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Horror

****e_a Frau
583 Beiträge
Themenersteller 
Horror
Beata sitzt auf ihrem Balkon an einem Plastiktischchen. Es ist dunkel. Beata dreht ein Glas in ihren Händen. Ein Rest von Flüssigkeit perlt auf dem Boden hin und her. Es riecht nach Wodka. Beata hat getrunken. Sie gähnt. Warum hat er mir diese Tulpen geschenkt? Beata zieht sich ihr Wolljäckchen enger um den Leib und wirft einen Blick in ihr Wohnzimmer. Da stehen sie. Starre, kalte Ungeheuer in ihrer schwarzen Pracht.

Wie schön hatte sich Beata gefühlt, als sie in ihrem neuen, hellen Kleid ins Restaurant trat. Mit klopfendem Herzen, wie es sich gehört. Umherblickte. Wo? Er sass an einem Fenstertisch. Sie hatte ihn sofort erkannt. Dasselbe grüne Hemd wie auf dem Foto. Der Mann im grünen Hemd. Er nippte an einem Bier, stellte das Glas sorgfältig auf den Tisch zurück, drehte es versunken auf dem Bierdeckel im Kreis. Beata war glücklich. Diesmal wird alles gut. Auf einem fliegenden Teppich schwebte sie auf ihn zu. Rolf? Der Mann im grünen Hemd zuckte zusammen. Dann blickte er auf. Beata stand nun vor ihm, lächelnd. Rolf starrte sie an, wie tot. Hallo. Beatas Lächeln gefror zu einer Maske. Die sie anbehielt, während sie Bratwurst mit Rösti assen, er von seinen zahlreichen Versicherungsgeschäften sprach, oder seinen Erwägungen im Hinblick auf den Erwerb eines Golf GTI oder doch lieber eines Audi Quatro, seiner Aufregung wegen dem neuen, weissen Ledersofa, oder schlussendlich von der Sorge über den Verkauf der Wohnung seiner verstorbenen Mutter. Rolf sprach lange. Beata strich mit ihrem Messer nicht mehr vorhandene Saucenreste auf ihre Gabel. Beim Mailen hat er sich immer sehr kurz gefasst, schoss es Beata durch den Kopf. Und er machte mir Komplimente. Der Mann im grünen Hemd bestellte die Rechnung. Es war nett, sagte er. Ja, sagte sie. Ihr Gesicht verlor die Maske und offenbarte ausschliesslich elende Traurigkeit. Dann bückte sich der Mann im grünen Hemd unter den Tisch und erschien mit einem Straus. Einem Strauss schwarzer Tulpen. Ob sie den Weg nach Hause alleine fände? Er müsse nochmals kurz weg. Beata lachte auf. Er drückte ihr den Strauss an den Körper, nickte ihr aufmunternd zu und zwinkerte dabei. Mit seinem linken Auge. Beates nahm den Strauss mit beiden Händen entgegen. Und sie bewegte sich aus dem Restaurant. Die schwarzen Tulpen vor sich her tragend. Wie eine Botschaft.

Beata kippt den Rest Wodka in einem Zug. Sie steht auf, schwankt auf die Vase zu. Die schwarzen Tulpen fliegen wie angeschossene Vögel übers Balkongeländer. Beata weint.
Der Horror zu hoch geschraubter Erwartungen, die nur enttäuscht werden können?

Ich mag deine Art, knapp und trocken Dramen zu beschreiben, die alle Emotionen dahinter genauso weggestopft spüren lässt, wie es die Personen offensichtlich tun.
Ich mag die kleinen Details, die überflüssig wirken, aber es ganz bestimmt nicht sind (mit dem linken Auge, Wolljäckchen)
Ich mag, wie er einen Namen kriegt, aber dann doch wieder nur der Mann im grünen Hemd ist und bleibt.

Würde gerne wissen, ob du einfach drauf los schreibst, und dann extrem kürzt oder von Anfang an so "essentiell" bist.
****e_a Frau
583 Beiträge
Themenersteller 
erwartungen
an sich. dieses sich wiegen in der vorsehung. dieses mal, ja. dieses mal. dieses immerwährende verschieben des lebens in die zukunft. das macht den horror. in unserm kopf.

freut mich, dass meine art des schreibens anklingt.

ich kürze wenig. die geschichte formiert sich in mir, in ihrer essenz. ich öffne mich, und sie schreibt sich. dann schau ich sie mir an. und schmeisse sie fort. oder behalte sie. dann les ich sie wieder. wochen später. und diejenigen sätze oder wörter, bei denen sich in meinem bauch was regt nehm ich genauer unter die lupe. entweder fliegen die dann raus, werden ersetzt oder ergänzt. voilà.

und das macht spass!
Sprachlich perfekt
das Grauen beschrieben. Mehr Worte braucht Sprachlosigkeit nicht!
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Ich mag die schlichte Sprache, die mit einfachen Worten einfache Menschen zeigt, die gar nicht so einfach sind.
@ alisea
Ich entwickle mich langsam zu einem Fan Deiner knappen Stories.
Die Sprache, in der Du sie erzählst, kommt bei mir als sehr präzise
an und lässt dennoch eine Menge Raum zum Ausfüllen der Szenerie.
Klasse. *top*
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Blick-Zombies, die Blumen verschenken, die den Tod symbolisieren.

Das sind sehr starke Symbole. Ich weiß nicht - so ging es mir beim Lesen durch den Kopf - ob sie nicht ZU stark sind für eine an sich nicht mehr als belanglose Begegnung.

Aber es mag sein, dass das einfach meine persönliche Sichtweise dieser Dinge ist. Ich setze in Dates nicht diese Form von Hoffnung, die dann leben oder sterben kann.

Aber Deine Schreibe gefällt mir nach wie vor.
*****ine Mann
911 Beiträge
Ehrlich gesagt bin ich mir gerade nicht schlüssig, wer in dieser Geschichte die größere Horrorgestalt ist: der Blumenzombie oder die Balkonsäuferin, die aus den Händen anderer Menschen ihr Glück erwartet.

Am Ende liegt der Horror in der Banalität des Perspektivlosen, die beide Figuren vereint.
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Wenn ich mich entscheiden müsste:

für mich persönlich wäre der Autokauf-Planer mit dem geschmacklosen Grünzeug bei weitem harmloser als die Wodka-Trinkerin. "Die Erwartung von Glück aus den Händen anderer" ist eine sehr treffende Beschreibung für dieses weit verbreitete Gruselphänomen.
****e_a Frau
583 Beiträge
Themenersteller 
Die Erwartung von Glück aus den Händen anderer (Superformulierung!) trifft auf autistischen Zombie mit Vampirgehabe. Auch solche Gestalten bevölkern unsern Planeten. Sie leben am Leben vorbei. Das ist traurig. Tut jedoch nicht eigentlich weh. Leben gelebt in der Form der Vorstellung, Ablenkung und Abgrenzung. Wenn dann das erstarrte Grauen eines Tages direkt auf die Brust gedrückt wird, kann das ein Auslöser zum Leben werden. Und zum Leben gehören auch Tränen. Da fliesst was. Oder?
Die Vorstellungen darüber, was Glück sei, gehen weit auseinander.
*****ine Mann
911 Beiträge
Warum weinst du, Beata?

So, wie sich die Szenerie darstellt, freut sich die Hauptperson auf ihre Verabredung, diese Freude wird jedoch enttäuscht, weil statt des erwarteten kurzgefassten, komplimentemachenden Erwarteten der Blumenzombie am Tisch sitzt. Weint sie am Ende über das Ausbleiben ihres Wunschpartners, der ihr ein Quantum Glück beschert hätte, somit über das Ausbleiben jenes eigenen Glücks?

Oder weint sie um seinetwillen, aus Mitleid mit seinem verschenkten Leben? Und warum betäubt sie sich durch Alkohol? Welchen Schmerz will sie damit ertränken?

Diese Hauptperson wirft, scheint es, ein paar Fragen zu viel auf, um hier nicht auch mehr Betroffene als Betreffende sein zu können.
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Ja, das ist es auch, was mir durch den Kopf ging...

Wieso ist sie so düster? Wieso trinkt sie? Wieso empfindet sie "Horror"? Oder IST sie am Ende selbst der Horror?
nochmal Kaminlesung
****ra Frau
12.347 Beiträge
Ich stelle mir dieselben Fragen wie Bedouine und Sina. Warum weint Beata? Ertränkt sie ihr Selbstmitleid?
Alisea sagt: da fliesst was.

Sie weint, weil es ein Scheiß-Date war, weil ihre Hoffnungen sich nicht bewahrheitet haben, weil sie vielleicht denkt, niemals jemanden zu treffen, mit dem es klickt.

Das Ende gefällt mir, weil sie mit dem Rauswerfen der Blumen einen Schlussstrich zieht, endlich etwas tut. Beim nächsten Mal wird sie sich die Typen, mit denen sie sich verabredet vielleicht besser aussuchen, oder weniger erwarten. Oder andere Wege suchen, oder die Augen öffnen für die, die bereits in ihrem Leben sind...

Die Blumen wegzuwerfen, sie nicht in der Wohnung behalten zu können, ist ein gutes Zeichen. Eine erste Veränderung ihres Verhaltens.

Dass autistische Zombies selbst nicht so sehr darunter leiden, so zu sein, wie die die unter oder wegen ihnen leiden, halte ich für falsch. Sie lassen sich vielleicht nicht sehr erdrücken, weil sie es nicht wahr haben wollen, aber sie spüren es, wie anders, tot, gefühllos sie sind. Ich bin sicher, selbst der Mann im grünen Hemd kennt Sehnsucht, wenn er andere lachen und mit Freunden sieht. Warum geht er sonst auf Dates und kauft Blumen.
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Und warum im Himmel kauft er schwarze Blumen, wenn er sich angeblich nach Zweisamkeit sehnt? *gruebel*
internet sagt über Blumensprache:

Schwarze Tulpe Mit Dir in tiefster Leidenschaft vereint. Ich tue alles für dich.
Vielleicht hat er das mit Absicht rausgesucht, und ist ihm nicht klar ds schwarz für manche einfch düster und traurig aussieht?

ob er sich nach Zweisamkeit sehnt, weiß ich doch auch nicht. Warum geht er zu Dates?
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Oh, das mit der Bedeutung der schwarzen Blume ist ja interessant. Und durchaus überraschend.

Ich zumindest hatte das nicht so verstanden...

@****ea: wusstest Du um die symbolische Bedeutung von schwarzen Blumen und hast sie deshalb ausgewählt?
****e_a Frau
583 Beiträge
Themenersteller 
Beata und Rolf
können einen nerven, weil sie so unbewusst, gefangen und abhängig sind. Ihr Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein befinden sich unter Null. Beide sind grotteneinsam und ohnmächtig. Beata hofft, eines Tages von ihrem Traummann gerettet zu werden. Rolf labert aus lauter Unsicherheit sein Gegenüber voll. Verlorenes Mädchen trifft auf verlorenen Jungen. Die schwarzen Tulpen wurden Rolf von einer Verkäuferin empfohlen, das sei was ganz Spezielles. Weil er Angst hat vor Frauen, reicht er Beata den Strauss erst beim Abschied. Für Beata sind diese Tulpen der versinnbildlichte Horror. Und den haut sie über das Balkongeländer und kann endlich weinen. Trinken tut sie, damit sie nichts mehr fühlt tief drinnen.

Kennt ihr keine solchen Menschen?
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Ja, doch.

Menschen mit zu hohen Erwartungen und Hoffnungen, die immer wieder zerstört werden.

Sehr beklemmend.

Du hast die Symbole Deiner Geschichte offenbar mit viel Bedacht gewählt.
*****ine Mann
911 Beiträge
Stimmt, das macht Sinn. Die Auswirkungen der psychischen Abgründe sind treffend wiedergegeben.
Und ja, solche Menschen nerven, auch wenn sie selber es nicht wissen und eigentlich Mitleid verdienen. Eigentlich...
****e_a Frau
583 Beiträge
Themenersteller 
mitleid verdienen die nicht unbedingt. eher einen freispruch. sprich keine verurteilung. für ihr so-sein. einfach so stehen lassen.
**********_stgt Frau
1.355 Beiträge
Es ist das Ungesagte,
das "Vorher und Nachher",
was den Horror in mir auslöst!


Du lässt den Leser nachdenken ...

... ich mag das!
*****ine Mann
911 Beiträge
"Freispruch" ist ein guter Ausdruck und ein treffendes Konzept, beides übernehme ich gerne.
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