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Die Schreiberin

Die Schreiberin
© Nisham 11/2011


Fortsetzung von: „Die Grube“, „Der Dolch“, „Das Feuer“, „Die Unruhe“, „Die Verfolgung“, „Das Tier“, „Die Heilung“, „Die Entscheidung“ und „Der Ochsenkarren“


Kurzgeschichten: Der Ochsenkarren


Nun sitze ich unter dem Eukalyptusbaum in dessen Schatten Siobhans Vater Sean einen roh gezimmerten Tisch gestellt hat. Sie sitzt auf ihrem etwas wackeligen Stuhl. Vor ihr auf dem Tisch ein Stapel Papier – unbeschriebenes Papier. Darauf ein Stein, damit die Blätter nicht wegflattern können. Daneben ein weiterer Stein, der die beschriebenen Blätter beschweren soll. Und dazwischen ein Tintenfass und Schreibfedern.

Siobhan schaut mich aufmunternd an, also beginne ich zu erzählen. Es fällt mir schwer, weil die Erinnerung doch weit zurück liegt. Ich erzähle von Mag, wie sie in meinem Leben auftauchte und dieses immerfort so lebenswert gemacht hat. Ich erinnere mich an die Grube… an unsere schier unendliche Reise… an das Segelschiff mit den Häftlingen, die in die Verbannung transportiert wurden… an das Feuer auf dem Schiff und den Schiffbruch… an unsere ersten Schritte in diesem fremden Land… und natürlich auch von unserer ersten Begegnung mit den Eingeborenen.

Einige Tage lang erzähle ich, denn die Erinnerungen tauchen nur langsam auf. Siobhan hört zu und immer wenn sie schreibt, schweige ich und lausche dem Kratzen der Feder. Sie schreibt in einer schönen, klaren Schrift, strahlt dabei und schaut mich oft verwundert an. Manchmal fragt sie nach, um sich zu vergewissern ob sie mich auch richtig verstanden hat.

Wir sitzen hier im Schatten, denn nur hier ist die Hitze erträglich. Ich fühle mich in Räume nicht mehr wohl. Zu sehr habe ich mich an das Leben im Freien gewöhnt, brauche den Himmel über mir; am Tag wie auch des Nachts.

Siobhans Mutter zeigt sich nicht oft, sie ist mit ihren täglichen Arbeiten im und um das Haus viel beschäftigt und macht immer einen Bogen um uns. Will sie uns nicht stören oder fühlt sie sich in meiner Anwesenheit nicht wohl? Sean hingegen setzt sich ab und zu uns und hört zu.

Über unser Leben das Mag und ich hier in einer kleinen Gruppe geführt haben, erzähle ich nicht viel. Auch möchte ich nicht, dass Siobhan das alles aufschreibt. Zu unverständlich erscheint es mir für diese Menschen zu sein, die ein Leben so eng und mit Besitz führen. Diese Rastlosigkeit – wie Sean das immer wieder nennt – das ist schwer zu verstehen. Obschon es keine Rastlosigkeit ist, sondern ein Leben mit dem Land, dem Bedürfnis immer nur wenig zu nehmen, gerade das, was wir zum Leben brauchen. Um dann weiter zu ziehen. Noch weniger versteht Sean, dass wir so gut wie nichts besitzen und dass wir kein Bedürfnis nach Besitz kennen.

Ich erzähle, dass wir uns gelegentlic an heiligen Stätten versammelt haben und nächtelang Tänze aufgeführt, gesungen und Geschichten erzählt haben. Ja, ich finde es immer noch erstaunlich und ertappe mich, wie ich das Lied des Kängurus summe, wenn ich eins dieser Tiere sehe. Oder das des Kakadus der Wasserschildkröte, der Echsen, sogar der Krokodile.

Doch was schlimmer als alles ist, Mag ist nicht mehr bei mir.
Es sind jetzt schon mehrere Monde her, dass wir unsere Toten begraben haben. Für mich war Mag immer noch die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Mit ihren weißen, mittlerweile so wirren Haaren, ihrer inzwischen auch ledergegerbten dunklen Haut. Nur an ihrer geraden Nase war sie noch zu unterscheiden von allen anderen Menschen hier in unserem Leben. Sie war nicht mehr ganz so schlank gewesen, doch sie hatte immer noch diesen anmutigen Gang und war ausdauernd wie eh und je.

Nie sah man ihr an, dass sie vier Kinder hatte. Ja, unsere Kinder, die beiden Jungs und die beiden Mädchen. Sie haben sich anderen Gruppen angeschlossen. Leben wie wir - unterwegs. Und auch sie haben Kinder. Wir haben sie gesehen, nicht oft, doch immer wieder mal.

Mag und ich haben oft darüber geredet, ob wir das durften, unsere Kinder so werden zu lassen, wie wir geworden sind. Doch immer wenn wir mit den Kolonialisten Kontakt hatten, wurde uns klar, dass dies kein Leben sein könnte. Es war nicht für uns bestimmt gewesen und so sollte es auch nicht für unsere Kinder sein. Wir haben ihnen dennoch unsere ureigene Sprache mitgegeben, damit können sie im Kontakt mit den Siedlern besser klar kommen.

Siobhan hat viele Blätter voll geschrieben. Und abends, wenn wir mit ihrer Mutter und ihrem Vater auf der Veranda sitzen, gegessen haben und die Nacht auf uns herabsinken lassen, liest Siobhan vor, was sie an diesem Tag aufgeschrieben hat. Mir kommt es immer etwas merkwürdig vor, meine Worte aus einem anderen Mund zu hören.

Wer weiß, wie meiner Worte aus noch weiteren Mündern klingen werden, wenn vielleicht eines Tages doch noch andere Menschen unsere Geschichte lesen werden. Sean hat mir gesagt, dass er jemanden in der Stadt kennt, der eine Druckerei hat, die eine Zeitung herausbringt. Ich habe keine Ahnung, was eine Zeitung ist, doch Sean hat mir ein solches Ding gezeigt; da stehen Nachrichten über die Leute, die in der Gegend wohnen, leben und arbeiten. Ich kann das nicht wirklich verstehen.

In einer Nacht wache ich auf und höre eine ferne Stimme in meinem Kopf. Eine Stimme, die mich ruft. Ich stehe auf, gehe zum Wassertrog um mich zu waschen. Da erscheint Siobhan und fragt mich, was los sei; es gibt) erst schwache Anzeichen, das bald ein neuer Tag beginnen wird. Ich sage ihr, dass ich gleich weg muss, dass ich gerufen werde. Siobhan nickt, doch ich denke nicht, dass sie versteht. Ich höre im Haus Stimmen und Poltern – Sean hat uns wohl gehört und ist aufgestanden. Also spreche ich noch zu Siobhan und verspreche ihr, ihre Augen mit in das weite Land zu nehmen, dass sie all diese Wunder der Landschaft auch mal sehen kann. Das ist eine Fähigkeit, die ich hier gelernt habe – Gedanken und Bilder an einen anderen Menschen zu schicken, der weit weg von mir lebt. Siobhan schaut mich fragend an, doch ihre Augen leuchten. Dann steht Sean da. In wenigen Worten sage ich ihm, dass ich nun gehen werde, mich gerade von Siobhan verabschiedet habe. Sean stutzt, doch ich erläre ihm auch, dass wir uns nie verabschieden, denn wenn wir dies tun, könnte es sein, dass sich unsere Wege nie wieder kreuzen würden. Denn reicht er mir seine Hand. Er wünscht mir alles Gute und meint, dass ich hier jederzeit willkommen bin.

Nachtrag

Ich bin Siobhan, lebe mit meinen Eltern und meinen beiden Brüdern im Outback auf einer Schaffarm. Seit einem Unfall in meiner Kindheit ist mein Bein verkrüppelt und ich bein keine grosse Hilfe auf der Farm.

Und so hat mir mein Schicksal diesen erstaunlichen Mann hergebracht, dessen Geschichte ich nun aufgeschrieben habe. So wie er sie mir erzählt hat. Tagelang hat er geredet, erzählt. Über das „vorher“ und das „Woher“. Und auch ein kleine wenig über das „Nachher“. Doch was dazwischen war, all diese Jahre, die er hier mit den Eingeborenen verbracht hat, mit seiner Frau Mag und ihren vier Kindern, darüber hat er kaum etwas erzählt. Außer, dass es ein wunderbares Leben ist, ohne Besitz und ohne Besitzgedanken zu leben und zu wandern. Weil die Natur doch alles hat und gibt, was ein Mensch braucht.

Yottu – so hat er sich genannt – seinen ursprünglichen Namen hat er vergessen – sagte er. Nun sitze ich da, unter dem Eukalyptus, wo ich zugehört und geschrieben habe. Yottu ist heute im Morgengrauen weg. Ich habe ihm lange nachgeschaut, wie er der aufgehenden Sonne entgegen gegangen ist Nun sitze ich da, unter dem Eukalyptus, wo ich zugehört und geschrieben habe.

Mein Vater meinte vorhin beim Frühstück, er würde, wenn er das nächste mal in die Stadt gehen wird, dort den Mann, der die Zeitung druckt fragen, ob er die Geschichte von Yottu auch drucken würde…

Meine Traurigkeit geht in Gedanken mit Yottu auf seine Wanderung…


Titelsuche
Was den Ursprung in einer einzigen Kurzgeschichte hatte, wurde zu einer kleinen Sammlung von zehn Episoden.

Danke an all diejenigen, die hier so eifrig mitgelesen haben. Ich muss ja gestehen, ich wüsste am Anfang auch nicht wohin die Reise gehen würde und wie die Geschichte ein Ende finden könnte.

Nun suche ich einen Haupttitel.

Ich fände es toll, wenn ich hier einige Vorschläge erhalten würde.

Und sollte ich mich für einen der gemachten Vorschläge entscheiden, gäbe es sicher eine kleine „Belohnung“…

Nochmals *danke*

Nisham

******_46 Frau
1.294 Beiträge
Vielen Dank
für die wunderschönen Geschichten, die ich sehr gerne gelesen habe!

Du hast uns mit deinen Worten auf eine fantastische Reise mitgenommen, die leider schon zu Ende ist.

Vielleicht kommt mir ein Titel in den Sinn, ich werde es dich wissen lassen.

Carmen
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