Die Haushälterin
Die junge Frau nestelt an den Knöpfen ihres Mantels. „Sei dem Unfall ist er ein Pflegefall. Die Läsion am Kopf führte zum kompletten Sprachverlust. Er ist in seinen Bewegungen sehr eingeschränkt. Alleine kann er so gut wie gar nichts mehr machen. Geistig ist er jedoch noch auf der Höhe. Er war damals lange Zeit im Krankenhaus. Aber das hat man ihnen sicherlich schon in der Agentur gesagt.“Ich nicke bestätigend.
Sie wirkt plötzlich nachdenklich. „Danach habe ich ihn gepflegt und den Haushalt in Ordnung gehalten. Sechs Jahre lang. Seine damalige Haushälterin erlitt einen Herzinfarkt, als sie ihn nach dem Unfall fand. Sie erholte sich nicht mehr davon und starb bald darauf. Sie lies ein Kind zurück, ich weiß nicht, was aus der Kleinen geworden ist.“
Entschlossen greift sie nach ihrem Koffer. „Ich will ehrlich sein, ich bin irgendwie jetzt doch froh hier wegzukommen. Es ist nicht die Arbeit, die bin ich gewohnt, doch die Einsamkeit machte mir schwer zu schaffen. Die Nachbarn sind meilenweit entfernt und in den Jahren, in denen ich hier war, kam kaum jemand zu Besuch! Er hat keine Angehörigen.“
Sie reicht mir die Hand zum Abschied. Die Haustüre fällt ins Schloss.
Ich durchstreife das Erdgeschoss der alten Villa. Der Weihnachtsbaum in der Halle wirkt deplaziert in diesen düsteren Räumen. Dennoch zünde ich alle Kerzen an.
Heute ist ein besonderer Tag.
Langsam gehe ich die Treppe hinauf, zurück in den ersten Stock, öffne leise die Schlafzimmertüre.
Ich setze mich auf den roten Sessel in der Nähe des Pflegebettes und warte. Sie sagte, du schläfst Mittags regelmäßig bis gegen vier.
Alt bist du geworden. Schütteres graues Haar bedeckt kaum mehr deinen kantigen Schädel. Du warst noch nie Augenweide.
Langsam kommst du zu dir. Siehst mich. Bist irritiert. Fragender, suchender Blick.
Du beginnst du begreifen. Dann erkennst du mich. Panik in deinen Augen!
Deinem Mund entweichen Töne, die keine Worte fassen können.
Ich ziehe langsam die Decke von deinem Körper.
Du versuchst dich zu wehren. Sinnlos!
Das Glitzern des Skalpells ... dann ist es vorbei.
Krümmender Körper. Ein Schrei der keiner ist.
Ich halte das Gewürm in meiner Hand.
Tief stopfe ich es dir in dein stumm vor Schmerz aufgerissenes Maul.
Auf dem Weg nach unten komme ich am Badezimmer vorbei.
Das Badezimmer!
Beine, die kaum folgen können.
Eiskaltes Wasser. Badewanne des Schreckens. Erstickte Schreie. Kopf tief im Wasser.
Die Uhr! Du sagst die Zeit an. 10 - 20 - 30 Sekunden. ... Luft!
Atmen. Schreien. Panik.
45 Sekunden. ... Luft!
Atmen. Schluchzen. Weinen. Flehen. Umsonst!
60 Sekunden! Todesangst. Sterbe ich? ... Luft!
Haare in deiner Faust. Zerren aus der Wanne. Versuche zu entkommen. Sinnlos. Bäuchlings über dem Rand liegend, erneut mein Kopf unter Wasser. Hände überall.
Zerreißender Schmerz ...
Vorbei.
Um Atem ringend, Rotz und Wasser heulend, übergebe ich mich.
Das Gesicht, die hüftlangen Haare in schleimig Erbrochenes gedrückt.
Mit letzter Kraft wehre, winde ich mich erneut.
Du rutschst auf meinem Erbrochenen aus, dein Griff geht ins Leere, ruderst mit den Armen, findest keinen Halt ...
Hart kracht dein Schädel auf den Badewannenrand.
Stille.
Ich schreite langsam die Treppe hinunter.
In der Empfangshalle verpasse ich dem Weihnachtsbaum einen Stoß.
Die alte Holzvertäfelung nimmt die Flammen auf,
... wie ein Geschenk.