Nicht mehr da
Und plötzlich war er nicht mehr da. Er war einfach weg. Ohne Vorwarnung, ohne eine Idee, wohin er gegangen ist, war er einfach weg und hat mein Leben zurückgelassen und abgestreift, als wäre es ein alter Schuh. Er, der jahrelang eine so wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat, war nicht mehr da.Ja klar, hab ich viel geweint. Ich muss mich dafür auch nicht schämen. Man weint nun mal, wenn einem so was passiert. Ihr würdet auch weinen. Und austicken. Und nicht mehr richtig funktionieren.
Ich habe auch nicht mehr richtig funktioniert, damals. Und das Richtigfunktionieren fällt mir bis heute noch schwer, auch wenn es mittlerweile sechs Jahre her ist, dass er sich verpisst hat.
Ihr seid echauffiert über meine Wortwahl? Das macht nichts. Im Gegenteil, das tut mir gut, eine solche Wortwahl zu treffen. Es befreit mich. Es macht mich klarer. Es macht mich funktionierender. Standpunkt beziehen! Das tut gut. Ihn einen Pisser nennen, ihn beschimpfen, wenn keiner zuhört, das geht mir runter, wie Öl!
Natürlich sage ich so etwas niemals vor anderen.
Anderen erzähle ich, wie gut er ist. Ja, er ist ein guter Mensch. Er tut anderen nicht weh. Er geht nur einfach weg, wenn etwas nicht richtig nach seinen Vorstellungen läuft. Aber dafür kann er nichts, weil er ja gut ist.
Manchmal ruft er an. Und dann fragt er mich, wie es mir geht und was ich gerade mache.
„Fernsehen.“ Ist meistens meine Antwort, weil ich nicht weiß, was ich ihm sagen soll. Ich hab nicht viel mit ihm zu reden.
Er kann auch nichts dafür, dass er nicht da war, als die Jungs aus der Nachbarschaft mich verdreschen wollten, weil er ja weit weg ist. Weit weg in jeder Beziehung.
Ich soll ihn besuchen. Aber ich weiß nicht wirklich so recht, was ich dort soll. Er ist nicht mehr da. Und er ist nicht mehr mein Zuhause. Er ist niemand. Er ist nur mein Vater. Vater ist nur ein Wort.
© Rhabia 02-2012