Recycling
Früher war alles besser. Aber das war schlecht.Noch in den 1970er Jahren haben wir unser Einweg-Plastikgeschirr so dauerhaft hergestellt, dass es mindestens zwei Eiszeiten und Interglaziale ohne sichtbare Veränderung übersteht. Damit reihten wir uns in die gute Tradition unserer Vorväter ein, die jedem subalternen Provinzfürsten nach vier Wochen Regierungszeit eine monumentale Pyramide in den Wüstensand stellten, die sich noch heute jedem Abrißversuch widersetzt.
Sofort fällt uns auch Stonehenge ein. Ursprünglich als Tragwerk für eine temporäre Magnetschwebebahnstrecke geplant, deren Zugmaterial nach erfolgreichem Test gleich nach China exportiert werden sollte, wies ein pfiffiger Gäle kurz nach Fertigstellung darauf hin, dass weder Magnetismus noch elektrische Antriebstechnik auch nur ansatzweise erfunden seien. Gleichwohl behindert die auf Ewigkeit ausgelegte Steinkonstruktion noch heute die südenglischen Schafe beim Grasen.
Die chinesische Mauer, nach nur wenigen Tagen regen Interesses durch japanische Dauerknipser überflüssig geworden, verschandelt weiterhin ungeschleift die schönste Weltgegend. Der Kölner Dom, Versammlungsstätte einer längst marginalisierten Sekte, nimmt Starbucks, McDonalds und Deichmann das Licht, doch keine der bisher durchgeführten Sammlungen konnte genug Mittel zusammentragen, um eine zu seiner Beseitigung ausreichende Menge Sprengstoff zu finanzieren.
Doch wäre der Mensch nicht Mensch, wenn er aus seinen Fehlern nicht lernte. Und so ist das magische Wort unserer Tage „Recycling“ - Vorhandenes nicht wegwerfen oder in der Landschaft herumliegen lassen, sondern es aufpolieren und neuen Verwendungen zuführen. Leuchtendes Vorbild in dieser Disziplin sind uns wie immer die US-Amerikaner, die lange vor uns zu der Einsicht gelangten, man brauche einen wirklich, wirklich guten Grund, um die Antwort auf alle Fragen des modernen Lebens nicht zunächst in der Bibel, einem ziemlich angegilbten Buch der Weisheit, zu suchen, bevor man mühsam neue Gedanken entwickelt.
Die alte Welt - welch eine ironische Bezeichnung in diesem Zusammenhang - hinkt dieser begrüßenswerten Entwicklung in unterschiedlichen Graden der Hoffnungslosigkeit hinterher. Ausnahmen bestätigen die Regel - ein leuchtendes Beispiel setzte posthum Lollo Ferrari, mit deren wiederaufbereitetem Silikon das Gemeindeschwimmbad von Reuterskrüft-Schmendingen abgedichtet wurde.
Besondere Rückständigkeit beweist demgegenüber immer wieder die bundesdeutsche FDP, auch wenn einzelne progressive Vertreter dieser Partei, wie Sylvana Koch-Mehrin, lobenswerte Vorstöße zur vollständigen stofflichen Wiederverwertung leisten. Es tröstet auch nicht, dass der gelbe Sack schon immer für diese Partei im Parlament saß.
Wesentlich besser hat die CSU die Zeichen der Zeit erkannt. Georg Enoch Robert Prosper Philipp Franz Karl Theodor Maria Heinrich Johannes Luitpold Hartmann Gundeloh Freiherr von und zu Guttenberg, der Vater unseres ehemaligen Verteidigungsministers, versucht nicht nur, die Vornamen seiner sämtlichen Ahnen entweder aufzutragen oder an seine Kinder weiterzugeben. Er hat die Partei sogar demonstrativ verlassen, als sich führende Persönlichkeiten weigerten, zur hundersten Wiederauflage einer ihrer heuchlerischen Anti-Antisemitismus-Demonstrationen zu erscheinen, nur um nach Abflauen des Presseechos klammheimlich wieder einzutreten.
Wirkliche Vollendung erlangte die umweltschonende Wiederverwertungsidee jedoch erst in Gestalt seines Abkömmlings Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg, der nun aber auch wirklich nichts wegwerfen will. Vom ehrgeizigen Vater genötigt hat er zwar ein Jurastudium begonnen, dieses jedoch nie abgeschlossen. Sowie er bemerkte, welche überwältigende Zahl von Staatsexamen ungenutzt in den Archiven lagert, stellte er seine überflüssige Neuerfindung des Rades ein und übersprang diesen Teil seiner Ausbildung.
Stattdessen, intim vertraut mit den angelsächsischen Worten: „Etwas Altes, möglichst wenig Neues, etwas Geliehenes und etwas Blaues“, erstellte er rasch eine Collage zur Vorlage bei seiner Promotionsprüfung. Seinen Professoren, unschlüssig ob sie ihm eines der in ausreichender Menge vorrätigen „Summa cum laude“ oder ein seiner Doktorthese angemessenes, aber auf frischem Papier erst anzufertigendes „Ach Du Scheisse, durchgefallen“ überreichen sollten, konnte er die Dramatik sich verknappender Rohstoffe durch auswendiges Hersagen von Al-Gore-Zitaten verdeutlichen.
Nachdem das ungebildete Volk ihn in Schimpf und Schande davongejagt hatte, als diese ökologisch sinnvollen Absprachen ruchbar wurden, blieb sein biotopschonendes Sendungsbewußtsein dennoch ungebrochen. Eine rasch erstellte Autobiografie, im wesentlichen auf Basis der für Dieter Bohlen bereits vorhandenen, wurde auf seinen ausdrücklichen Wunsch auf mehrfach benutzem Öko-Toilettenpapier gedruckt. Pecunia non olet.
Im Sinne des Überlebens Gaias, des allumschließenden Weltwesens, das sich durch die noch immer vorhandene Wegwerfmentalität bedroht sieht, sei ihm viel Glück bei seinem aktuellen Unterfangen gewünscht, sich ins Europaparlament, den Gnadenhof für zahnlose Politiker aus der Vorjahreskollektion, recyceln zu lassen. Die unverschämten Entschädigungen, die er dabei anzuzapfen hofft, stammen letztlich, seien wir ehrlich, aus der ältesten Kreislaufwirtschaft der Welt: dem Umlauf des Geldes.