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Szenen am Wegrand des Leids

**********Engel Frau
25.819 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Szenen am Wegrand des Leids
Runterkommen. Abschalten. Den Kopf frei bekommen. Dinge, die mir vor nicht allzu langer Zeit noch leicht gefallen sind. Doch nun wird es von Tag zu Tag schwerer. Die Nächte geben mir keine Ruhe mehr, die Tage sind angefüllt mit Zeitplanung, Wegzeiten berechnen, Routen ausdenken, wie es am schnellsten geht, ärgern über doch wieder Vergessenes. Stunden, Minuten stehlen für die Zeit nur für mich alleine.

Und nun endlich wieder ein paar wenige Stunden für mich. Den Tag, das Geschehen, nochmal nachfühlen, verstehen.

Ein Glas Sekt, als kleine Belohnung gedacht, seelenschmeichelnde Soft-Jazz-Musik im Hintergrund, eine Zigarette dazu. Die Musik lässt mich zu mir kommen. Langsam meine Mitte wiederfinden. Ich schließe meine Augen, atme tief durch und ein sanftes Kribbeln auf meiner Haut lässt mich die Energie fühlen, die langsam in meinen Körper zurückkehrt. Es ist nicht viel, nur so viel, um den nächsten Tag gut zu überstehen. Aber selbst dafür bin ich dankbar. Denn es ist für mich inzwischen mehr als erstaunlich, dass diese Energie immer wieder aufs Neue fließt. Ein phantastisches Erlebnis.

Doch anstatt wundervoller Bilder schöner Landschaften oder meines geliebten Meeres sehe ich immer nur dein leidendes Gesicht. Gequält, geplagt, angstvoll, verwirrt.

Mama.

Meine kleine, schwache, ängstliche Mama, am Ende ihres langen Weges. Der es nun nicht mal vergönnt ist, diesen Weg bewusst und wachen Verstandes zu gehen. Oder ist dies womöglich ein Schutz der Natur? Ein Schutz vor der großen Furcht, was danach kommt?

Meine Augen füllen sich mit Tränen, denn ich fühle ihren Schmerz.

Nach vier Tagen endlich wieder ein wenig auf dem Boden der Realität angekommen in einem schönen Pflegeheim mit wirklich herzlichen und guten Menschen, kam plötzlich wieder der Absturz. Mitten im fröhlichen Gesang und Musizieren der Mitbewohner warst du weg. Kein verständliches Wort kam mehr aus deinem Munde. Angst und Panik waren in deinem Blick zu lesen. Ich sah es sofort, als ich ankam und mich neben dich setzte. Ich fühlte, dass deine Aura nicht gut war. Fühlte deine Furcht. Sah deine Qual in deinem Gesicht. Warum sah es dieser Musiktherapeut nicht, der nur einen Stuhl weiter saß, mit direktem Blick auf dich?

Ja, der Musiktherapeut. Ein typischer Musiktherapeut, wie man ihn sich vorstellt. Ein sehr netter, lieber Mann. Sanft, voller Verständnis für all die alten Menschen am Ende ihres Weges, mit Engagement und wirklich guten Ideen, ihnen diesen Weg etwas leichter und fröhlicher zu gestalten. Ich bewundere diese Menschen, die sich so herzlich aufopfern für ihnen doch fremde Personen. Mit der Zeit lernt man zu unterscheiden, ja, zu erkennen, ob es jemand nur des Geldes wegen macht. Als Job, mehr nicht. Oder ob es eine Art Passion ist. Und diese Engel, die in dieser Aufgabe aufgehen und sich wohlfühlen, strahlen eine unendliche Ruhe und Zufriedenheit aus. Trotz all dem Leid, das sie um sich haben. Für mich sind das Engel.

Mama... ich vermisse dich.

Wir hatten in dem Jahr deiner Chemo-Therapie so viele offene, intensive und nahe Gespräche. Wir kamen uns so nah, wie in den ganzen 55 Jahren nicht, die ich nun gemeinsam mit dir auf dieser Welt wandle. Es war ein schmerzhaftes, aber auch ein sehr wertvolles Jahr für mich. Ich erfuhr nicht nur viel über dich, sondern noch viel mehr über mich selbst. Entdeckte, warum so manches in meinem Wesen so ist und nicht anders. Ich danke dir unendlich für diese Zeit. Schade, dass wir uns das nicht schon früher gegönnt haben, wir hatten so viele Jahre Zeit dafür. Wie dumm wir Menschen doch sein können in unserem falschen Egoismus.

Und nun verlässt du mich. Nach und nach... erst mal im Kopf. Du lebst immer öfter in deiner Phantasiewelt, in der du mich sogar manchmal hasst. Deinem Blick nach abgrundtief hasst. Oh, das tut weh. Aber auch das muss ich verarbeiten. Schmerzhaft. Und mir dabei immer wieder sagen, das bist nicht du, das ist die Krankheit.

Dann wieder lehnst du dich an mich und zeigst mir, dass ich dein einziger Halt bin. Dass ich dich nicht im Stich lassen darf. Dass du mir vorbehaltlos vertraust bis in den unaufhaltsamen Tod.

Mama... ich vermisse dich.

Als gestern die Sanitäter meine Mama im Heim abholten und sie in den Krankenwagen brachten, wurde noch die Versichertenkarte vermisst. Ich blieb zurück, die Sanis meinten, ich bräuchte jetzt auch nicht gleich ins Krankenhaus zu kommen, ich würde angerufen nach den Untersuchungen, ob Schlaganfall oder nicht. "Naja," dachte ich bei mir, "das werde ich ganz sicher nicht tun, ich lasse meine Mama nicht alleine in ihrer Furcht."

Der Musiktherapeut, der liebe nette pummelige Engel, nahm mich mit ins Stationszimmer und sagte, "da bin ich jetzt froh, dass sie noch bleiben müssen wegen der Karte. Ich wollte ihnen nämlich noch sagen, dass sie nicht auf die Sanis hören und doch gleich ins Krankenhaus fahren sollten. Sie können ihre Mutter jetzt nicht alleine lassen". Ich lächelte und sagte: "Das hatte ich so vor, ich habe sie nie alleine gelassen seit ihrer Krankheit." Er strahlte mich an.

Dann ging die Suche nach der KV-Karte los. Er wusste noch, welchen Aufkleber er angebracht hatte an dem Behältnis, in dem alle Karten verwahrt werden. (Ich sollte dazu erwähnen, dass das Heim ganz neu ist, erst einen Tag vor Aufnahme meiner Mutter eröffnet hat.) Er fand sie nicht. Alle Schränke durchgesehen, aber nichts zu finden. Dann suchten wir gemeinsam nochmal und siehe da: Im vierten Schrank entdeckte ich ein Kästchen und darin waren sie. Der knuffige Engel strahlte und meinte: "Was für ein toller Zufall, dass sie noch dableiben mussten!" Ich erwiderte, dass es keine Zufälle gibt, meiner Meinung nach, und er stimmte mir strahlend zu. "Alles hat seinen Sinn", sagte er. Wir schauten uns an und verstanden uns. Es waren keine weiteren Worte nötig. Und ich erkannte, ich habe in dieser leidvollen Zeit mal wieder einen guten Menschen kennengelernt.

Ich versprach noch, später Bescheid zu geben, was die Untersuchung ergab und machte mich auf den Weg. Zitternd. Kaputt. Kraftlos. Aber um eine wertvolle Begegnung reicher.

Was für eine Zeit... was für ein Leben. Grausam und bereichernd zugleich.

In der Notaufnahme: kein Schlaganfall. Gut. Weitere Untersuchungen. Ok, das Leid geht weiter für sie.

Die Nacht war schlaflos, Bilder ihres Leidens, Mit-Leiden, Und die Gedanken, dass ich sie dort alleine gelassen habe. Schmerz des Verlustes. Des Verlustes der Mutter und des Verlustes meines Lebens. Wie lange geht das noch so weiter, dieses ewige Auf und Ab? Ich möchte ein Ende dieses ewigen Leidens, möchte mein eigenes Leben wiederhaben. Jedoch bedeutet dies, dass mich meine geliebte Mama dann für immer verlassen hat. Zumindest körperlich. Schmerz, mit dem ich mich auseinandersetzen muss. Aber natürlich nicht möchte.

Die Arbeit hat gut getan. Wenn auch übermüdet, aber ein Stück Normalität. Ablenkung.

Mit Herzklopfen und Angst, was mich erwartet, ins Krankenhaus, auf die Station. Der erste Schock: Boah, was ist das denn? Das Krankenhaus scheint noch aus der Vorkriegszeit zu stammen. Nicht das, was ich gewohnt war. Aber ich wählte dieses Krankenhaus, da es dort die beste Versorgung bei Schlaganfall gibt. "Stroke unit" nennt sich diese Einrichtung, die leider nicht jedes Krankenhaus hat. Und wenn man das nicht weiß und keine aufmerksamen Sanitäter hat, hat man eben Pech gehabt. Wie mein Papa vor langer Zeit. Ich habe daraus gelernt. Nur... wer macht das mal für mich, wenn ich in diese Situation gerate? Wieder falle ich in Gedanken...

Auch das CT ergab, es war kein Schlaganfall. Jedoch so manches im Argen im Körper mit dem Krebs und sehr verwirrt durch alles, was die letzten Wochen geschah. Ich soll eventuell entscheiden über einen Blabla-irgendwas-Ausgang für die Blase - ich kann das nicht. Scheiße, in der Theorie und im Film ist das immer so einfach. Entscheidungen sind mir noch nie leicht gefallen, verdammt nochmal!

Und das Kind in mir meldet sich ganz leise zu Wort. Über die Mama entscheiden. Entscheiden, wie sie leben soll. Entscheiden, was sie ertragen soll und was nicht. Das ist doch eine verdrehte Welt!

Machtlos. Furcht. Verantwortung nicht übernehmen wollen, aber müssen. Alleine. Und eine Kraft, die immer wieder irgendwo herkommt. Scheinbar stehen mir doch ein paar Engel zur Seite.

Du lagst in diesem alten, klassischen Krankenhauszimmer so klein und verlassen in diesem großen Bett. Wolltest, dass ich die Türe abschließe, damit "sie" nicht reinkommen können. Erzähltest mir, dass sie alle verkleidet wären und ein Schauspiel spielten. Und dann lief da eine Katze durchs Zimmer und jetzt ein Hund. Und Dr. Göbels (oder etwa Goebbels?) wäre auch hier, Du hättest ihn gesehen. Du zogst an Deiner Windel, bis fast alles, was darin war, auf dem Leintuch lag, weil es Dich störte.
Nach kürzester Zeit war das Zimmer, das ganze Haus, voll mit Phantasiewesen, die sich um uns versammelten.

Mama... ich vermisse Dich!

Ich kämpfte mit den Tränen und der Wut, die dich schütteln möchte und schreien will, "komm endlich wieder zu dir! Reiß dich mal zusammen!" Wo bist du...

Der Arzt fragte dich nach dem Tag, dem Monat, dem Jahr. Du wusstest nichts, das Jahr nanntest du mit 1900-irgendwas, du würdest es nicht genau wissen. Nun war mir auch klar, woher dieser Dr. Göbels plötzlich kam.

Ich frage mich immer wieder, warum die Demenz alte Menschen so sehr in die Vergangenheit zurückwirft. Ich würde das so gerne verstehen.

Und ich bekomme immer mehr Angst, selbst auch einmal so zu werden.

"Es war zu viel die letzten Tage, Wochen. Das wird wieder besser, es gibt auch gute Medikamente dafür", sagte der Arzt und verabschiedete sich. Er war nett und freundlich, dafür ist man ja heute schon dankbar. Ich habe inzwischen manche tolle, aber auch wirklich widerliche Ärzte kennengelernt.

Medikamente dafür. Was ist gut, was ist richtig? Was ist der natürliche Lauf der Dinge? Kann ich das wirklich entscheiden? Für sie muss es angenehm sein, das ist das Wichtigste.

Eine andere alte Frau wurde im Bett ins Zimmer geschoben. Ihre Enkelin kam gleich danach herein, so ca. Ende 20 Jahre alt. Wir unterhielten uns ein wenig; mit der Zeit macht man das schon automatisch, man fühlt sich einfach gleich verbunden im Leid um die Angehörigen. Der andere versteht, da er es kennt.

Es werden immer mehr Menschen, die es kennen und verstehen. Wo waren die vorher? Habe ich sie nur nicht wahrgenommen?
Sogar der Security-Mann vor dem Pflegeheim ist mir inzwischen vertraut, wir haben immer eine kleine Unterhaltung, wenn ich komme und gehe. Und gestern, als meine Mama weggebracht wurde, sagte er, er kenne das, habe es auch schon mitgemacht und wünsche mir viel Kraft.

Fremde Menschen werden plötzlich zu Vertrauten. Zu Verbündeten.

Nach einiger Zeit brachte die Enkelin ihre Oma zur Toilette und ging kurz aus dem Zimmer, um etwas zu holen. Als sie wiederkam, war eine Ärztin da und die Oma hatte in der Toilette einen Kreislaufzusammenbruch. Die Enkelin brach in Tränen aus und setzte sich weinend auf den Stuhl, der in direkter Nähe zu mir stand. "Ich kann nicht mehr, ich weiß nicht mehr, wie ich das noch schaffen soll. So kenne ich sie gar nicht." Ich legte meine Hand auf ihre Schulter, streichelte ihr über den Rücken und sprach ihr Trost und Mut zu. Auch mir standen die Tränen in den Augen, da ich so sehr mitfühlte. Oh, ich wusste so genau um ihren Schmerz. Und es tat mir gut, dass es ihr geholfen hat, dass ich da war und sie verstand.

Wir verabschiedeten uns später mit den Worten: "Dann werden wir uns wohl morgen wiedersehen" - und einem verstehenden und dankbaren Lächeln.

Wir sind nicht alleine.

Auf dem Heimweg dachte ich darüber nach, wie schön - und genau genommen ja auch wichtig - es war, dass ich genau zu diesem Zeitpunkt "zufällig" in diesem Zimmer war und dieser Frau ein wenig Halt geben konnte. Und sie mir, indem ich sah, dass auch ich nicht alleine bin mit diesem Leid und sogar noch anderen Trost und Kraft geben kann. Zufall?

Dies sind diese kleinen Szenen am Wegrand des Leids, die man nicht übersehen sollte. Und die das Herz erwärmen.
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
*knuddel*

Ich fühle mit Dir. Und nicht nur, weil ich vieles davon sehr ähnlich vor kurzem erlebt hab.

Danke für diese berührende Geschichte, die ja nicht nur eine Geschichte ist!

(Der Antaghar)
**********Engel Frau
25.819 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
*knuddel* !!!
*******day Frau
14.271 Beiträge
Engelchen, ach Engelchen.... *friends*

Sylvie

*sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne* *sonne*
volatile
*******aum Frau
16.590 Beiträge
Das scheint mir dch aus dem wahren Leben erzählt zu sein, oder?

Falls es so ist, gebührt Dir mein Respekt und meine Anteilnahme...
**********Engel Frau
25.819 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Ja, es ist aus dem wahren Leben erzählt.
Eigentlich könnte ich täglich eine Fortsetzung schreiben *g*.

Ich danke Euch, ihr Lieben!
Auch für die vielen Sonnen *ggg*

Mein Leben ist dennoch kein Jammertal, es sollte keine jämmerliche Geschichte werden, um zu zeigen, wie elend das alles ist. Sondern nur, wie es ist. Was da in einem geschieht und mit einem geschieht.
Diese Dinge, die man immer mal von anderen hört und nie daran denkt oder es sich beileibe nie vorstellen kann, dass es einen selbst irgendwann mal treffen kann.

Erstaunlicherweise gibt dies alles auch Kraft - wenn man bewusst damit umgeht und immer wieder sich die Zeit nimmt, seine eigene Mitte wiederzufinden.

Und es gibt immer wieder neue Einblicke in das Leben und das Dasein ansich.

*blume*
Gabi
....!
*snief*
****e_a Frau
583 Beiträge
Wir sind nicht alleine.

Mein Respekt gehört dir für deine Kraft und deine Anteilnahme am Weg deiner Mutter und der Art, wie du sie durch diese beängstigenden Gegenden begleitest. Viel Kraft dabei!

LG Cornelia
Meine Liebe

ich wünsche dir ganz viel Kraft

LG Ev
*roseschenk*
**********Engel Frau
25.819 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Der reale Hintergrund dieser Geschichte soll euch aber natürlich nicht davon abhalten, eventuell aufkommende Kritik an meiner Schreibe zu üben. Es ist ja trotzdem eine Geschichte.

Ich kann damit umgehen! *ggg*
*******day Frau
14.271 Beiträge
eventuell aufkommende Kritik an meiner Schreibe zu üben.
Als sie wiederkam, war eine Ärztin da und die Oma hatte in der Toilette einen Kreislaufzusammenbruch.

Du hast ein Komma vergessen *motz*


Geht es Dir jetzt besser? *liebguck*

LG Sylvie *sonne*
**********Engel Frau
25.819 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
*haumichwech* Oh ja, vielen Dank!

Aber das Komma lehne ich ab. Ich glaub das nicht. *schmoll*
*******day Frau
14.271 Beiträge
DOCH!!!!
Es muss heißen:

Als sie wiederkam, war eine Ärztin da[KOMMA] und die Oma hatte in der Toilette einen Kreislaufzusammenbruch. *klugscheisser*

Frag doch den Antaghar, wenn Du mir nicht glaubst *pueh*
**********Engel Frau
25.819 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
ANTAGHAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAR!!!!!
Komm raus aus Deiner Ecke und sprich Urteil!

Scheiß neue Rechtschreibung.
Mein Bauch sagt, kein Komma. So. Und mein Bauch hat meistens Recht.
*lol*
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Hab nun also sicherheitshalber alle meine klugen Bücher konsultiert (weil ich mit der neuen Rechtschreibung immer noch manchmal so meine Probleme hab und hier nichts Falsches schreiben will) - aber es bleibt so, wie ich es auch getan hätte, aber eben auch gelegentlich übersehe:

1.) Hier sollte in der Tat nach der alten Rechtschreibung auf jeden Fall ein Komma stehen.

2.) Doch die neue und ziemlich "lasche" und etwas schräge neue Rechtschreibung erlaubt, es gegebenenfalls auch mal wegzulassen, wenn nach einem vorhergehenden Komma zwei aufeinander folgende gleichwertige Sätze stehen - und so könnte man das in diesem Fall werten.

Und nun? Ich sag mal: Im Zweifelsfall für die Freiheit der Autorin, auch mal ganz bewusst an einer Stelle ein Komma nicht zu setzen. Und gemessen an dem, was hier sonst so zu lesen ist an fehlenden und falsch gesetzten Kommas (bzw. Kommata), an verkünstelter und vermeintlich kreativer Sprachverbiegung bzw. an mangelnder Liebe und Sorgfalt im Umgang mit unserer wunderschönen Sprache sowie an oberflächlichem und nur wenig aussagendem Dahinschreiben u. dgl., denke ich mir manchmal ohnehin meinen Teil.

Doch es gibt nun mal auch Geschichten, da ist mir ein Komma mehr oder weniger letztlich egal ...

*g*

Und das sind die Geschichten, die weit entfernt sind von all dem Liebesgesülze und den vermeintlich erotischen Ergüssen. Das sind die Geschichten, welche davon erzählen, was wirklich zählt, die wirklich ganz direkt das Leben und den Tod und alles Wesentliche berühren - so wie diese hier über das Sterben einer Mutter und die damit einhergehenden seelischen Qualen und erkennenden Momente einer Tochter.

(Der Antaghar)
Danke...
... für diese berührende und unter die Haut gehende Geschichte!
**********immts Mann
635 Beiträge
hallo engel
... das muss (oder soll ich lieber schreiben, darf) ich jeden Tag bei uns in der Klinik erfahren, dass so engagierte Angehörige gibt, die auch fremdes Leid nicht abschreckt.

Danke für diese in meinen Augen wunderbar einfühlsame Art, in der dir die Geschichte aus den Fingern in die Tasten floss!

Ist aber in solchen Fällen nicht immer wieder auch Gleichgültigkeit oder Desinteresse zu finden? Wenn diese alten Menschen allein gelassen werden und niemand nach ihnen sieht? Wenn Angehörige sich nicht die Zeit nehmen oder die Kraft zu haben meinen, mit so schweren Veränderungen umzugehen?
Leider kann man das oft überarbeitete Personal da nicht ausschließen. Die Einrichtungen sparen ja leider oft an den falschen Stellen - beim Personal.

Bei uns kann Gott-sei-Dank auch jeder Angehörige professionelle Hilfe und Zuspruch erfahren. Das sind wir unseren Patienten einfach schuldig. Sonst könnten wir nicht nach Hause gehen, auch wenn dieser Einsatz nicht honoriert wird. Das machen wir nebenher und ehrenamtlich.

Dir wünsche ich weiter verständnisvolle Mitarbeiter, die auch dich nicht allein lassen, so wie sie sich um deine Mutter bemühen; die Kraft, diesen Prozess aushalten zu können und die Größe und Liebe, deine Mutter bis zum Ende begleiten zu können.


Mit Hochachtung

b.
**********Engel Frau
25.819 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
@*****har
Danke für die ausführliche Aufklärung bezüglich der Kommatas! *ggg*
Ich werde zwar beim nächsten Mal sicherlicher wieder nach Bauchgefühl entscheiden, da ich es in diesem speziellen Fall einfach nicht kapieren kann, aber das macht ja nix. Meistens passt es *zwinker*. Und wir haben wieder alle was gelernt!

Btw... dat Sylvie und ich haben da ja nur gescherzt, sooo ernst muss man das nicht nehmen. Sie hat mich - wie beabsichtigt - damit mal wieder zum Lachen gebracht. *gg*

@**********immts
Ja, leider ist auch immer wieder Gleichgültigkeit zu finden. Das tut dann wirklich weh.
Sei es von den Angehörigen oder von der Seite des Personals.

Ich fand z.B. gestern und auch heute wieder meine Mutter im Krankenhaus in einem lieblosen Aufenthaltsraum ganz alleine sitzend. Heute mit einem grausligen Abendessen vor sich. Die Füße waren noch immer so dick angeschwollen, wie gestern schon. Und sie saß da wie ein Häufchen Elend. Alleine gelassen.

Im Pflegeheim, in dem ich heute davor noch kurz war, um ein paar Dinge zu holen, wurde ich sofort erfreut empfangen, sie wollten gleich wissen, wie es denn meiner Mutter geht. Liebevoll, interessiert, einfach schön.

Ich hatte allerdings auch großes Glück mit diesem Seniorenzentrum, da sie erst neu eröffnet haben. Bisher noch sehr wenige Patienten, wodurch ein Personalüberschuss besteht, und sie noch sehr viel Zeit haben.

Ich lobe immer und bedanke mich herzlich, wenn sich das Personal so liebevoll einsetzt. Man muss diesen Job wirklich anerkennen, wenn er gut gemacht wird. Ich könnte das nicht, ganz ehrlich. Ich würde dabei sicherlich kaputt gehen. Von daher bin ich diesen Engeln wirklich dankbar, dass es sie gibt. Wohlgemerkt nur diesen, die ihren Job nicht nur mit Gleichgültigkeit einfach so abspulen, bis der Tag vorüber ist.

Ich hoffe, ich kann meine Mutter sehr bald wieder in das Heim verlegen lassen. Auch wenn sie sich momentan nicht mehr daran erinnern kann.

Ich danke Euch für die Kraftwünsche - die kann ich wirklich mehr als gut gebrauchen!

Und ich freue mich, dass ich Euch mit meinen Zeilen berühren konnte.

*blume*
Gabi
Wenn Tränen...
...fließen, haben Worte die Oberfläche durchdrungen! *heul2*

Hab mir ein paar Tage Zeit gelassen, um in Ruhe zum lesen zu kommen. Waow - sehr berührend.

Ich kann nur aus meiner Erfahrung/Gesprächen mit meiner "Omi" beitragen:

"Die alten Menschen, die noch Krieg und Elend mitgemacht haben, und vieles verdrängt haben, bzw. zwecks "überleben" womöglich einfach verdrängen mussten, sie durchleben diese (Jugend)Zeit, die sie anderseits auch nicht leben konnten, jetzt erneut."

Meine Großmutter kommt glaubig immer wieder an schmerzliche Grenzen unverarbeiteter Ereignisse aus diesen dunklen Tagen. Und dann kommen Fetzen, die viele für zusammenhangslose Fetzen halten. Ich nicht. Ich denke, die Traumas arbeiten sich da an die Oberfläche, und wollen durchfühlt und benannt werden - und dann auch wieder nicht. Das "surreale" an den Phantasiewelten hat immer
auch eine Ebene echter (chiffrierter) Botschaften der Seele des Gegenüber für mich - und es liegt mit an mir, es zu verstehen.

Ich werd wohl nie doof nachfragen - aber immer versuchen, ihr einfach aufmerksam und anwesend, auf Augenhöhe, zu begegnen. Vielleicht fördert dies ein schönes und Vertrauen erweckendes Gefühl bei ihr, und der eine oder andere Stein ihres Weges kann noch von diesem geräumt werden - denn warum sollte bei alten und z.B. von Demenz betroffenen Menschen nicht auch noch weiterhin Reifungschance bestehen - der Weg ist ja schließlich noch nicht zu ende.


Mar*kuss*


ps. Vor kurzem hatte ich eine kleine Diskussion in der Familie. "Omi's" Medikament wurde abgesetzt - ihr ging es dann anscheinend schlechter, weil sie mehr Gefühl zeigte, weinte! Ich war dafür, aus eigener Erfahrung, ihre keine "Psychopharmaka" zu geben - hab mich aber in meiner Gegenrede breitschlagen lassen, weil das neue Mittel angeblich auch den Verfall verlangsamt.
Ist schon zwiespältig - vor allem auch der Grundansatz, durch die Medikamente dafür zu sorgen, dass von dem, was ausgefühlt und ausgelebt werden möchte, möglichst viel unterdrückt wird.
Wie bei "unseren" Kindern wohl auch - mit all dem Pillenwahn.

"Keine Zeit" - das wird wohl die Begründung sein, dafür, wie wir tragenden Generationen mit "unseren" Alten und "unseren" Kindern umgehen *traurig*
Frage:
wie alt ist denn Deine Großmutter?

LG Ev
Jahrgang '21
Im April haben wir somit in der alten Villa auf dem Gelände des Heimes in Stuttgart-Hedelfingen (Emma-Reichle-Heim) im großen "Salon" (wohl!?) ihren 91.Geburtstag gefeiert. Ein schönes und besonderes Plätzchen.

3 Kinder, Anhang, 3 Enkel, Anhang, 2 UrEnkel, und der fast tägliche Anruf bei ihrem Freund Paul (92) - der nicht mehr aus seiner Wohnung möchte - und den ich als junger Kerl immer für den letzten lebenden Gentleman hielt.

Wie kommt die Frage?

M
Danke für die Antwort - -

warum?
weil ich auch Kriegs- und Nachkriegserinnerungen habe - -

LG Ev
**********Engel Frau
25.819 Beiträge
Themenersteller Gruppen-Mod 
Ja, diese Medikamentenfrage kam hier im Krankenhaus gestern auch kurz auf. Die Ärztin sagte mir, der Psycho-Kollege hätte in seinem Bericht die Gabe von Haldol empfohlen. Sie würde es meiner Mutter aber nicht geben, sie denke, das ist nicht notwendig und besser ohne.
Ich war sehr erleichtert, hätte es auch sofort abgelehnt.

Ja, es ist wohl manchmal schwer, abzuwägen, ist diese oder jene Maßnahme nun gut für sie oder für uns. Da sollte man doch tief in sich hineinfühlen, für wen es nun angenehmer werden soll.
Wobei ich zugestehe, dass diese Medikamente in manchen Extremfällen ganz sicher doch nötig sind.

Empathie ist für mich das Zauberwort. Flaming_Hand, Du hast es sehr gut beschrieben mit dem Umgang mit Deiner Oma und diesen Vergangenheitsfetzen. Ich sehe es auch so. Und fühle es.

Heute war die von mir veranlasste Verlegung in ein besseres und von ihr gewohntes Krankenhaus, das auch nun richtig ist für den weiteren Umgang mit ihrem Krebs. Ich war schon früh bei ihr, bevor der Krankentransport kam (ok, wir mussten dann 3 Std. darauf warten...). Und das war das Beste, was ich tun konnte! Sie hat mich ängstlich empfangen, weinte sogleich, weil sie nicht verstand, warum die Schwestern sie so grob aus dem Bett genommen hatten.
Ich fing sie liebevoll auf und umarmte sie. Ich konnte ihr beruhigend nochmal erklären, was nun geschieht und so war sie ruhig bis ich sie am späten Nachmittag in der anderen Klinik wieder verlassen habe.

Auch heute kamen wieder vereinzelte Vergangenheits-Schnipsel auf. Menschen, die schon nicht mehr lebten usw. Aber meine ruhige Erklärung, dass diese schon gegangen sind und andere Dinge aus dem Jetzt haben sie dann tatsächlich wieder zurückgeholt. Zumindest für viel längere Momente als gestern.

Ja, ich denke auch, dass dies Erinnerungen sind, die verarbeitet werden möchten. Und da sie mir im letzten Jahr noch sehr viel aus ihrer Vergangenheit erzählt hat, kann ich auch so manches zuordnen.
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