Was ich so alles mache, wenn du nicht da bist
Ich lasse alle Lampen im Haus an, wenn ich schlafen gehe. Nicht, weil ich dich vermisse: es ist nur zur Sicherheit. Du wusstest das vielleicht nicht, aber es kann nicht eingebrochen werden, wenn die Lichter an sind. Angriff ist die beste Verteidigung, also verscheuche ich Einbrecher dadurch, dass ich jedes einzelne Licht in unserer Wohnung nachts anlasse.Das schließt den blauschimmernden Fernsehbildschirm im Wohnzimmer ein. Nicht, weil ich dich vermisse: das liegt an meiner fürchterlichen Erziehung. Ich wuchs auf in einer Familie, in der die Menschen mitten in der Nacht aufwachten, um den Fernsehsender zu verstellen. Wenn ich als Kind nachts um zwei durchs Haus gegangen wäre, hätte es bei mir manchmal ausgesehen, als wären alle Opfer eines Kohlenmonoxidlecks geworden: jemand schlief auf der Couch, andere in Sesseln, nur meine Schwester im Bett, mit hellen und lauten Fernsehbildern als Untermalung. Bis heute könntest du wahrscheinlich mehr meiner Familienmitglieder wecken, indem du das Fernsehen ausmachst, als wenn du es anstellst.
Ich esse sehr früh zu Abend, wenn du nicht da bist. Als ob ich es darauf anlege, von Leuten deswegen blöd angemacht zu werden, die behaupten, dass nur alte oder konservative Leute so früh essen. Aber es weiß ja keiner. Außerdem rede ich dabei mit leblosen Dingen oder mit mir selbst, wenn ich den kleinen Tisch decke. Ich überzeuge mich selbst davon, dass es noch nicht zu früh ist, dazu ein Glas Wein zu trinken. Nicht, weil ich dich vermisse: es ist erstaunlich, was für klare Argumente von sprachunfähigen Flaschen ins Feld geführt werden können.
Das klingt traurig? Ist es nicht. Ich genieße die Zeit mit mir selbst. Ich sitze nicht herum und warte auf dich wie ein Möbelstück, darum hast du mich schließlich nicht gebeten. Wenn ich das sollte, würde ich allerdings am liebsten das Sofa sein, unser Sofa, auf dem wir so viel mehr getan haben als sitzen. Aber das ist nur meine Schwäche für geteilte Erinnerungen. Ich sehe nach vorne und amüsiere mich. Nicht, weil ich dich vermisse: es ist nur das, was wir beide tun, es gehört zum lebendig sein. Außerdem ist es spannend zu denken, es macht mich anders, und wenn wir uns in der Zukunft wiedersehen, habe ich mich ein wenig verändert. Denn der Gedanke ist noch dem Traum am ähnlichsten, den ich davon habe, in die Zukunft reisen zu können.
Wenn du nicht da bist, gehe ich auch aus, aber nicht sehr oft. Du bist schließlich nicht mein Vater und ich bin längst jeder Autorität entflohen, die mir sagt, was ich tun soll (außer du zählst jetzt meine Arbeit mit, wo ich froh bin, dass Vorgesetzte für Dinge gerade stehen müssen – dazu werden sie schließlich bezahlt). Du bist keine Katze und ich bin keine Tanzmaus. Ich muss nicht abwarten, bis du aus der Tür bist, um Spaß haben zu können, eigentlich ermutigst du mich ja sogar dazu. Auch wenn ich manchmal eine Pizza esse, allein zuhause zu sitzen bringt in mir nicht das Beste hervor. Also gehe ich ab und zu noch mit Kollegen einen trinken und bleibe manchmal auch länger weg. Nicht, weil ich dich vermisse: aber es scheinen viele Leute diesen Monat Geburtstag zu feiern.
Ich komme endlich mal wieder zum Lesen. Ich surfe im Internet und sehe mir die verrücktesten Dinge an, aber nur, bis es langweilig wird, bei jedem netten Bild oder gutem Spruch zu denken, dass dir das auch gefallen würde. Dann fahre ich den PC herunter und schnapp mir ein gutes Buch. Manchmal schau ich mir auch einen Film an, aber meistens warte ich damit lieber, um ihn bald mit dir sehen und mit dir lachen und bangen zu können. Nicht, weil ich dich vermisse: aber lesen kann man ganz allein am besten und ein paar Dinge gibt es schon, die mir, aber nicht dir gefallen.
Auch wenn ich die Wohnung das nächste Mal abends verlasse, werde ich ein paar Lampen anlassen. Das macht Einbruch unwahrscheinlich und es ist angenehm, in ein Haus zurückzukehren, dessen warmes Licht es wohnlich und bewohnt erscheinen lässt. Außerdem wird es für dich – wenn du zufällig kommen solltest, während ich weg bin – möglich sein, schon von der Straße aus unsere Wohnung zu sehen, weißt du, falls du vergessen hast, wie sie aussieht, während du weg warst.
Die einzige Lampe, die ich nicht anschalten kann, ist deine Schreibtischlampe, ich schaffe es einfach nicht, ich weiß nicht wie. Du bist der Einzige, der sie benutzt und das auch nur, wenn du am Schreibtisch arbeitest. Das erklärt, warum ich den Schalter nicht finde, nicht dass es übermäßig kompliziert wäre.
Es liegt daran, dass ich dich vermisse.