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Hypnagog

Hypnagog
Er verschränkte die Arme hinterm Kopf und lauschte dem Abendgesang der Vögel in der herabsinkenden milden Dämmerung des Spätapril. Die Bilder direkt vor dem Einschlafen ließ er langsam ablaufen. Es waren Miniträume, in sich logisch ablaufende Sequenzen. Die Süße des Schlafes war so verführerisch nahe, und er wollte bewusst diese Schicht zwischen Tag und Traum wahrnehmen. Hier begannen die Gefilde des Unbewussten. Ich gleiche einer Ahnung, die hungrig auf ihre Erfahrung ist, hörte er sich denken, bevor er mit dem Satz: Ein Tag hat 150 Millionen Kubikmeter in die Mulde des Schlafes glitt.

Er erwachte wie auf Fingerschnips; kein Blinzeln, kein Gähnen. Sein Traum verflüchtigte sich, ohne dass er auch nur den Zipfel des Nachthemds - der Traum trug ein Nachthemd mit Sternenhimmel - festhalten konnte. Die Dämmerung gebar den neuen Tag, und die Gegenstände im Zimmer warfen schon mal versuchsweise diffuse Schatten. Er wußte, daß es fünf vor fünf war und während seine Augen bemüht waren, das Ergebnis am Zifferblatt der Uhr zu realisieren, durchzogen ihn die ersten Gedanken des Tages: die Seele ist eine Festplatte und das Leben ist der CD-Brenner.

Er pfiff lautlos durch die Zähne und griff nach seinem Tagebuch. Diesen Gedanken kannte er doch - aber wo hatte er ihn notiert? Er begann mit der Übung, sich den zurückliegenden Tag vorzustellen, und zwar rückwärts. Er begann am letzten Abend und arbeitete sich in Gedanken weiter zurück - oder muß man „vor“ sagen? - bis zum Morgen. Doch beim Zurückfahren auf der Zeitspur fand er sich auf Nebengleisen wieder. Jeder Gedanke barg eine Ablenkung, eine Assoziation, die ihn auf einen Seitenzweig lockte. Und war er dem abwegigen Gedanken erst einmal gefolgt, mußte er die Strecke wieder zurückgehen, um mit kriminalistischem Gespür die Stelle zu finden, wo ein Bild oder Gefühl ihn von der Hauptstrecke hatte abweichen lassen. So brauchte er mehr als eine Stunde, um die Bilder und Gefühle des vergangenen Tag vor seinem inneren Auge vorbeiziehen zu lassen. Erstaunt bemerkte er, wie reichhaltig ein Tag an Bewegungen war, die in seinem Inneren ausgelöst wurden!

Alte Verhaltensweisen und Vergangenheits-Selbste erhoben sich wie Gestalten aus Rauch und traten ihm entgegen. „Herzlich willkommen! Kennt ihr mich noch, ääh, schon?“ Das war die falsche Frage! Die Vergangenheits-Selbste (es waren ungefähr sechs), traten überrascht einen Schritt zurück: „Wie, du bist unser Zukunfts-Selbst? Dann gibt es Zeit also gar nicht?“ „Doch, doch“, beruhigte das Zukunfts-Selbst, „ kein Grund, sich aufzuregen. Ich jedenfalls möchte meine Solidarität ausdrücken für .....äh...für euern Kampf im Prozeß der Individuation meines, äh...eures, ....na ja, .... unseres Wesens.“ Er war ins Stottern geraten. So ein Gespräch hatte er noch nie geführt. „Auf der Woge eurer Empfindungen bin ich bisher gesurft. Dafür...äh......ich danke euch.“ Verlegen ab nach Verbeugung. Die Vergangenheits-Selbste, die es nicht gewohnt waren, daß man sie lobte, fielen augenblicklich in Trance und in den dafür vorbereiteten Zeitgleiter
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