Triff mich Offline
Ich möchte dich heute offline treffen, weil dein 5x5cm Bild in deinem Profil mir heute einfach nicht genug „Du“ ist. Ich will dich in der höchstmöglichen Auflösung, in drei Dimensionen, auf die einzige Art, wie man dich ansehen sollte. Du eignest dich nicht für flache Bilder, weißt du? Man sieht nicht die winzigen Härchen an deinen Ohren und auch nicht die in seltsamen Winkeln verbogenen Wimpern an deinen Augen, die ich bewundert habe, als ich dich das letzte Mal minutenlang ansehen durfte. Dein Gesicht spricht Bände, wenn du live vor mir sitzt und ich sehe, wie du mir zuhörst. Deine Nasenspitze bewegt sich, wenn du bestimmte Laute formst oder lachst. Deine Stimme ist genau richtig ausbalanciert und ihre Bässe hallen in meinem Bauch nach, selbst wenn du flüsterst.
Beim Chat muss ich warten, bis deine Antwort kommt – im Real life bricht der Kontakt niemals ab. Deine Augen strahlen, wenn du sprichst. Deine Hände sind immer in Bewegung und ein Bild schafft niemals, dass ich sie zur Ruhe kommen sehen will – auf mir.
Erstell eine Abwesenheitsnotiz und sei anwesend bei mir. Lass uns irgendwo hingehen, wo wir zusammen runterfahren und uns elektrisieren können. An irgendeinen ruhigen Ort, zu dem man ohne Passwort gelangt. Ich möchte mich mit dir verlieren und wiederfinden, ohne online recherchieren zu müssen.
Statt Knöpfe zu drücken, will ich heute lieber ein paar aufmachen – deine oder meine. Statt nur meine Finger und Augen zu beschäftigen, will ich mit allen Sinnen genießen, hören, riechen, schmecken. Ich will mit dir essen, und viel reden, Filme kommentieren und dich auf die Palme bringen, indem ich gutrede, was dein Boss gesagt hat. Weil ich es mag, wenn du mich ansiehst, als ob du nicht weißt, ob du mich erwürgen oder küssen sollst. Und dann knöpfe ich meine Bluse weiter auf und lehne mich vor. Was hältst du von der Taktik?
Log dich aus, fahr runter, schalte ab, damit wir ausgehen und uns anmachen und in Bereitschaft bringen können, um uns später zusammen hochzukitzeln und in Fahrt zu bringen. Damit Finger Finger berühren, statt Tasten zu drücken und Zungen Zungen.
Was ich dir geben will, ist zu groß, als dass ich es an eine Mail hängen könnte. Was ich dir zeigen will, kann nicht hochgeladen oder bewahrt werden mit einem Klick.
Triff mich, damit wir uns daran erinnern, wie es sich anfühlt, sich zu verbinden ohne Router und Modem, sei mit mir zusammen, statt nur über Leitungen zu kommunizieren. Zieh den Stecker für eine Weile raus. Lass uns lieber unsere Köpfe zusammenstecken, lass unsere Körper eine Verbindung schaffen, die unsere Energie verbraucht und gleichzeitig Batterien auflädt.
Ich kann mir diese Stelle an deinem Nacken nicht runterladen für beliebigen Zugang. Ich brauche sie in meinen Händen, um mich daran zu erinnern, dass Körper warm sind, wie sie reagieren und wie gut es sich anfühlt, tastend, statt Tasten drückend. Ich möchte deine Hände auf mir, deinen Mund auf meinem, statt Mails und Chats, die mich nur geistig beflügeln.
Ich will dich berühren, nicht online befreundet sein. Ich will dich mögen, nicht „Like“ drücken. Ich will dich lieben, und keine Herz-Smileys verschicken. Ich möchte mit dir an einem Ort ohne Buchstaben oder Abkürzungen oder Verbindungsprobleme sein. Ich möchte da sein, wo dein Nacken existiert, dein Lachen zu hören ist und wo ein Ausstrecken meiner Hand genügt für kabellose Verbindung.
Go live!
© Dornroeschen67 2012