Die wundertätigen Mannsbilder
(Pardon, ich hatte es schon mal falsch eingestellt)Als sie mich damals mit dem Auto von zu Hause, von meiner Mutter abgeholt hatten, weil ich mit weniger als siebzehn Jahren gleich zwei neugeborene Mädels im Korb mit heimgebracht hatte, da kam ich zuerst einmal in ein Heim von der Jugendhilfe.
Meine Zwillinge hatten sie ohne mich in ein Mutter-Kind-Heim gebracht, weil ich selber ja angeblich noch zu jung war, um Mutter zu sein.
Dabei war ich doch gerade deshalb mit fünfzehn von meiner Mutter zu Hause ausgebüxt, weil ich mich vorher immer ganz alleine um ihre Zwillingsbuben hatte kümmern müssen und weil ich dadurch fast überhaupt kein Leben mehr für mich gehabt hatte.
Die Welt ist schon komisch, manchmal. Mag sie doch verstehen, wer will.
Meiner Mutter hatte ich vorher noch zwei Vorderzähne mit einem Kleiderständer ausgeschlagen. Das hatte ich aber doch gar nicht gewollt. Ich wollte doch den nackten Hintern von dem Arzt treffen, der ihr gerade wieder neue Zwillinge machen wollte. Leider habe ich aber sie getroffen.
Da bin ich dann halt ausgebüxt und so war alles Weitere gekommen.
Mein Vater war nämlich auch Arzt, aber dieser da war ein anderer gewesen, nicht mein Vater.
Ob mein Vater aber nun wirklich mein richtiger Vater war, da bin ich mir heute auch nicht mehr so sicher. Aber lieb habe ich ihn schon gehabt.
Er war halt nur immer nur so traurig.
Er hat mich dann auch im Jugendhilfe-Heim besucht, weil er da wegen mir was zu unterschreiben gehabt hatte, und ich habe ihm alles erzählt, wie es war.
Er ist wieder ganz traurig gewesen und deshalb habe ich ihn gefragt, warum das denn so sei, mit ihm und mit meiner Mama, seiner Ehefrau, dass sie gar nicht mehr zusammen sind und sich lieb haben.
Er hat es mir dann versucht zu erklären, am Beispiel von meinem Onkel Hubert.
Der Onkel Hubert, der war nämlich ein ganz leidenschaftlicher Sammler von Kuckucksuhren. Er hat sie alle geliebt, seine Kuckucksuhren und er konnte sie alle auseinandernehmen und reparieren und auch wieder schön zusammensetzen.
Dann haben aber auch die anderen Leute ihre Kuckucksuhren zu ihm hin gebracht, zum Reparieren. Zuerst hatte sich ja der Onkel Hubert darüber gefreut und gleich auch eine kleine Werkstatt aufgemacht. Er war zuerst ganz glücklich darüber.
Dann wurde er aber bald immer missmutiger und trauriger, weil die Leute auch solche Uhren gebracht haben, die gar keine richtigen Kuckucksuhren mehr waren.
Solche mit Plastikteilen darin und mit elektrischen Dingern, die darin herumgesummt und herumgewackelt haben und von denen er nichts verstand.
Da hat er dann eines Tages die ganzen Uhren aus dem Fenster geschmissen und wollte keine davon mehr sehen.
„Ja, so ist das, meine kleine Luise-Maria. Man sollte halt niemals sein Hobby zum Beruf machen. Dann macht es nämlich bald schon keine Freude mehr“ Seufzte er.
„Aber die Mama ist doch keine Kuckucksuhr“, sagte ich, „ist es, weil sie sich einen Silikonbusen machen lassen hat und weil sie solche bunten elektrischen Gartenzwerge im Nachttisch hat?“
Er hat nur mit den Schultern gezuckt und gesagt:
„Das verstehst du nicht, Luise-Maria. Später vielleicht…“
Heute verstehe ich ihn.
Er war nämlich niedergelassener Frauenarzt und hatte eine Praxis auf dem Lande.
Eine Kuckucksuhr habe ich mir später auch nie in die Wohnung gehängt, weil ich Angst gehabt hätte, dass da mein Vater rausschaut und „Kuckucksei!“ ruft.
Ich kam dann in das freikirchliche Heim für elternlose Mädchen bei den Malteserinnen.
Weil mein Nachname „Gottlos“ ist und weil ich der Ordensschwester bei der Aufnahme gleich erklärt hatte, dass es ursprünglich der Name eines exkommunizierten Henkers war, hatte ich mich ab sofort „Schwester Lucrezia“ zu nennen und über meinen richtigen Namen zu schweigen.
Lange haben die Schwestern mich misstrauisch beobacht und bei jedem Schritt kontrolliert. Als sie dann aber gesehen haben, dass ich ganz eifrig die Lebensgeschichten fast aller Heiligen, besonders die der Heiligen Nonnen, Wundertäterinnen und Ordensfrauen gelesen habe und sie danach auch fast fehlerfrei wieder erzählen konnte, da war ich bald sehr beliebt bei ihnen und musste immer zum Essen von einem Heiligenleben erzählen oder vorlesen, zur Erbauung der anderen jungen Schwestern, Novizinnen und Probandinnen, wovon ich auch eine war.
Dafür bekam ich dann zweimal Gemüse und Kompott.
Fleisch habe ich nicht mehr gegessen, seit ich im Jahr zuvor mit ansehen musste, wie der Prinzipal vom Luigi, der Patrone Giovanni, unser „Pfeifchen“, mit einer Axt erschlagen und gesagt hat, dass er sie in der Pfanne braten wird, wie eine Roulade.
Pfeifchen war Luigis zahme Ratte, ein ganz liebes pfiffiges Tierchen und auch meine Freundin.
Luigi war mein geliebter Freund und ist der Vater meiner Zwillinge.
Ich weiß es, weil ich vor unserer Liebe drei Wochen krank gewesen bin und keinen anderen an mich ran gelassen hatte. Er weiß es aber noch nicht.
Er war der erste Mann gewesen, der mich wie eine richtige Frau und nicht wie einen löcherigen Putzlappen behandelt hat.
Mich hat der Patrone Giovanni ja dann auch gleich wie eine Ratte vom Schiff gejagt.
Daran muss ich immer denken, wenn ich jemanden Fleisch essen sehe, und es macht mich immer ganz traurig. Wegen Pfeifchen und wegen Luigi.
Eines Tages, im letzten Monat, bevor ich volljährig war, stand auch die Vorbereitung zum Gelöbnis für die angehenden Novizinnen bevor, die später richtige Nonnen werden wollten. Die Oberin hatte alle älteren Schwestern in ihrem Offizium zusammen gerufen, um sie alle in ihre Aufgaben einzuweisen.
Es sollte auch ein Mann, ein hoher Herr vom Malteserorden. kommen, um die angehenden Novizinnen zu befragen und zu examinieren. Ich weiß nicht mehr, wie sein Name und sein Titel war. Die Oberin und die Schwestern waren aber ganz aufgeregt, vor lauter Ehrfurcht.
Damit wir nicht im Heim herumliefen und dem Hohen Herrn in die Quere kamen, nahm mich unsere Schwester Maria-Martina beiseite und sagte:
„liebe Schwester Lucrezia, ich habe eine ganz wichtige Aufgabe für dich: Du nimmst bitte heute Nachmittag nach der Vesper und dann bis zum Abendmahl alle jungen Schwestern, die nicht bei dem Gelöbnis mit dabei sein müssen, in der Bibliothek zusammen und erzählst ihnen aus dem Heiligen Buch, das du gerade zuletzt gelesen hast. Welches ist es?“
„Hildegard von Bingen“, sagte ich eifrig.
„Gut“, lächelte sie zufrieden, “ja, das ist gut.“
„Soll ich ihnen auch gleich noch erzählen, warum es besser ist, dem weltlichen Leben und den Männern zu entsagen? Ich kenne mich da aus, hatte schlimme Erfahrungen damit“, fragte ich sie.
Schwester Maria-Martina sah mir zweifelnd in mein langnasiges Sommersprossengesicht, winkte dann ab und sagte nur:
„Na, was soll das denn schon gewesen sein?
Du wirst das schon machen, Lucrezia, das weiß ich.“
Alles fing auch ganz gesittet und normal an.
Aber als wir darauf zu sprechen kamen, dass die Hildegard von Bingen schon mal vermählt gewesen war und dann allem entsagt hatte, da kamen Fragen auf.
„War sie denn nicht glücklich mit ihrem Mann?“
und
„Wie soll man denn mit einem Mann glücklich sein, wie geht denn das?“
und
„die Männer sind doch alle Schweine, habe ich gehört“
…und so weiter.
Da kam dann aber doch eine entrüstete Stimme aus dem Saal:
„Du beleidigst damit auch unseren Herrn Jesus Christus, mit dem wir ja alle nach dem Gelöbnis vermählt sein werden, wenn wir als rein genug befunden werden. Der war doch auch ein Mann!“
Gleich erhob sich Widerspruch:
„das ist doch ganz etwas Anderes! Der Herr Jesus Christus war doch kein gewöhnlicher Mann, der konnte Wunder tun. Der konnte sogar über das Wasser von einem See laufen!“
„Na und? Vielleicht können ja die anderen Männer auch Wunder tun.
Es gibt ja so viele Heilige.
Und wenn dir ein Mann ein Kind machen kann, ist das denn nicht auch ein Wunder?
Lucrezia, ich habe gehört, dass du auch schon Kinder hast.
Können Männer Wunder tun? Ich meine, solche kleinen Wunder…?“
Da wusste ich erst gar nicht, was ich sagen sollte und habe lange überlegt.
Dann habe ich ihnen von meinem Baro Xaver erzählt, der mit der Brust eiserne Ketten sprengen konnte und mit dem nackten Hintern einen langen Hufnagel aus einem Brett ziehen, (das er vorher immer über die Nacht lange in Olivenöl eingeweicht hatte, so dass man den kleinen Spalt darin nicht sehen konnte).
Und ich habe ihnen auch erzählt, wie der Xaver mich das erste Mal genommen hat, dass ich dachte, er reißt mich mit seinem Knüppelding unten am Bauch auseinander, wie ein gebratenes Huhn.
Und wie es geblutet und wie höllisch es geschmerzt hat, so dass ich zwei Tage nicht richtig laufen und sitzen konnte und auch sonst nichts, auch nicht tanzen.
Nicht erzählt habe ich ihnen, wie mir seine Schwester, die Hannah, am dritten Tag eine saftige Watschen gegeben und gesagt hat, dass ich mich nicht so zieren soll, wenn der Xaver mir schon die große Ehre antut.
Es ging ja hier um Männer und nicht um Weibsbilder.
Und die Männer wollte ich ihnen ja ausreden.
Von meinem Luigi habe ich ihnen nichts erzählt, weil das ja kein Mann wie die anderen Mannsbilder war und mein heiliges Geheimnis. Der Luigi war für immer ein Teil von mir und entblößen wollte ich mich hier ja nicht.
Dann ist auf einmal die Frau Oberin mit dem Hohen Ordensherren hereingekommen, weil sie ein Buch aus der Bibliothek holen wollten.
Und die Mädels haben dem Hohen Herrn alle ganz gespannt vorne und hinten auf die Mitte seiner Soutane gestarrt, weil sie herauskriegen wollten, wie so ein Knüppelding aussieht und ob der Hohe Herr vielleicht auch einen dicken Nagel mit dem Hintern irgendwo herausziehen könnte.
Das muss er wohl gemerkt haben und die Frau Oberin auch.
Das Novizinnen-Gelöbnis wurde um ein Jahr verschoben.
Der Hohe Herr ist sofort abgereist
Sie haben dann das Heim für drei Wochen für die Öffentlichkeit gesperrt und alle Mädels wurden vernommen. Mich haben sie vorzeitig als volljährig entlassen.
Als ich am letzten Tag am Offizium vorbei ging, hörte ich die Oberin und die älteren Schwestern laut kichern.
Das war aber wirklich die einzige Katastrophe, die ich im Heim ausgelöst habe.
Leider aber nicht die Letzte.