Der König lädt die Angst und den Schmerz zu sich ein.
Eine Fortsetzung im weiteren Sinne zuKurzgeschichten: Gedanken zum Tod eines Königreiches...
Es hatte sich nun aber begeben, dass der König, nachdem einige Zeit ins Land gegangen war, in ernster Stimmung seinen alten Kriegergeist zu sich gerufen hatte, denn er schätzte ihn hoch wegen seiner Angewohnheit, stets die Wahrheit zu sprechen.
„Nun, alter Freund“, so hatte er ihn gefragt, „wie steht es mit dem Krieg?“
„Es steht, Majestät“, so hatte der Kriegergeist geantwortet, „nicht gut um uns. Wir machen kaum Fortschritte. Der innere Krieg zehrt unsere Reserven auf, denn wir stoßen immer wieder auf unvermuteten Widerstand und vermögen unsere Kräfte nicht zu bündeln. Und wir haben für den äußeren Krieg keinerlei strategische Ziele.“
Da hatte der König, auf seinem Thron sitzend, sein Kinn in die Hand gestützt und eine Zeit lang nachgedacht. „Wahrlich“, hatte er darauf gesagt, „ich habe etwas derartiges zu hören erwartet, denn du bestätigst, was meine Augen hörten und meine Ohren vernahmen. Was nun also rätst du mir zu tun?“
Der weise alte Kriegergeist hatte respektvoll das Haupt geneigt ob der Ehre, die ihm mit dieser Frage erwiesen wurde. „Ladet, Majestät,“ so hatte er geantwortet, „eure zwei größten Feinde zu Gesprächen ein.“
„Benenne diese“, hatte der König entgegnet.
„Es sind dies, Majestät, die Angst und der Schmerz.“
Da war der König wütend aufgefahren. „Du wagst es, zu mir von diesen beiden zu sprechen? Habe ich nicht angeordnet, dass man ihre Namen nicht mehr aussprechen soll in meinem Reiche? Habe ich diese beiden nicht für verbannt erklärt und sie stets auf das Heftigste bekämpft? War ich nicht stets der Überzeugung, dass ein Sieg über diese beiden nur durch eiserne Härte und allerlei Kriegslist zu erringen sei, und habe ich nicht stets nach dieser Überzeugung gehandelt? Und nun schlägst du mir vor, ich soll mich vor eben jenen beiden erniedrigen und mit ihnen einen Frieden machen?“
„Majestät haben mich um meinen Rat ersucht“, hatte der alte Kriegergeist kühl geantwortet, “und ich habe ihn erteilt. Du sollst deine Feinde lieben, sagt der Meister. Auch sprach ich nicht von Erniedrigung, sondern von einem Gespräch. Ihr habt lange Zeit damit verbracht, die Angst und den Schmerz zu bekämpfen und zu überlisten, und eure ärgsten Widersacher geblieben sind sie doch. Was nun also kann eine neue Strategie schaden?“
Daraufhin hatte der König erneut tief nachgedacht, und man hatte ihm seinen tiefen Widerwillen deutlich ansehen können.“
„Ginge es nach mir, alter Freund“, hatte er schließlich ausgesprochen, „so würde mein Auge nie wieder auf dem Angesicht dieser beiden ruhen. Und doch will ich nun tun, wie du mir geraten hast.“
„Eines noch, Majestät“, hatte da der Kriegergeist eingeworfen, „bedenket, dass diese beiden so alt sind wie die Menschheit selber, und mächtig. Wenn ihr um ihre Gegenwart wünscht, so solltet Ihr ihnen nicht befehlen, sondern sie bitten, und ihnen mit Respekt begegnen, dann werden sie euch ein Gleiches tun.“
Der König hatte tief eingeatmet, dann geschluckt, und die Anspannung seiner Muskeln war deutlich sichtbar gewesen. „Es sei. Ich bitte euch nun, Angst und Schmerz, zu erscheinen und in meine Gegenwart zu treten, damit mein Auge auf euch ruhen kann.“
Da waren die Angst und der Schmerz hinter dem Thron hervorgetreten und hatten sich vor dem König hingestellt, welcher in ihrer Gegenwart einen Augenblick lang erzittert war, und sie hatten, Hand in Hand vor ihm stehend, respektvoll die Köpfe vor ihm geneigt. Die Angst war von erhabener Schönheit, kühl blickend, in schwarzes Samt gekleidet, mit einem Dolch im Gürtel. Der Schmerz seinerseits war von Kopf bis Fuß in nietenbesetztes Leder gerüstet, er hatte ein narbenzerfurchtes Gesicht und zeigte ein wildes Lächeln, und an seinem Gürtel hing ein Schwert.
Der König hatte ihr Nicken gemessen erwidert. „Ich begrüße euch.“
„Wir grüßen euch ebenfalls, Majestät“, hatte da die Angst gesprochen und gelächelt, „es ist das erste Mal, dass ihr uns eure vollkommene Aufmerksamkeit schenkt. Wir danken euch dafür.“
„Ich bitte euch um ein Gespräch.“
„Wir werden“, hatte der Schmerz geantwortet, „euch Rede und Antwort stehen.“
„Sagt, ist nicht der Neid in eurem Bunde der Dritte? Und wo ist die Wut?“
„Neid“, hatte die Angst gemessen erwidert, „ ist gemeinhin der Name, den die Menschen gebrauchen, wenn wir gemeinsam auftreten, sie uns aber als ein einziges Wesen wahrnehmen. Und von unserer Tochter, der Wut, soll in diesem Rat nicht gesprochen werden, denn hier ist ihr Platz nicht. Ihr spracht wahr, Majestät, als ihr vor einiger Zeit sagtet, dass kein Hass und kein übler Wille ihren Platz hier finden sollten.“
„Sagt, wie kamt ihr hinter meinen Thron?“
„Es war nie der eure, Majestät“, hatte da der Schmerz entgegnet, „ es war stets der unsere.“
Und die Angst hatte hinzugesetzt: „Ihr verbanntet uns aus der sichtbaren Welt, Majestät, wolltet euer Auge nicht auf uns ruhen lassen, und habt uns hinfort gewünscht. Ihr habt uns bekämpft und wolltet unser nicht achten. Wohin sonst hätten wir gehen sollen als hinter euren Rücken, wohin euer Auge nicht zu reichen vermochte?“
„Und ihr habt mich bekämpft! Jene Waffen, welche ich an euren Gürteln sehe, habe ich oft gespürt.“
„Was anderes, Majestät, hätten wir tun sollen als Widerstand zu leisten“, hatte da der Schmerz in hartem Ton ausgerufen. „Ihr wart es, der stets uns bekämpft hat. Je mehr man uns bekämpft, desto stärker werden wir.“
„Das“, hatte der König verblüfft erklärt, „erscheint mir ein Widerspruch zu sein.“
„Es ist, was es ist“, hatte die Angst gelassen festgestellt, „denn dies ist unsere Natur. Stets waren wir in eurer Gegenwart, auch wenn ihr es nicht wahrnehmen konntet, und stets haben wir eure Schritte gelenkt, in euer Ohr geflüstert. Oft sind wir in anderer Gestalt aufgetreten, und noch öfter haben wir die Gestalt einiger eurer vertrautesten Ratgeber angenommen. Öfter als die Waffen an unseren Gürteln habt ihr die Waffen anderer gespürt, gegen die zu Felde ziehen zu müssen wir euch vorgegaukelt haben. Wir haben es sogar vermocht, eure Schritte zu lenken, indem wir euch dahin gehen ließen, wo wir nicht zu sein vorgaben. Ihr habt versucht, ein Reich zu erschaffen, in dem es uns nicht gibt, und seht, wie klein es geworden ist. Und doch waren wir stets in eurer Gegenwart.“
„All dies tatet ihr“, hatte da der König gesprochen, „und doch erschient ihr bereitwillig, als ich euch rief?“
„Wir sind“, hatten darauf die Angst und der Schmerz würdevoll im Chor geantwortet, „euer Majestät ergebene Diener.“
„Wir sind“, hatte der Schmerz fortgesetzt, „treue Bürger eures Reiches. Was wir taten, taten wir aus Not, nicht aus Herrschsucht.“
„Ihr wart es“, hatte die Angst hinzugefügt, „der zuerst uns bekämpft und zu Feinden erklärt hat.“
„So will ich es fürderhin nicht mehr tun“, hatte der König entschlossen erklärt. „Sagt mir dafür, was ihr wünscht, ich bitte euch.“
„Wir wünschen nur“, hatte der Schmerz geantwortet und genickt, „dass man uns annimmt, uns zuhört und uns Aufmerksamkeit schenkt. Was wir zu sagen haben, soll gehört werden.“
„Und wenn ich euch zuhöre und doch nicht nach euren Worten handele?“
„Wir wünschen nur, dass man uns annimmt und uns zuhört“, hatte die Angst gelassen wiederholt, „alles Weitere ist nicht Bedingung. Wenn wir gesagt haben, was wir zu sagen haben, treten wir wieder in den Hintergrund.“
„Und je mehr man uns zuhört“, hatte der Schmerz hinzugesetzt, „desto seltener treten wir in Erscheinung.
„Das“, hatte der König erneut verblüfft ausgerufen, „erscheint mir ein weiterer Widerspruch zu sein.“
„Es ist, was es ist“, hatte die Angst entgegnet und gelächelt, „denn dies ist unsere Natur.“
„So will ich euch in Zukunft zuhören und darauf merken, was ihr zu sagen habt, und ihr sollt euch euren Platz in meinem Reich wählen können.“
„So Ihr dies tut“, hatte der Schmerz erwidert, „soll euer Thron zur Gänze euch gehören, Majestät.“
„So sei es denn“, hatte der König verkündet, und die Angst und der Schmerz hatten sich, Hand in Hand, verneigt und waren in den Hintergrund getreten.
Und der weise alte Kriegergeist hatte, von selbstlosem Stolz auf seinen König erfüllt, zufrieden gelächelt.