Fünf Jahre
»Soo, lieber Herr Ass. Jur., mein lieber International Master of Applied Economic Sciences, CEO, CIA, C3P0 und was sonst noch auf Ihre Visitenkarte passt …Nachdem wir jetzt ein bisschen Ruhe in die Sache gebracht haben, können wir reden. Genauer gesagt, ich rede. Sie hören zu. Geht ja auch gar nicht anders mit dem Klebeband auf dem Mund. Außerdem haben Sie sowieso schon viel zu viel geredet.
Und Sie, liebe Frau – haben Sie eigentlich auch irgendwelche Titel? Egal, jedenfalls brauchen Sie gar nicht dauernd zur Tür zu schielen. Ich weiß, dass Sie drei Kinder haben. Tut mir übrigens leid, dass Sie mit den beiden Kleinen da reingeraten sind. Das sollte eigentlich eine Veranstaltung für Ihren Ältesten sein, schließlich geht der auf die selbe Wirtschaftsakademie wie Ihr Mann und wollte die gleiche Karriere einschlagen.
Da habe ich Sie nun schon wochenlang beobachtet und trotzdem konnte ich nicht ahnen, dass sie früher aus den USA zurückkommen. Na ja. Wer weiß wofürs gut ist. Zum Glück habe ich ja genug Klebeband eingepackt.
Wenn ich Ihnen was raten darf, Herr CEO, dann halten Sie Ihren Arm ruhig und reißen nicht so am Klebeband, sonst fängts wieder an zu bluten. Und seien Sie froh, dass ich keins von meinen eigenen Küchenmessern mitgebracht habe. Die sind nämlich nicht so scharf wie Ihr japanisches Designerding hier. Damit hätte es wahrscheinlich noch viel länger gedauert, Ihnen die Finger abzuschneiden. War übrigens gar nicht so befriedigend, wie ich mir das vorgestellt hatte.
Eigentlich wollte ich Ihnen nämlich nicht nur die fünf Jahre vor Augen führen, die ich arbeitslos war, sondern auch die fünf Jahre, die meine Frau mit einem depressiven Mann aushalten musste. Die fünf Jahre, in denen sie gelitten hat, weil sie nicht wusste was sie tun konnte. Außer noch einen Scheiß-Putzjob anzunehmen, damit wir über die Runden kommen. Und dann noch die fünf Jahre, die meine kleine Tochter im Schlaf geweint hat, weil Mama und Papa sich dauernd angeschrien haben.
Jetzt fragen Sie sich sicher, was das mit Ihnen zu tun hat. ’Türlich. Sie haben ja nur Ihren Job gemacht. Schöne Ausrede. Das hab ich auch. Bis Sie gekommen sind.
Sie und Ihr Hedgefond haben die Firma, in der ich gearbeitet habe, mit Absicht an die Wand gefahren. Wofür? Für die paar Millionen, für die Sie die Reste verramscht haben? Damit sich ihr Lebenslauf interessanter liest? Was haben Sie dafür bekommen? Bonus? Ne Beförderung? Ich und etliche andere Kollegen haben dafür Hartz IV bekommen. Und Depressionen. Können Sie sich vorstellen, was es bedeutet, morgens nicht zu wissen wofür man aufstehen soll? Wenn man arbeiten will, weil man seiner kleinen Familie ’n bischen was bieten möchte? Und man kann nicht? Man kann es einfach nicht? Haben Sie einen blassen Schimmer, was es heißt, in meinem Alter arbeitslos zu werden? Wenn Motivation und Können nichts mehr zählen? Wenn die Personaler bei hunderten von Bewerbungen auf jeden Scheiß-Job zuerst nach dem Geburtsdatum gucken und die Mappe dann gleich wieder zurückschicken? Wahrscheinlich nicht.
Aber vielleicht lernen Sie ja heute ein bischen was. Kann nicht mehr lange dauern. Ja, ich hab das da draußen auch bemerkt. Das wird Ihr Sohn mit der Polizei sein. Was glauben Sie, warum ich die Vorhänge auf gelassen habe und hier immer noch mit dem Messer rumfuchtel?«
KLIRR
»Aah! Scheiße, tut das weh! … Bauchschuss? Was soll das denn? Sparen die jetzt schon bei der Scharfschützenausbildung?
Verdammt, ihr Pappnasen da draußen! Was ist mit dem finalen Rettungsschuss zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben in Brust oder Kop