Die unkontrollierte Partikulierung
© Nisham 12/2011Fortsetzung von „Die Singularität der Partikulierung“
Kurzgeschichten: Die Singularität der Partikulierung
Mein erster Gedanke: Wo bin ich? Mir ist schwindelig. Ich liege, taste mit etwas unsicheren Händen um mich herum, doch mein Tastsinn signalisiert mir nichts. Langsam öffne ich meine Augen, blinzle etliche Male, denn das Licht ist so grell. Oder zumindest kommt es mir so grell vor.
Und plötzlich ist die Erinnerung da: Ich habe ja zugeschaut, wie sich mein Körper, meine Hände, meine Arme, meine Füße, meine Beine auflösten. Dann wurde es dunkel. Wie der Tod. Doch ich bin hier, ich kann denken und sehen. Mein Körper – ich schaue mich so gut es im Liegen geht an - alles da, scheint mir. Ich richte mich auf, bleibe sitzen, stütze mich mit den Händen ab. Eigenartig - es ist so, als hätte ich kein Gefühl, als würde ich meinen Körper nicht spüren. Ich hebe meinen rechten Arm, schließe meine Hand zur Faust, öffne sie wieder, doch ich spüre nichts. Ich taste behutsam nach meinem Gesicht, sehe meine Hand, meine Finger auf meinem Gesicht, doch ich spüre weder die Haut meines Gesichts noch die Fingerspitzen auf meiner Haut.
Ich kneife mich leicht in meine Wange. Nichts. Fester. Immer noch nichts. Unwirklich, so gar kein Gefühl mehr zu haben, seinen Körper nicht mehr zu spüren…
Ich schaue mich um. Ich sitze auf einer unendlich weiten Fläche, die in alternierenden Farben schimmert, je nachdem, wie ich meine Augen bewege, meinen Blick hin richte. Es ist so, als ob mein Blick die Farben bestimmen würde. Und eben, ich spüre nicht, ob der Boden auf dem ich sitze weich oder hart, warm oder kalt ist. Ich weiß nicht, ob mir warm oder kalt ist. Ich sehe nur, dass es hell ist, auch wenn ich keine Lichtquelle entdecken kann. Ist über mir ein Dach oder ist es ein Himmel? Keine Ahnung. Denn auch da schimmert alles in wechselnden Farben.
Ich erhebe mich, langsam, stütze mich mit einer Hand ab. Nun stehe ich auf meinen Füßen, senkrecht. Mache einen kleinen Schritt nach vorne, noch einen und noch einen, drehe mich langsam um meine eigene Achse. Ich spüre nichts, weder den Boden unter meinen Füßen noch irgendwie die Bewegungen meines Körpers. Ich sehe nur, dass und wie ich mich bewege, mich drehe, Schritte mache, meine Arme ausbreite. Und alles in schimmernden Farben. Nur mein Körper, der hat diese leicht ockerfarbene Haut, wie immer schon. Und da schimmert nichts in anderen Farbschattierungen.
Ich schaue mich nach allen Richtungen um, doch alles sieht genau gleich aus: unendlich weit, mit schimmernden Farben. Da ist nichts, da gibt es nichts.
Wo bin ich denn nur? Was ist mit mir passiert? Die Partikulierung scheint in der Singularität nur einen Zwischenstopp eingelegt zu haben… Ob das die Experten gewusst oder zumindest geahnt haben? Nachdem mich das neuronale Kontrollzentrum transferiert hat, hat sich ja mein Körper noch mal in Partikel aufgelöst. Und nun haben die Partikel wieder zusammengefunden, doch irgendwo hat etwas nicht so ganz geklappt. Es ist so, als hätte ich keine Nerven mehr, weil ich ja nichts mehr spüren und fühlen kann. Und die Augen scheinen auch irgendwie eine Farbmultiplexität gewonnen zu haben.
Was soll ich nun? Es hat ja keinen Sinn loszumarschieren, denn ich wüsste ja nicht wohin, und würde wahrscheinlich alsbald im Kreis herum gehen. Also setze ich mich wieder, dann strecke ich mich auf dem Rücken aus. Ich schließe meine Augen und entspanne mich. Komisch, denn wie soll ich meinen Körper entspannen, wenn ich gar nicht fühle, ob der überhaupt angespannt ist oder nicht.
Was nun?
Mit diesem Gedanken schlafe ich ein.