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Zeitgleiter

Zeitgleiter
Strömt die Zeit immer nach vorn, so wie Wasser niemals aufwärts fließen kann? Ja, bis ein Herr Escher auftaucht, der es virtuell gegen den Strich bürstete und Sci-Fi Autoren die Nummer mit der Zeitreise erfanden.

Wo ist die Quelle dieser ungreifbaren und doch in Einheiten unterteilten Wesenheit?
Den Zeiger der Uhr kann man anfassen, die Zahlen im Display des Weckers schon nicht mehr. Das sind nur aufgepixelte Dioden. Der Uhrzeiger besteht aus Atomen, deren Molekularketten sich in eine spitz zulaufende Form materialisiert haben. Aber, wie sagte Paul Simon, und der war kein Physiker:
Everything put together, sooner or later falls apart.
Die atomar Gebildeten verlieren eines Tages ihre Bindung. Die Zeiger verrosten und mit ihnen die Uhr, vielleicht sogar eine ganze Branche. Wer lange genug zuschaut, sieht auch Weltreiche zerbröseln.

Der Rost ist ein signifikanter Zeit-Zeuge. Er verdeutlicht den Prozeßcharakter von chemischen Vorgängen auf Oberflächen. Für jede Art von Patina auf Brücken, Kirchenkuppeln, alten Bildern - bis auf das des Dorian Grey - wird der Sauerstoff als hauptverdächtig befunden. Gibt sich jemand dem Eindruck von etwas Verrostetem hin, beschleicht ihn so etwas wie ein Bedauern, unterpfeffert mit einem Schuß Wut.

...vergangenheit......ist im ehemaligen werden befindliche zukünftigkeit....ist abgeklatsche...ist angenagtes vom vortage... altbacken....die zeitung von gestern....von vor sechs wochen.... trends ebben ab......hinken hinterher.... uptodate...ein ausdruck unserer zeit...ein druck...ein mittel, um uns am band zu gängeln, zu zwängeln und zu drängeln, auf den weg des geringen widerstands...

Ein altes Haus kann als baufälliges Objekt angesehen werden, oder als eine Stätte, an der Spuren von Jahrhunderten zu finden sind: die Bücher, die sich bis zum Dachboden stapeln, die Bilder und die Anordnung der Möbel und Pflanzen, die die Gefühle jener Zeit gespeichert haben. Da sind die Schulbücher der Kinder, und dort liegen gebündelte Magazine. Sie bildeten den Quell, aus dem begierig der epocheprägende Zeitgeist gesogen wurde. Gegenwartsgläubige sind brainwashable, bleiben aber am Puls der Zeit.


....der gang, der vergeht, die vergessenheit .....vergnügen ...ver... ver....verlustig gehen...verzicht .....wie lange her...verdamp long hair.....es vergeht keine minute ohne vergangenheit zu werden ... der sprinter überholt mit jeder 100stel sekunde seine eigene gegenwart...


Die Zeit gleicht einem Traum, den man nicht erhaschen kann, und man kann nur hoffen, daß sie mit und durch sich selbst nachlässig und schlampig wird und eines Tages erste Erfolgsnachrichten aus der ganzen Welt verzeichnet werden können: Bröckelnde Zeitsegmente aus dem Mittelalter in der Wüste Nevadas gefunden! Aber wie viele Generationen benötigt die Zeit um zu altern? Mmmh.- Beim Knacken mancher harten Nuss erwischt´s schon mal ´ne taube.

Zwischen den Jahrzehnten dehnt sich die Zeit zu Blasen. Das hat die Anmutung des Stillstands, Fort- oder Rückschritts. In wird zu Out. Gewarnt vor Fortschritt wird von Leuten, die sich gegen den Gedanken wehren, Leben sei Entwicklung und nichts Festgeschriebenes. Sie leiden unter dem Misoneismus, der Angst vor Neuerungen. In einer konservativen Zeitströmung wurde die Konserve erfunden, die erst biologisches, dann akustisches, optisches und schließlich virtuelles Material haltbar machen konnte. Aus einem geistigen Vorgang wurde etwas Materielles.

... vorhersagen sind nichts als wahrscheinlichkeiten, vom jetzigen stand aus betrachtet... erfüllen muss man sie schon selbst.... sie sind eine konstruktion des möglichen auf dem zweig der vergangenwart ... gegenkunft... zukunftheit.... die durchlaufende linie der zeit .....unter dem mikroskop sieht man nur die gegenwart...und die vergangenheit ist weg.... wegbereiter... der laufenden angelegenheiten......sieht man, sah man..... vorbeiziehen .....bääääättttsch.....schon vorbei........

Die Zeit umfließt uns wie Wasser den Fisch. Das Wahrnehmbare nimmt eine schleierhafte Scheinmaterialität an, die von unseren Sinnen als stabil angesehen wird; Schatten, die auf der Wand der Zeit vorüberhuschen. Die Atome, in Jahrmillionen darauf trainiert, sich zu den jeweils erzwungenen (Urknall/Chaos), und dann zu den gewünschten Formen (Labor) anzuordnen, bilden in anarchistischen Gruppen unerwünschte Früchtchen (Schweinegrippenviren).

Die Uhrzeit ist nur eine Vereinbarung und beruht auf Berechnungen, bei denen die Entfernung Erde-Sonne keine unbedeutende Rolle spielt. Und nur weil sie messbar ist, muss sie ja kein Hirngespinst sein, nach dem Motto: Zeit gibt es eigentlich gar nicht. Wie könnte aber etwas, das es gar nicht gibt, gekrümmt werden, Schlaumeier? So wurde aus der Ur-Zeit die Uhrzeit und aus den Entfernungsrelationen entsprang das Ur-Meter. Ist schon urig. "Ich treffe dich um fünf Uhr am Bahnhof" impliziert eine Kette von mathematischen Operationen - einschließlich der Sommerzeit-Korrektur - die in anderen Jahrhunderten und Kulturen als den unseren beheimatet sind. Beheimatet? Kann man denn seine Heimat in einem Jahrhundert haben, Herr Grass?

... im nahtoderlebnis läuft das leben wie ein film ab .... die akkus laufen leer.....die betteries..... im bett wird die meiste zeit verschlafen .... der zeitsprung.... der quantensprung.... zurück in die zukünftige gewesenheit.... der sich spiralig entwickelnden.....

Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Wenn ich Liebesschmerz erleide, wird er dadurch gemildert, dass der Zeiger der Uhr um 24 Stunden vorrückt? Neh, so schnell geht es nicht. Erst die Auseinandersetzung mit dem Schmerz und die Verarbeitung bringt Entlastung und vernarbt die Wunden, wie der Rost eine Kerbe im Metall.

Die Zeit ist eine kosmische Spirale, auf der wir auf- oder absteigen. Eine Stunde mit Zahnschmerzen kann zur Ewigkeit werden. In den Armen
einer Geliebten verfliegt die Zeit förmlich und wir vergessen die Zeit nicht nur, sondern wir werden sie vielleicht sogar hassen, weil sie uns das wieder entreißen kann und wird, und uns das Lied
Time Is On Our Side
von den Rolling Stones im zugeschnürten Halse stecken bleiben lässt.

‘Kommt Zeit, kommt Rad’, sagte sich der Fahrraddieb und holte den Bolzenschneider unter der Jacke hervor.

....entschwindend sah er die gegenwart als gewesenes in die zukunft ausufern....time keeps slipping into the future... sie eilt sich selbst entgegen, begegnet sich dann im vorübergehen und schaut sich nochmals um: als vorausschauend rückwärtseilende......kerstin sah kristallklar in der zukunft ihre gegenwart aufblitzen und begann sich zu einem ganzen zu knüpfen....

Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis
meint Goethe.
„Zieh mal die Zeit auf,“ sagte die Oma zu dem Enkel, der nur zu gern den Schlüssel im Innern der Standuhr suchte, in dem das große Pendel ihn hypnotisierte. Das, was wir Ticken der Uhr nennen, ist eigentlich ein Vorrücken, so wie der Sternenhimmel, wenn man sich nachts auf die Erde legt und hinaufschaut, in kleinsten Maßeinheiten weiterrückt......


Soweit das Pendel in eine Richtung schwingt, wird es auch in die Gegenrichtung pendeln. Die Bedeutung davon sollte mancher erst viel später entdecken, an einer anderen schmerzhaften Schnittstelle der Zeit.

Die Klangstäbe der antiken Uhr sind ein Gleichnis für die laut Goethe
tönende Sonne, die ihren Lauf nach alter Weise vollführt
. Woher wollte der das wissen? Und wie kam Kepler darauf, in der "Weltharmonie", aus den Entfernungen der Himmelskörper die Planetentöne zu berechnen? Die Sonne steht für das ‘Cis’, die Erde für ein ‘G’, Venus für Gis usw. Planetentöne in Oma´s Standuhr! Wow! Und in der Seele des Enkels schwang jene Saite mit, die man später als Nostalgie für immer mit Bedeutung befrachten würde. Das ist das Gepäck der Zeit: mit Bedeutungen zu beladen, was dann für alle ein Päckchen darstellt. Dogmatisieren - wo doch noch die Gefahr der Infragestellung drohte.

... im leeren raum gibt´s schwerkraft nicht noch gibt es zeit.... oder ist die nur komprimiert, und wird - so das vakuum gut genug ist - als gegenwartskügelchen wieder ausgespuckt?... so kann man seinen eigenen opa wiedertreffen .... der schon tote opa beerdigt seinen eigenen urenkligen sproß in der linie seiner samen-väter
....phall nur, aufstehen musst du selber...
(James Joyce)

Odysseus irrt durch die Korridore der Zeit. Unsere Gedanken, Erlebnisse, Schmerzen, alles, woran wir uns erinnern, sind wir ja im Grunde selbst, wir stecken darinnen, sind eins damit. Im Traum erleben wir dieses gleichförmige Strömen der Zeit, die hier nicht unterteilt ist in Vergangenheit und Zukunft. Man bleibt in einer gleitenden Gleich-Zeitigkeit. Erinnerungen im Traum stehen uns lebendiger vor der Seele, als sie das im Wachleben tun. Ein Gestorbener kann neben uns gehen, und wir fragen uns, wann der denn nächstes Mal stirbt. Die Traum-Zeit ist eine ganz spezielle Dimension.

..wo hab ich begonnen...soll ich da etwa enden...im strömungskanal der zeit ...oder hat sich etwas entsponnen.... entspannt....eine geschichte ....eine schwingung ist keine vergangenheit sondern ......sie schwingt.....wird erregt und ebbt ab ...schwingt sich auf zu erneutem klingen und springen...bockt.... auf und nieder.....in neuen kurven.... gleitet....gleitet....
Vergiß die Vergangenheit(en) und komm essen!

© lyricus
prüfend
*********tMut Frau
2.123 Beiträge
Deine Teilnahme hier und somit deine Geschichten sind eine echte Bereicherung für dieses Forum! Danke!

*ja*
wenn man das liest, hat meine eine Ahnung, wie komplex wir das simple: Verändern: durch das Phänomen Zeit gemacht haben...
danke! *g*
So
sehe/lese ich das auch!


*spitze* laf
eyes002
******ace Mann
15.981 Beiträge
Gruppen-Mod 
Um
wert zu schätzen, wie sehr ich diesen Text genossen habe, gibts die Feder *g*

Herzlichen Glückwunsch

Tom
Die Feder für besondere Geschichten
@Ghostface
Da bedank ich mich doch artig!
Als Neuling hier bei Euch möcht ich an dieser Stelle auch mal
ein fettes Lob für Euer Forum, die benutzerfreundliche Einrichtung
der Seite und besonders für die Arbeit der Moderatoren ablassen, die das
alles durch die Augen kriegen, was wir hier so absondern. *g*


*bravo* *spitze*
interessante Gedanken, die deine Begeisterung für Wissenschaft, aber auch die erhaltene kindliche Neugier und Faszination für Phänomene zeigen, die man noch so viel auseinanderbröseln, kaputtanalysieren und zu verstehen versuchen kann, aber doch nie kapiert.
geht mir genauso und es ist gut so...

Das Wort Zeitgeist allein ist schon mehrere Essays oder Doktorarbeiten wert - es wird übrigens auch im englischsprachigen Raum benutzt, weil es unübersetzbar ist und so viel ausdrücken kann.
Danke dir
Gruß
Dea
@dornroeschen67
(mit Verbeugung) Grazie!
*wink*
****e_a Frau
583 Beiträge
Heller Hammer!
sie eilt sich selbst entgegen, begegnet sich dann im vorübergehen und schaut sich nochmals um: als vorausschauend rückwärtseilende......
: eine meiner Lieblingsstellen aus deinem fulminanten Text.

Soviel Tiefsinn, Weitsicht, Wendungsreichtum, Übersicht, Offenheit zur Zeit hat mir grosse Freude bereitet beim Lesen.

Kennst du Nabokovs Roman "Ada oder das Verlangen" und darin die wundervollen Gedankengänge zur Textur der Zeit?

LG
Co
@alisea82
Ja, danke!
So ein Feedback tut schon ziemlich gut. *g*

Von Nabokov hab ich leider nur "Lolita" gelesen.
(Davon übrigens viel begeisterter als von der Verfilmung)
Aber danke für den Tip. Werd gleich mal eine Suche danach in
der nächsten Bücherhalle starten.
PS: Wußtest Du daß N. Synästhetiker war?
Ciao
@alisea - die zwote:
Seh gerade in deiner Homepage
aufsatz
damals war das jetzt in der zukunft.
unbenannt noch. unwissend.
die zeit verging.
ungemessen. angemessen. dem, was nicht sein darf.
und doch sein will.
Hätte auch in meinen Text gepaßt, oder?
Grüße
lyricus
eyes002
******ace Mann
15.981 Beiträge
Gruppen-Mod 
Mit
ein paar Großbuchstaben schon *zwinker*
[Satire AUS]

Tom
****e_a Frau
583 Beiträge
@**m: manche Texte wollen keine Grossbuchstaben. Die klingen anders!

@****cus: dass N. Synästhetiker war, merkt man gewissen langen Passagen in "Ada" enorm gut an. So, wie er die erste intensive erotische Begegnung oder besser Erkennung von Ada und Van beschreibt, geht das nur, wenn die Buchstaben singen und riechen und schmecken.
@alisea
Das hast Du schön gesagt! *top*
Man sagt ja auch: Es hat dir nicht geschmeckt, was ich gesagt habe
Und Du machst mir weiter Lust, das Buch Ada mal zu lesen
(Geht wohl um eine Geschwisterliebe, oder?)
Salut
lyricus
eyes002
******ace Mann
15.981 Beiträge
Gruppen-Mod 
Aber Alisea...
du weißt selbst: Kunst kommt von: Können.

Es ist schon ein kleiner Unterschied, ob man ein Handwerk beherrscht und sich eines gewissen "Stilmittels" bedient, wie zB Gedankenstriche, Punkte oder das Fehlen der Großbuchstaben oder ob man grundsätzlich keine platziert, wie auf deinem Profil. Das verwässert deine Aussage, dass nur "manche" Texte anders klingen; denn es klingt dann alles gleich *zwinker*

Meine persönliche Meinung zum Thema "Deutsch" in Schrift und Form ist da unnachgiebig.
Bei mir kommt durchaus an, dass im Zeitalter der SMS- Schreibe Großbuchstaben "out" sind. Aber das als Stilmittel zu deklarieren, das hast du doch sicherlich nicht nötig, oder?

Tom
****e_a Frau
583 Beiträge
Oder?
Ich habe meine Bemerkung zum verschiedenartigen Klingen nur auf meinen Text "aufsatz" bezogen. Wenn du andere Texte von mir liest, dann siehst du, dass ich mich seltenst der ausschliesslichen Kleinschreibung bediene. Ich werde dieses Stilmittel in Zukunft jedoch bewusster einsetzen. Dazu hat mich deine pointiert verfasste Bemerkung angeregt. Merci.
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