Regensonntagskuchensonntag
Verregneter Sonntag. Das klingt langweilig. Aber diese Langeweile tut mir manchmal gut. Es hat beinahe etwas Hypnotisierendes, dem Regen beim Fallen zuzusehen, wie er über Blätter rinnt, die mit ihrem saftigen Grün die Bäume umhüllen, wo noch wenige Wochen zuvor nur schwarze Zweige wie drohende Finger den Himmel zerstachen.
Auf dem teergepappten Flachdach der tristen Sechzigerjahregarage gegenüber hat sich ein See gebildet, der den wolkengrauen Himmel spiegelt und auf dem ich die Regentropfen zerspringen sehen kann, die auf ihrem Weg alles vom Staub der Woche sauber waschen. Blütenstaubgelbe Rinnsale bemalen den Gehweg, verwandeln ihn in ein fragiles Kunstwerk von feinen Linien und die Luft riecht frisch und klar und rein an diesem Regensonntag, der wie dafür gemacht ist, Kuchen zu backen.
Mit viel Butter natürlich. Und mit braunem Zucker. Nur Butter und brauner Zucker entfalten diese Karamellnote, die zu einem Regentag gehört, wie heißer Tee und eine Kuscheldecke im Schlafanzug, ein Buch in der Hand, das man sowieso nicht liest, weil der Regen den Blick magisch anzieht. Nicht zu vergessen die frische Schlagsahne mit einer Prise Vanille, die den krönenden Abschluss für die süße Sünde bildet. Meine Hüften werden es mir danken. Für Sekunden auf den Lippen, für immer auf den Rippen. Aber wenn es bedeutete, dass ich mir diese sinnlichen Genüsse verkneifen müsste, um der Welt ewige Jugend und Schönheit vorzugaukeln, gebe ich mich lieber dem körperlichen Verfall preis und sündige heute. Es ist eine wahre Lust, gutes Essen zu genießen. Ich atme die Düfte, die schon im Ofen ihr Aroma voll entfalten. Das riecht nach Zuhause, nach Geborgenheit und nach Glück. Das letzte Glas Pfirsiche vom vergangenen Jahr lockt mit seinem satten Gelb und die Früchte kokettieren mit ihrer Säure, die dem Naschwerk einen Anschein von Leichtigkeit verleiht und Erinnerungen an einen fröhlichen Sommertag unterm Pfirsichbaum wecken, an dem ich noch keinen Gedanken an eine verlorene Bikinifigur verschwendete. Dünn war ich damals. Aber nicht nur mein Körper war dünn, sondern auch der Rest von mir. Wie wenig wusste ich von den wollüstigen Genüssen, die meine Sinne mir verschaffen können. Das ist wie mit dem Sex. Mit dem Älterwerden kann ich mich darauf einlassen, mich fallen lassen in die Tiefen meiner Sinne, meiner Gefühle. In dem Maß, wie ich reicher an Falten und Speck wurde, wurde ich reicher in meinem Möglichkeiten, hemmungslos zu genießen. Und die koste ich nun aus.
Der Regensonntagskuchensonntag lässt mir meine ganz eigene Sonne scheinen und ich freue mich über diese Atempause in der prahlerisch schreienden Frühlingspracht, die mich darüber klar werden lässt, dass ich glücklich bin.
© Rhabia 05-2012