Ferrari
Ich brauchte einen Mann. Nicht unbedingt fürs Bett, das konnte sich ja nebenbei noch so ergeben. Einen Kraxler, einen Seilschaftler suchte ich, weil ich für das angekündigte schöne Bergwetter übers Wochenende eben einen brauchte. Ich hatte eine sehr leichte und einfache Tour geplant, wo mir jeder richtige Bergwanderer und erfahrene Wandsteiger einfach gelangweilt abgesagt hätte. Ich wollte mich nicht lächerlich machen, aber auch nicht auf die Gelegenheit verzichten. In solchen Fällen sehe ich mich immer gerne auf Baustellen um. Die Zimmerleute und die Dachdecker, die Hoch- und Tiefbauer, die haben oft das Zeug und manchmal auch die Lust dazu. Also sah ich mich da wieder mal um.
Ich fand dann auch, nach ein wenig Radfahren, schnell eine kleine Firma, die gerade dabei war, ein Abrisshaus von den Grundmauern her ganz neu wieder aufzubauen. So stand es auf dem Baustellenschild. Woran erkennt man einen Mann, der nicht verheiratet, brauchbar und willig ist? Nicht jedenfalls am fehlenden Ehering. Den dürfen sie ja auf dem Bau gar nicht tragen, wegen der Unfallgefahr. Nein, man erkennt ihn nur an den neidischen Blicken und vor allem an den Gesprächen der anderen Bauarbeiter, wenn bei ihnen auf der Baustelle eine hübsche Frau vorbei kommt. Das kann ich inzwischen ganz gut heraushören.
Hübsch bin ich ja gerade nicht so sehr, aber ziemlich gut beieinander und was die Mannsbilder im Bett zum Stöhnen bringt, damit kenne ich mich schon gut aus.
Ich hatte mein neues enges rosa Trikot und die knielangen seidenen azurblauen Radlerhosen angezogen, stellte mein Rad sicher ab und umkreiste langsam die Baustelle. Mein bisserl herbes sommersprossiges Gesicht versteckte ich, so gut es eben ging, hinter meinen langen Blondhaaren. Ich musste hier schon meine vier sehenswerten Rundstücke, zwei vorn und zwei hinten, zur Anwerbung als Augenköder einsetzen. Das ist bei der Männersuche nun mal unabdinglich. Also Rücken gerade, Brüste raus und die rückwärtigen Radlerkugeln spielen lassen. Da ging es auch schon los:
„He, Ferrari! Hast du die kleine sportliche Blonde gesehen? Na, wär das nicht ein Spiegelhaserl für dein neues rotes Kabrio?“ und „Mandjosef, die Brüstln, die Backerln! Ich sag dir, Bruno, wenn ich noch Junggeselle wäre, wie du, ich könnte mich beim Herrgott nicht mehr beherrschen.“
Ich schaute mich nach einem roten Ferrari-Kabrio um, konnte aber nichts dergleichen finden. Dabei wusste ich doch, dass Leute vom Bau nur selten ihre Wagen, wenn sie denn welche haben, bei der Arbeit aus den Augen lassen wollen, schon alleine aus Angst vor den dummen Streichen der Kollegen und der Baggerfahrer. Der, den sie Bruno nannten, käme also als Zielperson in Frage? Ich folgte den Blicken seiner grinsenden Kollegen. Da sah ich ihn. Er kam direkt auf mich zu, ohne mich aber anzusehen. Sein Gesicht unter den lockigen schwarzen Haaren auf dem behelmten Kopf erschien mir sehr dunkel. Errötet oder Sonnenbräune? Schwer zu sagen. Er tat so, als wäre ich gar nicht da, beugte sich mit einem Blecheimer in der Hand über ein großes Wasserbassin und zog den Eimer langsam durch das trübe Wasser. Günstige Gelegenheit für mich. Die anstehende Tauglichkeitsprüfung. Oben herum hatte er mir schon sehr gut gefallen, aber das Wichtigste sind für mich bei einem Mann die Teile, die unter der Gürtellinie liegen, vor allem die Beine, die Waden und die Füße. Was sonst noch, das gehörte jetzt noch nicht zur Bestandsaufnahme. Ein paar kleine Geheimnisse zum Entdecken muss es ja schließlich für Mann und Frau immer noch geben, damit es niemals langweilig wird. Er trug die grauen Hosenbeine hoch gerollt und hatte Schnürstiefel an den Füßen. Gute Waden hatte er. Kräftig und sehnig müssen sie sein, damit er sich lange und ausdauernd in einer Kaminwand oder in einer Felsspalte abstützen kann, um mich zu sichern, genauso, wie ich ihn sichern würde. Ich trat an Bruno von hinten etwas näher heran, um mir die Stelle unter seinem Hosengürtel, am Übergang vom Rücken zum Hintern anzusehen, die er mir gerade schön darbot. Dort durfte es nicht glatt und flüchtend unter dem Gürtel in die Hose übergehen, sondern es müsste eine deutliche Schwelle am Ansatz der Pobacken erkennbar sein. Auch das wäre ein gutes Zeichen für Ausdauer in jeglicher Hinsicht. Das kannte ich noch vom Xaver aus meiner Salzburger Truppe. Der konnte mit seinem nackten Hintern einen dicken Zimmermannsnagel aus einem Brett ziehen. Zuerst hatte ich mich ja immer vor dem Xaver gefürchtet, weil der so hart zupackte, aber dann habe ich mich manchmal schon nach seinen Händen gesehnt. Einen Nagel hat er bei mir aber nie aus dem Brett gezogen. Eher schon das Gegenteil davon. Der Bruno hätte das sicher auch nicht gekonnt, aber: ‚Ausdauer scheint er auch zu haben’, stellte ich zufrieden fest. Immer deutlicher und immer lauter wurde das Pfeifen und das Gelächter seiner Kollegen oben auf dem Gerüst. Er konnte mich jetzt einfach nicht mehr ignorieren. Er drehte sich um, ging in die Hocke, sah zu mir hoch und fragte mit wirklich hochrotem Gesicht: „Was zum Deibel soll das werden, was willst du eigentlich von mir. Graut es dir denn vor gar nix?“
Ich ging auch runter zu ihm in die Hockstellung und blickte ihm offen in die Augen.
„Ich such halt nur einen Partner zum Kraxeln. Würdest du für mich bitte einmal einen von deinen Stiefeln ausziehen? Es ist nur zu deiner Sicherheit…“
Sicherheit war das falsche Stichwort. Entweder hatte er statt „Kraxeln“ „Schnaggseln“ verstanden oder aber auch ganz was Anderes. Er begann wie wild mit den Armen zu rudern und stürzte rücklings in das Bassin. Darin lagen jedoch einige hölzerne, eisenbeschlagene Leitern zum Schutz vor dem Austrocknen. An einer von ihnen hatte sich mein Bruno die rechte Schulter oder den Oberarm verletzt. Ich konnte an seinem schmerzverzerrten Gesicht seine Qualen nachfühlen, kletterte ebenfalls in das Bassin und versuchte, ihm aufzuhelfen.
„Aua! Gehens bloß weg von mir, Sie verrücktes Weib Sie. Aber ganz fix, sonst vergess ich mich noch!“
Schließlich zogen mich seine Kollegen, diesmal gar nicht mehr grinsend, pitschnass aus dem Becken und schirmten mich gegen die Blicke Brunos ab, damit der sich wieder an seiner Seele beruhigen konnte. Einer packte mich am Arm. Es war der Baupolier. Er brachte mich zu ihrem Bauleiter in ein abgelegenes Büro, wo ich den Unfallhergang schriftlich bezeugen sollte. Ich hörte noch das Martinshorn des ankommenden Krankenwagens und bekam zunehmend Angst um Bruno. Die verging mir aber gründlich, als ich die lüsternen Blicke des Bauleiters auf mein auf einmal fast durchsichtiges nasses Trikot, respektive auf meine mit dem nassen fleischfarbenen Trikot spärlich verhüllten Brüste spürte. Zum Glück blieb der Polier die ganze Zeit dabei, sonst hätte es an diesem Tage noch eine verletzte Person gegeben. Ihn, den Bauleiter, oder mich. Ich musste meine Anschrift hinterlassen. Telefonnummer hatte ich keine.
Weil mir der Bruno so leid getan hatte, verriet mir der Polier dann auch noch, dass Bruno jetzt ins Innungskrankenhaus der Wiener Baugewerke gebracht wurde und gab mir auch die Adresse.
Am nächsten Vormittag fuhr ich gleich hin mit meinem Rad. Erst wollten sie mich da nicht reinlassen, aber der Polier hatte mir eine kleine grünrote Karte gegeben und ich sagte, dass ich die Stiefschwester wäre. Das haben sie mir dann auch geglaubt. Nur der Bruno war gar nicht begeistert. „Raus!“ schrie er gleich wütend und erschrocken, als ich mit meinem Kuchenpacket zu ihm herein kam. „Ja weißt du denn eigentlich, was du da angerichtet hast? Ich werde über sechs Wochen nicht arbeiten können und der Bauleiter hat auch schon angerufen, dass er meine Sachen aus dem Spind genommen hat, weil er einen Neuen einstellen muss. Dabei hätte ich am nächsten Wochenende gerade die zwölf Tausender zusammengehabt, um meinen Ferrari anzuzahlen. Die werde ich jetzt dringend zum Leben brauchen, wenn ich dann keine Arbeit mehr habe.“ Und: „Schwester, bringen Sie diese Frau sofort aus meinem Zimmer raus. Das ist nicht meine Stiefschwester, die würde ich gar nicht kennen, wenn sie mich nicht hier herein gebracht hätte!“
Das war es dann also. Deshalb nannten sie den Bruno „Ferrari“. Schon wieder einmal hatte ich als Pechmarie jemanden ins Unglück gestürzt. Das schlechte Gewissen plagte mich schon arg, aber ich wusste auch gleich, dass ich dagegen etwas unternehmen musste. Da würden sich doch schließlich noch ein paar Argumente finden lassen, die den Bauleiter überzeugen konnten. Die Argumente hatte ich schließlich und ihre Wirkung auf den Mann war auch schon einmal hinreichend geprüft worden. Also los!
Noch am späten Nachmittag ging ich hin zur Baustelle und wartete, bis die Leute Feierabend hatten, und betrat dann schnell das Büro. Was soll ich sagen? Ich hatte Erfolg. Einen durchschlagenden. Ich hatte die feste Zusicherung vom Herrn Rammsauer, dem Bauleiter, dass der Bruno seinen Job behält, für drei Wochen eine schonende Arbeit bei fast voller Bezahlung kriegt und dass kein Neuer eingestellt wird, an seiner Stelle.
Das hatte ich sogar schriftlich als Durchschlag mit Stempel und Unterschrift..
Damit radelte ich auch gleich am nächsten morgen hin ins Krankenhaus und zeigte es dem Bruno.
„Wie hast du das erreicht, womit? Die Rammsau kennt dich doch gar nicht. Oder etwa doch? Der ist doch sonst stur wie ein Metzgerhund und hat für Keinen was übrig. “
„Für mich schon. Na ja, ich habe mich halt bei ihm…“
Weiter kam ich gar nicht.
Bruno schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen.
„Du hast mit ihm…? Du hast dich von der Rammsau…, nein! Geh mir aus den Augen! Weiber! Da ist mir doch ein anständiges Auto, wie zum Beispiel ein Ferrari oder sonst eins etwas ganz Anderes, Zuverlässiges, Treues und Wohltuendes, ein Schatz eben, für den es sich zu schuften lohnt. Aber keine Frau. Bloß keine Frau! Verschwinde. Ich pfeif auf deine Hilfe. Raus!“
Das war es dann schon wieder mal. Ich bin eben die Pechmarie. Ich hatte jetzt auch gar keine richtige Lust mehr, ihm die ganze Wahrheit zu sagen. Hätte mir auch keinen Spaß mehr gemacht. Ich dachte gar nicht erst lange darüber nach, warum er so reagierte.
Pech mit Männern zu haben war ja schon immer mein täglich Brot. Mahlzeit!
Dann habe ich noch im Scherz an einen Spruch gedacht, in welchem es darum ging, wozu sich Männer immer dicke Autos kaufen müssen, die sie sich eigentlich gar nicht leisten können. Penisverlängerung. Braucht er etwa so was? Kaum zu glauben.
Eines Abends aber, im folgenden Monat, fast hatte ich ihn schon fatalistisch abgeschrieben, da klingelte es an meiner Tür. Draußen stand Bruno. Mit einem blauen Auge, Schürfwunden an Kinn und Augenbrauen aber einem lustigen Grinsen um die Mundwinkel.
„Da bin ich. Karl, unser Polier hat mir deine Adresse gegeben, aus dem Unfallbuch. Musste lange darum bitten. Ich habe es gemacht, ich habe die Rammsau gründlich verdroschen. Der kann dich doch nicht einfach in seinem Büro, nur weil er der Boss ist…, wie heißt du denn eigentlich? Ich träume schon vier Wochen lang von dir, aber ich weiß nicht mal deinen Vornamen. Auf dem Zettel stand nur „L.“.
„kannst Lulu zu mir sagen, ich heiße Luise-Maria. Warum hast du dich mit dem Herrn Rammsauer geprügelt? Meinetwegen, weil er mich angeblich…? Ach du lieber Gott, das stimmt doch aber gar nicht. Er hat mich überhaupt nicht angerührt, der Herr Rammsauer.
Und du? Du bist doch jetzt sicher deinen Job los.“
„Wie was? Er hat dich gar nicht in seinem Büro gevö…? Und warum hat er mir das dann nicht gleich gesagt?“
„Da hatte er sicher seine Gründe. Es war so: ich bin rein bei ihm ins Büro. Er war ganz alleine da. Ich habe es ihm angeboten, dass er mich kann, wenn er will, na, du weißt schon. Ich habe mich auch gleich ganz ausgezogen, damit er alles sehen konnte. Aber das war wohl dann doch zu viel für ihn. Es war der Schock. So plötzlich eine völlig nackte junge Frau vor seinen Augen. Er ist ja auch nicht mehr der Jüngste und er hat sich dabei selbst unter mentalen Leistungsdruck gesetzt. Ihr Männer merkt das ja wohl irgendwie, wenn da nichts mehr geht. Ich habe ihm dann gesagt, dass ich es den Männern draußen am nächsten Tag erzählen werde, wie alles so gelaufen ist und dass dann Ende ist, mit seiner Autorität. Er hat mich angefleht, es nicht zu tun und ich habe selber in seine Schreibmaschine den Text getippt, den ich dir ins Krankenhaus gebracht habe. Er hat nur unterschrieben. Aber du hast mich ja nicht ausreden lassen.“
„Wie, wirklich? Er hat also gar nicht wirklich mit dir? Und ich bin jetzt meinen Job los. Von den Zwölftausend habe ich mir ein Fahrrad gekauft und bin hierher zu dir geradelt, Lu. Den Rest werden wir schön verleben. Einen Job finde ich auch wieder. Scheiß auf den Ferrari. Ich will dich, nur dich. Dass du das alles für mich getan hast. Darf ich reinkommen?“
„Bring aber das teuere Fahrrad mit rein. Und dann zuerst mal ab in die Wanne, du großes Dreckschwein du.“
Der arme Herr Rammsauer. Schon wieder hab ich einem Unglück gebracht. Aber heute bin ich ausnahmsweise einmal nicht die Pechmarie.