Ich bin immer in deiner Nähe
Was machst du? Wohin gehst du? Warum gehst du in die entgegengesetzte Richtung? Weg von mir? Es ist moralisch und ethisch einfach falsch, dass jemand mit deinem Gesicht sich immer weiter und weiter von meinem Gesicht entfernt. Unsere Gesichter sollten sich treffen, aneinanderstoßen, wiederholt, einschließlich einigen Flüssigkeitsaustauschs. Du solltest mir näher kommen, statt dich von mir zu entfernen. Du solltest an mich denken, und nicht daran, wie du dein mysteriöses Ziel erreichst. In diesem Moment erscheinen mir die physikalischen Gesetze ungerecht, da sie gegen die Erfüllung meiner Wünsche funktionieren; mit jeder Sekunde, die verstreicht, wird der Abstand zwischen uns größer. Und ich kann es nicht aufhalten, ich kann es nicht verhindern.
Wie kann ich dich zu meiner Freundin machen? Ich sah dein Gesicht und ich dachte: „Das ist sie. Das ist meine Freundin, meine Frau, für immer!“ Du sahst mein Gesicht und du dachtest: „Das ist eine Person.“ Die Tatsache, dass meine Anwesenheit dir keine Beachtung wert war, trifft mich tief und kann nicht im Sinne und nach dem Willen dieses unseres Universums geschehen. Für mich fühlt es sich an, als ob die pure telekinetische Kraft meines Verlangens dich dazu bringen müsste, spontan meine Frau werden zu wollen. Warum ist das nicht so, warum bin ich immer noch allein?
Gott, verleihe mir die Macht, nur für zwei Sekunden, in diesem anderen Menschen eine Zuneigung zu mir auszulösen, die niemals endet. Eine Liebe, die immer nur wächst und wächst, und tiefer und tiefer wird, bis wir uns Operationen unterziehen, um uns auch äußerlich ähnlich zu sehen. Und dann werden wir in einer heidnischen Zeremonie kleine Stückchen unserer Körper abschneiden und uns gegenseitig damit füttern, und unsere Gehirne werden wir in Roboter einbauen lassen, so dass wir niemals sterben und uns für immer und ewig weiter lieben können. Zumindest bis die Sonne in einer Supernova vergeht oder länger noch, wenn wir es schaffen, einen Platz in der letzten Evakuierungskapsel zu ergattern. Tu es. Mach es wahr.
Wenn wir uns auf der Straße begegnen, oder in deinem Lieblingscafé, gibt es keine sozial akzeptable Art und Weise, auf die ich dich ansprechen könnte. Ich kann nicht sagen: „Willst du mit mir ausgehen? Du bist hübsch! Steig in meinen Wagen!“ Würdest du überhaupt stehenbleiben? Ich müsste vor dich springen, dir ein Beinchen stellen, damit du nicht wegläufst. Du gehst zu schnell – ich müsste dich an den Haaren festhalten und sagen: „Hör auf, vor mir wegzulaufen. Deine Seele brauche ich, denn sie soll meine berühren!“ Ich müsste vielleicht etwas schreien, wie „Feuer!“, damit du mich bemerkst. Wenn ich nur sage „Hallo, ich bin Mike.“ Würdest du fragen „Was willst du?“ und ich, ich könnte nur antworten: „Dich will ich, nur dich, ich brauche dich, jetzt, oder ich sterbe!“
Nein, es gibt keine Methode, wie ich deine Aufmerksamkeit erregen kann, die nicht aggressiv, oder angsteinjagend, oder bedrohlich wirkt, besonders, weil wir absolut nichts voneinander wissen.
Wenn ich doch nur schon meine Autobiographie geschrieben hätte, dann könnte ich sie dir einfach überreichen und du wüsstest, warum ich gerade dich in meinem Leben brauche. Du wärst von der Tragik, der Leidenschaft und der Erzählkunst darin dermaßen beeindruckt, dass du mir sofort um den Hals fallen würdest.
Noch besser – ich wünschte, ich könnte all meine Erinnerungen auf einmal in dein Gehirn beamen, von den ekligen mal abgesehen, dann könnten wir uns das langweilige Verabreden und Kennenlernen sparen und sofort zu dem Zustand der Seelenverwandten für alle Ewigkeit übergehen. Alles andere wäre Zeit- und Energieverschwendung und so unnötig, sich wochenlang zurückhalten zu müssen. Wer braucht das schon? Ich will dich sofort küssen und umarmen und festhalten und nie wieder loslassen, wenn du mich erst mal so verliebt ansiehst, wie ich es möchte, wie du es wirst. Bald schon.
Ich bin gut darin geworden, mir dein Gesicht einzuprägen, deine Züge in meine Gehirnwendungen zu brennen und die Umrisse deines perfekten Körpers mit einem Messer in meine Haut zu ritzen. Zuhause versuche ich alles über dich online herauszufinden. Ich fand dein Online-Profil und weiß um deine Aktivitäten, glaub mir, ich bin geduldig, ich finde immer mehr heraus.
Ich besuche die gleichen VHS-Kurse wie du und werde bald so gut in den Themen, die dich interessieren, dass du mit mir darüber diskutieren möchtest, mich sogar um Hilfe bittest – oh ja, das wirst du. Ich werde im Kino hinter dir sitzen, wenn du dir einen Film ansiehst und deinen Kopf streicheln, wenn du Angst bekommen solltest. Auf dem Nachhauseweg werde ich dich begleiten und beschützen und dafür sorgen, dass dich auch ja niemand anspricht oder gar anfasst. Das darf niemand. Außer mir. Eines Tages.
Bald kriege ich heraus, wer deine Freunde sind, freunde mich ebenfalls mit ihnen an und dann werden sie mich dir vorstellen – als wäre ich eine stinknormale, stabile Person ohne Persönlichkeitsstörungen. Du wirst mir in die Augen sehen und feststellen, was für ein netter Mensch ich bin, ich bin so unglaublich, wahnsinnig nett. Mit ein wenig Mühe werde ich nur vernünftig und unbedrohlich aussehen und meinen Gesichtsausdruck niemals entgleiten lassen.
Es wäre unfair, mich als moralisch zweifelhaft zu verurteilen, wenn es keinen anderen Weg für mich gibt, in deinem Leben eine Rolle zu spielen, außer dem Nachlaufen und Ausspionieren. Es gibt keine ehrenhafte Methode, an die Informationen zu gelangen, die ich brauche, um dir näher zu kommen. Was soll ich denn tun?
Wir hätten Klassenkameraden sein können, oder Kollegen, oder im gleichen Verein oder Nachbarn. Und die Tatsache, dass wir nichts davon sind, ist ein grausamer Fehler des Schicksals, der nicht zwischen uns stehen dürfte. Warum solltest du deine Lebensfreude, dein Glück einem so kapriziösen, launischen Etwas überlassen wie einer grausamen Gottheit oder dem Glauben an etwas wie Bestimmung? Das würdest du nicht, natürlich.
Wenn man jemanden liebt, muss man alles geben, alles mögen, was der andere mag, alles tun, was er gerne tut, immer dann und immer da, wo er es gerade tun möchte. Dann und nur dann wirst du einsehen, dass du dich auch in mich verlieben musst, denn wir gehören zusammen. Noch magst du vor mir weglaufen, dich von mir entfernen auf deinem Weg zum Essen, zur Arbeit, nach Hause, aber das ist okay.
Geh ruhig. Ich bin direkt hinter dir. Ich bin immer ganz nah hinter dir.