Der Orden der Dämonenjäger
In Anlehnung an diese Geschichte Kurzgeschichten: Simira, habe ich nun den Anfang geschafft ... es wird wohl doch wieder etwas länger werden, was mir, ehrlich gestanden, nicht wirklich leid tut Der Orden der Dämonenjäger
Wie ein gut dressiertes Hundchen lief das Mädchen dem Mann in der prunkvollen Ordenstracht hinterher. Doch der Schein trog, ihr Marsch war nicht freiwillig, ihr Gehorsam erzwungen. Ihre Schritte waren zu langsam weshalb sie die Person, die ihr folgte mit Schlägen zwischen die Schulterblätter antrieb, damit sie rascher machte. So schnell sie ihre Beine auch bewegte, für den großen Mann vor ihr war sie zu langsam. Tränen glänzten in ihren Augen, Angst zeigte jede ihrer Bewegungen. Der Ordensbruder und die Begleitungen achteten nicht auf das Kind, sondern kamen ihrer Pflicht nach.
Panische Furcht packte das Mädchen, hielt sie mit eiserner Faust, als sie durch die langen Gänge des Haupthauses marschierten, das einer Festung des Glaubens glich. Hier herrschte Ordnung, penible Ordnung des Geistes, der Gedanken und Gefühle. Wie sie es gelernt hatte, versuchte sie, ihre Angst zu beherrschen anstatt von ihr beherrscht zu werden. Doch sie war noch zu jung dazu und so konnte sie ein Zittern ihrer Schultern nicht mehr unterdrücken und bald schon bebte ihr Körper bei jedem Schritt und die vorhin noch tapfer zurückgehaltenen Tränen bahnten sich ihren Weg aus den Augen, deren Farbe an den Himmel an einem Sommertag erinnerte, und liefen die weißen Wangen hinab.
Nun ging es eine breite Freitreppe nach oben. Das Mädchen hatte keinen Sinn für die Schönheit der geschnitzten Handläufe oder der feinen Drechselung der Stäbe. Auch für die meisterhaft gearbeiteten Intarsien der Wandvertäfelung fehlte ihr der Sinn. Hier begann der Prunk des Ordens, hier wurden seine Macht und Wichtigkeit unterstrichen. Schwarz, gold, silber, rot, die Farben der Dämonenjäger, die Farben der Vernichtung, die Farben des Gehorsams und der Treue.
Mit jedem Schritt, mit jeder Stufe, die sie höher stieg wuchs ihre Angst noch und bald schon konnte sie nicht mehr denken und gehorchte automatisch, von den Schlägen der Frau, die sie Mutter nennen musste, angetrieben.
Der Mann vor ihr war bereits oben angekommen, ohne sich nach seinen Begleitern umzuwenden, schritt er nach links und folgte einem weiteren breiten Gang, deren Wänden von den Portraits der Ordensfürsten geschmückt wurden, der Männer also, die für den Orden wichtiges geleistet hatten, ihn in seiner Tradition geführt und Dämonen in die Hölle zurück geschickt hatten. Die Rüstungen auf den Bildern schienen im Schein der Fackeln zu glänzen und mit ihrer magischen Macht zu prahlen.
Noch immer waren sie nicht am Ziel angelangt. Dem Mädchen schien es, als würde sie durch dicken Sirup laufen, zähflüssigen Schleim durchwaten, der sich in ihr breit machte und sie nur noch als ein einziges wildes Herzklopfen zurückließ, das ihr den Atem nahm.
Beinahe übersah sie so, dass der Mann vor der letzten Doppeltür stehen geblieben war, die sich eben lautlos und wie von selbst öffnete. Das Kind sah die geschnitzten Wappen auf den Türen, das gold der Sonne und die Gewalt der Schwerter, die unter ihr in den imaginären Himmel ragten, als Zeichen des Sieges über die Herrschaft und Boshaftigkeit der Dämonen.
Ohne ein Wort zu sagen, schob die Mutter das Mädchen weiter in einen weitläufigen Raum, dessen Boden von einem dicken Teppich bedeckt war und in dem sich nur wenige Möbelstücke befanden. Ein breiter, wie alles an diesem Ort mit viel Kunstverstand verzierter, Schreibtisch stand an einem Ende des Zimmers. Dahinter war ein großer Gobelin, der das Ordenswappen zeigte, daneben prangten die Gesichter des amtierenden Ordensmeisters und seines Vorgängers als Bilder an der Wand, bildeten ein weiteres Zeichen der Macht. Fackeln daneben tauchten den ansonst dunkel gehaltenen Raum in ein eigenartiges, beinahe unwirkliches Licht.
Der Mann, der dem Mädchen voran ging, blieb wenige Schritte vor dem Tisch stehen und nahm Haltung an. Da konnte das Mädchen die Person hinter dem Schreibtisch erkennen und sie wünschte sich, zu sterben. Viel hörte man über die Glaubensjäger, doch begegnet war sie in ihrem kurzen Leben bislang noch keinem.
Der Ordensbruder verneigte sich tief vor seinem Vorgesetzten und verkündete dann mit tiefer, volltönender und gut trainierter Stimme: „Orudur Theodorus, wie gewünscht bringe ich Euch das Kind.“ Er trat zur Seite und der Blick wurde auf das Mädchen, das für ihr Alter sehr muskulös war, freigegeben. Als sie ein Schlag in den Rücken traf, taumelte sie einen Schritt nach vorne und blieb dann mit gesenktem Haupt stehen. Die Frau hinter ihr baute sich gewichtig auf, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, doch das Mädchen konnte nichts davon wahrnehmen. Ihr Blick war auf den blutroten Teppich gerichtet und sie fragte sich nur noch, was sie hier machte, warum sie die Strafe Gottes treffen sollte, wo sie doch nur etwas Freude haben wollte. Noch immer liefen ihr die Tränen ungehindert über die Wangen und ließen sie dadurch jünger erscheinen als sie war.
Der Orudur, ein Meister des Glaubens, ein Mann mit Macht und Würde, ein Wissender, richtete sich in seinem Stuhl auf und musterte das Kind mit hochgezogenen Augenbrauen. Die golddurchwirkte schwarze Kutte gab ihm das Aussehen eines Raben, wozu auch sein glattrasiertes Gesicht, das von der langen geraden Nase und einem harten Mund dominiert wurde, und die schwarzen bis zur Schulter reichenden Haare passten. Er wirkte als würde er jederzeit sein Gefieder aufplustern und mit dem schweren Schnabel auf das Kind einschlagen, doch nichts dergleichen geschah. Theodorus war ein Mensch und kein Wandler, wenn auch ein mächtiger Orudur und ein Magier noch dazu, wie die Amtskette bewies, die schwer um seinen Hals lag und die Symbole des Anhängers an der Brust wie schreiend präsentierte. Nun betrachtete er das Kind mit wachsamen grün blitzenden Augen und schaute dann mit einem kurzen Nicken seinen Untergebenen an, dann deutete er auf die Frau hinter dem Kind.
„Ich hoffe für Euch, dass Ihr nicht zu sehr versagt habt, Madam Hausmutter“, sagte er zum Abschied mit einer Stimme, die an die Kälte einer Gruft erinnerte. Die Frau verneigte sich ehrerbietig und verließ rasch den Raum, der wohl auch auf sie wie eine Hochburg der Befragungskünste wirken musste.
„Simira, so lautet doch dein Name“, begann der Orudur mit milder Stimme zu sprechen, nachdem er das Kind lange mit steinerner Miene betrachtet hatte. Das Mädchen schwieg. In sich selbest zurückgezogen, hatte sie den Orudur nicht gehört. Sie versuchte alles auszublenden, zu vergessen wer und wo sie war. Mit aller Macht wünschte sie sich, jemand anders zu sein, ein normales Kind, das vom Vater verprügelt wurde, am Feld arbeiten musste, kein Wissen besaß und mit anderen Kindern herumtollen konnte. Weit weg wollte sie sein, nichts mit den Dämonenjägern zu tun haben, keine Schwerter mehr sehen, keine Kampftrainings mehr machen müssen, nicht mehr stundenlang stehen müssen bis sie meinte, umzufallen. Keine Gebete mehr, keine Magie, keine ängstlichen Blicke ihrer Mitschüler, keine bissigen Bemerkungen mehr über ihre Andersartigkeit, die hinter ihrem Rücken losgelassen wurden. Sie schickte ihre Gedanken auf eine grüne Wiese, Sonnenschein und Lachen. Doch sie wusste nicht mehr wie das ging. ‚Wie lacht man?’, dachte das ängstliche Kind, dessen geistige Reife ihr Alter bei weitem übertraf.
„Antworte, wenn du angeredet wirst.“ Den Worten des niederrangigen Ordensbruders folgte ein Schlag ins Gesicht des Mädchens, der sie aufschreien ließ, wohl mehr aus Überraschung denn vor Schmerz.
„Ja, Herr“, antwortete sie schließlich mit leiser und schluchzender Stimme. Sie fühlte sich allein, verlassen selbst von ihrem Glauben und von ihrem Gott im Stich gelassen. Der Grund, warum sie hier war, ließ sich nur erahnen und selbst das wollte sie nicht. Der Orudur erkannte ihre Panik, stand auf und ging um den Tisch herum. Vor dem Mädchen ging er in die Hocke, fasste ihr unters Kinn und hob es hoch, sodass er ihr Gesicht sehen konnte. Dann zwang er sie, seinen Blick zu erwidern, ihre Augen ganz auf seine zu richten, so lange bis er ihre Aufmerksamkeit hatte. Eine Weile verharrte er in dieser Haltung, dann ließ er sie los, ging die wenigen Schritte bis zu seinem Tisch, wobei Simira den Stoff der Robe des Mannes deutlich hören konnte. Es war als würde altes Laub zwischen den Händen zerrieben. Theodorus lehnte sich an die Tischkante und schaute wieder zu dem Mädchen, das erneut mit gesenktem Kopf vor ihm stand.
„Was sollen wir nur mit dir machen? Du hast die besten Voraussetzungen, eine der mächtigsten Orudure zu werden, doch du kannst dich nicht fügen, verletzt die Regeln und du hast gestohlen und gelogen“, sagte er nach einer Weile. Der Untergebenen hatte sich an die Tür zurückgezogen und hielt dort Wache, während sich der Orudur um das Kind kümmerte. Simira schwieg, den Blick auf ihre Füße gerichtet, die schmutzig und blutig unter ihrer Kutte hervorschauten, deren Farbe an reife Haselnüsse erinnerte. Simira wand sich unter dem Blick des Orudurs, senkte den Kopf noch mehr und schluchzte leise.
Nach endlos langen Minuten, deren verstreichen das Ticken einer wuchtigen Pendeluhr verkündete, bewegte sich der Orudur erneut. Er legte die Hände hinter dem Rücken zusammen und umrundete das Mädchen, sie immer wieder mit scharfen Blicken bedenkend. „Dein Ungehorsam wird dich ins Höllenfeuer bringen“, dröhnte er. Simira schien unter diesen Worten in sich zusammenzusinken. „Nein“, flüsterte sie, die Worte kamen ungewollt über ihre Lippen und brachten ihr den ersten Schlag ein, der sie in der Folge immer wieder treffen sollte, doch er hatte nichts mit physischer Gewalt zu tun. Ein eisiger Wind schien sie zu umwehen und packte ihr Haar, das an die Farbe reifen Korns erinnerte. Er zog ihren Kopf daran hoch, bis sie aufgerichtet vor ihm stand und gezwungen war, ihm ins Gesicht zu sehen. Ihre Augen zwang er mit der Kraft seines Willens, offen zu bleiben und seinem Blick standzuhalten. „Woher hast du das?“ Ohne den Blick von ihr zu lassen oder seinen magischen Griff zu lösen, fasste er in die Falten seiner Robe und zog eine kleine Puppe aus einer der zahlreichen verborgenen Taschen. Sie bestand nur aus Stoff und war schon sehr abgegriffen. Mit spitzen Fingern hielt er das Spielzeug hoch und wedelte damit vor Simira herum. Eine kleine Hand schnellte nach vor und wollte nach der Puppe greifen, doch der Orudur warf sie zu Boden. Simira schwieg weiter, konnte nur ein Wort denken und das gefiel dem strengen Meister nicht. Abermals zwang er ihren Blick auf ihn. „Du warst ungehorsam. Dein Leben gehört dem Orden. Du bist auserwählt, ihm zu dienen, unsere Welt vor den Dämonen zu schützen.“ Abermals war seine Stimme mild, wurde aber durch den harten Blick Lügen gestraft. Simira traute ihm nicht, sie wurde von der Angst beherrscht, eine Strafe ertragen zu müssen, die sie nicht aushalten könnte. Schweiß und Tränen vermischten sich auf ihrem Gesicht als sie schluchzend gestand, die Puppe aus dem Spielzimmer entwendet zu haben. Theodorus schwieg eine lange Zeit, lediglich sein Blick schien sich in das Kind bohren zu wollen. Dann löste er den magischen Griff, den er um das Mädchen gelegt hatte. Schlaff sank sie in sich zusammen, das Haar fiel ihr ins Gesicht, doch sie schien es nicht zu merken.
„Du brauchst das nicht. Dein Leben ist der Orden. Gehorsam, Simira, Demut vor Pretourias deinem Gott und nichts anderes. Bescheide dich!“, kam es aus dem Mund des prächtig gekleideten Mannes. Trotz ihrer geringen Anzahl an Lebensjahren fand sie diese Aussage falsch, konnte sie nicht nachvollziehen und in Verbindung mit der Punksucht des Ordens bringen. Als er schlussendlich den Blick von ihr nahm, fiel sie kraftlos zu Boden. Der weiche Teppich verhinderte eine allzu schmerzhafte Landung und sie vergrub sofort das Gesicht in den weichen Fasern.
„Ich wollte doch nur etwas zum Liebhaben. Pretourias ist doch Liebe“, murmelte sie kaum hörbar, doch für das feine Gehör des Orudurs laut genug. „Was?“, brüllte er. „Hast du noch immer nicht verstanden, worum es geht? Kennst du keinen Gehorsam?“ Er gab dem Mann an der Tür ein Zeichen und dieser kam umgehend näher, packte Simira an der Hand und zog sie hoch. „Du wirst die Strafe für den Diebstahl und den Ungehorsam in deiner Kammer erwarten, ohne mit jemandem zu sprechen. Du wirst fasten und beten, bis ich meine Entscheidung bekannt gebe. Wenn du alt genug für eine eigene Meinung bist, bist du auch alt genug, dafür einzustehen“, sagte der rabenartige Mann mit kalter Stimme, die auf Simira einzuhacken schien.
Wie sie in die Kammer des Waisenhaustraktes gelangte, wusste sie nicht. Ihre Gedanken schienen ausgelöscht zu sein, beherrscht nur von einer unermesslichen Angst, den der Orudur in ihr ausgelöst hatte. „Faste und bete“, sagte der Ordensbruder zu ihr. „Dann wirst du Erleuchtung erlangen. Sei froh, du wirst ein Orudur, nicht jedem wird diese Ehre zu Teil.“ Damit dreht er sich um und schloss die Tür hinter sich. Die Worte, die wohl ein Trost sein oder sie an ihre Pflichten erinnern sollten, verfehlten ihre Wirkung, denn Simira hörte sie nicht.
Als der Bruder weg war, setzte sich auf das schmale Bett und zog die Beine an. Dann griff sie nach dem Kissen und drückte es an sich. Daran, zu beten, dachte sie nicht, sie hatte keine Gedanken, fühlte sich ausgelöscht, ohne Persönlichkeit, gefangen im Glauben, aus dem sie dennoch Trost schöpfen konnte, wenn sie sich dessen besinnen würde. Doch sie hatte Angst, Angst vor ihren Gedanken, Angst vor der Strafe, die ihr blühen mochte.
Die Zeit wurde ihr lang, immer wieder nickte sie ein, während sie wartete, fastete aber nicht betete. Ihre Gedanken konnten sich nicht konzentrieren, wanderten herum und fanden keinen Punkt, an dem sie innehalten und sich in eine tiefe Meditation zurückziehen konnten.
[wird fortgesetzt ...]