Die Ortrun, der Siegfried und das Schwert Balmung
Nachdem Ortrun und Siegfried die alte Holzhütte der verstorbenen Hellgard abgerissen haben, wird sie darin bestattet und verbrannt, wie es das Gesetz der Druiden vorschreibt. Siegfried rollt noch einen riesigen Findling auf die Asche der Stätte und Ortrun bedeckt sie mit einem Rasen aus Moos.„Hilfst du mir jetzt, mein Odinsschwert Gram zu schmieden?“ fragt Siegfried.
„Ja, Siegfried, ich werde dir helfen“, sagt Ortrun liebestrunken zu ihm.
Das ist der Beginn ihres Unglückes.
Man kann es aber auch Schicksal nennen, denn was hättet ihr getan, wäret ihr an ihrer Stelle gewesen? Sie nimmt den großen dummen starken schönen Mann Siegfried an der Hand und sagt: „Komm mit mir. Ich will dir etwas zeigen, da wirst du staunen. Solches Eisen hast du noch nie gesehen. Daraus wirst du dein Schwert schmieden.
Es ist nicht weit von hier.“
Sie führt ihn durch den Wald zum Abhang des riesigen Ringberges, wo vor langer, langer Zeit einmal aus heiterem Himmel Donars Hammer aufgeschlagen sein soll, als dieser wieder sehr wütend war, und trunken vom Met.
Nur früher Hellgard und jetzt noch Alberich und Ortrun ist der Eingang in das Innere des Berges bekannt. Es ist eines ihrer großen Geheimnisse, welches Ortrun dem Siegfried jetzt verrät, aus glühender Liebe zu ihm.
Alle Vögel flüchten in ihre Verstecke, alle, außer den flinken Schwalben, die im Flug fast den Boden streifen. Es zieht ein schweres Gewitter auf.
Ortrun will die Zeichen nicht sehen. Sie ist blind.
Das Weib in ihr hat den Verstand in die Höhle ihres Bauches gesperrt.
Ihr Herz feiert trunkene Orgien in der Halle des rosengeschmückten Hirns.
Über verschlungen Pfade führt sie Siegfried zu einer natürlichen Terrasse am Abhang des Berges. Dort legt sie ganz unbefangen all ihre Kleidung ab.
Ortrun schaut fragend den jungen Schmied an. Sie erwartet sein liebendes Lächeln.
Der aber blickt nur ängstlich auf Berg und Himmel, und beachtet sie nicht.
In Ortruns Augen mischen sich Zorn und Enttäuschung.
„Wir müssen durch tiefes Wasser tauchen, Siegfried. Wurzeln und Steine könnten dich packen und festhalten, drum lege deine Kleidung ab“, sagt Ortrun zu Siegfried.
Siegfried tut es gleichgültig. Der Himmel ist in Gewitterstimmung und Siegfried ist voller Furcht vor den bösen Geistern des Berges. Auch er kennt die alten Legenden.
Niemand kam je hier wieder lebend heraus, der das Innere erforschen wollte.
Dunkle feuchte Höhlen machen ihm Angst.
Gewahrt er denn nicht ihre schöne Gestalt,
erkennt nicht die Pfeile an ihren Brüsten,
die lieblich ihn zur Minne bitten?
Nicht ihre Lippen, voller Gefühl?
Das Alles lässt den Helden kalt.
Zu eigenem Ruhme will er sich rüsten,
verschmäht auch den Gral in ihrer Mitte.
Sie gilt ihm nur als Weg zum Ziel.
Ortrun taucht ab in einer schmalen wassergefüllten Rinne, die tiefer in den Berg hinein führt. Bei Siegfried überwindet die Gier am Ende die Angst und er taucht ihr nach.
Nach wenigen Schwimmzügen tauchen sie beide in einer großen dunklen Höhle auf, die grünlich im Licht schimmernder Moose leuchtet. Auch aus dem Wasser des Höhlenteiches empfängt die Höhle einen schwachen, flimmernden Lichtschein vom Ausgang her. Ortrun hockt nackt am Rande des Teiches und hält Siegfried Feuerstein, Zündschwamm und Eisen entgegen. Neben ihr liegt ein Stapel angekohlter Kienspäne.
„Entzünde ein Feuer, das kannst du doch wohl, als Schmied.“
Siegfried schlägt den Stein am gekerbten Eisen über den trockenen Schwamm und entzündet den Kien. Ortrun schöpft Wasser aus dem Tümpel und spült sich die Tränen vom Gesicht. Ihr Geist hat sich wieder befreit aus dem Dornengestrüpp des Verlangens.
Doch vergelten will sie ihm noch die kalte schmerzende Schmach.
„Geh dort an den Fuß der Felswand, Siegfried. Gib mir die Fackel, ich leuchte dir.“
Siegfried geht gesenkten Hauptes und sucht den verheißenen Schatz. Sie hält die Fackel tief am Boden, so dass er die Klumpen liegen sieht. Erstarrte Tropfen aus purem Eisen, glänzend im Schein des Lichtes, fast ohne Rost und groß wie Männerfäuste, liegen sie auf einem großen Haufen. Er nimmt einen Klumpen in die Hand, wischt mit der Hand darüber und erstarrt vor Staunen und Freude. „Sie glänzen wie Silber im Licht, aber sie sind aus Eisen! Ich fühle es am Gewicht. Sind das die Tropfen von Donars geschmolzenen Hammer?“
„Vielleicht. Doch prüfe sie lieber im Licht der Fackel!“
Sie hat den brennenden Kien über seinem Kopf an der Wand befestigt.
Siegfried blickt auf und erstarrt zu Stein.
Er schaut direkt in das reißzahnbewehrte Maul eines furchtbaren Drachen.
Ein riesiger grüner Knochenschädel, bewachsen mit leuchtenden Flechten.
Die flackernde Fackel zwischen Hunderten spitzer Zähne lässt die leeren Augenhöhlen lebendig erscheinen. Ein grässlicher Anblick!
Siegfried fällt vor Schaudern der Eisenklumpen aus der Hand, zwischen seine Füße.
Er springt zurück von der Wand. „was ist das?“
„Nichts besonderes“, sagt Ortrun mit schelmischem Lächeln. „Der ist schon länger hier, einige tausende Jahre vielleicht. Es ist der Kopf eines uralten Tieres, begraben im Lehm des Bergwalles.
Er ist nicht aus Knochen, sondern aus Stein, so wie du, als du ihn eben erblicktest.
Mir ist es ganz genau so ergangen, wie dir.“
„Lass uns von hier verschwinden, Ortrun. Vielleicht leben diese Drachen doch noch hier in der Höhle. Nehmen wir jeder zwei von den Klumpen, das reicht für ein treffliches Schwert.“
So tun sie es denn.
Watend auf dem Boden des Höhlenbaches schleppen sie schwer das Eisen hinaus.
Siegfried braucht keinen irdenen Ofen. Das Eisen ist rein wie gediegenes Gold.
Er schmiedet es flach und faltet es zu Zwölf mal Zwölf glühenden Schichten.
Er glüht es und streckt es und formt es zur schlanken Klinge.
Es ist schwer und gediegen und trefflich gewuchtet, Siegfrieds Hände sind Eins mit seinem Heft.
Ortrun gibt ihm die Zauberhärte, doch diesmal geschieht es ohne Zeugen, ohne Schlange und Salamander und auch der Kröten bedarf es nicht. Oft steht ihr in Gedanken vor Augen Hellgards gütiges weises Gesicht.
Nur Einer gönnt Siegfried die Klinge nicht.
Regin der Schmied kommt wütend hinzu, als Siegfried die Schärfe der Klinge prüft.
„Mir gehört Gram, nur mir allein. Es ist mein Feuer, in dem du es glühtest. Mein Land, von dem du Eisen und Kohle dir nahmst. Mein Haus, wo du Lehre und Obdach fandest. Also her mit Gram, es ist mein.“
In Siegfrieds Augen blitzt zorniger Hass.
„Wer grub das Erz aus, unter dem Gras? Wer fällte die Bäume, brannte die Kohle? Wer streckte das Eisen, wer schlug die Schichten? Du Regin, du warst es doch mitnichten!“
Sie wissen nicht, dass dieser Streit um Schaffen und Besitz zwischen den Schaffenden und den Besitzenden sich noch zweitausend Jahre nach ihnen weiter hinziehen wird und auch dann noch nicht geklärt sein würde.
Siegfried löst das Problem auf seine Weise:
Er schlägt mit dem scharfen Schwert nach dem Hals von Regin, so dass dessen Kopf in den Zuber fällt.
„das Schwert ist entehrt! Sein Name sei nicht mehr Gram.“ Ortrud packt Siegfried am strafenden Arm.
„Dann nenne ich es Balmung eben, unwürdiges Blut soll nie an ihm kleben!“
Sie spannen das Pferd vor den Wagen des Schmiedes, durchsuchen alle Laden und Truhen, laden auf, was ihnen gefällt. Kein Mensch wird sie halten, kein Fragen wird sein.
Sie packen alles was brauchbar ist, ein.
Sie fahren gen Worms am nahen Rhein.