Sommertag
Irgendwie ist es seltsam, nach über dreissig Jahren wieder dort hin zu gehen, wo ich mich jahrelang durch Trainingrunden, Konditionsverbesserungsversuche und Wettkämpfe gequält hatte. Die Erfolge waren nur leidlich. Immer war ich nur Zweiter. Nie winkte der Lorbeerkranz der Erfolgreichen. Alle Mühen, alle Qualen waren nicht genug und so hatte ich immer das Gefühl nicht zu genügen.Das Gefühl hatte ich später, in meinen Beziehungen, auch. Auch da war ich immer nur zweite Wahl, war nicht gut genug, war zu dick, oder zu dumm oder zu unscheinbar. Jedenfalls nie die Frau, die ich hätte sein sollen, oder mir wünschte zu sein und immer irgendwie nicht so geliebt, wie ich mir wünschte, geliebt zu werden.
Das kalte Wasser nimmt mir fast den Atem und nach nur hundert Metern zügigen Schwimmens werden meine Finger wieder weiß. Diese blöden Leichenfinger. Wie ich die immer gehasst habe. Sie machten mir damals, mit fünfzehn, schon Angst. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, gehe aber meistens Situationen, die sie hervorrufen, aus dem Weg. Sieht ja auch doof aus. Und fühlt sich blöd an. Wie die Finger einer Fremden. Also, ich will die nicht. Ich will meine eigenen Finger und keine, die aussehen, als wäre ich tot und mit denen ich nichts fühlen kann.
Im Wasser fühle ich mich ansonsten gut. Irgendwie ein bisschen wie früher, als ich noch so dünn war. Im Wasser fühle ich nicht, wie fett ich inzwischen geworden bin. Ich spüre mein Gewicht nicht und es gibt nur den Badeanzug und nicht all die Schichten von Kleidern, die mich einengen und mich erdrücken wollen. Obwohl ich in diesem Badeanzug albern aussehe. Er drückt meine Brüste platt herunter, so dass sie mit meinem Bauch eine Fläche zu bilden scheinen. Aber ich sehe gewiss nicht so albern aus, wie dieser Mann, den ich heute sah. Männer auf Klapprädern sehen richtig übel aus. Aber Männer auf Klapprädern in karierten Shorts und mit Helm sind der absolute Abschuss. Die Krönung der Albernheit sozusagen.
Früher, als ich noch dünn war und durchtrainiert, war ich es gewohnt, dass die Jungs mir verstohlen nachschauten. Heute schaut mir niemand mehr nach. Dazu bin ich weder dünn, noch dick genug. Ich genüge nicht als Hingucker. Weder im positiven, noch im negativen Sinne. Manchmal wurmt mich das schon ein wenig, aber dann werde ich trotzig mit mir selbst und erzähle mir, die wüssten nur alle nicht, was wirklich gut ist.
Meine Güte, mein Ex erzählte mir immer, dass ich wirklich gut im Bett sei. Eine Zeit lang nahm ich das als Kompliment. Aber irgendwann hatte ich das dumpfe Gefühl, dass er mir damit auch sagen wollte, dass ich ansonsten zu nichts zu gebrauchen sei. Und so fühle ich mich jetzt manchmal auch. Ungebraucht. Ungewollt. Ungenügend.
Ich tauche ab. Es ist schön, unter Wasser zu sein. Mein Haar schwebt schwerelos um mich und alle Geräusche sind nur noch gedämpft. Unter Wasser hört sich alles ganz anders an. Das hatte ich beinah vergessen.
Ich halte die Luft an, so lange ich kann. Warte unter Wasser darauf, dass die tabakgequälten Lungen beinahe bersten. Nach dem Auftauchen steht mir die Schamesröte im Gesicht. Das kann ich fühlen. Frauen in meinem Alter tauchen nicht mehr unter, bis sie keine Luft mehr bekommen. Aber ich habe Glück. Ich bin zu unscheinbar, als dass jemand auf mich geachtet hätte. Zitternd und außer Atem gehe ich zu meinem Platz auf der Liegewiese. Das Gras ist weich unter meinen Füßen und so nass, wie ich bin, lege ich mich auf mein ausgebreitetes Handtuch. Natürlich auf den Bauch. Damit man den Bauch nicht sieht, dieses ausgeleierte Ding, das seit den beiden Kindern aussieht, als hätte Gott Plisseefalten hineingedämpft.
Ich sag mir immer, dass es mir egal ist, wie mein Bauch aussieht, weil er zwei gesunde Kinder hervorgebracht hat. Aber es ist mir nicht egal. Andere Frauen haben auch Kinder und sehen noch richtig fest und knackig aus.
Ich liege auf dem Bauch, das Gesicht im Handtuch vergraben und atme tief ein.
Da ist er wieder, dieser Geruch, der so einzigartig ist. Diese Mischung aus Badehandtuch und frisch gemähtem Rasen. Dieser Duft, den nur ein Sommertag im Strandbad inne hat.
Eingelullt von diesem Duft und dem Summen der Wespen, die sich an leeren Eispackungen in den immerbereiten Mülltonnen laben wollen, döse ich vor mich hin, schwelge in Erinnerungen und weiß, ich werde später meine Lieblingsfarbe angenommen haben:
Hummer am Abend.
© Rhabia 08-2011