Nachbarn
Nachbarn„Du Drecksau“, begann die Kommunikation mit dem Nachbarn. Damit man mich nicht falsch versteht, die Beleidigung galt mir. „Du kleine schwule Drecksau. Verpiss dich aus meinem Dunstkreis, ich will dich hier nicht haben!“
„Hä? Haben Sie ein Rad ab, Herr Meyer?“, fragte ich ungläubig, denn er war hierher gezogen, da lebte ich mit meiner Frau bereits seit über zwei Jahren in dieser kleinen Siedlung am Stadtrand.
„Lass die Frechheiten, du Perversling!“ Er bekam schon einen hochroten Kopf, so sehr regte er sich über mich auf, dabei war ich nur in Badehose bekleidet im Garten gelegen und habe nichts gemacht. Aber der Typ regte sich immer auf, wenn jemand besser aussieht als er. Ich tat das einzige, das mir einfiel, ich lachte, steigerte mich geradezu in einen Lachanfall hinein und ging dann ins Haus, zog mir Shorts an und kam dann mit einem Bier zurück. Wie erwartet, stand er noch am Zaun und giftete herüber. ‚Idiot’, dachte ich halb belustigt und halb bitter. Er ging mir schon gewaltig auf die Nerven mit seinem Biedermanngetue. Ein richtiger Pharisäer, nach außen hin tolerant und wenn ihm was nicht passt, dann lässt er den Moralapostel an die frische Luft. Das kam eigentlich täglich vor, zumindest seit er dahintergekommen war, dass ich neben Frauen auch auf Männer stehe. Meiner Frau gefällt es, was soll es also und wie er das herausbekommen hat, ist auch so eine Sache. Herr Saubermann geht nämlich auch gerne in Swingerclubs, gerade in so einem hat er uns wohl erwischt, in flagranti sozusagen.
Ich ging mit meinem Bier zurück an den Zaun und sagte freundlich lächelnd: „Herr Meyer, passen Sie auf Ihr Herz auf, es ist nicht gut, wenn Sie sich wegen nichts so aufregen. Ich hoffe, der Gattin hat es im Club gefallen.“ Das saß. Er verlor alle Farbe aus dem Gesicht und schnappte nach Luft, danach schritt er steif davon. Ich ging lachend auf die Terrasse, wo meine Frau in der Sonne lag, süß wie ein Sahneschnittchen und sie lächelte unverschämt. „Na, Gabriel, hat es Spaß gemacht?“ Ich grinste zurück, nickte lediglich. „Du liebst es wohl, diesen alten geilen Bock auflaufen zu lassen.“
„Natürlich, Lotte. Der ist ein Arschloch.“
„Setz dich zu mir“, bat sie ein wenig später und ich tat ihr den Gefallen. Wir lieben uns seit wir Teenager waren und nichts hat sich daran geändert, auch nicht, als sie herausfand, dass ich bisexuell bin. Es ist ihr nicht wichtig, solange sie die Nummer Eins in meinem Leben ist. Was für eine Frau!
Zurück zum Thema. Ich hatte seit jeher Probleme mit Herrn Meyer. Er konnte es einfach nicht verstehen, dass Lotte und ich unser Leben so führen, wie es uns Spaß macht. Wir haben nicht sehr viel Geld und uns trotzdem ein Häuschen gebaut. Der Garten ist zugegebenermaßen ein Wildwuchs, dafür haben wir auch einen Igel, der in diversen Laubhaufen überwintert und zahlreiche Vögel und andere Kleintiere leisten uns im Garten Gesellschaft. Beim Meyer ist alles geschniegelt, der Rasen perfekt getrimmt, kein Unkräutlein wuchert, keine Blume blüht dort, wo er sie nicht haben will, alles ist nach Größe und Farben sortiert. Ehrlich gesagt, sieht es ja hübsch aus, aber ich würde mich dort nicht wohlfühlen. Zu perfekt.
Lotte und ich sind nicht perfekt, aber wir lieben uns und das Leben. Wir tun keinem etwas, haben Spaß und trinken auch mal ab und zu mehr als eine Halbe Bier. Wen sollte das stören? Den Meyer störte das. Auch unser Musikgeschmack stieß ihm sauer auf. Wir hören alles, von Klassik bis Heavy Metal, nur die Klostertaler und wie die ganzen Schlagervolkstümler heißen, lassen wir aus.
Tja, der Meyer, der konnte uns nicht leiden. Lotte mochte er zuerst schon sehr gern, aber wer mag Lotte nicht? Sie ist eine sehr liebenswürdige Person, müssen Sie wissen. Als sie ihn dann im Club abgewiesen hat, dann war es aus mit der Sympathie und er wurde regelrecht gemein, wobei ich das als Hilfsausdruck definieren möchte. Er hat uns, wo immer es ging, unsere Mülltonnen versteckt und lauter solchen Kleinkram, uns auch angezeigt, weil wir den Rasen nicht gemäht haben. Einfachen Unsinn, über den wir gelacht haben. Nie im Leben hätten wir von uns aus gegen ihn etwas unternommen. Warum auch? Er war uns im Prinzip egal, wir hatten die meiste Zeit unseren Spaß mit ihm und eine Frohnatur kann so schnell nichts umhauen.
Zurück zu besagtem Tag, darüber wollen Sie ja Auskunft haben. Also, ich setzte mich zu Lotte auf die Terrasse und rauchte eine Zigarette, was den Typen von nebenan schon wieder nicht zu passen schien, denn er brüllte sogleich los: „Du Drecksau! Mach die Tschick aus, du verpestest die Luft.“ Ich hab das dann ignoriert, denn ich wollte nicht noch mehr Ärger, sondern den Samstagabend mit meiner Frau genießen. Aber dabei blieb es nicht. Lotte stand auf, sie sah wundervoll aus, ein richtiger kleiner und sehr sündiger Engel und starrte zum Nachbargrundstück. Ich konnte Meyers Geilheit förmlich bis herüber riechen, denn Lotte hatte nur einen knappen Bikini an, dazu noch aufreizend eine Hand auf die Hüften gelegt. Ich war neugierig, was passieren würde und stand ebenfalls auf, trat neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. „Herr Meyer, mäßigen Sie sich ein wenig“, flötete sie und warf ihm eine Kusshand zu. Dann machte sie lachend kehrt und ging ins Haus. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch gar nicht daran, dass irgendetwas passieren würde. Aber das musste das Fass wohl zum überlaufen gebracht haben.
Noch immer sehe ich das vor Wut gerötete Gesicht des Meyer vor mir, der nicht wusste, wohin er mit seinem Zorn sollte. Was kann ich dafür, wenn sich der Mann nicht unter Kontrolle hat? Sagen Sie mir, worin das Problem liegt? Ich habe nichts weiter gemacht, als in der Folge meine Frau beschützt, als dieser Widerling bei uns eingedrungen ist, spätnachts. Wir waren schon im Bett und haben geschlafen, als ich ein Geräusch von unten hörte. Ich griff neben mich, da war Lotte nicht mehr da und ich stand auf. Zuerst dachte ich, sie wäre bloß auf die Toilette gegangen, doch dem war nicht so. Schlaftrunken ging ich pinkeln und dann nach unten, als ich ein weiteres Geräusch hörte. „Lotte?“, fragte ich. „Kannst du nicht schlafen?“ Tiefe Stille antwortete mir, nur das Ticken der Wanduhr war zu hören, als ich ins Wohnzimmer trat. Da sah ich ihn, über Lotte gebeugt und wie er sie zwang, ihm zu Willen zu sein. Dieses Schwein hat sie vergewaltigt!
Ich hab den Kerl am Kragen gepackt und von ihr weggezerrt, dann hab ich ihm einen Haken verpasst, der ihn zu Boden geschickt hat. Ich wollte nicht, dass er stirbt, ich wollte nur, dass er Lotte in Ruhe lässt. Sagen Sie mir, was ich hätte machen sollen? Was hätte ich tun sollen?
(c) Herta 2011