Ein Augenblick des puren Glücks
© Nisham 09/2011Milchkaffeebrau sind die trägen Wassermassen, die sich an mir vorbeiwälzen. Der Fluss ist hier so breit, das das gegenüberliegende Ufer nicht klar zu sehen ist, Dunstschleier wabern über dem Wasser.
Ich sitze auf einer am Strand hochgezogenen, umgedrehten Piroge. Wie jeden Tag, am Nachmittag, nach der Siesta. Flussaufwärts kommt der Fluss aus einer leichten Biegung, die nach Osten weist. Flussabwärts windet sich der breite Strom in Richtung Westen.
Dunkle Wolken bedecken den sonst so knallblauen Himmel und mildern die Hitze der sengenden Sonne. Doch es ist warm und feucht. Im Fluss, ein guter Steinwurf von meinem Ufer entfernt, ist in den letzten Tagen eine Sandbank aufgetaucht. Auf dem hellen Sand liegen einige Krokodile. Und direkt daneben ragt der massige Körper eines Flusspferdes halb aus dem Wasser.
Dicht am Ufer, nur wenige Schritte von mir entfernt, paddeln zwei Schwarze ihren Einbaum flussaufwärts. Denn hier ist die Strömung gering. Wir kennen uns, und heben zum Gruß nur die Hand. Sie scheinen es eilig zu haben. Denn normalerweise würden sie für ein Schwätzchen kurz Pause machen.
Zolana kommt von der Hütte; ich nehme sie aus dem Augenwinkel wahr. Sie bringt mir einen frischen Kokossaft. Ich kann mich nie satt sehen, an ihrem anmutigen, leichtfüßigen Gang. Ein knallbuntes Tuch hat sie um sich geschlungen, das eine Ende flattert in der leichten Brise. Mit einem strahlenden Lächeln reicht sie mir den Becher. Sie sagt kein Wort, als sie vor mich niederkniet, ihren Kopf auf meinen Schenkel legt und schaut, wie ich genüsslich am Becher nippe.
Ein Augenblick des puren Glücks.
Wir lieben beide das Schweigen. Ich weiß, ich sollte noch ein wenig arbeiten. Schreiben. Doch morgen ist auch noch ein Tag. Und es ist gerade sehr schön, hier unten am Fluss.
Jeder Tag, jede Stunde am Fluss ist schön. Und anders. Die träge dahinfliessenden Wassermassen faszinieren mich. Ziehen mich in Bann Zuerst sieht es immer gleich aus, doch nach einer gewissen Zeit habe ich gelernt, dass dieser Fluss lebt. Und wie! An einem Tag ist das Wasser etwas höher, dann wieder niedriger. Sandbänke entstehen. Verschwinden manchmal nach wenigen Stunde, oder sie werden fast zu Inseln, wenn sie mal wochenlang Bestand haben.
Wir drehen uns beide um, als wir gleichzeitig das ferne Tuckern hören. Ein kleiner Dampfer tuckert flussabwärts. Der Wind trägt das Stampfen bis zu uns hin, die Rauchfahne verweht es jedoch schon lange vorher. Wir schauen beide, wie das Schiff sich schnell nähert. Doch der Dampfer bleibt weit draußen, jenseits der Flussmitte. Schwer beladen, mit Waren aller Art und darauf sitzen viele Menschen. Zolana macht eine verächtliche Handbewegung. Ich weiß: überladen und nur wenn sie Glück haben, werden alle heil ankommen, irgendwo weiter unten am Fluss, der sich ja noch über hunderte von Kilometern durch das Land windet, bevor er ins Meer mündet.
Dieser Fluss ist die Lebensader des Landes. Und mich hat es irgendwo an sein Ufer verschlagen. Ich will schon lange nicht mehr wissen, warum und wozu.
Ich schaue auf den träge dahinfliessenden Fluss. Sehe diese immensen Wassermassen und stelle immer wieder fest, wie unsinnig klein und unwichtig ich in Wirklichkeit bin. Doch ich bin. Ich lebe. Und mir geht es gut. Die Zeit fliest dahin, so träge wie der Fluss. Na und?
Ich habe ausgetrunken. Zolana steht auf, reicht mir die Hand. Wir gehen Hand in Hand nebeneinander die Böschung hoch zu unserer kleinen Hütte. Den Fluss im Rücken. Morgen wird er auch noch träge dahinfliessen.