Formen der Liebe II
Es gibt Leute, die kommen nur zum Orgasmus, wenn sie einer Frau beim Pinkeln zusehen, stehend in der Badewanne, während sie eine Cher-Perücke und sonst nichts trägt und die Nationalhymne singt. Es soll welche geben, die sich gerne Plastikfilm ganz eng um die Genitalien wickeln, und nach langem, qualvollem Leiden Super-Höhepunkte erleben, wenn sie sich Wiederholungen von DSDS anschauen. Andere suchen nach ihrem Seelenverwandten, indem sie per Anzeige jemanden dazu auffordern, ihm den Arsch zu rasieren und dabei möglichst derbe Schimpfworte auszustoßen.Jedem das Seine. War schon immer mein Motto. Was mich, falls ich im Club hier oder im echten Leben von jemandem erfahre, dass er besondere Vorlieben hat, die nicht jedermanns Sache sind, jedoch am meisten (und oft ausschließlich) interessiert, ist, wann das anfing, woran sie es merkten, wie sie es zum ersten Mal ausprobiert und dann verfeinert haben. Wie sie heute damit leben und ob sie darunter leiden, falls sie es verstecken müssen vor Bekannten und Kindern..
Ich gebe zu, dass die obengenannten etwas übertrieben sind. Aber meine Neugier bezieht sich auf alles, was nicht unter „Und der Sex mit ihm ist so schön- wir können uns stundenlang in den Armen halten.“ oder „Er streichelt mich so schön...“ fällt. Nicht mal unter besten Freundinnen hab ich je mehr gehört als „Er kann lange!“ oder „Ich kann mich nicht beklagen.“ Seltener noch „Er probiert gern was aus.“ Oder „Wir haben es in der Sauna getrieben…“. Zu wenige und irgendwie auch zu viele Details.
Meine erste Bekanntschaft mit einem homosexuellen Mann zum Beispiel hätte abrupt beendet sein können, wenn er mir auf meine neugierige Frage, wie er das denn an sich gespürt hätte, geantwortet hätte: „Arschf**** ist einfach geil!“. Da er stattdessen erzählte, wie er sich mit 15 zum ersten Mal in einen Jungen verliebt hätte und sehr verwirrt war, bis er sich eingestand, dass er mehr wollte und mit Frauen nichts anzufangen wusste, wurde eine Freundschaft daraus.
Wenn ich in Pornos mit ansehen muss, dass die Frauen verzückt aufschreien, wenn sie Schläge auf den Hintern bekommen, ist der sowieso schon geringe Reiz für mich verflogen. Wenn ich mit ansehen muss, wie Frauen röcheln, weil sie scheinbar für die beste Performance im Schw***schlucken in Anmerkung kommen wollen oder abgekühlte Körperflüssigkeiten von Gegenständen oder fremder Haut lecken, drückt ich auf Stopp und versuchte, mich darauf zu besinnen, weswegen ich diese billige Aufwärmaktion überhaupt angefangen habe.
Als Frau versucht man ja, seinem Partner zu gefallen und „gut im Bett“ zu sein, was immer das heißen mag. Irgendwo las ich „Gut im Bett ist die, die dem Mann das Gefühl gibt, dass er der Beste sei“ und da ist was dran. Aber die eigentlich schnöde Erkenntnis, dass einfach nur ich selbst Spaß haben muss und keine Angst zu haben brauche, das auch zu zeigen, kam später und damit lebe ich sehr gut.
Ihn richtig heiß zu machen mit auch schon mal übertriebenen Gesten und Aktionen, ist spielerisch und lustig und gleitet nie ab in erniedrigende Situationen. Solange beide Spaß dran haben, geht vieles.
Ich habe so Einiges ausprobiert. Unter anderem bat mich mein zweiter Freund mit 19 Jahren, doch mal auf ihn zu pinkeln. Was mich überraschte, da er ein nach außen hin eher biederer und „normaler“ Typ war. Es war aber nicht sehr spannend, und brachte uns mehr zum Lachen und Fluchen ob der zu waschenden Bettwäsche, als zu irgendwelchen Höheflügen.
Wie kommt es dann, dass ich heute mehr denn je neugierig bin auf andersartige Techniken, und vor allem: auf die dunkle Seite des Sex? Weil man nach etwas sucht, das man noch nicht gemacht hat? Sich fragt, ob es noch unentdecktes gibt?
Es erstaunt mich selbst, dass ich Bilder von Frauen mit verbundenen Augen oder gebundenen Händen interessierter betrachte als früher, und den Mut sammle, meinem Liebsten ein Spiel mit solchen Attributen vorzuschlagen. Brauche ich einfach nach einer gewissen Zeit des durchaus befriedigenden Sexlebens mit viel Zärtlichkeit und Humor und Leidenschaft eine etwas härtere Gangart?
Meine besten Erlebnisse hatte ich nicht in den wahnsinnig gut vorbereiteten, perfekt inszenierten Momenten, wo man in schöner Wäsche und glatt rasiert zusammen auf frische Laken sinkt. Die denkwürdigsten waren die überraschenden, spontanen, wo man sich vor Lust aufeinander die verschwitzten Kleider vom Leib riss, oder wenn aus einer liebevollen Umarmung, nach der man sich einen langen Tag lang gesehnt hat, plötzlich mehr wurde.
Warum sollten dann geplante Sessions mit Spielzeugen und Hilfsmitteln, Rollenspiele oder halt der kontrollierte Einsatz von Techniken, die im nicht erregten Zustand Schmerzen auslösen, wegen derer ich sofort zurückschlagen würde, mich plötzlich nicht mehr zum Lachen, sondern zu einem extrageilen Orgasmus bringen?
Die Neugier erwachte, als ich einen Liebhaber hatte, der, auch wenn alles bis dahin ziemlich „Vanilla“ ablief, mich während des Akts auf einmal bewegungsunfähig machte.
Er lag auf mir und verschränkte seine Beine so um meine, dass ich sie so halten musste, packte meine Handgelenke über meinem Kopf und erlaubte mir nicht mal, den Kopf zu drehen. Was mich kurz in Panik versetzte, aber da er es erst tat, als ich schon kurz vor einem sich ankündigenden Höhepunkt, also verdammt wuschig war, so will ich es jetzt mal nennen, schrie ich nicht „Aufhören!“ und wehrte ich mich nicht mit voller Kraft.
Im Gegenteil, der leichte Widerstand, den ich ihm entgegenbrachte, ließ seine Macht über mich nur deutlicher werden und ich zügelte mich, wie er mich, ich ließ es geschehen. Es hätte weh getan, wenn ich mich gewehrt hätte, das war mir in dem Moment klar. Und ich hätte gewettet, dass dafür eine Strafe folgen würde.
Es dauerte lange, nach meinem Gefühl und schob mich in eine Art Kokon von Empfindungen, die ich nie zuvor erlebt hatte. Ich dachte und analysierte dabei, zugegebenermaßen vernebelt und wenig vernünftig, aber die ausgelösten Empfindungen waren dermaßen verstärkt, die kleinste Bewegung so nachhaltig beeindruckend, dass es mich mit sich riss. Und ich wurde mit einem überirdischen Gefühl belohnt.
Es war sehr intim. Er spürte, wie verwirrt ich danach war und nahm mich in den Arm. Tat also genau das Richtige. Trotzdem blieb es bei diesem einen Mal, weil er mit klaren Worten deutlich machte, dass er mehr vorhatte mit mir. Dass er mir viel beibringen könnte. Dass er in mir das Potential sah, mit mir seine dominante Ader durch meine (in seinen Worten) so tief empfundene Unterwerfung ausleben zu können. Es machte mir Angst und ich brach den Kontakt ab.
Die Erinnerung lässt mich nicht los. Will ich unterdrückt werden? Will ich mich unterwerfen?
Ist es das, wozu eine Frau (als der empfangende Part) geschaffen ist? Darf ich meine hart erkämpfte Position als ebenbürtige Partnerin, die Respekt verdient hat, aufs Spiel setzen, und statt der vernunftbegabten, vielseitig talentierten, für ihre liebevolle und bodenständige Art geschätzte Freundin auch mal einfach das geile Mäuschen sein, das um Sperma bettelt? Und ihm dennoch danach in die Augen sehen und den gleichen Respekt erwarten?
Mit einem liebevollen Partner, mit dem man darüber auch reden kann, vielleicht ja. Wenn ich meine eigenen Barrieren überwinde. Wenn auch er zu seiner Sexualität steht und keine Probleme oder Hemmungen dabei hat, in geilen Situationen auf seinen Körper zu hören und das Spiel spielen will.
Eigentlich gelingt das ja auch jetzt schon ganz gut.
Fing es so an bei denen, die heute auf eine Beziehung Wert legen, in der Schmerz und Unterwerfung kontrolliert und geplant eine Rolle in einem erfüllenden Sexleben spielen?
Oder haben sie es durch Zufall entdeckt, wie ich, nur in einer stärkeren Form, vielleicht weil es ihnen schlecht ging und die „Bestrafung“ ihnen gerecht erschien? Vielleicht haben sie es sich immer schon gewünscht…
Der Gedanke lässt mich nicht los, obwohl ich diese Sehnsucht danach, sich in die Hände eines anderen zu begeben, sich ihm hinzugeben in körperlichem wie seelischem und mit sich machen lassen, was er für richtig hält, eigentlich mit Schwäche gleichsetze. Wobei ich doch immer wieder höre, dass es das nicht sei, dass man sich nicht vorher schlecht und nach dem „Spielen“ besser fühlte, würdiger oder so behandelt, wie man es verdient hat. Wirklich nicht? Warum braucht man es sonst?
Es kann angenehm sein, jemand anderem die Entscheidungen zu überlassen, und ich sehe mich zwar als „starke“, selbstständige Frau, mag es aber doch ab und zu einfach in den Arm genommen oder an der Hand geführt zu werden, einfach auch mal schwach sein zu dürfen.
Ich will niemandem zu nahe treten, ich möchte es nur verstehen. Würde ich einen Teil von mir aufgeben müssen, um solche neue Erfahrungen zu machen, oder vielleicht Erlebnisse haben, die mir eine andere Facette von mir selbst zeigen?
Naja, vielleicht reicht es ja erst mal, die Plüschhandschellen tatsächlich mal neben dem Bett liegen zu lassen…