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Labyrinth

Labyrinth
Roman zog den Mantelkragen hoch und hüllte sich in seine Gedanken.
Wenn er diesen inneren Raum betrat, fühlte er sich wie in einer großen Eingangshalle. Der Portier nickte wohlwollend und zwinkerte ihm zu. Roman war sich nicht ganz sicher, in welches Zimmer er gehen wollte. Er schlenderte den Korridor entlang und studierte die Schilder. Vor der Abteilung Niedermachen zögerte er. Links ging es zu Eigenes Niedermachen rechts zu Andere niedermachen. Das war es. Ohne anzuklopfen trat er ein.
Die Programmierer saßen in der Frühstückzone und lasen Bildzeitung. Einige nickten verdrossen, andere grinsten schäbig. Ah, der Chef! Da sagen wir mal Guten Morgen. „Na Leute, was Neues?“, spielte er bewusst den wunden Punkt dieser Abteilung an. „Neeh, Sie wissen ja, ... immer die eingeschleifte Nummer durch. Aber, versuchen Sie es doch mal bei den Kollegen aus der Gerüchteküche!“
Roman schob sich durch verwaiste Computerplätze und sah sich die Programme an, an denen hier gearbeitet wurde: Beleidigungen&Schmähungen hatte einer auf dem Schirm, ein anderer Mobbing.
Er wollte ein Lied pfeifen, doch irgendetwas hielt ihn zurück. Es lag etwas Vergiftetes in der Atmosphäre dieses Raumes. Seine Schuhsohlen quietschten auf dem PVC-Belag, als er sich hastig von dem Monitor Kündigungen & Prozesse wegdrehte. Er suchte die Verbindungstür zu der Abteilung Eigenes Niedermachen.

In diesem Zimmer saßen die Programmierer emsig tippend an den PCs, und Roman schaute einigen über die Schulter: Das Gefühl festzustecken, bah, toll. Ein anderer hatte Hilflosigkeit und Verwirrung in Arbeit, Vielleicht gab es ja bei Schuldgefühle neue Aspekte. Doch der Sachbearbeiter tuschelte gerade mit dem finster blickenden und nachlässig gekleideten Spezialisten für Frustrationen. Sicher bastelten sie wieder an absturzsicheren Links zu einander. Er wusste, dass hier wöchentliche Treffen stattfanden zwischen allen Mitarbeitern, um die einzelnen Dateien miteinander derart zu verzahnen, dass man am Schluss gar nicht mehr aus dem Labyrinth heraus fand.

Roman kräuselte die Oberlippe, als er den Monitor mit der Aufschrift Waterloo zu sich drehte. Wiederwillig-neugierig schaute er die Optionen an. Ärgerlich drehte er sich zum Mitarbeiter von Private Niederlagen, doch der zuckte nur mit den Schultern, und die beiden Byte-Quäler von Emotionale Traumata und Berufliche Desaster drehten sich unengagiert zur Seite.
Er stolperte über Kabel rüber zum Getränke-Automaten, wo er sich eine Fischsuppe zog.

Als er die Apathie-Programmschreiber sah, war ihm klar, wieso sie die Richtigen für diesen Job waren. Er rief lauter als er wollte : „Zur Selbstbestrafung? Wo geht’s da lang?“ Ein Apathieschreiber hob mühsam den Arm. „Hinten bei den Einschränkungen rechts, und dann immer gerade aus, bis du an Stück Dreck kommst. Da musst du dann kräftig gegendonnern, damit sich die Kollegen so richtig erschrecken, das fördert deren Kreativität. Kannst Du das behalten, oder soll ich es Dir ausdrucken?“ Ein schwaches Aufglimmen in seinen Augen deutete auf plötzlich erwachendes Interesse, doch Roman war schon weitergegangen.

„Wieso denke ich plötzlich: ich schaff es ja doch nicht?“, fragte er den für Die Ideen entgleiten mir zuständigen PC-Knecht. Der hielt ihm ein Schild entgegen: Es kauft doch niemand was von dir. Roman wollte etwas entgegnen, doch da kam das zweite Schild: Lass mal gut sein.

Nach Luft schnappend stürzte er zurück in die Eingangshalle, in der er sich auf die kühle Ledergarnitur fallen ließ und dabei einem Darmwind Gelegenheit bot, sich mit Gegerbtem zu treffen. Der Portier stand mit aufgestützten Armen an seinem Pult und beobachtete ihn. „Irgendwelche mails für mich?“ Der Mann schaute auf seinen Bildschirm, klickte und nickte. „Ja, hier ist eine Nachricht von der Abteilung Keuschheit & Demut. Sie möchten mal reinschauen.“
Roman grinste ein „Danke schön“ und schritt dann federnd über den Korridor in die andere Richtung. Hier ging es zu den Datenbanken Unterstützende Glaubenssätze. Leise Musik rieselte von der Decke, und ein Zimmerbrunnen erinnerte ihn daran, dass er pinkeln musste. Er las das Plakat an der Wand: Ich mache jeden Tag, und zwar in jeder Hinsicht, immer mehr Fortschritte. Er ging zu der allseits umgarnten Programmiererin Linda und beugte sich über ihre von Wellness umspülte Figur: „Was ich brauche, ist ein Link von Selbstverdammung zu Ich erarbeite mir neue Fähigkeiten. Kannst Du mir das programmieren?“ Sie schielte durch einen Vorhang kastanienbraunen Haars zu ihm rauf. „Was glaubst du, wozu wir hier sind?“ Sie kaute provokativ auf einem schlanken Schreiber. „Ich kann allerdings nicht garantieren, dass der Link ohne Abstürze funktioniert. Die Jungs von der anderen Abteilung sind immer so hyper drauf.“ Jetzt blitzte sie ihn offen an, und die feine Kontur ihres Gesichtes schälte sich aus der Haarfülle. Die Jungs von Meine Erfahrungen sind reichhaltig und profund schauten schon feixend herüber.

Ja, die wollte er doch etwas fragen. Er war unsicher, ob er Linda die Hand oder lieber dreimal die Wange küssen wollte, streifte dafür zweimal lobend über ihre Haarfülle und ging rüber zu den Jungs.
„Hi, guys“. Sie schlugen ihr Begrüßungsritual klatschend und fingerschnalzend über die Rechner. „Hört mal! Mir ist immer ganz schlecht, wenn ich aus der Abteilung Schuldgefühle komme. Gibt es nicht einen virtuellen oder analogen Raum, in dem ich mich ausruhen kann?“ Ihr aufmerksames Grinsen ließ ihn sich hier immer wie zu Hause fühlen. „Klar. Was hälst du von ein paar Comics?“ „Klasse Idee. Ich mag Lucky Luke ganz gern. Und Astarta.“ „Du meinst doch nicht diese Astro-Comic-Braut mit den extrapneumatischen Möpsen? Na, gut, weil Du es bist, wir machen es!“ Sie schlugen sich wieder in die Hände. Nur diesmal hatten sie eine Variante für gute Idee gehabt, die sich in ihrer Abfolge nur leicht von Erfolg melden unterschied.
Bei den aufgeräumten Kollegen von Ich erweitere mein Bewusstsein jeden Tag konnte er nicht umhin, einen auszugeben. Er griff sich ins Inlett des Jacketts und fand dort neben Krümeln auch die Smart-Mediacard, die ihm dort reingerutscht war. Dann fühlte er den Stick, den er gedreht hatte, um das Bewusstsein der Kollegen ein wenig zu modifizieren.

Er deutete mit dem Kopf auf die kleine Ruhezone an der Seite des Raumes, die außer drei Meditationsliegen mit Brain-Machine-Anschluß einen Medication-Point bot, in der mit spezieller Ventilation abzugsfreie Luft garantierte wurde.
Als er dann mitten in einem konzentrierten, nur von Lachsalven unterbrochenen Gespräch nach der Toilette fragte, zeigten sie ihm die Richtung. Er kam jetzt wie zufällig auch bei den Jungs von Keuschheit & Demut vorbei, machte jedoch in Zeichensprache klar, dass er jetzt nicht konnte wie er wollte.

Er beschleunigte seinen Vorschub auf dem glatten Boden der Gänge, wie eine Kehrmaschine, die in den dritten Gang schaltet. Wo war denn das blöde Klo? Niemand war in der Nähe zum Nachfragen, also hastete er mit zusammengekniffenen Pobacken durch Nebengänge, öffnete falsche Türen und verirrte sich schließlich rettungslos in Unterabteilungsverteilern. Da,na endlich!
Eine schmale Tür ohne Aufschrift ließ ihn knarrend eintreten. Er fluchte leise, als er den Gang erkannte: Niedermachen.

© lyricus
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