Auf der Alm, da …
Der Bruno und ich, wir hatten noch einen heißen Vormittag in der kühlen Dolomitenhöhle. Für echte Bergsteiger und Kraxler ist es ja eigentlich schon eine Sünde, wenn man mal vom Zwischenmenschlichen ganz absieht. Wer kurvt denn auch schon am lichten Tag mit einem rosa Ferrari in einer feuchten Höhle rum, wenn draußen das schönste Bergwetter ist? Noch dazu, wenn ich der rosa Ferrari bin. Wir hatten nichts mehr zum Essen und der Bruno kriegte nach der wilden Kurven-Rallye durch Hügel und Schluchten bald schon einen tüchtigen Hunger. Ich hatte ihm versprochen, dass er oben auf der Almhütte Marialeid, bei meiner guten alten Freundin Trudl, was die Gertrud Anzinger ist, eine zünftige Brotzeit mit Schweinsbraten oder Geselchtem, Heurigem oder Bier und auch noch Topfenstrudel zum Nachtisch kriegen wird, wenn er nur bis dahinauf durchhält. Auf dieser Alm war ich schon ich früher, als ich grad 19 war, und hab von ihrem Mann, der Theo hieß und den Bergführer gemacht hat, das Bergsteigen und Felskraxeln gelernt. Da bin ich dann auch fast jedes Jahr wieder hinauf gewandert, auch weil der Theo so ein lustiger und gut aussehender Mann war, mit vielen flotten Sprüchen auf der Zunge, dass man sich nur kringeln konnt. „Erst essen wir den Topfenstrudl, dann werden wir dich stopfen, Trudl.“ Und all so was. Ich freute mich schon riesig auf die Trudl und den Theo.
Aber als wir um den späten Nachmittag oben ankamen, da sah ich doch, dass die Trudl schwarz trug, was sie sonst nie tat, schon gar nicht im Sommer. War der Theo gestorben?
Das es gar nichts anderes sein konnte, das wurde mir klar, als ich sie mit einer Kürbe Heu auf dem Rücken aus der Scheune kommen sah. Das hatte früher immer der Theo gemacht. Um das Viehzeugs hatte sich immer der Theo alleine gekümmert, seitdem die Trudl das Unglück mit der Kuh beim Melken hatte und nie wieder in den Stall reinzukriegen war.
Als sie uns kommen sah, da setzte sie gleich die Kiepe ab, kam auf uns zugelaufen und wir waren beide gleich am Heulen.
„Voriges Jahr im Jenner“, schluchzte sie, „wo wir den Lawinenwinter hatten. Er war halt bei dem Suchtrupp und da ist vom Schihang das Schneebrett abgegangen und hat ihn und noch zwei Männer begraben. Es hat sie allesamt gegen einen Mast von der Seilbahn gedrückt. Da war gar nix mehr zu machen. Soll aber ganz schnell gegangen sein, haben sie mir gesagt. Hat nicht lang leiden müssen, der Theo, und ich hoff es ja auch so für ihn.“
„Ja, bestimmt, das wird auch so gewesen sein. Das hätt er ja auch wirklich nicht verdient, der Theo, dass er hätt leiden müssen. Er war doch so ein guter und lieber Mann.“
„Ja, das war er schon, der Theo, meistens und oft. Wen hast denn du da mitgebracht, Luise? Das ist dann aber ein ganz Fescher. Ja glaubst denn du das? Er hat sich gleich meine Kürbe aufgeschnallt und bringt sie in den Stall.“
Tatsächlich. Ich traue meinen Augen kaum. Der eben noch so müde und so vom Hunger geschwächte Bruno ist mit der vollen schweren Heukürbe im Stall verschwunden. Bei Trudl leuchten die Augen auf, aber schon nicht mehr vom Glanz der Tränen. Sie lächelt glücklich.
„Ich werd euch gleich was zum Zünftigs zum Essen machen, weil, ihr werdet doch hungrig sein, vom Kraxeln den ganzen Berg herauf. Bist immer noch bei den Vegetariern, Luise? Such dir was im Garten, du weißt schon, wo. Der junge Mann doch aber nicht, hoff ich. Wie heißt denn das fesche Mannsbild?“
Jetzt fällt es mir gleich wie Schuppen aus den Augen, dass, Zimmermänner zu Almwitwen bringen nicht das Gleiche ist, wie Eulen nach Athen. Besonders dann nicht, wenn die Augen der Almwitwe auf einmal so groß werden, dass eine Eule hätte neidisch werden können.
„Bruno heißt er. Er ist Zimmermann aus Wien und ledig ist er auch.“ Sagte ich mit soviel Flehen in der Stimme, dass sogar sie es merken müsste. Aber sie merkte nichts.
„Bruuno!“ ließ sie entzückt von der Zunge schmelzen, und es klang fast schon wie ein „Halleluja!“, „und Zimmermann ist er auch, grad so wie unser Herr Jesus!“ Damit hastete sie auch schon in ihre Küche.
Also kam ich auch nicht mehr dazu, sie so nebenbei an das frühe Ende von dem Herrn Jesus zu erinnern. Ich ging zur offenen Stalltür. Der Herr Jesus, also der Bruno, war gerade mit dem Füttern der vier Milchkühe und zwei Schweine fertig. Wir rannten uns beide fast gegenseitig um.
„Das ist deine Freundin? Oh Mann! Die sieht ja genauso aus, wie die Gina Lollobrigida in ihren besten Filmjahren. Sogar das Schwarze steht ihr gut. Das ist ja toll! Und zu haben ist sie auch wieder.“
‚Danke, Bruno!’, denk ich mir im Stillen, ‚wenn du wüsstest, wie froh du erst sein kannst, dass ich solche uncharmanten, äh, „ehrlichen“ Gemeinheiten nicht zum ersten Mal hören muss, weil ich ja als Inhaberin eines herben, wenig hübschen Gesichts dergleichen schon lange gewöhnt bin…’
Sagen tue ich: „Die sieht nicht so aus, wie die Gina Lollobrigida und es ist auch nicht die Gina Lollobrigida! Die sieht aus, wie die Gertrud Anzinger, weil es die Gertrud Anzinger ist, genannt Trudl. Und ich sehe auch nicht aus wie ein Ferrari, weil ich kein Ferrari bin. Mach Platz, ich will in den Garten um mir meine vegetarischen Viktualien zusammen zu suchen.“
Als ich mit zwei Knollen frischem Sellerie, fünf dicken prallen roten Karotten und einem Bund herrlich duftender Kräuter aus dem Garten ins Haus kam, da war keiner da, weder im Gastzimmer, noch in der Küche. Aber oben, aus dem Schlafzimmer hörte ich es Kichern und Poltern.
‚Wie? So schnell schon?’ dachte ich mir, griff mir einen Reisigbesen und ging hinauf.
Doch ich hatte mich geirrt. Es war nicht so, wie ich schon befürchtet hatte.
Trudl hatte dem Bruno nur zeigen wollen, dass es oben im Schlafzimmer durchs Dach regnete, weil die hölzernen Schindeln vom Regen und von dem schmelzenden Schnee im Frühjahr schon so sehr durchgefault und brüchig waren, dass sie unten im Gastzimmer schlafen musste. Das Poltern war dadurch gekommen, weil der Bruno über die Dachluke nach oben auf das Dach steigen wollte und dabei zwei der faulen Dachschindeln herausgerissen hatte. Trudl erzählte ihm gerade, das Theo, ihr verstorbener Mann schon alles zum Neudecken des Daches vorbereitet, die Schindeln gespalten und verputzt habe und dass sie auch Helfer von unten aus dem Dorf haben könne, nur eben keinen gelernten Dachdecker oder Zimmermann.
„Gar kein Problem!“, sagte Bruno, „Ich hab grad eben keinen festen Job.“
„Kannst unbesorgt bei mir bleiben bei freiem Logis und Essen solang du willst, Bruno.
Jessesmandjosef, das Essen! ich hab doch unten den Braten im Röhr!“
Weg war sie.
Ich war wieder mit Bruno allein.
„Apropos Braten im Röhr. Hat sie dich schon drin, Bruno? Was ist mit dir, willst wirklich hier bleiben? Du weißt aber, dass ich morgen zurück muss, in die Redaktion. Ich kann hier nicht bleiben.“
Bruno dachte lange nach. Ich konnte sehen, dass er traurig war und sich den Kopf zermarterte, um nichts Dummes und Abgeschmacktes zu sagen. Das rechne ich ihm heute noch hoch an.
„Es war wunderbar mit dir, Lu. So schön verrückt und so geil. Du bist ein Prachtweib, ich habe es dir ja schon gesagt. Die ganze Zeit lang war ich ein ganz Anderer als der, der ich war, bevor ich dich kannte. Aber ich weiß doch auch, dass du dein freies Leben weiter leben willst, dass du keine Lust hast auf Ehe, Familie, Kinder. Trudl hat mir aber gesagt, dass sie Kinder will und einen Mann der immer da ist. Ich kenne mich aus mit der Landwirtschaft, von zu Hause her und auch mit dem Handwerk. Das hier ist so eine Chance für mich, wie ich sie nie wieder kriegen werde. Mach es uns nicht schwer, bitte Lu. Ich lass dir auch den Luminant, als Erinnerung und damit er dir Glück bringt.“
-„Es war..“- Also Vergangenheit.
In mir zog sich alles zusammen, was ich an Härte und abschirmender Schale aufbieten konnte. Ich spürte schon, dass es trotz aller bisheriger Erfahrung nicht reichen würde und dass ich jeden Moment zusammenbrechen werde. In mir baute sich eine alles niederreißende Welle von Wut und Verzweiflung auf. Aber wogegen richtete sich diese Welle? Nicht gegen Bruno, nicht gegen Trudl. Nein, gegen mich selbst. Da war etwas, das sie unaufhaltsam in diese Richtung steuerte…
Es war ein Wort, ein Sinnzusammenhang, der es ausgelöst hatte. „Sie will Kinder…“, hatte Bruno gesagt.
Ja, das war es. Warum eigentlich hatte Trudl keine Kinder? Ihr Mann, der Theo, war sehr vital gewesen, das konnte ich bezeugen. Jetzt erinnerte ich mich plötzlich an die Kuschelnächte, die ich damals mit 19 ….21 mit ihm zusammen im Biwakzelt verbracht hatte, wenn über dem Berg die Nacht hereingebrochen war.
„Komm, schlüpf rein Mädel, und keine Angst, dir kann gar nichts passieren, gar nichts.“
Dabei benutzte er aber niemals ein Kondom oder besondere Vorsicht.
Ich hatte es zwar fast nie wirklich von mir aus gewollt, aber es war einfach geschehen, weil es irgendwie dazu gehörte. So kannte ich es ja auch aus meiner wilden Zeit in Salzburg. Mit Trudl habe ich nie darüber geredet und es ist auch nie etwas nachgekommen davon.
Jetzt wurde es mir plötzlich klar, dass Trudl es dennoch gewusst haben muss.
Nie hat sie aber deshalb mit mir gehadert. Und wenn sie jetzt, wo der Theo tot ist, mit einem jungen Mann darüber redet, dass sie Kinder will, dann kann es an ihr nicht gelegen haben.
Sie hat mir auch den Bruno nie wegnehmen wollen. Ich selbst habe den Bruno zu ihr gebracht. Ist das jetzt meine Sühne an ihr? Hat der Herrgott Gericht gehalten und sein Urteil gesprochen? Hat er den Theo zu sich geholt, damit die Trudl das Leben bekommt, das sie sich immer so sehr gewünscht hat?
Soll sie den Bruno haben. Und den Bergkristall, den Luminant werde ich auch nicht behalten, denn mir hat er ja kein Glück gebracht, aber dem Bruno.
Ich nahm mir vor, ihn beim Weggehen irgendwo in der Nähe zu verstecken, so dass der Bruno oder seine Kinder ihn später finden können. Einmal ganz tief durchatmen. Vorbei!
Jetzt konnte ich auf einmal nachfühlen, wie sich mein henkender Vorfahre nach Urteilsvollstreckung gefühlt haben muss. Belämmert, aber auch von Lasten erlöst.
Ich habe nicht verloren. Ich habe gewonnen. Mein Gewissen ist wieder rein und das freie Leben hat mich auch wieder. Nur der Bruno sitzt noch traurig auf der Treppe und hat die Hände vor dem Gesicht.
„Hast du nicht Hunger Bruno? Willst nicht probieren, wie deine Zukünftige so kocht? Auf, auf, das Leben ruft und auch die Pflichten warten nicht ungestraft auf Erfüllung.
Da hast ein Taschentuch, putz dir die Nase. Ist ja schon peinlich, wenn du hier vor deiner Zukünftigen wegen deiner Verflossenen herumheulst. Die Wievielte war ich denn eigentlich?“
Auf Antwort habe ich aber nicht gewartet, sondern ging runter in die Küche, um mir mein Mahl zu bereiten. Die Trudl kannte sich noch aus und hatte mir schon die Karotten gewaschen, den Sellerie geschält und ins Kochwasser gelegt, und auch der frische Topfen mit gehackten Kräutern war fertig. Für Bruno hatte sie einen herzhaften Schweinsbraten mit dampfenden Knödeln und einer herrlichen Soße bereitgestellt.
Sie konnte mir ansehen, was mit mir los war. Aber ich wollte ihr Mitleid jetzt nicht haben. Dafür war es längst zu spät.
„Du hast es gewusst, Trudl, das damals mit mir und dem Theo?“
Sie nickt. „Ja, ich hab ja seine Sachen waschen müssen, auch den Schlafsack, und hab ihn doch gekannt, wie er war mit den Frauen. Und wie er dich immer angesehen hat, wie er sich gefreut hat, wenn du kamst. Es konnte ja nichts Schlimmes kommen davon. Aber geliebt habe ich ihn trotzdem.“
„Pass auf den Bruno gut auf, Trudl. Der ist noch so voll mit Illusionen und dahergeholten Biertischweisheiten, dass er gerne mal auf einen Schein hereinfällt. Dich hält er für die Schwester von der Gina Lollobrigida, das musst du ihm bald austreiben, wenn du nicht die bösen Geister aufwecken willst.“
Trudl lachte laut. „das werd ich ihm schon mit meinem Apfelstrudel austreiben, wirst sehen, Luise.“
Sie griff sich den großen Teller und brachte ihn rein zum Bruno in die Gaststube.
Ich fischte meinen Sellerie aus dem sprudelnden Wasser, damit er noch Biss behielt. Dann schnitt ich ihn in fingerdicke Scheiben, wälzte diese in Paniermehl und buk sie schön knusprig in der Pfanne aus. Auch die Karotten für den Nachtisch wurden bissfest pochiert, in Schokoladensoße getaucht und kriegten vorne ein dickes Häubchen aus saurer Sahne mit Kräutern. Noch ein wenig Dekoration aus Gurken- und Tomatenscheiben mit Petersilie und Basilikum– fertig.
Als ich mit meinem Teller hereinkam, war Bruno schon fast fertig mit Essen und strahlte wie ein Sonnengott. Trudl leuchtete vor Zufriedenheit, wie die Sonne selber. Da war es mir dann endgültig klar, wer hier zu wem passte. Salute, Bruno. Viel Glück, Trudl.
Bruno schaute ganz neugierig und interessiert auf mein vegetarisches Menü.
„Die gebratenen Scheiben da, die sehen aus wie kleine Schnitzel. Schmecken die auch wie Schnitzel?“
„Nein, Bruno, die sehen nicht aus wie kleine Schnitzel, die sehen aus wie gebackene Selleriescheiben und die schmecken wie gebackene Selleriescheiben, weil es eben gebackene Selleriescheiben sind. Warum sollten sie dir denn auch ein Schnitzel vormachen wollen? Nimm die Dinge doch endlich mal so, wie sie sind und vergleiche nicht immer alles und jeden mit Herrn X, Frau Y oder eben mit Wiener Schnitzeln.
Warum nur wollt ihr Mannsbilder immer was vorgemacht bekommen und macht euch selber immer was vor? Euch kann man ja sogar einen Feind vormachen und dann zieht ihr gläubig in den Krieg, um euch gegenseitig totzuschießen.
Nur auf eines musst du aufpassen: wenn deine Kinder plötzlich so aussehen, wie der Herr Nachbar oder der Gemeindepfarrer, dann ist wirklich was faul.“
Den Seitenhieb musste ich noch loslassen, weil es mir dann doch einen Stich gab als ich sah, wie sich die Trudl eine von meinen dicken süßen Schokoladenmöhren genüsslich durch die Lippen zog, nachdem sie sich vorne schon das Sahnehäubchen reingezuzzelt hatte. Was das heißen sollte, musste ich ja nicht erst fragen.
Ich erkundigte mich noch bei ihr nach den Abfahrtzeiten der Seilbahn in Tal hinunter und fragte den Bruno: „Was wird denn jetzt mit deinem Ferrari?“
„Wer braucht denn schon auf der Alm einen Ferrari?“, sagte er, „und notfalls kann ich ja mal die Trudl fragen.“
Jetzt durfte ich auch mal wieder lachen, gab den beiden ein Busserl und warf mir meinen Rucksack über.
Das mit dem Luminant habe ich mir dann anders überlegt. Als ich mit der Gondel abwärts fuhr, da sah ich, dass am Fuß von einem der Masten ein Straus Blumen und ein Geflochtener Kranz lagen. Ich öffnete das Fenster und ließ den Luminant hinunterfallen.
Er verschwand im tiefen Gras neben dem Mast. „Grüß Gott, Theo. Verzeih der Trudl und mache keinen Spuk in ihrem Haus. Bleib hier und pass auf den Luminant auf.“