Schulstunde
Schulstunde - Hausaufgabenbesprechung„Das ist mal wieder typisch, Ra. Seit einem Jahr versuche ich nun, dir durch die gestellten Heim-Aufgaben die Muse und Zeit zu verschaffen, damit Du einmal etwas anderes erschaffst als pyramidenähnliche Gesellschaftsstrukturen, an deren Spitze du dich dann als Herrscher
aufspielst.“
„Aber was ist daran so schlecht, Frau Gaya?“
„Nichts. Mich wundert nur, dass Dir bei dem immer selben Spiel nicht langweilig wird. Und ich habe die Befürchtung, dass Du noch eine Ewigkeit in meinem Unterricht rumhängen wirst.“
„Tja, Bewunderungstechnik und Obrigkeitsstrukturierungen war eben von Anfang an mein Lieblingsfach. Tut mir also leid, wenn wir beide noch sehr viel Zeit miteinander verbringen werden“. Ra grinste überheblich.
„Ach, lieber Ra. Ein wenig vorgreifend kann ich dir nur sagen, dass Konzept von Raum und Zeit, welches in der 3 Klasse kommen würde, wird dir mit dieser Einstellung wohl noch eine Lange Zeit verwährt bleiben. Und wer, ganz im Gegensatz zu mir, noch an Zeit und Raum gebunden ist, der sollte ständig üben, Altes loszulassen.“ Frau Gaya lächelte milde.
„Dann kann ich Sie gar nicht ärgern?“
„Nein! Bevor Du mich ärgern könntest, bin ich schon längst ans Ende der Zeit gereist, habe
dabei unendliche viele Universum geboren, mich als Urschleim reinkarniert, willentlich alle multiversen Fähigkeiten aufgegeben, und die Zeit auf Vortrefflichste ausgekostet, mit Männern und Mäusen. Und das Ganze, ohne euch 42 Nachwuchs Olympianer auch nur eine Sekunde aus dem Auge verloren zu haben.
„Boah!“ Ra und die anderen waren beeindruckt. Zumindest liessen ihre Aurafarben das erkennen.
„Du siehst also, mein lieber Ra, früh aufstehen lohnt. Dann muss man für die Heim-Aufgabe nicht immer nur die alten Sachen rauskramen, sondern bekommt vom Sonnenaufgang womöglich ab und an neue Ideen geschenkt. Probier es ruhig mal aus.“
„Ja aber ich…“ Ra war auf einmal ganz wissbegierig.
„Ruhe jetzt. Habe Geduld.“ Frau Gaya gab Ihm zu verstehen, dass die Besprechung seiner Aufgabe beendet war.
„Und jetzt zu dir, Zeus.“
„Guten Morgen, Frau Gaya.“ Zeus hatte wie immer dieses männlich herbe Gebaren, als er aufstand, um seine Heim-Arbeit vorzuführen. „Ich habe mich mit der aktuellen Lage im Nahen Osten beschäftigt. Dabei habe ich meine ganze Kraft aufgewendet, und die Tage des Zorns heraufbeschworen. Den immensen Leidensdruck, dem viele Bürger der Länder dieser Region ausgesetzt sind, habe ich ausgenutzt, und ihn durch ein wenig eiskalten und unkalkulierbaren Zorn aus meinem Blitz und Donner Beutel voll zum Bersten gebracht. Danach sollte die Sache jetzt mit viel Geschrei und ordentlich Blutzoll den Berg der Geschichte runterrollen. Von da aus kann dann jeder, der sich zu arg von dieser Gruppendynamik hat mitreißen lassen, erneut auf den Weg Richtung Olymp machen.“
Zeus lächelte, ganz mit sich und seinem Werk zufrieden.
„Sehr schön, Zeus. Aber findest Du nicht, dass es sehr eigensinnig ist von Dir, die anderen immer wieder aufs Neue mit dieser besonderen Gabe, die du von deinem Vater bekommen hast, von Dir wegzuschleudern, um allein auf deinem Berg zu thronen?“
„Nö!“
„Ok.“ Es gab eine kurze Pause. „Dann bist jetzt du dran, Go...“
„He, ich finde aber…“ Zeus unterbrach die Lehrerin mit grollender Stimme.
„Junger Mann“ herrschte Frau Gaya ihn unsanft an, plötzlich ein durchdringendes Lichtauge auf der Stirn auf Ihn richtend. Zeus und die anderen Kinder zuckten erschrocken zusammen.
„Wohl überlegt sollten eure Taten sein“, sprach Sie mit eindringlicher Stimme zu der Klasse, „denn jede zieht eine Konsequenz hinter sich her. Und diese haben es, solange man noch gebunden lebt, tückischerweise in sich. Und auch bei euren Worten verhält es sich so.“
Die Kinder sahen, wie sich ein leuchtendes, sanftes Lachen auf dem Gesicht von Frau Gaya breit machte.
„Und jetzt zu dir, Gott.“ Frau Gaya sah den jungen Gott schon freudig gespannt an.
„Guten Morgen, Mutter Gaya“. Der Junge strahlte ebenfalls.
„Oh. Guten Morgen, lieber Gott. Ich höre schon, du hast deine Heim-Aufgabe mal wieder mit Bravour gemeistert. Toll. Lass uns mal sehen!“
Gott packte alles aus, stand auf, und ging damit vor zur Tafel.
„Liebe Mutter Gaya, liebe Klassenkameraden, nach ein wenig Meditation und Überlegung, habe ich mich dieses Mal entschlossen, ein Gesamtwerk zu schaffen. Dazu habe ich einfach die verschiedenen alten Projekte, die sowohl ich über Zeit angefertigt hatte, als auch sämtliche Werke von euch und von allen anderen ehemaligen Schülern dieser Schule, heran genommen.
Dann trat ich einmal feste auf, um mit dieser Knallenergie alles zusammen zu flechten. Als dadurch ein sehr feines Gewebe entstanden war, habe ich beschlossen, mich aus einem bewussten persönlichen Verzicht heraus aus der Herrschaft über dies Alles raus zu nehmen, und mich selbst in aberwitzig viele kleine Bewusstseinsfragmente aufzuteilen, und in dies Alles einzudringen.“
„Du bist ja verrückt!“, meinte Zeus. Auch die anderen Kinder sahen in ungläubig an. „Wie willst Du so je wieder deine verlorene Einheit herstellen.“
„Das würde mich auch interessieren, Gott.“ Frau Gaya blickte in sehr gespannt an.
„Oh“, meinte Gott darauf, völlig entspannt, trotz des Tumultes bei seinen Klassenkameraden,
„ich habe Allem den Samen des persönlichen Verzichts mit auf den Weg gegeben. Sobald dieser durch Ruhe und Gelassenheit erst einmal zu keimen beginnt, wird automatisch meine innerste Stimme vernehmbar. Sie wird, zart und sanft zuerst, doch später immer heftiger und fordernder hörbar, jedem Teil von mir lehren, durch persönlichen Verzicht ein besseres Wohlbefinden für sich Selbst und für alle Anderen zu erzielen. Der Rest ist dann nur noch der Allem innewohnende Instinkt nach Glück und Frieden. Eigentlich ganz einfach. Ich nenne das Ganze übrigens Leben.“
Und mit diesen Worten löste sich Gott vor den Augen aller auf, und war verschwunden.
Als Frau Gaya die Kinder wieder beruhigt hatte, meinte sie nur sachlich feststellend: „Tja, Gott war schon immer ein sehr wissbegieriger und fleißiger Schüler. Er ist jetzt in die nächste Klasse aufgestiegen. Wenn ihr ordentlich lernt, werdet auch ihr bald eine neue Lehrerin vor euch haben. Jetzt ist aber erstmal wieder ein wenig Paradoxismus an der Reihe. Wer kann mir also sagen, woher jene Henne kam, die das erste Ei der Welt gelegt hat? Ja, Montezuma, was meinst Du, woher…?“
Wie üblich schlief Buddha derweil seelenruhig auf seinem Platz in der hintersten Reihe. Mehr zu dessen Erwachen dann eventuell in einer der nächsten Ausgaben von „Schulstunde".
(c) Markus Koch 2012