Grundreinigung
„Warum hast du mir die Taubstumme vorgespielt, Eva?“
Die Frage ist rein rhetorisch. Ich erwarte jetzt von ihr auch gar keine ernsthafte Antwort. Sie ist in einer für sie ziemlich unvorteilhaften Lage. Sie sitzt in der Ecke ihres kleinen Cockpits, hat das linke Bein oben auf dem flachen Deck abgelegt und das abgespreizte rechte Bein hängt am Kranausleger. Einen halben Meter über ihrem Kopf ragt ihr Fuß nach oben. Irgendwie haben sich bei der Aktion Blut, Schweiß und Alkohol zu einer dickflüssigen Schmiere vermischt, die ihr den Bauch und den verwundeten Oberschenkel schlachtschweinmäßig eingefärbt hat und ihre blonden mittleren Dreieckslöckchen mit roten verfilzten Strähnen durchzieht. Sie schaut an sich hinunter und an ihrem Bein hinauf. Sie sagt nichts, sieht mich nur genervt an. Sicher ist sie es nicht gewohnt, jemandem so hilflos ausgeliefert zu sein. Sie schüttelt, angewidert von sich selbst, den Kopf.
„Ich sehe ja aus, wie nach einem Massen-gang-bang. Bevor ich nicht wieder einigermaßen sauber bin, kriegst du von mir keine Antwort, Ari. Wenn du, von der Luke aus, den Gang nach vorn gehst, kommst du in die Kombüse. Noch weiter vorn, im Bug ist der Lagerraum. Dort findest du alles, was flüssig ist und kühl bleiben soll, und auch einen Sack mit sauberen Handtüchern. Unser Trinkwasser ist knapp. Du musst etwas suchen, was man ins Meerwasser mischen kann, um es zu desinfizieren.“
Sie ist also doch nicht ganz so leichtfertig, wie ich anfangs geglaubt hatte, als ich sie mit der Druckluftflasche und dem Schlauch hantieren sah.
Gut zu wissen.
Unter Deck stelle ich fest, dass der schmale eiserne Kasten mittig durch das ganze Boot hindurch bis nach unten zum Kiel geht. Er teilt den mittleren Bereich des Krabbenfängerbootes in zwei Hälften. Vor dem Kasten, direkt am Bug, ist ein Kochtopf-ähnliches Rohr in den Schiffsboden eingelassen. Es hat unten eine dicke Glasscheibe. Man kann durch die Glasscheibe bis zum flach abfallenden sandigen Meeresboden sehen. Aha, sogar ein kleiner schwenkbarer Suchscheinwerfer ist vorhanden! Ich suche am Meeresboden nach dem Anker, kann ihn aber nicht finden. Auch eine Taucherausrüstung kann ich im Boot nirgendwo erkennen. Nur ein paar große schwarze Flossen hängen in der Kombüse an einem Haken. Seltsam.
Das Trinkwasser ist in Kanister abgefüllt.
Ich finde einen vollen Kanister, einen, der schon halb leer ist, und einen Stapel von fünf leeren Wasserbehältern. Die Kanister lasse ich stehen. Eine mittelgroße Flasche Portwein und eine Flasche mit sehr dickflüssigem italienischem Balsamico-Essig nehme ich mit. Ist sie etwa auch eine Freundin der Italienischen Küche? Ein ganzer Stapel diverser Sorten von Pasta scheint es zu bestätigen. Eine große Packung Wasser-Entsalzungs-Tabletten erscheint mir wie ein unbezahlbarer Schatz.
Wieder oben an Deck mische ich einen Eimer Seewasser mit 3 Entsalzungs-Tabletten, gut zwei Esslöffel Balsamico und einer halben Flasche Portwein. Ob das schon als Desinfektionsmittel ausreicht? Irgendwelche Seife oder Kosmetik-Artikel habe ich nicht gefunden. Vielleicht hat sie das ja in Ihrer Kajüte, die irgendwo im Heck sein muss. Dort gibt es einen kleinen erhöhten Aufbau mit einem Niedergang davor. Dabei fällt mir auch gleich noch ein, dass ich sie bald irgendwie in ihr Bett verfrachten muss. Wo werde ich schlafen? Die Sonne steht schon tief im Südwesten.
Ich warte, bis sich das ausgefällte Salz am Boden des Eimers abgesetzt hat. Die Brühe ist hellbraun und riecht sauer-alkoholisch. Ich tunke ein Handtuch ein, wringe es aus und reiche es ihr hin. Sie schüttelt langsam aber bestimmt den Kopf.
„Mach du das bitte, Ari. Ich habe bei fast jeder Bewegung Schmerzen, manchmal sogar leichten Schüttelfrost. Meine Beine sind eingeschlafen. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“
„Dein Körper wehrt sich gegen die Störung. Ich bin kein Arzt, Eva, aber wir deuten es einfach mal als gutes Zeichen. Vielleicht ist es aber doch besser, wenn du dich flach auf das Deck legst, damit dir die Beine nicht absterben. Der Druckverband muss auch nach einer Stunde wieder ab, damit in deinem Bein das Blut erneuert wird.“
„Mein Körper wehrt sich? Das ist gut. Mein Körper passt eben zu mir. Kannst du mich hier herausheben, auf Deck legen und dann gründlich waschen? Danach wirst du mich aber warmrubbeln und massieren müssen, Ari. Ich werde mich nicht wehren. Ganz bestimmt nicht. Du kannst mir das große zusammengelegte Segel unterlegen, dort neben dem Kielschwertkasten.“
Ich lasse das Bein vorsichtig mit Hilfe der Ratschenwinde herab und hebe sie dann ganz vorsichtig aus der Cockpit-Grube. Das zusammengelegte größere Segel, von denen es insgesamt zwei gibt, habe ich vorher halb aufgerollt, so dass es jetzt in vier Schichten matratzenbreit auf den Planken liegt.
Seltsam. Ich verspüre dabei keinerlei erotische Erregung. Tötet Verantwortung die Erotik ab? Könnte durchaus sein. Meine Gefühle für sie tendieren jetzt eher zur Väterlichkeit hin. Der unschuldige Samariter. Sie wiegt geschätzte 65 Kilo. Ich muss ziemlich aufpassen, dass sie mir beim Ablegen nicht aus den Händen rutscht. Zum Glück schwitzt sie jetzt nicht mehr. Sie fühlt sich kühl an. Auf den Brüsten und am Bauch hat sie eine Gänsehaut.
„Wie alt bist du eigentlich, Eva?“
„Warum, zum Teufel, fragst du mich jetzt ausgerechnet DAS?“
„Oh, entschuldige. Es fiel mir eben gerade so ein, als ich dich hierher trug. Dein Körper scheint irgendwie viel jünger zu sein, als…, als dein Gesicht.“
„Na danke! Soll das jetzt ein Kompliment sein, oder fängst du schon an, dir bei mir Frechheiten herauszunehmen? Aber gut, ich bin überhaupt kein Stückchen eitel und ich kann der Wahrheit ins Auge blicken. Ich bin neununddreißig. So, nun weißt du es. Du bist ja auch nicht gerade ein Jüngling, Ari, aber bei euch Männern spielt das wohl so lange keine Rolle, bis ihr siebzig seid. Du hast mir vorhin, bevor du nach unten gegangen bist, eine Frage gestellt: Warum ich dir die Taubstumme vorgemacht habe.
Eben darum. Ich habe gleich gemerkt, dass du ein Deutscher bist. Deine Versuche, mit mir englisch zu sprechen, waren echt köstlich. So ein komischer Zufall aber auch. Ich hatte einfach keine Lust, mir den ganzen Tag lang von dir solche albernen Konversationskrücken und zweifelhaften Komplimente anhören zu müssen, ok?“
„Ist das jetzt dein Ernst, Eva?“
„Nein, du Arsch. Aua! Kannst du das nicht vorsichtiger machen? Ich habe dich getestet, ich gebe es ja zu. Ich brauche einen Partner, bei dem, was ich vorhabe. Weißt du, wenn man gemeinsam taucht, unter Wasser, da kann man nicht einfach so herumquatschen, da muss man sich mit ganz einfachen Handzeichen verständigen können und auf Anhieb verstehen. Du hast die Prüfung bestanden, Ari, den ersten Teil davon, über Wasser. Der schwerere Teil steht aber noch aus.“
„Da stellst du dich also, gewissermaßen als Köder, nackt auf deinem Krabbenfänger hin, wirfst die Angel aus, und fischst zwischen den Haien nach Männern? Oder wie soll ich mir das alles jetzt vorstellen? Mach mal die Beine ganz breit, Eva, ich entferne jetzt den Druckverband.“
„Das wird aber auch Zeit, Ari. Die Binden schneiden schon richtig ein. Außerdem juckt mir schon eine ganze Weile die Schamlippe und ich kann mich nicht mal dort kratzen.
Ich als Männer-Köder? Nein, so ist das nicht. Das ist eine ganz andere Geschichte. Das war ursprünglich einmal eine Trotzreaktion auf die GREENPEACE-Funktionäre. GREENPEACE ist doch schon lange nicht mehr das, was es einmal war. Da gibt es inzwischen genauso viel Bürokratie und Sturheit, wie überall.
Die hatten uns eine Aktion gegen die Meeresverunreinigung durch Plastik-Abfälle nur deshalb verboten, weil wir das nicht in unseren GREENPEACE-Uniformen, sondern nackt in Müllsäcken machen wollten. Sie haben uns die Müllsäcke verboten. Da habe ich es eben ganz nackt gemacht. Zusammen mit drei anderen bin ich dann auf dem Broadway in New York verhaftet worden. Nach einer Woche mussten sie uns wieder freilassen. Die Bürokraten haben mich aus der Organisation ausgeschlossen. Da habe ich geschworen, dass ich genau so weitermachen werde. Jetzt habe ich mich daran gewöhnt und finde es einfach rational. Beim Tauchen ist es sogar ein Vorteil.“
„Wirklich? Worin besteht denn der Vorteil?“
„Im Seitenlinien-Effekt. Ach so, das muss ich dir erklären. Haie und auch andere Fische sehen sehr schlecht. Aber sie haben seitlich an ihrem Körper eine Linie von Sinneshärchen. Mit denen nehmen sie jede auch noch so geringe Druckschwankung in ihrer Umgebung wahr. Sie können zum Beispiel Bewegungen rundum „sehen“. Wir Menschen haben immer noch die Anlagen dazu, nur sind sie verkümmert, weil sie nicht trainiert werden. Ich habe es trainiert. Wenn ich nackt im Wasser bin, dann kann ich aus vielen Metern Entfernung einen anschwimmenden Fisch, zum Beispiel auch einen Hai, wahrnehmen. Ich fühle die Druckwellen, die er mit seinem Schwanz verursacht. Apropos Seitenlinie: Kannst du mich bitte einmal an den Seiten und unter den Brüsten kratzen, Ari?
Ja, schön! Ich will jetzt nämlich meine Arme und Beine so breit liegen lassen, wie sie sind. Es kommt gerade eine schöne warme Welle von meinem Kopf her. Noch mal die Oberschenkel und die Brüste kräftig rubbeln, bitte Ari, außer an der Wunde natürlich. Hast du die blutige Schmiere überall gut weg gekriegt? Wie sieht es denn unten an meinen Sinneshärchen aus? Sind die immer noch so verklebt? Ich habe es nämlich nicht so gerne, wenn ich zwischen den Beinen außen herum nass bin, weißt du? Mach mir doch mal den Fingerkamm Ari, damit die Löckchen wieder trocknen. Das Wasser stinkt aber auch so was nach sauer und nach Wein. Ich bin doch Anti-Alkoholikerin.“
„Du bist schon wieder schön sauber, Eva. Soll ich dir wirklich die Schamhaare kraulen? Ich weiß nicht so recht, aber da drin in deiner…, zwischen deinen Lippen, da könnte noch etwas von dem Zeug sein. Auch etwas von der braunen Brühe. Aber da kann ich doch nicht so einfach…, außerdem reinigt sich diese Wunde bei euch Frauen doch wohl von selbst, von innen her, oder? Habe ich so gelesen…“
„So, so? hast du also gelesen? Dann wird es ja wohl auch so sein.
Ich will aber jetzt sofort sauber sein. Was habt ihr Kerls damit bloß immer für ein Problem? Sonst seid ihr doch auch schnell dabei, unseren Körper zu vereinnahmen. Den Kopf ja nicht, ich weiß schon. Da trennt ihr immer ganz strikt. Unser Körper ist euer Eigentum, weil ihr ja immer etwas dabei habt, das ihr da reinstecken könnt und weil euch die Finger immer nach unseren Titten jucken. Nur der Kopf. Das ist für euch Terra inkognito. Damit könnt ihr nichts anfangen, stimmts? Jetzt mach mir schon den rosa Schmetterling auf, Ari“.
„Wenn du meinst…Aber schau mich jetzt ja nicht so an, Eva. Lege den Kopf zurück. Du redest aber schon ziemlich wirr aus deiner Birne….scheint mir.
(…)
Es ist nichts. Nur an den Rändern sind innen ein paar Spuren. Warte, ich werde sie gleich…“
„Aua! Das brennt ja wie Feuer! Was ist das? Ist das der Essig oder der Alkohol? Habe ich da etwa auch eine Wunde? Ach so, ja, die habe ich da ja schon immer. Spuck mal drauf, Ari, vielleicht hilft das. Spucke neutralisiert.
Huch, das ist ja warm! Nicht mit dem Lappen verreiben, bitte, Nimm den Finger Ari, ja? Bitte! Schön langsam. Ganz langsam, Weiter, ja, mach weiter!“
„Geht es dir wieder gut, Eva? Alles OK? Du zitterst ja und du verdrehst die Augen so komisch. Oh! Muss mir das jetzt peinlich sein?“
„Was soll dir denn peinlich sein? Ich bin doch schließlich nicht vom Melmac, Ari. Mache ich das gut? Noch fester oder lieber langsamer? Genier dich nicht, wenn er abspritzt, ganz egal, wohin. Wie heißt er denn?“
„Klein-Ari. Warte mal, ich komme etwas näher, ja. Kannst auch bitte ganz fest zupacken. Es war wirklich höchste Zeit. Du machst das sehr schön, Eva.“
„Klein Ari? Lustig. So klein ist er doch gar nicht. Es tut mir ja so leid, dass ich jetzt gerade verhindert bin, Ari. Aber wir holen das nach. Garantiert holen wir das nach. Wenn du wüsstest, wie gerne ich mich jetzt von dir durchvögeln lassen würde, breitbeinig angebunden am Mast, wie eine Piratenbraut.“
„An welchem Mast?“
„Wirst du sehen, Ari, schon morgen!“
Fortsetzung folgt