Eine kleine Anthologie der Tiere
Die Welt der Tiere ist eine vortreffliche Metapher für jegliche menschliche Eigenschaften. Da wäre zum Beispiel der Löwe. Mut ist die wohl größte seiner Stärken. Seine ganze Art hat etwas Royales, Unantastbares gepaart mit Schönheit und Eleganz. Ja, wer wäre nicht gerne ein Löwe? Zumindest aber seine Freundschaft möchte man sich sichern. Schließlich ist der Löwe der Chef im Ring.Oder nehmen wir den Fuchs. Äußerst raffiniert und listig erschleicht er sich seine Beute. Oftmals nutzt der Fuchs die Schwächen seiner Gegenspieler in Form von Eitelkeiten aus. Nicht immer geht es dabei fair zu. Aber ist das Leben immer fair? Wo ein Verführer ist, muss es auch einen geben, der sich verführen lässt. Und so steht der Fuchs recht häufig auf der Seite des Erfolges.
Vordergründig weniger mächtig, aber dennoch allen überlegen ist die Eule. Ihre Weisheit ist von allen Tieren die höchste. Sie ist niemandes Feind und allen gleichermaßen Freund. Sie versteht es, geduldig und freundlich Unrechtmäßigkeiten zu beseitigen. Leider ist sie nachtaktiv und lebt sehr zurückgezogen. Man weiß nie, wann und wo die Eule auftaucht, oder ob sie überhaupt noch existiert. Sicher ist allenfalls, dass es zu wenige ihrer Art gibt.
Die Macht der Gruppe lässt sich häufig bei kleineren Tieren erkennen, Ameisen zum Beispiel. Sie sind so klein, dass sie kaum jemand für voll nimmt. Ihre Bauten sind dafür umso beeindruckender. Gleichermaßen über- und unterirdisch erstrecken sie sich manchmal meterweit. Ameisen sind darauf programmiert, ihr liebes Leben lang zu schaffen. Warum und wofür wissen sie wahrscheinlich selbst nicht. Nur, dass da immer jemand ist, der dasselbe Programm hat. Und als Ergebnis zeigt sich die Pracht der fraglosen Hand in Handarbeit. Schleicht sich jedoch ein Fehler in das Programm und sie scheren aus der Masse aus, werden sie entweder gefressen oder zertrampelt. Bei ihrer großen Anzahl fällt das nicht weiter auf und keiner beklagt es – am wenigsten die Ameisen selbst.
Ebenfalls ein Gruppentier und bekannt für ihren Fleiß sind die Bienen. Ihr Programm ist das gleiche, wie das der Ameisen, nur bei ihnen hat es der Mensch geschafft, einen Nutzen daraus zu ziehen. Darum haben sie den positiven Stempel des Fleißes bekommen. Das genügt den einfältigen Tierchen, um sich nicht gegen die Menschheit zu erheben. Nur in ganz üblen Fällen von Todesangst zückt die Biene ihren Stachel, was in bitterer Ironie meist nicht mehr als ihren eigenen Tod zur Folge hat. Aber wenigstens hat sie es versucht.
Selbstverständlich gibt es gibt auch weniger angenehme Beispiele für Gruppentiere. Hyänen sind so eine Spezies. Ihr Gekreische lässt jedes lebendige Wesen die Flucht ergreifen. Deswegen ernähren sie sich bevorzugt von totem Tier. Niemand mit auch nur einem Funken Hör-Sinn kann es in ihrer Nähe aushalten. Das stört die Hyänen jedoch recht wenig, da sie alle die gleiche Sprache und sonst keine sprechen. Untereinander kommen sie bestens zurecht. Alle anderen verstehen sie einfach nicht!
Als allgemein ziemlich dumm gelten domestizierte Tierarten, wie Hühner, Gänse, Esel, Kühe, Ziegen. Dass dies nur selten, den tatsächlichen Umständen entspricht, ignoriert der Mensch beständig. Und recht hat er! Ein Lebewesen, das sich von einem anderen unterwerfen und ausbeuten lässt und dafür bestenfalls den Tod erntet, kann man doch nur als dumm bezeichnen.
Wilde Vogelarten sind da deutlich besser dran. Nicht unbedingt positive Eigenschaften werden ihnen zugeschrieben, aber wenigstens sind sie nicht dumm.
Die diebische Elster muss sich ziemlich anstrengen, um wertvolle Beute auszumachen und zu ergattern. Da wäre Dummheit eine verhängnisvolle Eigenschaft.
Jemanden der seine Nachfahren von anderen ausbrüten und aufziehen lässt, würde man vielleicht als Schmarotzer oder Egoisten bezeichnen, aber keinesfalls als dumm.
Als ausgemacht klug gelten hingegen Krähen und Störche, zumindest bei Letzteren steht der eindeutige Beweis dafür noch aus.
Schwänen wird ein gewisser Stolz nachgesagt. Das liegt bestimmt nur an ihren langen Hälsen und vielleicht auch an ihrer Monogamie. Andernfalls müssten sie einen Fehler zugeben und das geht bei so einer weißen Weste wirklich nicht.
Alles könnte so schön geordnet sein, gäbe es da nicht die Schnepfen. Die ihnen nachgesagte Blödheit ist genau betrachtet gar keine. Es ist nur der hilflose Versuch des Menschen die verkorkste, verdrehte Art der Schnepfen in einen kompakten Eigenschaftsnamen zu pressen. Schnepfen sind solange harmlos, bis sie den Schnabel auftun.
Irgendjemand, vermutlich ein Pfau, der ihnen mal unter das Gefieder gucken wollte, hat ihnen einmal gesagt, dass sie gute Sänger seien. Seither flattern die Schnepfen aufgeregt von Ast zu Ast und erzählen, was für tolle Sänger sie sind. Meistens wollen sie noch die Würmer anderer dafür haben. Die kriegen sie aber nicht immer, weshalb die Schnepfen verunsichert über ihre eigenen Fähigkeiten sind.
Tatsächlich singen die Schnepfen äußerst selten – und nur deshalb lauscht der ganze Wald dann beeindruckt. Sie können also doch ein bisschen was, diese Schnepfen. Wenn sie dann damit fertig sind, kritisieren die Schnepfen die anderen Vögel für ihren Gesang auf einer nur für sie (die Schnepfen) erkennbaren Skala, um auch ja die eigene Leistung nicht zu gering dastehen zu lassen. Und daher kommt es, dass die Schnepfen für blöd gehalten werden. Dabei sind sie nur zutiefst verunsicherte und daher bedauernswerte Wesen ohne eine einzige richtige Eigenschaft.