meine 1.story
RISSEIch ruf dich in einer Woche wieder an, sagte er. Ja, ciao. Ein Moment zwischen Himmel und Erde, dann Stille am Ohr.
Sie steht in ihrer Küche, die Kaffeetasse halb leer, Hunger und doch kein Appetit. Der Samstag bricht herein. Eine Postkarte aus Island liegt auf dem Küchentisch. Zärtlich streicht sie über das Haus vor dem Wasser unter dem Nebel. Sie liest den Text, den sie auswendig kann. Und noch einmal: Ich hoffe, dich bald zu sehen. Ihr Herz blutet. Seine Worte reissen es immer wieder auf. Sie hängt die Karte zurück an den Kühlschrank.
Sie trinkt einen Schluck kalten Kaffee und weiss, dass er jetzt mit der anderen in ihrem Bistro sitzt, dass er Rühreier mit Käse bestellt und viele knusprige Brote dick mit Butter bestrichen gierig in seinen Mund schiebt. Sie weiss, dass jetzt die andere die vielen schweren Schlüssel bei sich trägt und so das Schloss zu seiner Wohnung aufschliesst. Sie weiss, dass die andere nun ihre nassen Füsse auf den hellblauen Teppich im Badezimmer setzt. Den roten Vorhang im Schlafzimmer zuzieht. Und seinen heissen Körper riecht, über seine zarte Haut streicht, seinen feinen Atem um sich spürt, seine kurzen Seufzer hört, seine Hände an ihren Brüsten fühlt, zwischen den Beinen. Und sein Schwanz pulsiert. Lippen finden Lippen. Nass. Wie zwei spielende Tiere die Zungen. Ein tiefes Leuchten in den Augen, und die Vibrationen der Körper schmelzen langsam zu einem Tanz, wo keine Zeit existiert, nur der Moment, endlos.
Die Kaffetasse fällt zu Boden. Sie schaut, wie sich die braune Flüssigkeit langsam über den Kachelboden schiebt. Dann schnappt sie den gelben Lappen und wischt den Kaffee hastig weg.
Sie geht ins Bad und wäscht sich das Gesicht. Zwei neue Falten vom linken Augenrand zum Wangenknochen. Ihre Lippen sind fahl. Ihre Brust hebt und senkt sich. Sie schlägt sich noch einmal kaltes Wasser ins Gesicht. Beobachtet wie es langsam den Hals hinunterrinnt. Sie verharrt und starrt auf die Dose Rasierschaum. Oben an der Dose bildet sich immer dieser blaue Kragen. Da drinnen scheint viel Druck zu sein. Sie führt die Dose zur Nase. Und in dem Moment steht er hinter ihr, lachend, und haut ihr beim Hinausgehen keck auf den Hintern. Nein, bitte bleib!
Sie schmeisst die Dose mit einem Knall in den Abfalleimer. Und nimmt sie gleich wieder heraus. Noch einmal kurz riechen, ein letztes Mal. Die Dose fliegt erneut in den Kübel. Sie atmet heftig. Und weint.
Sie nimmt die Postkarte aus Island und zerreisst sie in viele kleine Stücke. Ganz langsam. In viele Stücke. Ein Häufchen Island auf dem Küchentisch.
Sie wäscht die Kaffetasse ab. Isst einen Apfel. Im Herbst schmecken die Früchte gut.
Island liegt immer noch auf dem Tisch. Sie setzt sich hin, schiebt die Teilchen auseinander und fügt geduldig eines zum andern, bis das Haus wieder unter dem Nebel vor dem Wasser steht. Ein neues Bild, eines mit Rissen. Da kann Licht eindringen.
Das Herz blutet nicht mehr. Zum Lieben bleibt es ganz. Ganz bei ihr. Eines Tages wird sie nach Island reisen oder sonstwohin auf diesem Planeten. Und vielleicht ist er auch dort. Allein.
©Cornelia