Im Märzen, die Müller, stark abgespannt...
Im Märzen der Bauer die Rößlein einspanntEr setzt seine Felder und Wiesen in Stand.
Er pflüget den Boden, er egget und sät
und rührt seine Hände, früh morgens und spät.
Die Bäu´rin, die Mägde sie dürfen nicht ruh´n,
sie haben in Haus und Garten zu tun.
Sie graben und rechen und singen ein Lied;
sie freu´n sich, wenn alles schön grünet und blüht.
So geht unter Arbeit das Frühjahr vorbei.
Da erntet der Bauer das duftende Heu.
Er mäht das Getreide, dann drischt er es aus.
Im Winter da gibt es manch fröhlichen Schmaus.
Das alte Volkslied, von Generationen im Musikunterricht der Schulen oder gar noch von der Mutter gelernt, kennen die Jüngeren wohl kaum noch. Das Idyll frohen Tätigseins im Frühling, nach strengem, dunklen Winter, das durch Blüte und Gedeihen, reiche Ernte und sattes Ruhen am Jahresende belohnt wird, schien Christel Müller wie Hohn, wenn sie auf ihren März schaute.
Nicht, dass es bei ihr nichts zu tun gab. Von früh bis spät nahm auch sie sich der Aufgaben an, die im Staccato eines Hummelflugs auf sie einstürmten – und dabei ging es keineswegs nur um Frühjahrsputz oder die übliche Gartenarbeit:
Ende Februar war bei ihrer Mutter Blasenkrebs diagnostiziert worden, der sich im März als inoperabel erwies. Obwohl die Mutter durchaus ein Alter erreicht hatte, in dem man früher oder später mit dem Tod rechnen musste, waren die wenigen Monate erschütternd, die die Ärzte noch in Aussicht stellten. Wie sollte sich Christel dem stellen?
Die Tochter stand kurz vor dem Abitur, fiel zweimal durch die Führerscheinprüfung und legte sich mit schwerer Erschöpfung und Grippe zu Bett.
Ihr Gatte reichte die Scheidung ein – nicht wirklich überraschend nach längerer Trennung – dennoch musste sie Zeit für Anwaltstermine und Gespräche haben.
Gleichzeitig kam eine unsägliche Mietnachforderung ins Haus; so beschäftigte sie dann gleich zwei Anwälte, die auch beide bezahlt werden wollten. Eine Kündigung des Mietverhältnisses schien nicht unwahrscheinlich, was somit eine Suche nach neuem Wohnraum mit sich brachte.
Die Dusche im Kinderbad war wohl seit längerem irgendwo undicht, was Christel daran bemerkte, dass im Zimmer ihres Sohnes der Putz begann gelbliche Blasen zu werfen. Also googelte sie eine Firma für Abdichtungen im Sanitärbereich und wurde nach zähem Verhandeln auf einen Termin im April geschoben.
Als sie in einem Schuhgeschäft das Geburtstagsgeschenk für ihre älteste Tochter kaufen wollte, wurde Christel der Geldbeutel geklaut – außer Kartensperrungen, Polizeianzeige und Geldverlust bedeutete das auch Ämterlaufen und neue Unkosten.
Ende März war Christel dankbar, dass sie wegen Urlauben und Krankenständen öfter, als ihre Halbtagesstelle forderte, arbeiten gehen musste; denn da war sie für Tage von den Aufgaben abgelenkt, die zuhause auf sie warteten.
Jetzt wie ein Bauer auf dem Feld, den Geruch von frischer Erde in der Nase, das Singen der Vögel... abends müde und zufrieden zu Bett, die Felder gepflügt und besät, mit berechtigter Hoffnung auf gute Ernte.... zu verlockend schienen diese Bilder, und sie hätte sofort getauscht. Sie hatte ja nichts gegen Arbeit, auch nicht gegen viel Arbeit, aber sie musste Früchte tragen können.
Bei dem, was sie gerade erledigen musste, schien ihr eher das Bild vom Absägen verdorrter Äste angebracht, und sie hatte wenig Hoffnung, dass vom dem Baum etwas übrig blieb, sodass er im Frühling wieder Blätter treiben konnte. Alles roch nach Verfall, Velust und Abschied. Herbst mitten im Frühling.
Verzweiflung kam nicht in Frage, Kraft war gefragt im Begleiten, Mut machen für die Verwandlung, den Schritt ins Neue, das aussah wie Nichts... doch woher sollte sie das Zutrauen nehmen?
Sie kaufte Primeln, um die Fensterbank mit Blüten zu schmücken. Sie rechte im Garten das alte Laub zusammen und stopfte die Tonne damit voll. Sie legte sich ins Gras und schnupperte am ersten Veilchen. Sie erinnerte sich an ein Gedicht:
Verwandlungen (Christine Busta)
Es hilft nichts, gegen das schrecklich schöne
Leben die Stimme zu erheben.
Der Aufschrei bezeugt das Leiden,
aber beglaubigt hat es die Stille,
das Schweigen, das Lächeln – vorher und nachher.
Ausweg ist nur im Ausbruch nach innen.
So bricht der Kern aus der Frucht in den Boden,
birgt im Dunkel seine Zerstörung
und übersteht sie, hebt sich ins Licht
als winziger Flügel bitteres Grün.
Ihr stiegen Tränen in die Augen bei der letzten Zeile: der winzige Flügel, das bittere Grün. Und sie nahm ihre Bitterkeit, ihre Verzweiflung und ihre Erschöpfung und setzte sie wie Samen in die Erde. Kleine Flügel sollten aus diesen harten Kernen wachsen, kleine Blättchen der Hoffnung... zart, verletzlich, aber voll Lebendigkeit.
Und sie stand auf und arbeitete weiter.
©tangocleo 2012