Ekelhaft
„Weißt du, du bist manchmal so ekelhaft!“ Angewidert starrt er den Plastikbecher an, den sie eben mit Daumen und Zeigefinger angefasst hatte.„Ekelhaft? Was soll denn an mir ekelhaft sein?“ Gleichzeitig weiß Sie bereits die Antwort. Hilflose Tränen füllen ihre Augen. Gleichzeitig spult sich die vergangene Szene vor ihrem inneren Auge ab ...
Sein Blick fällt auf die Weinflasche im Regal. Er greift danach. „Magst Du auch was davon?“
Für einen kurzen Moment denkt sie ... ich mag doch keinen Rotwein, weiß er dass denn nicht? „Ja, aber nur wenig.“ Hört sie sich sagen und ist verwundert über ihre Antwort.
Sie steht auf, geht in die Küche, holt zwei Gläser, stellt sie vor ihm auf den Tisch.
Er wischt die Flasche sorgfältig mit einem Küchentuch ab, entfernt alle Aufkleber am oberen Flaschenhals. Betrachtet die Flasche von allen Seiten, wischt sie nochmals ab. Der Korkenzieher wird mittig eingedreht, der Korken mit einem Plopp entfernt. Er schaust den Korken ausgiebig an, legt ihn auf ein Stück Küchenrolle, welches er zuvor abgetrennt hatte.
Die Küchenrolle auf dem Tisch ist ein ständiges Utensil geworden. Er nimmt diese erneut in die Hand, reißt ein Stück herunter, faltet es sorgfältig und schlingt das Papiertuch um den Flaschenhals. Der Tropfschutz, denkt sie sich, sein Zelebrieren geduldig beobachtend. Sie hat Zeit. Sie mag keinen Rotwein.
Er nimmt eines der Gläser, schenkt ihr ein. Zweifingerbreit. Schiebt das Glas zu ihr. Sie nimmt es in die Hand, schaut hinein. Der blumige Duft ist angenehm. Dennoch weiß sie, es wird ihr nicht schmecken. Sie hatte es ihm gesagt. Immer wieder. Anderthalb Jahre sind sie nun ein schon zusammen. Sie zweifelt plötzlich daran, es ihm überhaupt gesagt zu haben ...
Er nimmt das zweite Glas. Hält es gegen das Licht. Riecht hinein, schaut es angewidert an und stellt es weg.
„Was ist?“ fragt sie leise.
„Es stinkt!“
Es muss sauber sein! Sie wusste, sie hatte es in frischen Spülwasser gespült. Zunächst lies sie es gut zwanzig Minuten darin liegen. Dann hatte sie es sorgfältig mit einem frisch gewaschenen Spüllappen gereinigt und mit frischem heißen Wasser sorgfältig abgespült. Danach auf einem Küchentuch etwas abtropfen lassen und mit einem weiteren sorgfältig abgetrocknet. Zuvor erneut ihre Hände gewaschen. Dies, nachdem sie die Einmalhandschuhe abgestreift hatte. Sie stellte die Gläser in den Schrank, mit der Öffnung nach oben. Das Glas konnte nicht schmutzig sein!
Sie versucht ihm den Reinigungsakt zu erklären. Sinnlos!
Er hält ihr das Glas vor die Nase.
„Ich riech da nichts!“
Er stellt das Glas auf den Tisch. Beugt sich zum Regal und entnimmt einer Plastikverpackung einen Plastikbecher. Er führt ihn zur Nase.
Nur kurz schaut sie ihn an. Hatte er ihr doch verboten ihn dauernd anzuschauen. Manchmal, wenn er wieder ging, hätte sie noch nicht einmal sagen können, was er anhatte ...
Er hält ihr den Plastikbecher hin. „Riech!“
Sie nimmt den Becher. Hält den Rand zwischen Daumen und Zeigefinger und riecht daran, stellt ihn auf den Tisch.
„Ich riech nichts!“