Es ist ein Spiel
– und ich spiele es gut.Das Aufstehen, das Mutmachen: hier ist ein Tag, den schaffst du, du zeigst es der Welt. Ich sehe die Arbeit, die zu tun ist:
Ich mache das Radio an, setze Teewasser auf, die Spülmaschine räume ich aus, das Frühstück und die Brote für die Kinder. Montags die Mülltonnen raus, dienstags bezahle ich eine Rechnung, Mittwochs einkaufen, ab und zu staubsaugen, Wäschewaschen... und immer frische Blumen.
Ich ziehe mich schön an, auch Schminke, wenn ich zu meinem Job gehe: dort lange ich kräftig zu, organisiere und räume, spreche und scherze mit den Kollegen. Alle schätzen mich, meine Tatkraft und gute Laune. Frau K. steht mitten im Leben.
Ich habe sogar eine Beziehung. Ein netter Mann, der gern mit mir zusammen ist. Wir machen es uns schön, das Leben. Wir streiten nie – worüber auch? Wir wollen nicht allein sein und dafür haben wir einander. Es ist leicht und angenehm.
Ich lebe ein normales, ja sogar ein gutes Leben.
So gleiten die Jahre dahin, auf der spiegelglatten Oberfläche des dicken Eispanzers. Die Eischicht trägt mich und alles, was zu mir gehört. Die Dämonen darunter, die im endlosen kalten Schwarz lauern, haben Zeit.
Manchmal, wenn ich still stehe, sehe ich ihre Schatten. Sie lauern. Ich spüre ihre Gier, die immer größer wird mit der Zeit. Ich wittere sie wie ein Tier auf der Flucht. Erschrecke über einen Knall, wenn die Spannung des Eises sich in einem Riss entlädt. Suche den Spiegel nach Spalten ab, durch den das Wasser dringen könnte, und damit auch ihre klammernden Finger. Noch ist alles dicht. Noch sind sie gefangen, noch können sie mich nicht hinabziehen in ihre dunkle Welt, in der nichts ist außer ihrer lähmenden Leere. Sie aber warten auf mich, meine Wärme, mein Lachen und meine Lebendigkeit. Das wird sie nähren, eines Tages, wenn ein Riss groß genug ist, mich zu verschlingen. Sie wissen es, und ich weiß es auch.
Sie haben Zeit.
Und ich nutze meine Zeit und zünde Kerzen an gegen das Dunkel.
Aufstehen, Wäschewaschen, küssen, lachen.
Spiele das Spiel des Lebens, als gäbe es sie nicht.
©tangocleo 2011