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Die Ursula, der Siegfried und die Gänseköttel

Die Ursula, der Siegfried und die Gänseköttel
Die kleine Ursula, das „muntere Füllen“ so ihr Name, ein neugieriges, augenblitzendes Ding von zweimal Sieben Lenzen, kann ihren Blick kaum von dem jungen Helfer des Schmiedes losreißen.
‚Was ist das nur für ein kräftiger, junger hübscher Kerl? Aber warum schaut der niemals zu mir her?
Diese Gestalt, diese Muskeln! Diese Arme, dieser schweißglänzende Rücken! Die Beine, und erst das Hinterteil! Wie er den schweren Hammer schwingt, dass die Funken sprühen und wie er flink die Schmiedezange wendet mit den Eisen, die feurig glühen! Sieht aus, wie ein richtiger Held.
Aber ist der denn dumm? Kann der mich nicht sehen? Missfalle ich ihm?
Soll ich näher zu ihm gehen?

Ursula sitzt auf dem Dorfplatz, auf der runden Holzbank, die um die Dorflinde herum gebaut ist. Sie wartet auf Hellgard, die irgendwo im Dorf einen Bauern von seinem Bauchweh befreien will. Hellgard ist ihre Ziehmutter, eine allseits geachtete Heilerin und Weise Frau. Sie hat Ursula vor über zehn Sommern als kleines hungriges Bündel am Wegesrand gefunden. An dem Weg, den die großen Wanderzüge der Leute aus Sonnenaufgang nehmen, welche Jahr für Jahr vor den wilden Reiterhorden des Königs Etzel nach Sonnenuntergang und Mittag fliehen.

Ein immer lauter werdender Streit zu ihrer Linken lenkt sie von ihrem bewunderten jungen und heißblütigen Anhimmel-Helden ab:
„Was bist du denn schon für ein Schmied, Regin? Da, schaue dir meine Pflugschar und mein Schwert an! Jedes Jahr werden die immer weniger. Sie rosten dahin. Jeder Stein, jede einfache Holzrüstung, jeder Schlag auf einen Balken kann sie verbiegen.
Hätten wir doch nur den berühmten Schmied Wieland hier, der Odins Schwert Gram, das Hundings Söhne zerbrachen, aus den Trümmern wieder herstellen konnte.
So ein Schwert würde ich mir auch wünschen.“
„Ha, Lügenmärchen!“ protestiert Regin der Schmied.
„Ein zerbrochenes Schwert kann Keiner wiederherstellen, es wird immer wieder brechen.“
„Doch, man kann!“ kontert der Mann. „Wieland soll das zerbrochene Schwert in ganz kleine Stückchen zerteilt und gefeilt haben. Dann hat er sie an seine Gänse verfüttert, die Kötteln wieder eingesammelt, und im Rennofen zu einem neuen Schwert eingeschmolzen. Das war dann so hart, dass man damit einen römischen Brustharnisch glatt durchschlagen konnte.“

„Daran glaubst du, du einfältiger Tor? Na gut, wenn du meinst. Ich werde dein Schwert von meinem Schmiedeburschen Siegfried nach deinem Rezept behandeln lassen.
Siegfried! du Dummkopf, du großer tollpatschiger Nichtsnutz! Komm her, nimm dir dieses rostige krumme Schwert, zerhacke und zerfeile es in kleine Stückchen, stecke sie in Brot und verfüttere sie danach an die Gänse! Morgen sammelst du dann die ganze Kacke wieder ein!“

Der große Tollpatsch kommt heran, schaut ganz ungläubig drein, und fragt:
„Nur an die Gänse, Meister Regin, oder auch an die Hühner?“ nach einem kräftigen Tritt seines Meisters in seinen strammen Hintern trollt er sich kopfschüttelnd mit dem Schwert in die Schmiede.

Ursula hat gut zugehört. ‚Macht der das etwa jetzt wirklich, das alte Schwert zu Spänen feilen? Kann man denn wirklich so dumm sein? Das will ich sehen.’
Sie nutzt die gute Gelegenheit und geht dem Siegfried hinterdrein in die Schmiede.
Der hat tatsächlich das Schwert in den eichenen Block gespannt und kratzt mit einer groben Feile daran herum. Dabei schimpft er halblaut vor sich hin. „Den Regin schlage ich tot!“
Ursula kann ihn gut verstehen. Sie möchte ihm gern helfen, aber wie?

Sie denkt noch einmal über die ganze Sache nach und in ihren Augen blitzt ein Gedanke auf.
Gerade, als sie dem Siegfried vorsichtig auf die Schulter klopfen will, wird sie aber selbst an ihrem Arm heftig von ihm hinweggezogen.
Es ist Hellgard, die alte Heilerin.
„Hier muss ich dich also finden, Ursula. Du fängst ja sehr früh damit an, das muss ich schon sagen. Es wird wohl Zeit, dass ich dir ein paar Dinge des Lebens erkläre, bevor es zu spät ist. Was hast du hier zu suchen?“
Ursula hat ihren kurzen Schreck schnell überwunden.
Sie erzählt Hellgard, was sie über die Sache mit dem Schwert weiß und welcher Gedanke ihr soeben gekommen ist, um Siegfried zu helfen.

Hellgard sieht ihr Ziehkind lange, intensiv und nachdenklich an.
„Könnte das wirklich sein…“, murmelt sie,...ist das denn möglich?
…Sie ist doch aber nur ein Findelkind…
Ob sie von unseren Druiden abstammt? Ich kann es nicht glauben, aber sie muss die Gabe haben, den zweiten Blick, das Auge der Seherinnen ist in ihr. Das wäre ein großes, wahrhaftes Wunder, das mir da begegnet ist!“
Zu Ursula sagt sie: „Tue es. Dein Gedanke ist gut. Geh und sammele ein großes Tuch davon ein. Bringe auch viel nassen Lehm, Stroh und eine Eidechse oder einen Frosch vom Ufer des Teiches mit. Noch besser wäre eine Schlange, oder gleich alles zusammen!“

Ursula verschwindet, um auf dem Hof der Schmiede Gänsekot und am Teichufer, Lehm, Stroh und Frösche zu beschaffen. Sie lächelt fröhlich. ‚Wir werden dem Siegfried helfen.’

Hellgard tritt an Siegfried heran und sagt bedeutungsschwer: „Löse den Knauf vom Schwert, Siegfried, und gib mir die Klinge, dann fache das Feuer an, zu hell lodernder Glut!“
Siegfried gehorcht. Der eindringliche Blick und die beschwörende Stimme Hellgards tun immer ihre Wirkung bei den einfachen Leuten. Kein Widerspruch ist da möglich.

Als Ursula mit ihrer Last zurückkommt, hat Hellgard schon die alte rostige Klinge mit Schweinespeck abgerieben. Siegfried steht am Blasebalg und das Schmiedefeuer lodert hell auf. Hellgard schickt Siegfried weg, um mehr Holzkohle heranzuschaffen.
„Hast du alles gefunden, Ursula?“
„Ja, Hellgard, alles. Sogar eine Ringelnatter, zwei Kröten und einen Feuersalamander.“
„Gut! Dann schmiere jetzt die Klinge ganz dick mit dem Gänsekot ein. Deine Hände sind leichter zu waschen, als meine. Danach bedecke alles dick mit Lehm und wickele das Tuch darum. Binde es gut fest!“
Dann nimmt sie Ursula das Bündel aus der Hand und schiebt es in die lodernde Glut. Siegfried kommt zurück und muss wieder den Blasebalg ziehen.
Wie lange braucht das Eisen, um ganz durchzuglühen, Siegfried?“
„Noch zehn mal drei Züge am Blasebalg“, sagt dieser.

„Gut! Wenn es soweit ist, dann gehe zur Linde und sage deinem Herrn und Meister Regin, dass ich, Hellgard, zusammen mit meiner Enkelin Ortrun, der Hüterin des Schwertgeheimnisses, dieses Schwert hier durch die Runensprüche der alten Götter verzaubern werde. Komme danach wieder hierher. Sage ihnen, dass sie alle mitkommen sollen, alle Männer, die da sind. Donar will den Besitzer des Schwertes selbst hier sehen.“

Siegfried gehorcht Hellgard, nachdem er mit dem Anfachen des Feuers fertig ist.
Ursula fragt Hellgard: „Wer ist denn Ortrun, Hellgard? Ich kann niemanden sehen, niemand, außer uns beiden ist doch hier. Wo ist diese Ortrun? Ist sie ein Geist?“
„Du, Ursula. Du bist ab heute und ab jetzt Ortrun, die Hüterin des Schwertgeheimnisses.
Das soll ab sofort dein Name sein.
Ursula, das muntere Füllen, ist gestorben. Der Name passt nicht mehr zu dir.
Das hier wird deine Weihe zur Seherin sein, für die Leute.
Die wahre Weihe erhältst du später, von mir, ich werde dich einweisen in die Geheimnisse der Gesetze der Seherinnen und Druiden. Jetzt beobachte mich genau und tue, was dir dabei in den Sinn kommt. Du wirst jetzt von den alten Göttern geprüft. Sie werden deine Gedanken leiten. Wirf einfach die Schlange, und dann auch den Salamander im richtigen Moment ins Feuer. Danach auch die Kröten in den Holzzuber mit dem Wasser da,“

Die Schmiede füllt sich. Regin, der Schmied ist da, der Mann, dem das Schwert gehört, auch, und weitere Leute aus dem Dorf. Sie wissen nichts. Sie sind aber sehr erwartungsvoll.
Hellgard gibt Siegfried einen Wink und dieser zieht erneut am Blasebalg.
Das Feuer lodert auf.
„Wotans feurige Schlangenzungen
Schärfet die Klinge im glühenden Nest
Machet sie gegen den Lindwurm fest!
Züngelt, ihr Schlangen um das Eisen!
Es soll des Drachen Häupter zerreißen!“

Ursula-Ortrun wirft die Schlange ins Feuer. Eine gleißend helle Stichflamme schießt empor.

„Züngelt, ihr Flammen umeinander
Ihr reinen feurigen Salamander!
Glühe, du Eisen, sei edel und rein
Sollst hart wie das Schwert von Odin sein!“

Ortrun wirft den Feuersalamander ins Feuer und eine gleißend rote Flammensäule schießt empor. Hellgard deutet auf das eingepackte Schwert, dessen glühende Lehmkruste im Feuer zerbrochen ist und zeigt dann auf Siegfried. „Tue dein Werk, Schmied!“

Der scheinbar so trottelige Siegfried zieht mit einer eisernen Zange die Klinge aus der Glut und taucht sie in das Wasser des Zubers, der neben dem Schmiedeherd steht.
In die zischende Wolke von Dampf steigt auf. Siegfried hält die Klinge empor.
Sein Handwerk beherrscht er.
Hellgard schreit laut:
„Krötenrost verschone dich, Eisen!
Sollst wie ein Blitz in der Sonne gleißen!“

Die beiden Kröten platschen in den dampfenden Zuber.
Siegfried taucht die Klinge noch einmal zum völligen Abkühlen ein.

Hellgard dreht sich um zu den offen starrenden Mündern der Männer.
„Bringt mir einen Römerharnisch. Ein Helm tut es auch.“
Aber weder ein Brustpanzer, noch ein Helm sind zu finden. Der Mann, dem das Schwert gehört, stellt seine rostige alte Pflugschar auf den Amboss. „Geht das vielleicht auch?“

Siegfried hat gar nicht erst auf das Zeichen von Hellgard gewartet. Mit unbeschreiblich gläubiger Begeisterung im Blick schwingt er die Klinge über seinen Kopf und drischt damit auf die Pflugschar ein.
Das Schwert schlägt die Pflugschar zu zwei Dritteln durch. Die Klinge selbst hat keine sichtbare Scharte davongetragen. Siegfried nimmt die eingekerbte Pflugschar in beide Hände und zerbricht sie endgültig in zwei Stücke.
Ein Raunen geht durch die Menge. Ehrfürchtig weichen alle von Hellgard, Siegfried und Ortrun zurück.
Hellgard hat ihren Ruf als Wunderfrau und zauberkräftige Heilerin zur Legende gemacht.

Das kleine Mädchen ist nicht mehr Ursula, das muntere Füllen, sondern jetzt wirklich Ortrun, die Hüterin des Schwertgeheimnisses.
Auch Siegfrieds Helden-Legende beginnt. Man wird von ihm hören und lesen.

Auf dem Heimweg zu ihrer Hütte im Wald fragt Ortrun die weise Hellgard:
„Warum hast du denn darum so einen Zauber gemacht? Es war doch einfach nur ganz gewöhnliche Gänsekacke. Ich glaube, vom Schwein und den Hühnern war auch was dabei. Haha!“

Hellgard antwortet darauf nicht. Sie stellt eine Frage an Ortrun:
„Wie bist du darauf gekommen? Das konntest du doch gar nicht wissen, wie die Römer und die Waffenschmiede in Venice, ganz weit in Mittag, hinter den riesigen Himmelsbergen, ihre Schwerter härten. Mir hat es der Zwerg Alberich erzählt, der stammt von dort her.
Aber du, wie bist du darauf gekommen?“

„Ich habe mir halt gedacht: wenn der Schmied das Eisen mit Hühner- und Gänsekacke vermischen will, dann muss er es doch nicht erst zu Spänen feilen und an die Gänse verfüttern. Die Kacke findet er doch überall auf seinem Hof oder bei einem Bauern, so ist es doch, oder?“

Hellgard lächelt befriedigt.
„Siehst du, Ortrun, die Leute wollen an Wunder glauben. Also sollen sie ihre Wunder haben, mit Donner, Blitzen und Zaubersprüchen.
Sie wissen nicht, weil Wissen schwer zu erlangen ist.
Glauben ist leichter zu haben, und deshalb glauben sie an fast alles. Sie haben nur das Einfache, das erste Gesicht. Sie sehen, woran sie glauben. Du kannst sie leicht täuschen.

Du aber, meine kleine Ursula, liebe Ortrun, du hast das zweite Gesicht. Du kannst erkennen, was hinter den Dingen steckt. Dieses Wissen gibt dir viel Macht, wenn du es nur zu nutzen verstehst. Machen wir ihnen doch Wunder vor, wenn sie Wunder wollen!
Hättest du ihnen gesagt, dass es nur Gänsekot war, sie hätten es dir nicht geglaubt und dich ins Gesicht geschlagen, weil es ihren Glauben schändet, wie sie meinen.
Man sagt ja, dass Glaube Berge versetzen kann, aber Wissen kann Berge erschaffen und Berge zerstören.
Du hast deine erste Probe bestanden, Hüte deine und meine Geheimnisse und verrate sie niemandem, außer Deinesgleichen. Dann wirst du eines Tages Könige und deren Reiche regieren, ohne dass selbst die Könige es wissen.
Sie glauben an ihre göttliche Macht, du aber hast die Macht des Wissens.
Hast du die Tiere selbst getötet, die Schlange, die Kröten und den Salamander?“

„Ja, Hellgard. Mit einem Stein, das war ganz leicht!“

„Dann hüte dich jetzt sieben Monde lang vor Schlangen, Kröten und Salamandern.
Sie werden sich an dir rächen. Sie werden dir Unglück bringen.
Als Seherin darfst du kein lebendes Wesen mehr mit deinen Händen töten.
Alle lebenden Wesen sind unsere Geschwister.
Sie können uns helfen, wenn wir ihre Sprache verstehen lernen, du wirst es sehen.“

„Ist das jetzt Glaube oder Wissen, Hellgard, das mit der Rache der Tiere?“
Hellgard lacht.
„Ich sagte es ja, du hast das zweite Gesicht, du durchschaust ja sogar schon mich.
Es ist aber wahr, meine Kleine, du wirst es lernen.“

„Wie hast du denn die Blitze gemacht, Hellgard?“

„Das waren Kristalle aus der Stadt Magnesia, dort findet man sie. Ich habe sie von Alberich.
Wenn man sie mit dem Salz aus dem großen Meer und mit Holzkohle vermischt, zu Pulver zerreibt und ins Feuer wirft, dann erzeugen sie einen hellen Blitz. Das wirst du alles bald lernen, Ortrun, warte nur, bald werden sich alle vor dir fürchten, das kann ich jetzt schon erahnen…“
Die alte Frau beginnt herzlich zu lachen, zufrieden, wie schon lange nicht mehr.
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