Die Heilung
© Nisham 11/2011Fortsetzung von: „Die Grube“, „Der Dolch“, „Das Feuer“, „Die Unruhe“, „Die Verfolgung“ und „Das Tier“
Kurzgeschichten: Das Tier
Die beiden Männer stehen im Sonnenlicht. Sie sind dunkel. Eigentlich schwarz; außerdem sind sie nackt und haben wirre Haare.
Ein jeder trägt einen Speer mit einer scharfen Spitze dran. Mag hat ihre Axt in die Hand genommen. Ich bin zu schwach, kann kaum den Kopf heben. Die beiden Männer haben Mags Axt gesehen; sie legen ihre Speere nieder – ein gutes Zeichen.
Mag löst ein wenig ihren Griff um meinen Arm als die beiden Männer die Böschung herunter kommen. Wenige Schritte vor uns bleiben sie stehen und gehen in die Hocke. Mag hat ihre Axt neben sich gelegt. Einer der Männer spricht mit seltsamen Lauten, völlig unverständlich. Mag schaut mich an und ich kann nur schwach den Kopf schütteln. Dann deutet er auf den Kadaver des Tieres, auf unser Feuer, den Topf und nickt.
Mag scheint zu verstehen: sie haben Hunger und fragen ob sie etwas zu essen haben können. Sie richtet sich auf und macht eine einladende Geste, sagt ihnen, dass sie essen sollen. Die Worte haben sie sicher nicht verstanden, die Einladung schon.
Der eine, ein junger muskulöser Kerl, kauert sich sofort neben die Feuerstelle und greift zu, während der Andere, der deutlich älter scheint und mir sehr drahtig vorkommt, nur zögerlich zugreift.
Der Ältere lässt mich dabei kaum aus den Augen und schaut immer wieder auf mein in Lappen eingewickeltes Bein. Sie unterhalten sich und sprechen auch zu uns. Mag versucht zu antworten obschon sie sicher nichts versanden hat.
Nach einer Weile erhebt sich der ältere Mann, der mich so lange angeschaut hat. Er geht die Böschung hoch und bleibt dort stehen wo wir sie zum ersten Mal gesehen haben. Er dreht uns den Rücken zu und scheint konzentriert in die Ferne zu schauen. An einer Art Schnur um seine Hüften hängt ein bogenförmiges, flaches Stück Holz; ich kann mir keinen Reim daraus machen. Nach einer Weile kehrt er zurück, ergreift den nun fast leeren Eisenkessel und geht mit ihm zu unserem Wasserloch. Er kommt mit dem gefüllten Topf zurück. Derweil kauert der andere weiter wenige Schritte neben uns. Er hält die Augen geschlossen und wiegt sich leicht hin und her. Manchmal habe ich den Eindruck, als würde er ganz leise Töne von sich geben.
Kurz bevor die Sonne untergeht tauchen an der Böschung weitere dunkelhäutige nackte Menschen auf. Einige Männer und Frauen; auch ein paar Kinder. Sie alle schauen uns mit großen Augen an. So wie wir sie wohl auch anschauen.
Sie schleppen einige Bündel aus Tierhäuten und Fellen mit sich. Alle Männer haben Speere in der Hand und alle, Männer wie Frauen, tragen diese komischen gebogenen flachen Holzstücke an einem Gürtel.
Zwei ältere Frauen – ich denke sie sind älter, weil ihr Haar schon weiß ist und ihre Brüste schlaff herunterhängen - kauern sich neben mich während die anderen über uns, unter den Bäumen, ihr Lager aufschlagen.
Sorgfältig entfernen die Frauen den Lappen, den Mag um mein Bein gewickelt hat. Mag schaut zu ohne ein Wort zu sagen. Sie hat meine Hand ergriffen. Wir sind auf diese Menschen angewiesen. Mag hat alles getan was sie konnte.
Ich muss eingeschlafen sein, denn es ist dunkel. Neben mir flackert ein Feuer und ich liege nicht mehr im Bachbett sondern oben, neben der Baumgruppe, nackt auf einem Fell.
Eine der alten Frauen schmiert grad etwas sehr streng Riechendes in meine Wunde. Es brennt und kühlt zugleich, so dass ich laut stöhnen muss. Dann fährt sie mit ihren Händen über meinen Körper und reibt mich mit einer noch übler riechenden bräunlichen Flüssigkeit ein.
Dieses Zeugs trägt sie in ausgehöhlten, köcherartigen Aststücken an ihrem Gürtel. Im flackernden Licht des Feuers erkenne ich Mag, die an meiner Seite sitzt. Rings um uns und um das Feuer sitzen all diese fremden Menschen. Sie wiegen sich sie singen. Ein ungewöhnlicher Gesang, der aus tausend kehligen Mündern zu kommen scheint.
Das meiste was in dieser Nacht geschah hat Mag mir erst später erzählt; denn ich war die meiste Zeit schlafend oder nicht wirklich ansprechbar.
Ich erwache, als die Sonne gerade über den Horizont steigt. Mag liegt dicht neben mit und schläft tief. Wir sind mit einer unserer Hängematten zugedeckt. Das Feuer ist nur noch ein Rest Glut.
Ich fühle mich frisch und erholt. Mein Kopf ist wieder klar und als ich mich aufrichte, wacht auch Mag auf. Sie schaut mich an. Lächelt – zum ersten Mal seit ewigen Zeiten, dann umarmt sie mich heftig.
Ich habe Hunger und Durst, schäle mich aus der Hängematte und stelle fest, dass ich immer noch nackt bin. Mein Körper ist mit brauner Farbe verschmiert. Als mein Blick auf mein Bein fällt, ist da keine Spur mehr von einer Wunde.
Nur die Haut ist gerötet. Ich berühre mein Bein ganz vorsichtig, doch nichts tut weh, nicht wirklich. Hab ich das alles nur geträumt?
Mag macht große Augen und auch sie fährt ganz sanft über die gerötet Haut. Sie schüttelt den Kopf. Schaut zu mir, dann zu diesen dunkelhäutigen Menschen, die unter der Baumgruppe schlafen. Tausend Fragen stehen in ihrem Gesicht geschrieben. Sie erzählt mir nur kurz und etwas abgehackt, dass all diese Menschen die ganze Nacht um uns herum gesungen und getanzt hätten und sich erst zum Schlafen hingelegt hätten, als die Dämmerung anbrach. Ich stehe auf und ziehe mich an, denn mir ist nicht wohl bei dem Gedanken so ganz nackt zu sein.
Mag und ich trinken Wasser am Wasserloch. Sie haben das Loch vergrößert und vertieft, so dass es genügend Wasser hat um unseren Durst schnell zu löschen. Danach bleiben wir auf einem großen Stein nebeneinander sitzen und blicken in die Ferne, in dieses fremde Land, das unser Land sein wird.
Doch wie soll es weiter gehen? Mag spricht es aus: ohne diese Menschen wärst du wahrscheinlich bald gestorben und ich hätte doch ohne dich weder überleben können noch wollen. Eins erscheint uns beiden klar, als wir uns leise unterhalten: alleine würden wir es hier nicht schaffen – es ist alles so anders als dort, wo wir herkommen. Bedeutet das, dass wir mit diesen dunkelhäutigen Menschen, die wir nicht verstehen – und sie uns auch nicht – mitgehen sollen?
Die Sonne steht schon weit oben am Himmel, als die Menschen langsam erwachen und einige Frauen sich um das Essen kümmern.
Von unserem eisernen Kessel scheinen sie besonders begeistert zu sein. So was haben sie wohl noch nie gesehen. Das ist so etwas wie ein großer Eintopf, mit Fleisch und einer Art Gemüse – wo haben die denn Gemüse her, durchfährt es mich? Da sind Knollen, die wie Möhren schmecken und so was, was mich an Zwiebeln erinnert. Auch Grünzeug, das dem Ganzen einen sehr würzigen Duft gibt.
Mag und ich stehen vor einer Entscheidung. Dies ist ja nicht das erste Mal. Mit dem Schiff haben wir alles verloren. Wir sind in einem Land gestrandet, das voller Geheimnisse ist und wir befinden uns wohl sehr weit weg von der neuen Kolonie, wo wir hin sollten. Also werden wir hier ein ganz anderes neues Leben anfangen müssen. Mag und ich sind uns schnell einig – doch was werden diese Menschen – die so unglaubliche Fähigkeiten haben – mit uns tun?