Die Verfolgung
© Nisham 10/2011Fortsetzung von: „Die Grube“, „Der Dolch“, „Das Feuer“ und „Die Unruhe“
Kurzgeschichten: Die Unruhe
Ich bin augenblicklich hellwach. Dieses Geschrei kommt vom Fluss. Wir zögern nicht, raffen unsere Bündel zusammen, werfen sie über unsere Schultern und verschnüren sie im Gehen. Ich werfe noch einige Blicke zurück. Auf dem Fluss steuern zwei Boote direkt auf das Ufer zu: das kleine Beiboot und das Langboot. Sie sind voller johlender und schreiender Menschen. Seeleute, Soldaten und Sträflinge, wild durcheinander. Überlebende von unserem Schiffbruch. Sie haben uns gesehen und wollen uns - keine Ahnung wozu. Wir besitzen doch kaum was. Die Männer an den Rudern sind übereifrig und zum Glück waren sie nicht bereits so nahe am Ufer.
Durch Gebüsch und Gestrüpp bahnen wir uns einen Weg die Böschung hoch. Wir werden zerkratzt und unsere Kleider noch mehr zerrissen. Doch etwas weiter vom Fluss weg nimmt die Vegetation ab, das Land wird viel offener, steinig und nur mit vereinzeltem Buschwerk. Wir rennen nun richtig los. Mag hat meine Hand ergriffen und läuft neben mir her so gut es geht. Wir haben noch kein Wort gesprochen weil der Schreck und die Angst uns sprachlos gemacht haben. Immer wieder drehe ich mich um. Doch noch sind unsere Verfolger nicht zu sehen. Jedoch bald vernehme ich wieder Geschrei. Die ganze Horde wild gewordener Männer läuft hinter uns her.
Wir keuchen und ich merke wie Mag etwas langsamer wird. Klar wir sind hungrig und nicht mehr so gewohnt uns zu bewegen, obschon wir in den letzten Tagen etliche Meilen hinter uns gebracht haben. Wir müssen genau hinschauen wohin wir unsere Füße setzen, denn der Boden ist uneben und steinig; um die Büsche schlagen wir Bogen. Immer weiter weg vom Fluss. Vor uns liegt eine Anhöhe mit einer Baumgruppe.
Die Verfolger kommen nicht wirklich näher. Auch sie sind wohl hungrig. Und etliche sind schon weit zurückgefallen. Es sind nur noch eine Handvoll wild Entschlossener, die hinter uns her sind. Wir hetzen weiter und sind schon bald am Fuß der Anhöhe. Mein Atem ist rau, ich kann kaum mehr und ich ziehe Mag hinter mir her. Ihr geht es nicht besser, sie schnaubt, doch ihr Griff um meine Hand ist fester denn je. Woher sie wohl diese Kräfte nimmt! Auf halbem Weg zu der Baumgruppe schaue ich kurz über meine Schulter, und schon hab ich den Stein übersehen, stolpere und falle der Länge nach hin. Mag hat mich los gelassen um nicht selber zu stürzen. Sie rennt noch drei Schritte weiter und bleibt stehen. Sie schreit kurz auf, als sie mich da liegen sieht, halb betäubt.
Hinter uns werden Stimmen laut. Mein Sturz scheint unsere wenigen Verfolger anzuspornen. Als ich mich umdrehe und halb aufrichte sehe ich einen dieser Seemänner nur noch zwei Dutzend Schritte hinter uns. Er hält ein Messer in der Hand und will sich wohl auf mich stürzen. Doch aus dem Augenwinkel sehe ich wie Mags Arm wirbelt, und ihre Axt den Seemann mitten ins Gesicht trifft. Sein Geheul verwandelt sich in ein Gurgeln. Er fällt rücklings hin. Sein Körper zuckt und er rudert wild mit den Armen. Ich versuche aufzustehen, mein Bein lässt sich kaum bewegen, als die beiden nächsten Verfolger, ein weiterer Seemann und ein Sträfling an dem Verletzten vorbeihasten. Mag hält ihren Dolch in der Hand. Ich schaffe es nur, mich halb aufzurichten, doch in meiner Hand halte ich das Schwert mit der breiten Klinge. Als der Sträfling an mir vorbei hetzt und sich auf Mag stürzen will, schlage ich ihm die Klinge mit voller Kraft in die Beine. Treffe das eine direkt in der Kniekehle. Der Mann stürzt wie ein gefällter Baum. Schreiend. Blut spritzt.
Der andere Seemann bleibt stehen. Ich stehe auf, mühsam doch entschlossen. Ich will mich auf ihn stürzen, aber er scheint seinen ganzen Mut verloren zu haben. Er dreht sich um und rennt den Weg zurück, den er gerade gekommen ist.
Etwas weiter weg stehen noch ein paar Verfolger die sich das Schauspiel aus der Ferne angeschaut haben. Sie beschimpfen uns, drohen mit geballten Fäusten. Doch keiner macht auch nur einen Schritt in unsere Richtung. Sie werden uns jetzt nicht mehr verfolgen. Ihre beiden Mitläufer, die hier stöhnend liegen, interessiert sie nicht im Geringsten.
Der Sträfling, dem ich fast den Unterschenkel abgetrennt habe schaut mich bittend mit schmerzverzerrtem Gesicht an. Ich kann und werde ihm nicht helfen. Mag hat inzwischen ihre kleine Axt aus dem Gesicht des Seemannes geholt. Das sieht nicht gut aus. Blut quillt aus seinem ganzen Gesicht. Er röchelt nur noch und scheint nicht mehr bei Bewusstsein zu sein. Mag bückt sich noch kurz und hebt auch das Messer auf, das dem Mann aus der Hand gefallen ist.
Sie schaut mich an. Sie bringt kein Wort über die Lippen. Sie reicht mir die Hand und zieht mich weiter. Hinter den Bäumen bleiben wir stehen. Ein Blick zurück zeigt, dass die Verfolger den Rückweg angetreten haben. Vor denen sind wir sicher. Für jetzt zumindest. Denn wir müssen ja irgendwie wieder zum Fluss, wegen des Wassers.
Wir sinken erschöpft zu Boden. Und erst da entdecke ich, dass ich mir bei meinem Sturz eine Verletzung zugezogen habe: an einem scharfen Stein habe ich mir den Unterschenkel aufgerissen. Mag verbindet die Wunde mit einem Streifen Leinen, den sie aus einem ihrer nicht mehr getragenen Unterröcke reißt.
Nachdem wir uns etwas erholt haben und die Männergruppe schon weit weg ist, gehen wir langsam weiter. Ich humple, doch es wird schon gehen.
Wir schlagen eine Richtung ein, so dass wir auf unserer rechten Seite immer den Fluss haben. Wir erkennen den Flusslauf an der deutlich üppigeren Vegetation in seiner Nähe. Wir brauchen dringend Wasser. Und etwas zu essen. Doch hier sieht es ziemlich karg aus. Erschöpft gehen wir weiter.