkennst was Dein Herz Dir sagt ?
Soweit ich in der Erforschung dieser Frage gekommen bin, Tochter, kann ich es Dir sagen. Aber es mag sein, daß Deine Wahrheit eine andere sein wird. Denn jedes Leben ist einzigartig, genauso wie jedes Wesen, das es lebt.
Was ich bisher herausgefunden habe, über das Streben meines Herzens, ist folgendes:
Es möchte anderen Menschen so begegnen, dass unsere Augen ein warmes Leuchten bekommen.
Es möchte mit einem tiefen, wohligen Seufzen in die Umarmung und in die Wärme des Anderen hineinschmelzen.
Es möchte beben und singen vor Wonne über die unermeßliche Schönheit der Schöpfung.
Es wird wild und wütend, wenn ein Anderer sein eigenes Licht oder das von Anderen verdunkelt. Speziell wenn er es wieder besseres Wissen oder vielleicht sogar aus Freude am Leid der Anderen tut.
Es veranlasst Einen - wenn man ihm nicht im Weg rumsteht - immer das Naheliegende zu tun.
Das Naheliegende ist manchmal etwas verblüffend Einfaches.
Und meist etwas komplett anderes, als das was der Verstand sich ausdenkt.
Wenn es (Dein Herz) leuchtet, finden Deinesgleichen selbst in dunkelster Dunkelheit zu Dir.
Es will sich verströmen. Einfach so und bedingungslos.
Ich weiß nicht ob Dir meine Erkenntnisse bei Deinem Weg viel helfen können, auch wenn ich es mir als Deine Mutter schmerzlich wünsche, aber vielleicht gibt es einen kleinen Schimmer um das Dunkel Deiner kommenden Fragen zu erhellen.
in Liebe, doch voll dunkler Vorahnung
Deine Mutter