Wenn die Liebe geht
Ich sitze hier in der Küche und glätte sorgfältig die Tischdecke vor mir. Eine nichtsnutzige Geste. Die Oberfläche liegt glatt und klar vor mir. Es sind lediglich imaginäre Faltenwürfe, die ich da vor mich hinglätte. Ich starre durch sie hindurch und sehe ins Nichts. Stundenlang haben wir telefoniert, haben uns angeschrieen und vorgeworfen, uns angeheult und angefleht, uns zerfleischt und tiefe Wunden gerissen, wir haben gehofft bis zum Ende und doch gewusst, dass es genau dies sein würde - unweigerlich: das Ende.
Aber am Telefon fühlt man das Ende nicht. Am Telefon gibt es kein tiefes Begreifen, dass etwas zwischen uns fort gegangen ist. Am Telefon weiß man zwar im Grunde, dass es beendet ist, aber man verharrt in Schockstarre und kann es einfach noch nicht glauben. Man will es ganz einfach nicht wahrhaben.
Ich habe dich dann gebeten mir noch einmal gegenüberzutreten. Noch einmal wollte ich dich sehen. Ich wollte es in deinen Augen lesen, dieses Ende. Ich wollte die Endgültigkeit in jeder deiner Gesten ablesen können. Am Telefon lässt sich das einfach nicht dechiffrieren.
Du hast gesagt, dass du kommst.
Und so sitze ich hier am Küchentisch, nach einer durchwachten Nacht. Ich bin ganz abgestumpft. Ich bin leer und fühle mich furchtbar unwirklich.
Es klingelt.
Ich schlurfe zur Tür. Ich höre die Treppen in vertrauter Weise unter deinen schweren, schleppenden Schritten knarzen. Wie oft habe ich dieses Geräusch vernommen, voller Vorfreude gleich in deinen Armen zu versinken, deinen Duft zu Atmen, dein Herzklopfen ganz fest an meinem Ohr.
Jetzt ist es anders.
Dein wirrer Haarschopf taucht in meinem Blickfeld auf. Ein Stich fährt durch meine Brust. Mein Magen krampft sich wimmernd zusammen.
Unsere rotgeäderten Blicke treffen sich. Wir können nicht anders. Wir lächeln uns an. Der Schmerz lächelt mit.
Auch jetzt umarmen wir uns. Wir klammern uns aneinander, wohl wissend, dass wir uns bald loslassen müssen. Gierig saugen wir den wohlbekannten Geruch. Wir riechen nach heimkommen und nach warmer Vertrautheit.
Du legst, wie immer, wie schon tausende Male vorher, deine Sachen im Flur ab. Ich gehe schon voraus in die Küche. Schweigend, setze ich einen Tee auf. Du trittst hinter mich. Ich spüre deinen Atem in meinem Nacken. „Ach du!“, flüsterst du in mein Ohr und schließt deine Arme um mich.
Ich schlucke schwer an dem Kloß in meinem Hals.
Schweigend sitzen wir uns gegenüber. Eine friedvolle Stille. Es ist ein gemeinsames Schweigen. So einig wie in diesem Moment waren wir schon lange nicht mehr.
Das Ende eint uns.
Im Grunde ist alles gesagt. All die Worte, die gesagt und geschrieen, die geflüstert und gefleht wurden, die tränenerstickt und wutentbrannt aus unseren Mündern hervortraten, brauchen wir uns nicht erneut um die Ohren und um unsere zerschundenen Herzen schlagen.
Ich wüsste genau, was ich jetzt sagen müsste, um dich zu halten, was ich tun könnte, um dich an mich zu binden. Ich kenne dich zu gut. Aber es wäre nicht fair. Es wäre ein Ende auf Raten. Ich weiß, dass ich nichts retten kann. Es fällt mir sehr schwer loszulassen.
Ich zwinge mich jedoch, weil ich dich sehr, sehr liebe.
Erschöpft nippen wir am Tee. Wir sitzen uns gegenüber - Ich auf dem alten, durchgesessenen Sofa, du auf dem alten Holzstuhl. Die Beine hast du übereinander geschlagen, einen Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Dort, wo ich eben noch vergeblich versuchte die nicht vorhandenen Wogen der Decke zu glätten.
Es ist so schön, dass du hier bei mir bist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich mich das macht.
Das Ende fällt mir um so vieles leichter, wenn ich mich von dir verabschieden darf.
Ich atme tief ein und aus.
Dann stehe ich auf und trete an die heran. Ich umschlinge dich und betupfe dich mich vielen, kleinen Küssen. Meine Hände suchen und finden die Vertrauten stellen.
„Komm zu mir, ein letztes Mal.“
Diese Worte streicheln meine Hände in deine Haut, leckt meine Zungenspitze dir in deine Poren.
Aufjaulend, wie ein verwundetes Tier, wendest du dich mir zu, ziehst mein Gesicht ganz nah an deines, holst dir meinen weichen, warmen Körper auf deinen Schoß, windest meine Kurven ein letztes mal um dich.
Eng umschlungen schlittern wir gemeinsam dem Abgrund entgegen. Selten waren wir uns so nah.
Wir ertrinken im Hier und Jetzt.
Es gibt kein Morgen.
Wir wissen es.
Du hebst mich auf und trägst mich fort. Ein letztes Mal gleiten wir ineinander, schmecken uns, fühlen uns, leben UNS.
Hinterher liegen wir aneinandergeschmiegt.
Ich füge mich nahtlos in dich ein und du dich in mich. Das habe ich immer geliebt. Das werde ich immer lieben. Du auch.
Ich musste mich eben nur noch ein letztes Mal vergewissern.
Jetzt, da ich es bis in mein Innerstes weiß, atme ich leichter.
Ich weine jetzt nicht, weil ich dich verloren habe. Ich weine, weil ich so glücklich bin, dass du in meinem Leben bist.
Du bist dort und wirst auch immer dort bleiben.
Mit meiner Hand greife ich hinter mich in deinen Nacken und ziehe dich noch ein Stückchen näher an mich heran.
Innerlich lasse ich dich frei.
Dein Herz fliegt mir in diesem Moment entgegen.
Das spüre ich.
*