Das Feuer
© Nisham 10/2011Fortsetzung von „Die Grube“ und „Der Dolch“
Kurzgeschichten: Der Dolch
Der Regen war in den letzten Tagen unser ständiger Begleiter. Wir sind durchnässt und durchfroren. Doch nun sind wir da. Inmitten einem Gewimmel eines Hafens, wo Dutzende Schiffe vor Anker liegen. Große und kleine. Stolz aussehende Segler und Kähne, die aussehen, als würden sie im nächsten Augenblick sinken. Mit Kanonen strotzende Kriegsschiffe – natürlich. Wir sind auf der Hut. Hier ist Vorsicht angebracht. Doch ich bin groß und so schnell wird sich keiner an uns rantrauen. Tagsüber zumindest nicht. Wir sehen ja auch ziemlich armselig aus.
Ich frage mich durch. Nach einer Passage in ein fernes Land. Es gibt nur ein Schiff, das in zwei Tagen ablegen soll. Ein Dreimaster, der schon bessere Tage gesehen hat. Es ist mit Waren beladen; für die Kolonie. Und es sind Sträflinge mit an Bord, die zur Deportation verurteilt worden sind. Die sind in einem unteren Deck untergebracht. Meist noch in Ketten gelegt. Mit etlichen Goldmünzen, erklärt sich der Kapitän bereit uns mitzunehmen. Ich soll auch dem Schiffszimmermann zur hand gehen, denn es wird eine sehr lange Reise werden. In einem winzigen Verschlag, fast im Bug, dürfen wir unsere beiden Hängematten aufspannen. Es sind nur wenige steile Stufen bis ans Deck. Wenigsten haben wir hier frische Luft, weil der Verschlag eine kleine Luke hat, die wir bei ruhigem Seegang öffnen können.
Mit weiteren Goldmünzen habe ich uns all das besorgt, was wir zu einem neuen Anfang brauchen werden: Werkzeug, Geräte, Seile, Leinenballen, Kochtöpfe, und alles, was Mag für sinnvoll erachtet. Auch Vorräte. Alles in drei Kisten verpackt, die unter Deck verstaut werden. An diese Kisten werden wir erst nach unserer Ankunft zurückgreifen können. Einige wenige Habseligkeiten verstauen wir in Bündeln in unserem winzigen Verschlag.
In unseren Hängematten liegend verlassen wir für immer dieses Land der Düsternis. An Deck sind wir vorsichtig, denn die Mannschaft ist ein Sammelsurium wild aussehender Kerle. Seeleute und Soldaten. Und die schauen Mag mit verlangenden Augen an. Nicht, dass da keine Frauen an Bord wären – weibliche Sträflinge. Zum Glück kann Mag in der Schiffsküche helfen; das ist gut für sie, denn so bleibt sie nicht untätig. Und langweilt sich nicht. Währenddessen ich mit dem Schiffszimmermann immer etwas zu arbeiten habe. Ich lerne da sehr viel.
Die Überfahrt in Richtung Süden ist stürmisch. Hohe Wellen, heftige Winde und immer wieder Regenschauer in den ersten Wochen. Das Essen, das wir hier vorgesetzt kriegen, ist entsetzlich, doch wir müssen nicht hungern.
Dann wird es wärmer. Doch das Schiff stampft weiter durch den Ozean.
Nach einem heftigen, jedoch kurzen Sturm, herrscht ein wenig Panik. An der einen Bordwand ist ein Leck entstanden. Der Zimmermann versucht mit allen Mitteln den Wassereinbruch zu stopfen, während die Mannschaft sich an den Pumpen ablöst. Ich gehe dem Zimmermann zur Hand und gemeinsam schaffen wir es das Leck zu stopfen. Nach Stundenlanger Arbeit, in einem in alle Richtungen schaukelnden Schiff, mit kaltem Wasser, das dauernd über uns hereinbricht. Salzverkrustet liege ich erschöpft in der Hängematte.
Es wird immer wärmer. Heiß sogar. Die Männer an Deck stehen fast nackt da, Mag zeigt sich wenig, um keine Unruhe zu schaffen. Insbesondere dann nicht, wenn die Sträflinge in Gruppen an Deck gelassen werden. Ich versuche mir vorzustellen, wo wir landen werden. Wie das Land sein wird. Was uns da erwartet und wie unser Leben aussehen wird.
Monate sind wir unterwegs. Am Kap der Guten Hoffnung, in der Bucht am Tafelberg, hat der Kapitän nur kurz angelegt. Vorräte und Wasser gekauft. Nach wenigen Tagen sind wir wieder auf hoher See. Es ist eine raue Fahrt. Die Tage vergehen. Mit Mag malen wir uns aus, wie es wohl sein wird. Unserer neues zu Hause. Was wir tun wollen. Wir träumen und hoffen.
Schreie wecken mich auf. Das Schiff rollt und stampft. Als ich die Klappe unseres Verschlags öffne kommt mir beißender Rauch entgegen. Feuer auf dem Schiff! Ich klettere nach draußen um zu sehen, was los ist. Dicker Rauch umhüllt alles. Menschen rennen und brüllen durcheinander. Seeleute und Soldaten. Auf Brechern segelt unser Schiff auf ein Stück Land zu. Der Wind schiebt unser Schiff, doch dieser Wind facht auch das Feuer an und treibt den Rauch nach vorne. Das erste Land seit dem Kap der guten Hoffnung. Es ist nicht mehr weit.
Das Feuer brennt im Heck des Schiffes. Unten hat Mag schnell reagiert. Unsere Habseligkeiten in unser Hängematten gerollt. Viel ist es nicht. Unser Hab und Gut in drei Kisten, unten im Schiffsbauch. Ich ziehe Mag hinter mir her. Direkt an der steilen Treppe zum Deck greift sie nach einem Säbel mit breiter Klinge, der auf dem Boden hin und her schlingert. Sie steckt ihn in ihren Gürtel. Wir sind noch nicht an Deck, als es einen heftigen Stoss gibt, wir fallen fast von der Leiter. Krachen und Bersten begleitet die vermehrten Schreie von denen, die unter Deck sind. Ich zerre Mag nach vorne. Es wimmelt von Seeleuten, Soldaten. Wir werden geschubst und gestoßen, doch irgendwie schaffe ich es nach vorne. Das Schiff ist auf eine Sandbank gelaufen. An einem hängenden Stricke gleite ich nach unten, ins Wasser. Mag folgt mir. Angst ins Gesicht geschrieben. Nein, wir können nicht schwimmen. Doch mir reicht das Wasser nur bis zu den Schultern. Ich packe Mag und schleppe sie im Getümmel in Richtung Ufer. Wir sind nicht alleine im Wasser. Es ist schrecklich, Schreie und Schläge. Unser durchnässten Kleider und Bündel sind schwer. Jeder Schritt im Wasser kaum zu schaffen. Doch die Wellen tragen uns in Richtung festen Boden. Wir prusten und schnauben. Dann haben wir festen Boden unter den Füssen und mit einer letzten Anstrengung sind wir an Land.
Keuchend stehen wir triefnass auf trockenem Boden. Endlich wieder Land unter den Füssen. Hinten brennt das Schiff. Mag hat sich an meinen Arm festgekrallt, in dem Gewimmel will sie mich nicht verlieren. Niemand achtet auf uns. Ein jeder schaut nur für sich. Kurz denke ich an die armen Teufel im Rumpf. Wie viele wohl davonkommen werden? Doch ich erkenne nun auch, dass etliche Sträflinge von Bord springen. Wir stolpern mehr als wir gehen. Ich will nur weg von hier. Ich ziehe Mag hinter mir her, über den Strand, dann eine steile Böschung hoch. Weiter oben stehen einige Büsche und Bäume. Die meisten Anderen liegen erschöpft auf dem Strand. Ich will nur weg, Denn ich weiß, dass es nicht gut ausgehen kann.
Hier bleiben ist gefährlicher als alles andere. Mag schnaubt und atmet schwer, doch sie folgt mir. Ohne Fragen zu stellen. An Dornbüschen zerreißen wir unsere Kleider. Egal. Ich will nur fort von hier. Weg. Weit weg. Weiter oben ist das Buschwerk weniger dicht. Bäume stehen herum. Felsbrocken. Ein steiniger, trockener Boden. Wir atmen schwer und gehen dennoch weiter. Nach all diesen Monaten auf See, mit wenig Bewegung, sind wir nicht mehr so kraftvoll. Es geht auf eine leichte Anhöhe. Dichter bewachsen. Das ist gut so, denn so sind wir nicht mehr zu sehen. Nach einer Weile sinken wir schwer atmend zu Boden. Mag schaut mich an. Wir sind heil, haben unsere beiden Bündel. Behutsam arbeite ich mich etwas vor, um von hier oben zum Meer hin zu schauen. Das Schiffswrack brennt lichterloh, und immer noch springen Menschen ins Wasser. Am Strand stehen und liegen sie herum. Soldaten, Seeleute und Sträflinge. Wild durcheinander. Das kann nicht gut gehen. Am Strand liegen nun auch zwei Boote, ein kleines und das Langboot.
Wir haben weder Wasser noch irgendetwas zu essen. Doch ich denke, dass uns dieses Land auch Nahrung wird verschaffen können.
Wir reden nicht lange. Uns ist klar, dass wir auf uns alleine gestellt sind. Wir haben unser Hab und Gut, das uns helfen sollte, unser neues Leben in dieser neuen Welt aufzubauen, verloren. Von der Meute am Strand haben wir nichts zu erwarten. Wir gehen weiter, doch nicht mehr tiefer ins Land, sondern wir wollen in Sichtweite des Meeres bleiben. Die Sonne scheint nun, unsere Kleider sind trocken, doch salzverkrustet. Es wird wärmer.
Immer wieder müssen wir eine Pause einlegen. Der breite Säbel, den Mag mitgenommen hat erweist uns gute Dienste, um uns ab und zu einen Weg durch die Wildnis zu hacken. Die Sonne steht nun in unserem Rücken, als wir weiter vorne die Mündung eines Flusses erblicken. Das ist ein gutes Zeichen. Vielleicht gibt es da Menschen.
Hungrig und durstig gehen wir weiter. Wortlos. Wir nähern uns dem Fluss. Kein Anzeichen von Menschen, also schlagen wir unseren Weg ins Innenland, dem Fluss entlang. Es ist ein träge fließender Fluss. Hier, in der Nähe der Mündung ist sein Wasser sicher noch salzhaltig, also müssen wir weiter, bevor wir sein Wasser trinken können. Heute wohl nicht mehr, denn die Dunkelheit bricht bald herein. Morgen…