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Leseprobe "Ludus vitae - Schule des Lebens"

nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Themenersteller 
Leseprobe "Ludus vitae - Schule des Lebens"
Weil ich gefragt wurde, stelle ich hier eine Leseprobe meines ersten Romans ein. Er wird im Mai 2012 beim Novum Verlag erscheinen. Einige werden sich vielleicht an den einen oder anderen Namen erinnern, aber die Geschichte an sich habe ich völlig neu geschrieben.

Ich hoffe, ich habe alle Fehler gefunden, denn gelesen habe ich es, weiß Minerva, oft genug. *g*

Viel Spaß in der Arena im 3. Kapitel.

*****************************************************

3. Morituri te salutant – Die Todgeweihten grüßen dich

Auf dem großen Platz vor der Arena fand das Spektakel statt. Die Gladiatoren der einzelnen Schulen aßen für sich an getrennten Tischen, die sich unter der Last an Speisen und Getränken zu biegen schienen, es gab keine einzelnen Gänge, wie bei herrschaftlichen Banketts üblich, aber als Vorspeise gab es Ei in verschiedenen Variationen, erst danach wurden die Platten mit den Hauptspeisen aufgetragen. Zur Unterhaltung spielten Musiker, und Tänzerinnen sorgten für eine ansprechende Untermalung. Etwas später am Abend gab es eine Theatervorführung, zu der alle Sklaven geladen waren. Zahlreiche Zuschauer aus Arretium waren ebenso gekommen und starrten die Gladiatoren an, wie auch die Schauspieler. Alle Kämpfer amüsierten sich prächtig, denn am nächsten Tag konnte bereits der Tod warten.
Gavin betrachtete sinnierend die übervollen Tische. Er lag neben Marcus auf einem Speisesofa und fühlte sich unerwartet gut. Horatio ließ sich nie lumpen und es gab stets das Beste vom besten.
„Du musst mehr essen, Amicus“, meinte Marcus tadelnd als er sah, dass er sich nur vom weißen Fisch, Brot, Oliven und Obst nahm. „Nimm von den Blutwürsten. Oder hier von den Kutteln?“ Aber Gavin konterte leise lachend: „Marcus, ich esse nie viel vor den Spielen, du weißt das, auch die Frauen lasse ich dann links liegen. Vor einem Kampf bin ich Asket, aber du kannst mir noch von den gefüllten Weinblättern geben. Keinen Wein, lieber den unvergorenen Most. Morgen muss mein Kopf klar sein. Ich wünschte, du würdest ihnen diese Weisheit einmal einprügeln. Und lass bitte die Stierhoden liegen, ich mag sie nicht. Nein, Marcus, ich esse heute kein Fleisch. Noch einmal, keinen Wein.“ Er lachte und zeigte auf die anderen Gladiatoren der Schule Atticus, die eifrig dem Wein zusprachen und an einem anderen Tisch saßen. Marcus betrachtete sie grübelnd, dann meinte er augenzwinkernd: „In Ordnung, ich zwinge dich nicht zu essen, was du nicht magst. Aber wenn wir zuhause sind, dann wirst du ihnen das mit dem Wein und dem Essen sagen, Gavin. Ich halte mich dann raus. Oder denkst du ich bin verrückt und lege mich mit denen an, wenn es ums Essen geht, auch wenn ich zehnmal der Herr bin? Ich trank übrigens auch nie vor einem Kampf. Vielleicht habe ich deshalb überlebt. Hoffentlich besäuft sich Juba ordentlich.“ Grinsend starrte er in Richtung des gegnerischen Retiarius. Aber er konnte nicht erkennen was der Numider trank. Als die leeren Platten abserviert wurden, hob Marcus den Becher und bat lautstark um Ruhe. Dann stand er auf und hielt eine kurze Rede: „Wir danken Horation Maximus Clemens für diese edlen Speisen und Getränke! Ein Hoch auf ihn, möge Iupiter sein Leben segnen und Iuno sein Haus und seine Nachkommen!“ Becher wurden gehoben und alle jubelten. Doch Marcus war noch nicht fertig. Als wieder etwas mehr Ruhe eingekehrt war, sagte er: „Ich habe noch eine Mitteilung zu machen. Myrdin wird morgen das letzte Mal in der Arena antreten und das bereits als Freier. Er wird meine Nachfolge als Gladiatorenmeister antreten, mein fähiger Stellvertreter war er jetzt schon. Ein hoch auf Gavin Tettius, den neuen Meister!“ Verhaltener Jubel war zu hören, vereinzelte Buh-Rufe mischten sich darunter. Gavin hatte damit gerechnet, dass sich wenige mit ihm freuen würden. Tullius kam und gratulierte ihm, auch Rufus und Ullrik und noch einige andere.
Sextus starrte hasserfüllt in die Menge. Seit einiger Zeit gärte sein Zorn auf Gavin wieder extrem hoch. Auch er wollte endlich als Freigelassener kämpfen und dann endlich die Arena verlassen können. Gerade als er dachte, er sähe eine Möglichkeit, wie er Gavin eins auswischen könnte, sprach Marcus weiter. Er gab die Übergabe einer Sklavin von seinem Besitz in einen anderen bekannt. Natürlich war Gavin der Nutznießer. ‚Der bekommt immer alles. Irgendwann wird ihm das das Genick brechen’, dachte Sextus zornig, da bemerkte er eine verhüllte Gestalt im Säulengang, die ihm winkte. Langsam stand er auf und schlenderte auf sie zu. Es herrschte so ein Durcheinander, dass es nicht auffiel, wenn er einige Minuten weg war. Er hatte seinen Becher mitgenommen und grüßte leutselig in die Runde. Endlich stand er vor ihr. „Sei gegrüßt Fortunata“, sagte er als sie die Palla zurückschlug. „Mit deinem Besuch rechnete ich heute nicht mehr. Du hast es gehört?“
„Natürlich, es war nicht zu überhören“, antwortete sie. Ihr ebenmäßiges Gesicht wirkte wie aus Stein gehauen. „Aber jetzt keine langen Reden, du weißt, was ich will.“ Sextus grinste und stellte sich blöd. „Welchen deiner zahlreichen Wünsche, soll ich dir erfüllen, Herrin?“
„Hör schon auf mit dem Unsinn“, sagte sie, lächelte aber dabei. Rasch zog sie ihn hinter die Säulen und dort fielen sie in wilder Gier übereinander her. Es dauerte nicht lange, war dafür aber umso heftiger, gerade wegen der Einsehbarkeit des Ortes, an dem sie es trieben. Als sie fertig waren, meinte Fortunata: „Und was willst du wegen der anderen Sache unternehmen? Noch hat er nicht versucht, mich zu erpressen.“ Sextus richtete sich erst die Kleidung bevor er antwortete. „Wahrscheinlich ist es ihm sogar egal, wer du bist. Aber so genau kann man es bei einem Spieler nie wissen. Ich habe aber so die eine oder andere Idee. Du wirst natürlich herausgehalten und ich bin in Wirklichkeit nur ein dummer Gladiator, ein Sklave aus den untersten Reihen. Nie im Leben wird auf uns der Schatten eines Verdachts fallen.“
„Dann ist es ja gut. Wenn es erledigt ist, bekommst du deinen Lohn. Und jetzt verschwinde.“ Fortunata hatte es plötzlich eilig, das Fest zu verlassen. Wenn ihr Gatte erfuhr, dass sie hier gewesen war, würde das sehr viel mehr Ärger mit sich bringen, als die Sache am Ende wert war und entdeckt wäre sie außerdem. Sextus schaute sie noch einmal gründlich an, seine Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, als er über etwas nachdachte, dann richtete sie die Palla und tauchte in der Dunkelheit unter. ‚Diese kleine Schlampe’, dachte er als er an seinen Platz zurückkehrte. ‚Wenn sie sich nicht an die Abmachung hält, steht noch am selben Tag ihr wirklicher Name an der Tempelmauer mitsamt den Namen der Freier.’ Sextus kannte keine Skrupel, wenn es ums Überleben ging fiel ihm immer ein Trick ein, wie er sich aus einer misslichen Lage befreien konnte. Nur diese Eigenschaft, hatte es ihm möglich gemacht, als Gladiator so weit zu kommen. Sicher war es schöner, die Nummer Eins zu sein. Aber er würde es wieder sein, nachdem er Gavin eins ausgewischt hatte. ‚Fortuna wird dir nicht mehr lange Hold sein’, dachte er, hob grinsend den Becher und prostete Gavin damit zu. Der erwiderte lächelnd den Gruß. Gavin war sich nicht bewusst, wie sehr er gehasst wurde. Mit Neid und Missgunst rechnete er und seine neue Position musste er erst rechtfertigen und sich den nötigen Respekt bei der Truppe verschaffen. Aber der Herr vertraute ihm, das war am wichtigsten.

Nun trat auch Horatio Maximus in Begleitung seiner Gattin Titiana in Erscheinung. Beide sahen sehr würdevoll aus. Er trug eine edle Toga, das Haar frisch geschnitten, glänzte mattschwarz im Fackellicht. Die Qualität von Titianas Palla sah man schon von weitem. „Eine Rede ehrenwerter Herr!“, rief jemand. Gavin glaubte, Julius Cassus als Sprecher zu erkennen. Andere nahmen den Ruf auf und bald schon hob er beschwichtigend die Arme. „Nun gut, Männer, Gladiatoren! Ich hoffe, ihr genießt das bescheidene Mahl, das meine Gattin euch zu Ehren ausrichten lässt.“ Hier brandete tosender Applaus auf und Titiana lächelte mild. „Morgen schon beginnen die Spiele, die einige von euch vielleicht nicht überleben werden, also lasst es euch heute noch so richtig gut gehen. Es gab aber eine Änderung im Ablauf. Wir haben die Spiele um einen Tag verlängert. Die Paarungen werden wie bekanntgegeben morgen gegeneinander kämpfen und am nächsten Tag dann die Sieger gegeneinander. Ob es ein Massenkampf oder wieder Duelle werden, das entscheidet am Morgen des Kampftages der Priester. Für den besten Kämpfer unter euch, den tapfersten unter den Tapferen, wird es eine Belohnung in Form von 200 Sesterzen geben, ich denke, das ist ein großer Anreiz für euch, euch ordentlich anzustrengen. Also auf interessante Spiele, möge der Bessere überleben! Lang lebe Vespasian unser Kaiser und Titus sein treuer Sohn, der derzeit in Syria weilt und gegen die Aufständischen kämpft. Seid so tapfer wie Titus und gebt euer Bestes!“
„Lang lebe Caesar!“, riefen die Männer im Chor und dann „Lang leben Horatio Maximus, Titiana und ihr Sohn!“ Die beiden gingen noch einmal durch die Reihen der Feiernden und zogen sich dann zurück.
Gavin wandte sich an seinen Freund und flüsterte: „Warum hängt er einen weiteren Tag an, ich dachte die Stadtkasse wäre leer oder zahlt er es diesmal aus eigener Tasche?“
„Das wissen allein die Götter, aber ich denke um seiner Position willen, wird er diesmal höhere Auslagen in Kauf nehmen müssen. Sein Widersacher für das Amt als Quinquennale ist der Sohn eines einflussreichen und steinreichen Fabrikanten, Deciderius Felix Victor heißt er. Hast du ihn schon einmal gesehen? Ich halte ihn für einen Nichtsnutz, aber Primus Felix, sein Vater, hat haufenweise Geld und kann Horatio damit locker in die Tasche stecken. Aber noch erfreut sich Horatio großer Beliebtheit, deshalb hofft er wohl auf die Gunst der sich nur kurz erinnernden Menschen, denn die Wahlen finden bereits nächsten Iupiter statt. Du siehst also, mein Freund tut gut daran, den Spielablauf den Gegebenheiten anzupassen.“ Darüber dachte Gavin eine Weile nach, dann nickte er, aber erfreut war er nicht darüber. Er hatte gehofft, lediglich einen guten Kampf liefern zu müssen. So verließ er sehr früh das Bankett. Sextus und Juba folgten ihm mit ihren Blicken, doch er merkte es nicht. Auch Marcus ging bald darauf, ihm war langweilig, wenn er niemanden zum Reden hatte.

An diesen Feierlichkeiten hatte Gavin nie viel Freude, auch wenn er gutes Essen schätzte. Heimlich hatte er einige der Köstlichkeiten für Kassandra zur Seite gelegt, die brachte er ihr nun. Einige Zeit betrachtete er ihr im Schlaf entspanntes Gesicht. Es war glatt und eben. Sonst wurde es immer von einer steilen Falte geziert, die sich von der Nasenwurzel über die Stirn hochzog bis zum Haaransatz. Auch der strenge Zug um den Mund war weg. Er hatte den Eindruck, als würde sie im Schlaf lächeln. Sanft strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Da erwachte sie. Erschrocken fuhr sie in die Höhe. Dann erkannte sie ihn und entspannte sich wieder.
„Hast du gegessen?“, fragte er und versuchte, die Milde aus seiner Stimme zu halten. Verlegen schüttelte sie den Kopf. „Du hast dich wieder einmal nicht allein unter die Menschen getraut, dabei dachte ich, du würdest deine Scheu langsam überwinden.“ Er stellte den Beutel neben sie und wartete. Als sie nichts sagte, meinte er: „Du sollst nicht leer ausgehen. Ich weiß auch nicht, warum du so feige bist. Die Sklaven, die nicht bedienen, sitzen alle im Saal und unterhalten sich. Für jeden ist genug da.“ Sie setzte sich auf, dann griff sie in den Beutel, entnahm ihm ein Brot und biss hinein. Mit vollem Mund und halb erstickter Stimme sagte sie: „Wenn du wüsstest wie sehr ich mich schäme, du würdest auch nicht unter die Leute gehen wollen.“ Das schockierte ihn und er sagte einige Zeit nichts, dann aber doch: „Es gibt nichts weswegen du dich schämen müsstest, schon gar nicht dafür, meine Sklavin zu sein. Erzähl mir, wie es dazu kam, dass du so menschenscheu bist.“ Kassandra schwieg eine Weile, kauend überlegte sie und ließ den Blick in die Vergangenheit schweifen. Die guten Erinnerungen waren wie weggewischt, davon gab es auch nicht viele, nicht seitdem sie lesen konnte. Schließlich berichtete sie leise: „Titus Tiberion war ein glühender Anhänger der Vesta und er hielt mich beinahe als Vestalin. Ich kam so gut wie nie aus dem Haus.“
„Das erklärt wohl einiges“, murmelte Gavin. Er richtete es sich auf dem schmalen Bett etwas bequemer, damit er möglichst nahe bei ihr sitzen konnte und fragte sie weiter aus. Endlich sprach sie über ihr Leben, nicht über den Herrn oder andere Sklaven, sondern über sich. Geduldig wartete er und tatsächlich, nach einiger Zeit redete sie erneut. „Ich musste viel lesen, so lange, bis er müde wurde. Danach habe ich ihn massiert und er konnte schlafen.“ Sie fühlte sich in diese Zeit zurückversetzt, die noch gar nicht so lange her war und eine Gänsehaut überzog ihren Körper, während sie an die Strafen dachte, die sie erwarteten, wenn sie Texte zu interpretieren gewagt oder dem Herrn gar Widerspruch geleistet hatte. Stundenlang musste sie dann in der Sonne stehen und weitere Texte lesen. Oder er sperrte sie in eine kleine Kammer ohne Licht, dort harrte sie bis er sie abholen ließ, weil er weiterlesen wollte oder eine Massage brauchte. „Er war sehr launenhaft. Doch meistens war er gut zu mir. Ich schlief in seinem Zimmer am Boden neben dem Bett, damit ich ihm jederzeit als Vorleserin zur Verfügung stehen konnte, denn oftmals wollte er auch nachts vorgelesen bekommen.“ Abermals sah sie sich, wie sie zusammengerollt neben seinem prächtigen Bett auf dem Strohsack kauerte und nicht zu schlafen wagte. Titus Tiberion wurde sofort ärgerlich, wenn sie schlief und er wach lag. So kam es, dass sie auch zu den anderen Sklaven keine wie immer gearteten Beziehungen aufbauen konnte, sie war zu sehr vom Herrn vereinnahmt worden, um ein halbwegs normales Lebens zu führen. „Sie dachten wohl alle, ich wäre seine Mätresse. Wenn die wüssten, wie fern ihm alles Körperliche lag. Er wollte nur lesen: Ovid, Horaz, Homer, Cicero, sämtliche Schriften des Sokrates auf Griechisch und noch vieles mehr, das ich nicht verstand, weil er nie etwas erklärte. Ich sollte nur lesen und nicht denken.“ Sie schloss die Augen und sah ihn bei Tisch liegen und essen, während sie selbst vorlas und ihr vor Hunger schwindlig wurde.
Tränen verschleierten ihren Blick, als sie wieder in die Gegenwart tauchte. Rasch verschlang sie die restlichen Speisen und bedankte sich bei Gavin für seine Fürsorge. Einige Zeit blieb er noch stumm neben ihr sitzen und war in seine eigene Vergangenheit getaucht. Er war als Freier geboren, als Sohn eines wohlhabenden Bauern in der Provinz Noricum. Eben drängte sich die Erinnerung hervor, die er am meisten verabscheute und für die er sich hasste. „Ich habe meinen Bruder beinahe erschlagen“, hörte er sich flüstern. Einige Zeit verlor er sich in den Erinnerungen. „Zum Glück hat er überlebt. Aber Vater hat mich des Hauses verwiesen. Niemand aus meiner Familie will seither etwas mit mir zu tun haben. Dabei habe ich ihn geliebt, diesen meinen großen Bruder Manius Decius. Trotzdem habe ich ihn im Streit geschlagen.“ Kassandra starrte ihn an. Nie hätte sie gedacht, dass ihren Herrn solche Bilder quälen würden. Er wirkte immer so sicher, bei allem was er tat. Jetzt bekam sie den Eindruck eines höchste verstörten, verletzten Menschen, der nicht wusste, wo er hingehörte und an dem der Selbsthass nagte. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als er weiterredete: „Manius hat meinen Häschern verraten, wo ich zu finden war. Als Dank für die Prügel, die ich bezog, weil ich meine Schulden nicht zahlen konnte, habe ich dann ihm eine Abreibung verpasst. Dabei wollte er mir sogar einen Teil des Geldes leihen. Aber das erfuhr ich erst später – zu spät. Es ist immer zu spät, Kassandra. Für mich in jedem Fall. Am besten, man gibt sich nicht zu sehr mit mir ab. Zu der Zeit, als Vater mich verstieß, fanden in der Nähe von Virunum Spiele statt. Ohne weiter zu überlegen, verkaufte ich mich an den ersten Gladiatorenmeister den ich traf. Es war nicht Marcus. Der hieß Julius Cassus und ist auch hier. Ihm gehört eine Schule in Capua. Marcus fand aber Gefallen an meiner Art zu kämpfen und er kaufte mich Julius Cassus ab. Seitdem bin ich bei ihm und es ist gut so, denn Julius schindet seine Gladiatoren. Er ist ein richtiges Schwein, wenn du mich fragst. Ich hoffe nur, er macht mir das Leben in Zukunft nicht zu schwer. Marcus hat vorhin alles öffentlich gemacht. Jetzt wissen alle was Sache ist.“ Abermals schwiegen sie und irgendwie entstand eine Form der Nähe zwischen ihnen, die sie sich nicht vorstellen hatten können. „Es tut mir Leid, dass ich dich mit meinem Leben belästigt habe, wo du selbst genug zu tragen hast“, sagte er etwas später. Dann nahm er den leeren Beutel und sagte bereits im Gehen begriffen: „Schlaf gut, Kassandra.“
„Ich wünsche auch dir eine gute Nacht, Herr. Und …“
„Sag es nicht.“ Er drehte sich um und ging nachdenklich in seine Kammer. Kassandra blickte noch eine Zeitlang auf die Decke, die vor dem Türbogen hing. ‚Er ist ein guter Mann und ich mag ihn, wenn er so wie jetzt, einfach nur Gavin ist und nicht der harte Myrdin, dieser verdammte Gladiator. Ich hoffe, er kommt nie wieder hervor’, dachte sie. Dann drehte sie sich auf die andere Seite und versuchte, wieder einzuschlafen. Leise drangen die Geräusche des Banketts bis zu ihr.

Früh am nächsten Morgen begann sich die Arena zu füllen. Kassandra erledigte die Aufgaben, die Ignatius ihr übertrug in Windeseile, dennoch wurde sie erst kurz vor dem Mittag fertig. Dann ging sie zur Arena und schlich sich über einen Seiteneingang hinein. Sie wollte ihrem Herrn zur Seite stehen, wenn er sie brauchen sollte. Er hatte nicht nach ihr geschickt, um ihm beim Ankleiden zu helfen, was sie wunderte. Sie huschte durch den Eingang der Gladiatoren und suchte in den verschiedenen Räumen nach ihm, endlich fand sie ihn, tief in Gedanken versunken an einer Mauer lehnen. Das Gladius in der Hand blitzte im Schein der Fackeln als er es drehte. Langsam ging sie zurück, sie wollte seine Konzentration nicht stören.

An einer Seite der Arena war ein Altar aufgebaut worden, hier fand das erst Tieropfer im Verlauf der Spiele statt. Diesmal galt die Gabe der Göttin Iuno, zum Dank für die Geburt eines männlichen Erben des edlen Horatio, wie der Priester feierlich verkündete. Mit Ehrfurcht brachte der Priester das Opfer dar, dann versprengte er Wasser in der Arena, verbrannte Weihrauch und sang dabei leise vor sich hin. Nachdem das Tier ausgeblutet und fortgeschafft war, begann eine Tierhetze. Es dauerte nicht lange dann hatten die Bestiarii die Antilopen und Rehe mit den Pfeilen erlegt. Helfer beseitigten die Kadaver während einige Komödianten heftig gestikulierend hinter den Sklaven herliefen und die Bestiarii nachahmten. Das Publikum liebte diese Einlagen, denn es entspannte und die Zeit war nicht so lang, bis der Kampfplatz geräumt war und es weiterging. Dazu spielten Musikanten laut auf. Aber die Komödianten waren einer der Höhepunkte und dieses Jahr waren sie besonders witzig, denn einige mimten Horatio und Deciderius Felix, die sich mit den Speeren gegenseitig über den Hof jagten und zu keinem Ergebnis kamen, bis schließlich doch der jüngere aus Mangel an Erfahrung nachgeben musste. Laut lachte die Menge darüber, denn der junge Viktor war nicht sonderlich beliebt und als Lebemann bekannt.
Dann wurde es in der Arena erneut laut, als ein großer Braunbär hereinstürmte. Bedrohlich stellte er sich auf die Hinterbeine und brüllte. Das Publikum kreischte sensationslüstern, denn der Ausrufer hatte nicht zu viel versprochen. Der Bär war groß und nur der geübte Zuseher konnte erkennen, wie verängstigt das große Tier auf die Umgebung und den Lärm reagierte. Gavin sah ihm an, wie er nach einem Versteck suchte und schüttelte über diese Art des Kampfes angewidert den Kopf. Mit schalem Wasser spülte er den Geschmack nach Blut aus dem Mund, spuckte in den Sand und wendete sich ab. Dieses Gemetzel wollte er sich nicht weiter ansehen. Die Bestiarii waren in seinen Augen nichts weiter als Schlächter, die gegen verstandlose Tiere angingen. Würden sie in freier Wildbahn gegeneinander antreten, sähe die Sache schon anders aus, auf jeden Fall würden sich die Chancen zu Gunsten des Tieres erheblich verbessern.
Er setzte sich in den Schatten und rieb mit einem weichen Lappen über das glänzende Metall des Kurzschwerts. Kassandra wagte sich nun vor und brachte ihm Wasser. „Danke, du bist sehr umsichtig“, sagte er nicht unfreundlich, aber unbeteiligt. Er war wieder Myrdin, musste es sein. Wenn er siegen wollte, durfte er sich keine Sentimentalitäten erlauben.
Nach der Bärentötung wurden einige verurteilte Verbrecher in die Arena getrieben. Sie fochten jetzt gegeneinander, man hörte deutlich ihr Geschrei. Dort herrschte ein Tumult als ob doppelt so viele Männer kämpfen würden, denn nicht alle Verbrecher wollten ihren nahen Tod wahrhaben. Mit einigen gezielten Schüssen brachten die Sagittarii die letzten Verurteilten um. Die Menge tobte im Blutrausch. Die Erwartung an die bevorstehende Hauptveranstaltung wurde immer höher und die Leute gierten jetzt nach wirklich guten, ehrenhaften und blutigen Kämpfen.
Händler priesen lautstark Getränke und Speisen an, die gerne angenommen wurden. In den Rängen schlossen schwitzende Männer noch die letzten Wetten ab, während die Arena von Leichen und Blut gesäubert wurde. Sklaven besprenkelten den Sand mit Wasser und auch das Publikum wurde mit Duftwasser versorgt, denn es war sehr heiß geworden und das viele Blut begann unangenehm zu riechen. Die Zuschauer waren gut gelaunt, denn die Sonnensegel spendeten Schatten und es gab genug preiswerte Erfrischungen. Und diejenigen, die sich das nicht leisten konnten, hatten Wasser und Obst mitgebracht. Feststimmung herrschte unter dem Publikum und die Erwartung nahm immer mehr zu, je länger die Pause dauerte.
Nun machte sich auch unter den Gladiatoren die Anspannung der bevorstehenden Kämpfe breit. Sie begannen unruhig auf den Kampfplatz zu starren, suchten mit ihren Blicken den Schiedsrichter. Doch erst als er hinaustrat stellten sie sich auf und warteten vor dem Tor auf das Zeichen. Trompeten erschallten blechern und das Publikum applaudierte. Dann schritten die Trommler ein. Ihnen folgen vier Equites auf weißen Pferden. Dann kamen die Fußkämpfer. An den Mauern nahmen Sagittarii Aufstellung, lässig hielten sie die Bögen in Händen und ihre Rüstungen glänzten im Schein der Nachmittagssonne. Gavin hielt in einer Hand das Scutum und in der anderen den Helm, er war jetzt Myrdin und würde es bis zum letzten Kampf bleiben. Jetzt wollte er gesehen und bestaunt, ja bejubelt werden. Die Leute riefen ihm aufmunternd zu, vereinzelt flogen Bänder und Rosenblüten in die Arena.
Myrdin schaute sich um, winkte den Menschen zu und lächelte siegessicher. Das gefiel ihnen und der Beifall brandete von neuem an. „Myrdin! Myrdin!“, riefen sie. Seit seinem ersten Kampf hier war er der erklärte Liebling der Massen und er wollte es bleiben. Das Wohlwollen des Publikums konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Aber die Zuschauer waren schwer zu begeistern, noch schwerer zu beeindrucken und zudem noch wankelmütig. Wer schlecht kämpfte oder durch Feigheit auffiel, nach dessen Blut lechzten sie. Das war allen Gladiatoren bekannt und so versuchten sie bereits bei der ersten Präsentation ein positives Bild zu hinterlassen. Myrdin halfen sein stolzes Auftreten und sein exotisches Aussehen. Auch lächelte er stets in die Menge, so als störte es ihn nicht, dass ihm der Tod im Nacken saß.
Doch bevor es um Leben und Tod ging, mussten sie sich den Schaukämpfen stellen. Es meldeten sich jedes Jahr mehr junge Männer, die in der Arena gegen einen Gladiator kämpfen und so ihren Mut unter Beweis stellen wollten. Diese Männer erlangten dadurch viel Ehre und Ansehen. Myrdin durfte gegen den Veranstalter antreten, der es sich nicht nehmen ließ, sein großes Können mit dem Gladius zu beweisen. Horatio Maximus Clemens war ein mittelgroßer, breiter Mann, mit Adlernase und sehr dunklem Haar. Er war ein Römer bis ins Mark und ließ das auch an seiner Haltung erkennen, als ihm das Publikum zujubelte. Myrdin hob das Gladius aus Holz. Dann begab er sich in Position und als der Schiedsrichter das Zeichen gab, erwartete er den Angriff des Edelmannes. Nie führte er den ersten Schlag aus, Geduld war seine unsichtbare Waffe. Je länger er wartete, desto unsicherer wurde der Gegner. Langsam umrundeten sie sich und versuchten einen Weg durch die Deckung des anderen zu erkennen. Dann verlor Horatio die Nerven und ging mit einem lauten Schrei auf Myrdin los, der die Schläge mit dem Schild parierte und ihn zurückdrängte. Es war fast zu einfach gegen so jemand Ungeübten zu kämpfen. Aber er durfte nicht erkennen lassen, wie gelangweilt er war. Also führte er mehrere Finten durch und ermüdete so Horatio, der seine sichtliche Freude an dem Schauspiel hatte. Myrdin zog es in die Länge, denn das Publikum liebte einen guten Kampf, und er ließ Horatio auch treffen, bevor er zum entscheidenden Schlag ausholte und den Mann zu Fall brachte. Er hob den Arm in der Pose des Siegers, dann ging er zu Horatio und half ihm auf die Beine. „Es war mir eine Ehre, Herr“, sagte er und neigte das Haupt. „Die Ehre war ganz auf meiner Seite. Endlich hatte ich die Möglichkeit gegen den Besten zu kämpfen.“
„Und du hast dich gut geschlagen, Herr“, antwortete Myrdin bescheiden. „Ja, das denke ich auch. Ruh dich aus, bevor es ernst wird. Ich hoffe auf interessante Spiele.“
„In der Tat, Herr, ich fürchte auch, sie werden für irgendjemanden interessant werden“, meinte der Gladiator zweideutig und blickte in Jubas Richtung. Horatio nickte, er hatte verstanden. „Wenn er dich nicht im Kampf tötet, wirst du heute nicht sterben.“ Das hatte Myrdin hören wollen und er senkte zum Dank demütig den Kopf. Horatio Maximus nahm das Holzgladius auf, verneigte sich theatralisch vor dem Publikum und ging unter lautem Beifall auf die Tribüne, wo seine Gattin bereits mit Erfrischungen auf ihn wartete. Die Chancen auf eine erneute Bestellung in seine Position hatten sich durch diesen Kampf eindeutig erhöht.
Die Sonne verschwand schon hinter den Mauern der Arena, da begannen die eigentlichen Kämpfe. Noch einmal erschallten die Trompeten und der Disceptator betrat den Platz. Myrdin war in der vierten Paarung an der Reihe. Lässig lehnte er an der Mauer, trank Wasser und knabberte Rosinen. Er betrachtete die Kämpfer. Kassandra stand neben ihm und wagte nicht, ihn anzusprechen. Sie verstand nichts davon, hielt lediglich seinen Helm und wartete ebenfalls.
Bis jetzt war noch kein einziger Kampf wirklich gut gewesen, aber es floss viel Blut und das begeisterte die Zuschauer. Er dehnte die Muskulatur und wärmte sich auf indem er kurze Strecken lief und sich streckte. Was von einigen mit witzigen Bemerkungen kommentiert wurde. Andere machten es ihm gleich. So erkannte man, wer schön häufiger gekämpft hatte und wer von ihnen wahrscheinlich siegen würde.
Dann wurde er aufgerufen und die Menge jubelte. Sie riefen ihm zu, den Numider in den Boden zu rammen, ihm den Schädel abzuschlagen, ihn schlichtweg zu massakrieren. Er hob das Scutum, dann den Helm und verneigte sich einmal rundum, damit alle ihn sehen konnten. Sein Haar leuchtete rot in der Abendsonne, er schien mit Feuer gekrönt zu sein. „Myrdin, der Rote!“, hallte es durch die Arena. Mit einer Bewegung stülpte er den Helm über den Kopf, blinzelte und schaltete alles aus. Jetzt zählten nur noch sein Gegner und er. Kassandra stand stocksteif an den Türpfosten gelehnt und schaute ihm mit wild pochendem Herzen zu. Sie merkte nicht, wie sich jemand an Gavins Wasserkrug zu schaffen machte.
‚Ich will noch nicht sterben’, dachte er. Der Sand unter den Füßen knirschte. Es war jetzt ganz still. Juba trat ihm entgegen und wurde gleich noch einige Beleidigungen los. Myrdin hob das Gladius, ignorierte die Worte des anderen, darauf gab er nichts. Der Schiedsrichter gab den Kampf frei und trat zur Seite. Myrdin wartete, er fühlte wie das Herz das Blut durch die Adern pumpte. Er wurde innerlich ruhig, war völlig konzentriert und bei sich, wie immer, wenn es um Leben und Tod ging. Da kam das Netz geflogen. Juba war ungeduldig geworden. Mit einem Sprung zur Seite wich Myrdin aus und lief dann rundherum. Er wusste, die besten Chancen hatte er, wenn Juba müde oder zornig wurde. Das Netz war schwer und der Dreizack unhandlich, wenn er in Bewegung blieb, war er schwerer zu treffen. Entschlossen ging er jetzt auf den Dreizack los, tänzelte herum und hielt das Scutum vor sich, das Gladius ragte über den oberen Rand hervor. Wer gegen eine Retiarius antrat, musste schon einiges an Können mitbringen, denn einmal im Netz gefangen oder das Schild verloren und es war aus. Myrdin blickte auf das sich nähernde Netz, löste das Gladius von seinem Platz, holte aus, fing es mit der Spitze und rasch, noch während es gespannt war, zog er durch und es riss entzwei. Jetzt wurde Juba zornig. Mit vorgestrecktem Dreizack rannte er auf Myrdin los. Er versuchte das Scutum auszuhebeln und Myrdin somit schutzlos zu machen. Die Spitzen knallten gegen das Schild und Myrdin konnte es nur mit Mühe halten, so groß war die Wucht des Aufpralls. Dann drehte er das Scutum etwas zur Seite, der Tridens rutschte ab und Myrdin ließ den linken Fuß vorschnellen, genau in die empfindlichen Genitalien traf er den Gegner, der jaulend zusammenklappte. Sofort stürmte er vor und trat Juba die Waffe aus der Hand, dann hielt er das Gladius an dessen Hals und wartete. „Versuche nicht an den Dolch zu gelangen, Juba, du würdest es nicht überleben“, sagte er. „Soll es ehrenvoll geschehen oder wirst du winseln?“
„Ehre“, keuchte Juba. Myrdin hob den Blick und wartete auf das Urteil des Publikums. „Blut!“ riefen sie. Juba kniete sich hin und erwartete den Todesstoß, so wie sie es gelernt hatten. Rasch schnitt Myrdin mit nur einem Zug Juba die Kehle durch, der gab noch ein gurgelndes Geräusch von sich, dann brach er zusammen und lag still. Myrdin hob die Arme und lautes Geschrei brandete auf ihn ein. „Myrdin! Myrdin, der Rote!“ Er ging einmal rundum und ließ sich bejubeln. In der Mitte der Arena hielt er an, nahm den Helm ab und verneigte sich vor den Menschen. Myrdin Rufe begleiteten ihn hinaus. Im Säulengang ließ er sich nieder, entfernte die schwere Schutzkleidung und war froh, dass es vorbei und er unverletzt geblieben war. Sobald er den Schauplatz der Gewalt verlassen hatte, wurde er zu Gavin. Aber an Tagen wie diesen nie für lange, denn es gab noch zahlreiche Verpflichtungen und den Kameraden gegenüber war er immer Myrdin, der harte, unbesiegbare Gladiator, außerdem ging es am nächsten Tag weiter. Es zahlte sich nicht aus, den Gladiator zu verdrängen. „Gib mir zu trinken“, herrschte er Kassandra an. „Sofort, Herr.“ Schnell ging sie zu seinen Sachen und kam mit dem Krug zurück. Gierig trank er daraus. Eine Weile später wurde ihm übel. Er sank in sich zusammen. „Kassandra, mir ist nicht gut, hilf m…“ Dann fiel er um, ein feiner Speichelfaden floss aus seinem Mund und sein Atem roch sonderbar. Kurz entschlossen drehte ihn Kassandra zur Seite, zwängte seine Lippen auseinander und steckte ihm den Zeigefinger tief in den Rachen, so lange und so weit bis er würgte und sich erbrach. Schweißgebadet lag er im Staub, wurde von Würgereizen geschüttelt und wusste nicht, was passiert war. ‚Irgendetwas war im Wasser. Ich muss mehr aufpassen. Heute Nacht schlafe ich vor seiner Tür’, dachte sie. Gavin versuchte zu sprechen, brachte aber nur sinnlose Laute heraus. Das Schütteln nahm unterdessen noch mehr zu. „Bleib liegen, Herr. Ich sage dem Veranstalter, dass du krank bist.“
„Muss morgen …“, brachte er mühsam hervor, was Kassandra ein Seufzen entlockte. „Ja, Herr, aber du kannst bei der Auslosung nicht dabei sein, das muss er wissen.“ Also nickte er zustimmend und Kassandra rannte los. Wie von Furien gehetzt lief sie die Mauer entlang zum Aufgang der Ehrentribüne. „Ich muss dringend deinen Herrn sprechen“, sagte sie atemlos zu einem Sklaven, der vor der Nische stand, in der Horatio Maximus saß. „Warte kurz, ich frage ihn.“ Damit ging der Sklave und kam kurz darauf mit dem Herrn zurück. „Was ist?“, fragte der kurz angebunden. „Edler Herr“, sagte Kassandra wobei sie demütig zu Boden blickte. „Mein Herr Gavin Tettius, der in der Arena als Myrdin kämpft, liegt in Krämpfen, ich möchte bitten, ob du ihn für die Dauer der Auslosung entschuldigen kannst. Morgen wird er kämpfen.“ Horatio blickte erstaunt auf, er hatte nicht bemerkt, dass es dem Secutor schlecht gegangen war, im Gegenteil er hatte recht fit und agil gewirkt. „Bitte Herr, sei so gnädig und lass meinen Herrn von seiner Übelkeit kurieren. Morgen wird er wieder kämpfen“, wiederholte sie, selbst den Tränen nahe. „Geh“, sagte Horatio lediglich, doch er schickte einen Sklaven mit, der sich von der Wahrheit ihrer Worte überzeugen sollte.
Gavin lag zitternd und bleich wie weißer Marmor in einer Nische. Schweiß überzog ihn und ließ ihn noch mehr frösteln, dauernd hatte er das Gefühl sich übergeben zu müssen und er würgte in einem fort. Als er verschwommen Kassandra erkannte, flüsterte er: „Marcus … hol … ihn.“ Sie nickte und eilte in die andere Richtung davon, Marcus war nicht unter den Zuschauern, sein Herz hielt die Anspannung nicht lange aus, so war er früh in sein Quartier zurückgegangen.
Inzwischen waren die Kämpfe beinahe beendet und der Priester hielt noch eine feierliche Ansprache. Doch Kassandra achtete nicht darauf. Rasch überquerte sie die Straße, zwängte sich durch einen schmalen Durchbruch in der Wand zur Schule, lief über einen Hof, ignorierte die Rufe der anderen Sklaven und immer schneller rannte sie durch die Schule, hinaus beim Haupttor und hinüber zur Villa. Sie hielt sich nicht mit langen Erklärungen auf, stürmte wortlos hinein, fragte im Laufen: „Marcus Atticus?“ Der Portier war so erstaunt, dass er vor ihr herlief und ihr somit den Weg wies.

Marcus Atticus war mit dem Verlauf der Spiele mehr als zufrieden. Seine Gladiatoren hatten drei Siege durch Tötungen und zwei Unentschieden errungen, was seine Schule zur besten dieser Veranstaltung machte, bisher. Er überlegte gerade ob er die Schule vergrößern sollte, als ihn ein lautes Poltern vor seinen Räumen störte. Ohne zu klopfen stürmte die Sklavin in sein Büro. „Herr!“, riefen sie und der Portier gleichzeitig. „Bitte, Herr, komm sofort, mit meinem Herrn stimmt etwas nicht!“, rief sie verzweifelt. „Er hat in höchster Eile nach dir geschickt.“
Marcus wich alle Farbe aus dem Gesicht und er fasste sich ans Herz, nur ganz kurz gestattete er sich diese Schwäche, dann fasste er sich. „Wo ist er?“
„In der Arena, Herr. Ich führe dich hin, aber wir müssen uns beeilen, er braucht dringend einen Arzt, wenn er morgen kämpfen soll, was er will.“ Noch während sie redete, lief sie voraus. Es war ihr gleich, dass ihr Kleid mit Erbrochenem besudelt war, das Haar sich aus dem Knoten gelöst hatte und wild hinter ihr herflatterte, so besorgt war sie. ‚Hoffentlich ist es nichts Schlimmes. Bitte, Minerva, lass es nichts Schlimmes sein’, betete Marcus als er über die Straße in die Arena lief. Gavin lag noch so dort, wie sie ihn verlassen hatte, die Augen allerdings hatten sich nach hinten verdreht, sodass nur das Weiße zu sehen war. Rasch kniete sie sich neben ihn und schlug ihm einige Male heftig ins Gesicht, als er sich nicht bewegte, hielt sie ihr Ohr an seinen Mund. Sie fühlte keinen Atem. Entschlossen das ekelhafte Geschäft fortzuführen, drehte sie ihn abermals zur Seite, zwängte seine Lippen ein weiteres Mal auseinander und als sie die Zunge nach vorne zog, liefen Speichel und grüne Magenflüssigkeit aus seinem Mund. Dann tat er einen tiefen Atemzug und die Augen schlossen sich. Marcus hatte entsetzt dabeigestanden und zugesehen, nun wurde er geschäftig. „Schnell! Bringt eine Decke! Tullius, Ullrik, Rufus … stante pede! Ich werde das nicht zweimal sagen!“ Rasch war eine Decke zur Stelle, darauf legten sie Gavin und brachten ihn in sein Quartier. Währenddessen schickte Marcus nach dem Arzt und dann ging er zu Horatio, der bereits von seinem Sklaven über den schlechten Gesundheitszustand des Gladiators informiert worden war. ‚Mein Herz, mein Herz’, dachte Marcus. ‚Ich muss aufpassen. Bevor ich schlafen gehe, werde ich mir noch so einen bitteren Tee bringen lassen.’ Seit Monaten fühlte er immer öfter ein brennendes Stechen in der Brust, das sich über den linken Arm hinab zog, dann fürchtete er, er müsste sterben. Alles in ihm verkrampfte sich und er war gezwungen, sich hinzulegen. Wenn er dann einige Zeit geruht hatte, ging es ihm besser. Sein Arzt, der freigelassene Ajax Linus, behandelte ihn mit Weihrauch und Herzgespann, aber auch das half nicht viel, wenigstens die Verdauungsprobleme hatten aufgehört. „Ja, Marcus, ich habe bereits davon gehört. Er scheint etwas gegessen zu haben, was ihm nicht bekommt oder nimmt er berauschende Mittel? Ich habe von Leuten gehört, die solche Sachen nehmen“, meinte Horatio, der eben mit dem Priester über den Ablauf des nächsten Tages gesprochen hatte. „Nein, mein Freund, er nimmt nichts dergleichen. Ich denke auch, dass ihm irgendetwas nicht bekommen hat. Zum Glück für mich, hat er den Kampf überstanden. Ich hoffe, es geht ihm morgen wieder gut.“
„Das hoffe ich auch. Der Priester nimmt jetzt die Auslosung vor, der Advocatus ist auch bereits hier. Es geht gleich los. Willst du hier warten? Dann kannst du ihm sagen, gegen wen er morgen antritt.“ Marcus nickte und nahm neben seinem langjährigen Freund platz.

Gavin lag lachend, keuchend, stöhnend und vor sich hin brabbelnd auf dem Bett. Er hatte keine Ahnung, was um ihn herum geschah, sah nur wirre Bilder, dazwischen hatte er das Gefühl sich erbrechen zu müssen oder keine Luft zu bekommen. Dann meinte er wieder, zu fliegen oder tief zu fallen, was ihn panisch schreien ließ und er krallte sich an allem fest, das er in Reichweite fand. Es war ihm eine Überdosis Schlafmohn verabreicht worden und weil er das Gift nicht gewöhnt war, wirkte es umso rascher. Kassandra stand mutlos daneben, erst als der Arzt kam, trat sie zur Seite, doch der konnte auch nichts machen. „Lass deinen Herrn ausschlafen. Pass auf, dass er keine Krämpfe bekommt.“ Das war so typisch Arzt, dachte Kassandra müde. Sie mochte die Ärzte nicht und hatte wenig Vertrauen in deren Kunst. Während Ajax bei Gavin war, rannte sie nach nebenan und holte ihre Decke. Dann lief sie rasch zum Brunnen in der Küche und füllte einen Eimer mit frischem Quellwasser, danach besorgte sie noch Tücher und lief wieder zurück. Sie war jetzt nicht mehr hektisch, sondern führte die Handlungen ruhig und gewissenhaft aus. „Wenn er Krämpfe bekommt, dann holst du mich“, sagte der Arzt abschließend. Kassandra nickte bestätigend, was in Ajax Linus den Anschein erweckte, als wäre sie stumm, denn sie hatte die ganze Zeit über nicht gesprochen. Überhaupt hatte er sie noch nicht häufig zu Gesicht bekommen. Er wusste nur, dass sie bis vor wenigen Tagen die Hure für die Gladiatoren gewesen und jetzt in Gavins Eigentum übergegangen war.
Als er weg war, setzte sich Kassandra einen Moment und atmete tief durch. Sie hoffte, ihn noch einmal zum Erbrechen bringen zu können, damit das Gift aus seinem Magen gelangte. ‚Wenn ich nur besser aufgepasst hätte’, machte sie sich selbst Vorwürfe. Entschlossen, das ekelhafte Werk weiterzuführen, stand sie auf. Tatsächlich schaffte sie es und er würgte den Rest heraus. Einige Male biss er sie heftig in den Finger als sie ihn zum Erbrechen zwang, bevor er ihr aber wirklich Schaden zufügen konnte, schob sie ihm ein Stück Stoff zwischen die Zähne. „Es tut mir Leid, Herr, das muss sein“, flüsterte sie während sie ihn noch einmal quälte und zur Seite drehte. Er hustete und würgte, dann spuckte er erneut. Schweiß stand auf seiner Stirn und er zitterte heftig. Sorgfältig wusch sie ihn anschließend, dann setzte sie sich und wartete auf seinen Patron. Irgendwann würde er mit den Ergebnissen der Auslosung auftauchen, davon war sie überzeugt.
Es dauerte bis die Dämmerung bereits in die Kammer schlich, aber dann stürmte Marcus Atticus herein. „Gavin!“, rief er. Kassandra sprang erschrocken über den Lärm auf. „Herr, mein Herr ist jetzt endlich ruhiger geworden“, versuchte sie Marcus zu mäßigen, aber der war zu sehr aufgeregt. Erstaunt blickte er die Sklavin an, er hatte einen Moment vergessen, dass sie das Geschenk war, dann fiel es ihm wieder ein und er billigte sowohl ihre Anwesenheit als auch ihren Ton. „Wie geht es ihm?“, fragte er sogleich. Kassandra hatte selbst keine Ahnung. „Ich weiß es nicht genau, Herr. Er ist endlich ruhig geworden und eingeschlafen. Was das bedeutet, kann ich auch nicht sagen. Aber der Arzt meinte, er müsse nur schlafen, es sei ein berauschendes Mittel, das er nicht vertragen habe. Wer könnte ihm so etwas gegeben haben, Herr?“ Marcus setzte sich auf die Bettkante und starrte abwechselnd die Sklavin und seinen Stellvertreter an. ‚Ich hoffe, du überstehst diese Nacht, Freund’, dachte er und sagte dann: „Wenn er erwacht, sag ihm, er kämpft morgen gegen einen Löwen und wenn er das überlebt, als Pontarius. Es wird ihn nicht freuen, das zu hören, er mag keine Tiere schlachten. Lass mich holen, wenn sich sein Zustand verschlechtert. Hast du alles, was du brauchst?“ Kassandra dachte einen Moment darüber nach, dann bat sie: „Herr, mein Herr wird hungrig sein, wenn er wach wird, vielleicht kann jemand etwas zu Essen für ihn bringen, denn ich werde nicht von seiner Seite weichen. Deine Botschaft werde ich ihm ausrichten und dir Meldung machen, wenn sich sein Zustand ändert.“ Marcus erhob sich nun wieder. Er war erfreut, in der ehemaligen Hure eine doch umsichtige Sklavin für Gavin gefunden zu haben. „Du liebst ihn“, stellte er fest, als er bereits halb auf dem Gang stand. „Es ist gut, macht nichts, dann kümmerst du dich wenigstens um meinen Freund und Stellvertreter. Ich schicke jemanden, der ihm Essen bringt.“ Schnell ging er weg, auf eine Antwort war er nicht neugierig, er wollte sich jetzt nur hinlegen und ausruhen. Sein Herz machte ihm an diesem Tag sehr zu schaffen. Er fragte sich ebenfalls, ob Gavin das Gift selbst genommen hatte, oder ob es ihm jemand eingeflösst hatte.
„Iucundus, sorge bitte dafür, dass jemand Gavin Essen in die Kammer bringt und dann richte bitte meinen Tee her.“ Der Leibsklave blickte verwirrt auf. „Ist dir nicht gut, Herr?“
„Es geht schon, die Aufregung war zuviel. Ich gehe zu Bett.“ Iucundus führte die Aufträge gewissenhaft aus, dann brachte er dem Herrn eine Schale seines Tees und dazu noch eine Suppe aus Rinderknochen mit Wurzelgemüse und dazu reichte er ihm Brotfladen. Er wusste bereits, sein Herr vertrug nichts anderes, wenn es ihm so wie jetzt ging. Stillschweigend trug er seinem Herrn auf und richtete ihm das Bett. Danach zog er sich in seine Kammer zurück, die direkt neben dem Schlafzimmer des Herrn lag, hier würde er ihn sofort hören, denn die Tür ließ er nur angelehnt. Seit Wochen machte sich Iucundus Sorgen um des Herrn Gesundheitszustand, aber er hatte schwören müssen, mit niemanden darüber zu sprechen, so war er mit seinen Gedanken lieber allein.

Stunden später erwachte Gavin mit Kopfschmerzen und Übelkeit. Er hatte das Gefühl, als hätte eine Katze auf seiner Zunge geschlafen und ihre Haare dort abgelegt. Als er sich stöhnend bewegte, war Kassandra sofort hellwach. In der Kammer war es sehr dunkel, nur eine kleine Öllampe verbreitete von einer Nische aus etwas Licht. Kassandra nahm eine Kerze und hielt sie an die Flamme. Sofort wurde es heller. „Wie geht es dir Herr? Kannst du sprechen?“
„Wasser“, flüsterte er. Sie half ihm beim Trinken, wobei er sich mehrmals verschluckte. „Danke“, hauchte er. „Was war das, Kassandra? Bin ich krank?“
„Nein, Herr, ich fürchte, jemand wollte dich außer Gefecht setzen. Es tut mir Leid.“ Sie ließ ihn wieder zurück auf das Kissen sinken und setzte sich auf den Strohsack, der neben seinem Bett lag. „Was tut dir Leid?“ Gavin merkte, wie er langsam wieder klarer denken konnte, doch im Kopf hämmerten tausende kleine Dämonenschmiede im Rhythmus des Herzschlags. Am liebsten hätte er sie zum Schweigen gebracht. Er schloss die Augen und wartete auf eine Antwort. „Ich habe nicht aufgepasst.“ Gavin seufzte, dann sagte er: „Du konntest es nicht wissen. Gegen wen muss ich morgen antreten?“ Kassandra war nicht sicher, ob sie ihm das jetzt schon sagen wollte, deshalb sagte sie: „Du musst etwas essen, damit du morgen nicht schwach wirst.“ Nach kurzem Zögern gab er nach und ließ sich von ihr den kalten Brei füttern, er war noch zu zittrig und nicht fähig, den Löffel zu halten. „Die Grütze ist leider kalt, Herr“, sagte sie, nur damit geredet wurde, denn er hatte diesen Umstand längst bemerkt, trotzdem aß er. Als er fertig war, fragte er abermals nach seinem Gegner. Jetzt konnte sie nicht mehr aus und sagte es ihm. Wie sie erwartet hatte, regte er sich furchtbar auf. „Gegen einen Löwen und anschließend als Pontarius. Sind die verrückt geworden? Am liebsten würde ich gar nicht erst antreten, aber das würde Schande über mich und die Schule bringen, das geht einfach nicht. Ich kann nicht als Feigling abtreten. Ich bin Myrdin. Das bin ich doch?“ Plötzlich wirkte er unsicher. Kassandra schluckte den Kloß im Hals hinunter, der sich bei seinen Worten gebildet hatte. „Ja, Herr, du bist Myrdin, morgen zum letzten Mal und du wirst als Held der Arena hervorgehen.“
„O Kassandra …“
„Schlaf wieder, Herr. Du hast deinen letzten Kampf vor dir, da solltest du ausgeruht sein.“ Ohne auf seine Einwände zu achten, steckte sie die Decke um ihn fest und löschte bis auf die Öllampe das Licht. Dann kauerte sie sich auf den Strohsack und versuchte, ebenfalls zur Ruhe zu kommen. Aber ihre Gedanken kreiste um die Frage, wer ihrem Herrn diesen üblen Streich gespielt haben könnte. Niemand fiel ihr ein oder alle. Es gab zu viele Möglichkeiten und jede war plausibel. Jeder der Kameraden war neidisch auf ihren Herrn, sie konnte keine Ausnahmen machen. Es musste jemand sein, gegen den er nicht antreten konnte, weil ein Secutor nicht gegen ihn kämpfte, aber auch das war nicht schlüssig, weil er auch als Murmillo, Provocator und Thraex in der Arena gestanden hatte. Sie kam auf keinen grünen Zweig und die Gesichter der Gladiatoren vermengten sich zu einer unheimlichen Fratze, die sie schaudern ließ. Ihre Träume waren wirr und beängstigend, voll roher Gewalt, die nichts mit der in der Arena gemein hatte, sondern einzig von Gewinnsucht und Hass geprägt war, denn in der Arena zählten neben dem Können auch Mut, Entschlossenheit und Ehre.
Lange Zeit schlief Gavin traumlos, tief und fest, erst gegen Morgen hatte er einen Traum. Er war sonderbar, fast real. Die Gerüche hatten sich in seine Nase geprägt und ebenso die Laute, die er vernommen hatte, die Worte, die gesprochen worden waren, alles war da als er erwachte. Aber darüber behielt er stets Stillschweigen, zu unheimlich und zugleich tröstlich fand er die Erscheinung seiner Hausgöttin Minerva. Er war immer der Meinung gewesen, ein Gladiator wie er, wäre es nicht wert, von den Göttern Beachtung geschenkt zu bekommen, doch Minerva hatte ihn eines Anderen belehrt.
Sein Kopf dröhnte und er musste sich mehrmals übergeben nachdem er aufgestanden war, deshalb war er sehr reizbar und er ließ seine Wut an Kassandra aus. „Geh mir aus dem Weg und schaff mir etwas gegen diese verfluchten Kopfschmerzen herbei“, herrschte er sie an. Kassandra schrak hoch, so hatte sie ihn schon einige Zeit nicht mehr erlebt. Die Angst zeigte sich in einer Gänsehaut und sie lief rasch, ihm das Gewünschte zu besorgen. Müde und sonderbar gereizt saß er am Bett, ließ den Kopf hängen und versuchte gleichzeitig, die Schmerzen wegzuatmen. Es waren die Nachwirkungen des Rauschzustands, doch das wusste er nicht. Er wollte nur so rasch als möglich einen klaren Kopf bekommen, denn sonst erwartete ihn der Tod. Es dauerte eine Weile, doch dann kam Kassandra mit einem Becher Weidenrindetee, einem Stück Brot und Honig zurück. Das Tablett stellte sie neben ihn, dann wusch sie ihn, was er kommentarlos hinnahm, zog ihm eine frische Tunika an und nötigte ihm den Tee auf. „Betütel mich nicht, verdammt noch mal“, keifte er weiter. Abermals erschrak sie, sie hatte es doch nur gut gemeint. So räumte sie jetzt den Strohsack in eine entfernte Ecke und stellte sich abwartend ans Fußende des Bettes. „Hast du nichts zu tun?“
„Nein, Herr.“
„Dann kontrolliere meine Ausrüstung, die Verschlüsse, einfach alles. Mach schon!“ Kassandra war noch immer über seinen Tonfall erschüttert, aber sie tat, was er ihr aufgetragen hatte. ‚Myrdin ist zurück. Ob er das jemals ablegen kann? Das wird ein mühsames Leben’, dachte sie während sie die Schnüre und Schnallen inspizierte, heftig daran zog und auf schadhafte Stellen prüfte. Es war alles in Ordnung. Das sagte sie ihm. Er nickte und kämpfte noch mit dem Honigbrot, das sich nicht schlucken lassen wollte, als Marcus eintrat. „Ah, dir geht es besser. Was war das gestern?“
„Jemand hat sich wohl einen dummen Scherz erlaubt, Marcus“, brummte er. „Was bildet sich der Veranstalter ein, mich gegen einen Löwen kämpfen zu lassen, bin ich ein Bestiarius?“
„Lass es gut sein, Gavin, kämpfe einfach und denk nicht darüber nach. Wenn du dich aufregst machst du es nicht einfacher, für keinen von uns. Trink deinen Tee und dann mach dich fertig, das nächste Ritual beginnt in einer Stunde und du siehst noch nicht sehr fit aus. Also, halte dich ran.“
„Ja, Herr, ich werde mich beeilen, sofern diese unfähige Serva mir hilft.“
„Gavin! Etwas mehr Dankbarkeit könntest du ihr gegenüber schon zeigen. Sie war es schließlich, die dich vor mehr Verdruss bewahrt hat“, zischte Marcus zornig. Betreten blickte Gavin einen Moment in seinen Tee, dann murmelte er: „Es tut mir Leid, mir brummt der Schädel und ich weiß nicht, wo ich bin.“
„Dann iss jetzt auf. Was ist das für Tee?“
„Marcus, hör auf, mich zu bemuttern.“ Dann blickte er Kassandra an. „Weidenrinde“, murmelte sie während sie die Ausrüstung zurechtlegte, dann schenkte sie Gavin erneut aus dem Krug nach. Marcus schüttelte über dessen mürrische Art den Kopf, sagte aber nichts dazu. Er wusste selbst, wie es war, mit Schmerzen kämpfen zu müssen, deshalb klopfte er Gavin aufmunternd auf die Schulter und ging. Die Erleichterung war ihm anzusehen, sehr hatte er gefürchtet, Gavin könnte sterben. Ihm selbst ging es auch wieder besser, der Tee den ihm Iucundus gebracht hatte, hatte geholfen und er fühlte sich dem Tag gewachsen. Aber auch in ihm brodelte ein kleines Feuer des Zorns über diese sonderbare Auslosung. Die Sache mit dem Pontarius war ja durchaus ehrenhaft, üblich und spannend aber das mit dem Löwen fand er mehr als merkwürdig. Beschwerden würden nichts helfen und nur sein Ansehen schmälern, also machte er gute Miene zum bösen Spiel und ging auf seinen Platz in der Arena, Iucundus erwartete ihn bereits dort und kredenzte ihm ein, auf seine Bedürfnisse abgestimmtes, Frühstück.

„Herr, du musst dich beeilen“, drängte Kassandra vorsichtig. „Das weiß ich selbst“, murrte er. „Mein Kopf platzt gleich, aber ich kann wieder normal sehen. Hilf mir beim Ankleiden, ich bin schon spät dran.“ Jeden ihrer Handgriffe kommentierte er ärgerlich, was Kassandra so sehr verunsicherte, dass sie doppelt so lange brauchte wie nötig, was Gavin wiederum zusätzlich verärgerte. „Na endlich“, knurrte er, als sie die Bänder an den Sandalen geschlossen hatte. Langsam stand er auf, bewegte sich kurz etwas, fand, es ging schon wesentlich besser, dann drückte er Kassandra den Helm und das Scutum in die Hand und sie machten sich auf den Weg in die Arena. ‚Das ist nicht Gavin, das ist die Nachwirkung des Gifts’, redete sie sich ein während sie tapfer hinter ihm herstapfte und die schwere Ausrüstung schleppte.
„Ich wünschte, ich hätte jemanden, der meine Sachen trägt, manche haben eben ein unverschämtes Glück“, lästerte Tullius, der gleichzeitig mit ihnen den Gladiatoreneingang passierte. Wachen flankierten den Weg über die Straße und vom Tor zum Warteraum im Halbkeller.

Mit lautem Pomp begann der neuerliche Einzug der Gladiatoren. In der Mitte der Arena stand bereits der Brückenbau, um den sie etwas später am Tag kämpfen würden. Sagittarii hatten abermals ihre Positionen eingenommen. Auf den Rängen saß eine laut rufende Menge, schon länger hatten sie auf spannende Kämpfe verzichten müssen, die Sache auf der Brücke war immer amüsant und auch ein Löwenkampf war sehr reizvoll anzusehen. Die Sonnensegel verbreiteten Schatten und Sklaven liefen mit wohlriechendem Wasser durch die Reihen und besprengten die Zuschauer damit. Horatio Maximus betrat seinen Bereich, der mit einem Baldachin überdacht war. Er stand ganz vorne an der Balustrade und wartete auf den Priester.
Hörner erschallten und Trommeln wurden geschlagen, der Priester, seine Helfer, der Disceptator folgte und ihm auf den Fersen, die Gladiatoren, betrat die Arena.
In der Mitte hielt der Priester an, segnete den Platz indem er mit einem Wedel die bösen Geister vertrieb, dann warf er etwas Weihrauch in eine Rauchschale und schwenkte sie herum. Der herbe Geruch dieses Harzes vertrieb ebenfalls die bösen Wesen. Nun lud er die Götter und die Naturgeister ein, den Spielen des huldreichen Horatio Maximus Clemens beizuwohnen und zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen.
Als er fertig war, schlugen die Trommler heftig auf ihre Instrumente. Der Priester und die Musiker zogen sich zurück und nur die Gladiatoren blieben in der Arena. „Ave Horatio Maximus! Die Todgeweihten grüßen dich!“, riefen sie im Chor. Einer aus Capua hatte diesen Ausspruch vor einigen Jahren mitgebracht. Eigentlich sollte so nur der Kaiser gegrüßt werden, aber sie hatten es abgewandelt. Horatio hob kurz die Hand, dann setzte er sich an seinen Platz und wartete das Schauspiel ab. Seine erneute Bestellung im Beamtenapparat war gesichert, Deciderius Felix würde keinerlei Chance haben, ihn zu schlagen.

Der Ausrufer kam in die Mitte der Arena und kündete den ersten Kampf an: „Myrdin gegen den Löwen!“ Das Publikum schrie seine Begeisterung hinaus, es schien interessant zu werden. Gavin verzichtete auf einen Teil seiner Ausrüstung, damit er sich ungehindert bewegen konnte, gegen ein Tier half ein Schild wenig, denn sollte er darunter eingeklemmt werden, war es aus. Alle bis auf Gavin zogen sich in den Schutz der dicken Mauern zurück, die Tore wurden geschlossen.
Nun war er allein, fühlte das Pochen im Kopf und einen leichten Schwindel. Die Morgensonne brannte bereits unbarmherzig in die Arena. Gavin blinzelte. Er wusste nicht, von welcher Seite der Löwe auftauchen würde, da hörte er das Brüllen hinter sich. Rasch drehte er sich um und blickte die Bestie an. Der Löwe war mächtig und kurz fragte sich Gavin woher sie den hatten, dann konzentrierte er sich aufs Überleben. Er blieb ganz ruhig stehen, während der Löwe näher trottete. Er hatte seine Beute noch nicht registriert, stattdessen erblickte er nun einen unvorsichtigen Sklaven, der sich ängstlich in eine Ecke drückte, darauf lief der Löwe nun zu. Gavin bemerkte den Mann einen Moment später und er schwenkte die Arme, um die Aufmerksamkeit des Löwen auf sich zu lenken. Doch das Tier hatte sich für seine Beute entschieden, die in weiß gekleidete, kleine Gestalt. Der Löwe beschleunigte, Gavin lief hinterdrein, rief laut und warf mit kleinen Steinen nach dem Tier, das sich endlich umdrehte und Gavin zu einem Haken veranlasste. In einem weiten Bogen lief er voraus, der Löwe kam näher, schon spürte er seinen Atem im Rücken, da drehte sich das Vieh abermals um. Doch Gavin hatte die Brücke erreicht, kletterte hinauf und deckte sich mit den Steinen für den Pontarius ein. Das Gladius schob er zwischen die Gürtellagen und lief wieder hinab. Fünf schwere Steine hatte er greifen können. Einen davon warf er schwungvoll nach dem Löwen, der immer reizbarer wurde. Abermals war er von seiner Beute abgelenkt worden, schmerzvoller diesmal und er ging auf Gavin los. Schritt für Schritt, stieg der rücklings die Hühnerleiter zur Brücke hoch, dabei zielte er und warf erneut einen Stein nach dem auf ihn zuspringenden Löwen. Es krachte, als er den wuchtigen Kopf des Tieres traf. Blut spritzte, aber das Vieh lief noch immer. Abermals holte Gavin aus und warf den nächsten Stein, zwei hatte er noch übrig und der Löwe kam ständig näher. Wumm! Das letzte Geschoss traf den Löwen im Auge und er fiel. Gavin zog das Gladius und stieg vorsichtig von der Brücke. Das Geschrei der Menge hörte er nicht. Mit hocherhobenem Gladius ging er hin und hieb dem Löwen den Schädel ab. Zitternd stand er da und konnte es kaum glauben, diesen mächtigen Löwen mit einem Stein erschlagen zu haben. Es war schieres Glück, dass er dabei unverletzt geblieben war. Der Sklave, der zu langsam gewesen war und die sich schließenden Tore nicht mehr erreichen hatte können, war vor lauter Angst ohnmächtig geworden. Gavin ging zu ihm und gab ihm einen sanften Tritt. „He, aufstehen. Sieh zu, dass du hier verschwindest, es könnte noch gefährlicher werden.“ Als sich der Mann nicht bewegte, beugte sich Gavin zu ihm, packte ihn an den Händen und legte sich das schmächtige Bürschchen über die Schulter. Die Menge tobte. Jetzt erst registrierte er den Lärm und die Myrdin-Rufe steigerten sich zu einem Getöse der Begeisterung, Bänder flogen und Blüten regneten herab auf den ersten Helden des Tages. Der Kampf war höchst interessant gewesen und Myrdin hatte wahrhaft Mut und Ehre bewiesen, indem er dem Sklaven das Leben gerettet hatte.
Diesmal achtete er nicht auf den Applaus, auch nicht auf die Sagittarii, die abermals Aufstellung genommen hatten. Die Tore öffneten sich und Sklaven räumten den Kadaver weg. Auf die Brücke wurden neue Steine gelegt und der Schiedsrichter kam auf Gavin zu, der schwitzend und schwer atmend auf den Ausgang zu torkelte.
„Sieger des ersten Kampfes: Myrdin!“, brüllte der Disceptator. Erneutes Geschrei, auch Horatio klatschte, und Marcus in seiner Kammer, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Kassandra hatte von dem Kampf nichts anderes als Geräusche mitbekommen. Jetzt atmete sie erleichtert auf, als sie ihren Herrn unverletzt erkannte. Sie eilte auf ihn zu, winkte einem anderen Sklaven herbei, der ihm die Last vom Rücken nahm, dann führte sie ihn weiter. Bleich wie ein Toter folgte er ihr. „Setz dich Herr, ich bringe dir frisches Wasser“, befahl sie ihm und drückte ihn zugleich auf einen Hocker. „Das war knapp, das war verdammt knapp“, war alles, was lange Zeit aus seinem Mund kam. Sextus grinste, noch nie war Gavin nach einem Kampf so erschüttert gewesen. „Du hast gut gekämpft, Mann“, meinte Tullius und klopfte ihm auf die Schulter. „He, ich bin auch ein Pontarius, verdammt, ich will nicht gegen dich kämpfen.“ Gavin blickte hoch. „Ich auch nicht, mein Freund“, flüsterte er. Da kam Kassandra mit frischem Wasser zurück. Aus Angst vor einem neuerlichen Anschlag war sie zum Brunnen gelaufen und hatte den Becher dort gefüllt. „Warum ist das Wasser so kalt?“, fragte er unwirsch.
„Herr, es tut mir …“
„Ach, sei still und bring mir Wärmeres.“ Damit entleerte er den Becher über seinem Kopf und stöhnte dabei. Kassandra blinzelte ihre Enttäuschung über seiner geringschätzigen Worte weg und brachte das Gewünschte. Sextus freute sich über den Stimmungswechsel von Gavin, denn wenn er so miese Laune hatte, kämpfte er meistens sehr schlecht. Also griff sein Plan und er lächelte vor sich hin. Dann wurde er selbst aufgerufen und er kam nach nur wenigen Minuten siegreich zurück. Sein Gegner war ein Thraex aus Arretium gewesen, der nun tot im Sand lag. Der nächste Kampf war wieder gegen ein wildes Tier. Das Geschrei des Publikums drang bis in den Warteraum, wo sie schwer bewacht auf den Fortgang der Spiele warteten. Der Provocator, der gegen einen Tiger hatte kämpfen müssen, kam nicht mehr zurück, er war von der Raubkatze zerfetzt worden.
Es war schon hoch am Mittag, als die Arena für den Brückenkampf vorbereitet wurde. Gavin schlief während der Wartezeit und Kassandra hatte versucht etwas Weidenrindentee aufzutreiben. Erst eine Vorsprache bei Iucundus hatte ihr geholfen und ein kleiner Junge brachte ihr einen Becher voll der schmerzlindernden Flüssigkeit, den sie sofort an Gavin weiterreichte. „Weidenrindentee, Herr“, sagte sie leise. „Danke. Ich bin so müde, wie ich nicht sein sollte vor einem Kampf. Wer immer mir gestern das Zeug ins Wasser gemischt hat, könnte doch Erfolg haben.“
„Trink den Tee, Herr und denk daran, du hast den Löwen getötet und den jungen Mann gerettet.“
Kaum hatte er ausgetrunken, gingen die Spiele weiter und die vier Gladiatoren für den Brückenkampf wurden gerufen. Auf der Brücke stand Tullius, neben ihm ein Retiarius aus Capua mit dem Namen Plinius. Als Secutores kämpften Gavin und ein Mann aus Arretium, der mit dem Namen „der Gallier“ aufgerufen wurde. Gavin mied es, gegen Tullius zu kämpfen und wählte die andere Seite. Er kannte Plinius nicht, hatte noch nie gegen ihn gekämpft und es war ihm egal, sollte er ihn töten müssen. Das Scutum vor die Brust haltend stieg er die Rampe hoch. Steine flogen auf ihn zu, prallten am Schild und am Helm ab. Immer wieder musste er den Rückzug antreten. Tullius schien sich gut zu verteidigen, aber er wollte jetzt nicht mehr auf seinen Freund achten. Ein Stein traf ihn auf der ungeschützten Schulter und brachte ihn ins Taumeln, er machte einen unvorsichtigen Schritt zur Seite und fiel von der Rampe. Schmerzhaft landete er auf dem Rücken. Das Gladius fiel ihm in hohem Bogen aus der Hand und lag nun unter der Brücke. Aber die Steine hagelten weiter auf ihn ein. Er hoffte, dass dem Pontarius die Wurfgeschosse bald ausgehen würden, dann war es einfacher, auf die Brücke zu gelangen. Ein weiterer Stein landete auf seinem Helm und der Aufprall verstärkte die Kopfschmerzen. Er sah Sterne vor den Augen tanzen, dann lief er schreiend auf die Rampe zu. Das Gladius hatte er vergessen, es lag unbeachtet im Sand. Plinius warf den letzten Stein und griff dann mit dem Tridens an. Gavin ging nun seinerseits rascher vor, hielt das Schild vor sich und drängte gegen den Pontarius, der die Rampe herabkam. Doch der machte eine Finte und schob den Dreizack unter das Scutum, hebelte es Gavin beinahe aus der Hand. Er fühlte den Schmerz nicht, als sich eine Zacke in sein Bein bohrte, taumelte zurück, befreite sich und lockte gleichzeitig Plinius von der Brücke. Humpelnd versuchte er nun das Gladius zu erreichen, aber er war zu langsam. Also nahm er das Scutum als Waffe, biss die Zähne fest aufeinander und lief auf Plinius zu. Den Dreizack drückte er mit der Manica zur Seite, trat nach dem Mann und dann schlug er mit dem Schild zu und rammte es ihm in die ungeschützte Leibesmitte. So fest stieß er zu, dass das Schild im Bauchraum des Mannes steckenblieb. Der schrie wie von Sinnen, da nahm ihm Gavin den Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn tief ins Herz des tödlich verwundeten Mannes. Dann kippte er selbst vornüber und atmete gegen die aufkommenden Schmerzen und die Übelkeit.
Tullius kämpfte noch, sein letzter Stein lag schwer in der Hand, er zielte und der unvorsichtig gewordene Secutor bekam das Geschoss direkt auf die Stirn. Im Helm entstand eine tiefe Delle, der Gallier fiel von der Brücke, die er fast erreicht hatte und landete auf Gavins Gladius. Tullius sprang ihm nach und hieb ihm den Dreizack in den Leib. Jetzt sollte er sich eigentlich um Myrdin kümmern und gegen ihn kämpfen. Doch er legte den Tridens zur Seite, ging zu seinem Freund, packte ihn am Handgelenk, zog ihn auf die Füße und machte mit ihm zusammen die Siegerpose. Einen Moment war es völlig still in der Arena, wo es vorhin, als das Gemetzel in vollem Gang war, noch
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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... , noch laut gewesen war wie am Markttag im Forum Romanum. Horatio Maximus war aufgesprungen, Marcus hatte das Gefühl, das Herz würde ihm stehen bleiben und einen Moment war es auch so, dann schlug es wieder, als Horatio das Zeichen für die Beendigung des Kampfes gab. Erleichtert atmete Marcus auf. Seine Gladiatoren lebten.
Tullius packte sich Gavin auf die Schulter und trug ihn hinaus, Blut tropfte von dessen Bein. Marcus war bereits in den Bereich der Gladiatoren gelaufen und wartete dort auf seine Männer. „Ihr habt gut gekämpft, Sextus, Tullius und auch Myrdin. Jemand soll sich um die Wunde kümmern, und seht zu, dass er wieder auf die Beine kommt, ihr müsst noch einmal alle hinaus. Ich bin stolz auf jeden von euch, ihr habt mir viel Ehre gemacht heute.“ Die Gladiatoren standen um ihren Herrn und freuten sich über das Lob. Tullius ließ Gavin zu Boden und Kassandra eilte herbei. Sie hatte bereits saubere Tücher und eine Teemischung aus Eichenrinde, Kamille und Ringelblume besorgt. Damit wusch sie die Wunde sauber, danach band sie die Tücher darüber und gab ihrem Herrn, noch Weidenrindentee zu trinken. Marcus schaute ihr eine Weile zu, dann dachte er abermals: ‚Das Geschenk war gut gemacht und wurde dem Richtigen gegeben.’ Seufzend wandte er sich um. Sklaven bereiteten die Arena für den Abschluss der Spiele vor, reinigten und besprengten den Sand mit Wasser, zwischen den Zuschauern wurde ebenfalls Duftwasser verteilt. Als diese Tätigkeiten abgeschlossen waren, trat der Priester abermals auf, ebenso der Schiedsrichter und der Advocatus. Horatio Maximus stellte sich an die Balustrade und winkte dem Volk zu. Jubelrufe drangen an sein Ohr. Er brauchte keine Rede zu halten, alles was gesagt werden musste, sagte der Anwalt. Die Gladiatoren gingen stolz und unbewaffnet in die Arena hinaus, dennoch standen die Sagittarii schussbereit am Rand.
Alle überlebenden Gladiatoren rief der Schiedsrichter auf. „Überlebende bei den diesjährigen Spielen: freigelassener Myrdin, einmal siegreich gegen den Löwen, einmal siegreich als Pontarius, einmal gegen den Retiarius und einmal begnadigt. Sextus, zweimal siegreich durch Tötung eines Thraex, Tullius, gegen den Pontarius und gegen den Secutor, einmal siegreich ohne Tötung gegen den Pontarius. Rufus gewann gegen den Retiarius. Menelaos begnadigt. Decius siegreich gegen Menelaos. Telemachos siegreich gegen Phillipus, der wurde begnadigt. Sibelius siegreich gegen einen Löwen. Alle anderen werden vergessen. Wer war nun der erfolgreichste Gladiator dieser Spiele?“ Der Advocatus hielt dem Schiedsrichter einen Eimer hin, in dem sich kleine Wachsplättchen mit den Namen der Überlebenden befanden. Doch in Wahrheit war nur der Name zu finden, der mit den meisten Siegen aufwarten konnte.
„Myrdin! Insgesamt hat er bei den diesjährigen Spielen dreimal den Sieg durch Tötung errungen und gilt als der Tapferste, außerdem hat er einen unvorsichtigen Sklaven vor dem sicheren und höchst unehrenhaften Tod in der Arena bewahrt. Myrdin, tritt vor.“ Er staunte immer noch, dass er stehen und gehen konnte. Der Verband, den Kassandra ihm angelegt hatte, war sehr gut und nur wenig Blut drang hindurch. Gavin humpelte die wenigen Schritte zum Schiedsrichter und neigte den Kopf, als ihm ein Kranz aus Eichenblättern auf den Kopf gelegt wurde. Dann überreichte ihm der Advocatus einen Beutel mit den angekündigten zweihundert Sesterzen, ein kleines Vermögen. Anschließend ging er einmal im Rund der Arena und zeigte sich dem bewundernden Publikum. Als er an die Seite kam, wo die arme Bevölkerungsschicht ihre Plätze hatte, er war ohne Sonnensegel, griff Gavin in den Beutel und warf einen Teil der Münzen auf die Tribüne. „Ich danke euch!“, rief er. „Ich danke euch und den Göttern, die mir beistanden, denn dieses waren meine letzten Spiele! Mein Herr gab mir die Freiheit und als Freier verabschiede ich mich von euch.“ Abermals flogen Blüten auf ihn herab, besonderer Applaus wurde ihm von Seiten der ärmeren Bevölkerung zuteil, denn sie wussten, er würde, wie jedes Jahr einen Teil seines Gewinns in die Sanierung der Wohnhäuser stecken. Es stürzten zu viele ein und begruben zahlreiche Menschen in den Trümmern, weil die Ziegel aus billigem Material und schlecht gebrannt waren, dabei gab es gerade hier vorzüglichen Ton. Letztes Jahr hatte er einen Brunnen finanziert und noch genug vom Preisgeld übriggehabt, um die Schuldlast, die er Marcus gegenüber hatte, zu reduzieren. Marcus billigte das, denn er war selbst in solch ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und wusste um die Bauweise der Häuser. In Ravenna hatte er drei Häuser errichten lassen, die etwas stabiler gebaut waren, nur wenn die Leute verbotenerweise in den Wohnungen kochten und aufgrund von Unachtsamkeit alles nieder brannten, konnte er auch nichts machen. Die Feuerwehr kam oft nicht rechtzeitig in den Armenvierteln an und in manche Gegenden lohnte es sich nicht, hinzulaufen. Horatio Maximus hatte damit nicht gerade seine Freude, aber er konnte diese Spende nicht abwenden, denn das hätte ihm das Ansehen der Plebejer gekostet. Also applaudierte er mit und setzte noch einen Betrag aus, um die Spende zu verdoppeln. Er tat dies mehr nolens denn volens, wer verschleuderte schon gern sein Geld für diese undankbaren Leute?
Zornig blickte Sextus zu Gavin, der ab dem folgenden Tag der neue Meister sein würde. Doch der Groll ging tiefer, zog sich über mehrere Jahre hin. Es war nicht so, dass sich dieser Hass langsam entwickelt hätte, nein, er war sofort, am ersten Tag ihres Zusammentreffens dagewesen. Der Neuling hatte ihn, Sextus, den erprobten Gladiator, in seinem ersten Übungskampf nicht nur entwaffnet, sondern gnadenlos durch das Übungsrund gejagt, was an sich schon demütigend genug war, hatte er ihm dann noch Ratschläge gegeben und der Herr hatte das Verhalten des Neulings gebilligt und dazu applaudiert. Gavin war eine Bedrohung und die galt es jetzt auszuschalten, je früher, desto besser. Ein Plan war fehlgeschlagen, jetzt musste der nächste greifen. Aber der war noch nicht gründlich genug durchdacht. Jetzt gönnte er sich einige Minuten, um zur Ruhe zu kommen und ging mit den anderen Überlebenden in die Therme.
Kassandra hatte unterdessen Gavins Ausrüstung zusammengepackt und wartete mit dem Bündel im Arm auf ihn. Das Scutum lehnte an der Mauer, das Gladius war mit den anderen Stich- und Hiebwaffen bereits in die Waffenkammer gebracht worden.
Endlich kam er humpelnd in den Gladiatorenbereich. „Nie wieder ein Sklave“, murmelte er. „Nie wieder mein Leben sinnlos aufs Spiel setzen. Endlich frei.“ Niemand anderer als ein Gladiator konnte ermessen, wie er sich in dem Moment fühlte. Eine zentnerschwere Last schien von seinen Schultern genommen, aber noch konnte er sich nicht wirklich über die neugewonnene Freiheit freuen.

(c) Herta 2010
sehr
informativ und natürlich auch flüssig geschrieben... *top*
*zugabe*

Herta ich freue mich auf das Gesamtwerk!
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
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Ich danke euch vielmals! *danke*
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