EX
Marco sieht dünn aus. Noch dünner als früher. An seinem Hals hat sich Pergament gebildet. Auch bei ihm, stellt Sandra fest. Sie sitzen auf Sandras Balkon, an einem schwarzen Metalltischchen. Es ist ein kleiner Balkon. Die Luft ist angenehm lau.
Sie trinken Wein. „Vom guten, zumindest der Weisse, das ist ein guter,“ sagt Marco. Sandra weiss, dass seine Weine, vor allem die Weissen, immer die besten sind. Sandra geniesst es. Wie damals.
Er sei nun geschieden. Es hätte einfach keinen Sinn mehr gemacht. Sandra schluckt. Sandra fasst das Glas, führt es zum Mund. Trinkt. Es sei unmöglich geworden. Marco lacht. Diese Sprachlosigkeit. Marco hätte nicht gedacht, dass er sich einmal darüber auslassen würde. Genau das hätte ihm so gefallen an dieser Frau. Dieses stumme Einverständnis. „Nicht so wie bei dir, nicht wahr? Immer alles diskutieren.“ Marco lacht wieder. Sandra schaut ihn an. Marco füllt die Gläser voll.
Sie essen Penne al Tonno. Mit viel Basilikum, frisch von Sandras Balkon.
„Einmal war es wie im Märchen.“ In einen Sternenhimmel habe er geschaut. Diese Augen, diese Lippen, das ganze Gesicht, überhaupt die schönste Frau sei Valerie gewesen, in der ganzen Stadt. Bis zu ihrem gierigen Schoss. Marco seufzt.
„Schmeckt dir das Essen?“ fragt Sandra. Und Marco: „Du kennst mich doch. Ich beklag mich, wenn es mir nicht schmeckt!“ In Sandra tut sich etwas auf. Sandra könnte fallen. Sandra schenkt sich Weisswein ins volle Glas.
Sie spreche kaum noch mit ihm, lege sogar den Hörer auf, einfach so. Marco schaut Sandra beifallheischend an. Sandra nimmt einen Schluck aus ihrem übervollen Glas. Dabei habe er so viele Kompromisse gemacht. Zuviele wahrscheinlich. Er sei ja so ein Gutmütiger. Sandra stellt das Glas zurück auf das Tischchen. Etwas Wein schwappt über den Rand.
Und dann habe sie in diesen Kalender gemalt. Sandra versteht nicht. „Ja, diesen Kalender, wo man die Tage anmalt, du weisst schon.“ Sandra weiss. Es sind die kritischen. Die ungewollten Tage. In Sandra tut sich erneut etwas auf. Sandra malt mit dem Weisswein Striche aufs schwarze Metall. „Ja und dann?“ fragt Sandra. Marco lacht. „Sie hat die Tage angemalt, weil sie ein Kind wollte. Ja, sie hat die Tage markiert, an denen sie schwanger werden konnte. Sie wollte schwanger werden!“ Sandra versteht. Sandra wollte damals auch schwanger werden, doch sie hatte die Tage markiert, damit sich das Glück nicht erfüllen sollte. Wäre es dennoch passiert, so wäre das Kind wirklich gewollt gewesen. Ein Schicksalsschlag quasi.
Doch Marco wollte keine Kinder, schon gar nicht mit ihr. Er hatte auf die andere gewartet, die Frau seiner Träume. Und die reicht nun die Scheidung ein. Sandra wird übel.
„Hast du denn um sie gekämpft?“ Sandra atmet Nebel. Und Marco: „Ja, klar.“ Sandra sieht Marco an. Marco versinkt. „So richtig?“ Sandra hofft, dass Marco wieder auftaucht, damit sie sein Ja sieht, auch wenn es nicht ihr gilt, sondern der andern, der Frau seiner Träume. Einmal Ja sagen. Marco steht auf, er muss aufs Klo.
Sandra sitzt allein auf dem Balkon. Auf ihrem Balkon. Sandra hört die Klospülung und starrt auf das Weinglas. Sandra wartet vergeblich auf eine Rückkehr. Sandra hebt das Glas und trinkt. Ex.
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