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Das Sterben

Das Sterben
Anna hatte Angst.
Sie saß im Zug und schaute aus dem Fenster, -vorbei fliegende Landschaft, die heile Welt, unbeeindruckte Normalität - und spürte, wie der Klumpen in ihrem Bauch immer härter wurde.
Sie sollte an das Bett einer Sterbenden – allein das war schon einschüchternd genug, für eine aus der Generation, die Alter, Krankheit und Sterben längst in die Anonymität von Heimen und Kliniken abgeschoben hatte.
Dass die Sterbende auch noch ihre Mutter war, die sie in den letzten Jahren nur selten gesehen hatte, machte den Besuch noch schwerer. Schon lange hatten sich ihre Leben getrennt – die Mutter lebte glücklich mit dem neuen Mann, den sie kaum kannte, und Anna hatte ihr Leben in einer anderen Stadt. Gelegentliche Telefonate verbanden sie nur oberflächlich, denn keine von beiden sprach gerne über echte Gefühle.
Die Mutter hatte auch ihre Krankheit, den tödlichen Blasenkrebs, heruntergespielt, und was Anna davon wusste, hatte ihr Bernd, der Stiefvater, mitgeteilt. Daraufhin hatte Anna öfter als üblich angerufen und zunehmend gespürt, dass die Telefonate wichtig waren. Beim letzten Telefonat hatte die Stimme der Mutter so matt geklungen, dass Anna schlagartig klar wurde: da spricht eine Sterbende, egal wie sehr eine baldige Besserung von allen Seiten heraufbeschworen wurde.
Anna hatte sofort gepackt, unbefristeten Urlaub eingereicht und den nächsten Zug genommen.
Erst auf der langen Fahrt waren ihr all die Zweifel gekommen, die jetzt den Klumpen in ihrem Bauch formten:
War sie willkommen, in dieser ihr fremden Zweisamkeit, in dieser besonderen, intimen Situation?
Würde sie einer so kranken, Schmerz geplagten Mutter begegnen können, würde sie es aushalten?
Würde sie die richtigen Worte finden, würde sie etwas tun können, das angebracht und hilfreich war?
Als ihr Bernd am Bahnhof gegenüber stand, sah sie Tränen in seinen Augen.
„Es ist gut, dass du da bist!“ sagte er und eilte, ihrem Blick ausweichend, voraus zum Auto.
„Wie steht es wirklich um sie?“ fragte Anna während der Fahrt.
Bernd räusperte sich.
„Die Onkologen erklärten sie für austherapiert, nachdem sie die Chemotherapie so schlecht vertragen hat, dass sie sie abbrechen musste. Sie haben sie an eine Palliativmedizinerin übergeben, die ihr jetzt etwas gegen die Schmerzen im Unterleib gibt. Die sind so stark, dass sie nicht mehr sitzen kann und seit zwei Wochen den ganzen Tag auf der Couch liegt.“ Er machte eine Pause.
„Man kann jetzt nur noch alles dafür tun, dass die Schmerzen erträglich bleiben.“
Seine Stimme zitterte zunehmend bei diesem Bericht. Der Klumpen in Annas Bauch wuchs und drückte ihr Tränen in die Augen. Sie sagte sich, dass sie tapfer sein musste. Als Bernd parkte, warf sie eine Blick auf die weiße Fassade des Elternhauses, in dem sie nie gelebt hatte, und das sie nur von ein paar Besuchen und Übernachtungen kannte.
Drinnen roch es dumpf und lange ungelüftet. Die Luft legte sich schwer auf Annas Lungen. Sie holte tief Luft und öffnete die Wohnzimmertür.
„Hallo Mama, ich bin da!“ sagte sie und eilte zur Couch.
Mit dem Schreck, der sie durchfuhr, als sie die abgemagerte Gestalt und das eingefallene Gesicht der Mutter sah, flutete gleichzeitig ein Woge von großer Zärtlichkeit durch Anna hindurch. Wie leicht es ihr plötzlich fiel, die Arme auszubreiten und die Mutter vorsichtig zu umarmen, um ihr nicht durch ihr Gewicht weh zu tun.
„Anna.... Kind...“ Tränen füllten die Augen der Mutter.
Anna war auf die Knie gesunken und küsste die Wangen der Mutter, und spürte die Knochen, auf denen kaum noch Fleisch war. Bernd schob einen Stuhl heran. Er streichelte der Mutter übers Haar.
„Jetzt bist du froh, dass sie da ist, nicht wahr?“
Anna ließ ihre Tasche und Jacke zu Boden gelten und setzte sich auf den Stuhl. Sie hielt die Hand der Mutter und sprach mit ihr über die Zugfahrt und das Wetter. Sie wagte nicht, die Krankheit oder die Gefühle der Mutter anzusprechen.
Bernd machte Kaffee und auch die Mutter trank ein wenig in kleinen Schlucken. Anna fragte Bernd:
„Wie macht ihr es nachts? Kann Mutter noch über die steile Treppe ins Bett laufen?“
„Bis gestern ging es ganz gut – ich lief jeweils eine Stufe unter ihr und sie stütze sich auf das Geländer und meine Schultern. Doch letzte Nacht musste sie mehr kriechen als gehen. Und heute morgen habe ich sie von Stufe zu Stufe herunter gehoben. Ich habe daraufhin ein Krankenbett bestellt, das wird heute noch geliefert.
Es wird jetzt auch jeden Morgen eine Pflegerin kommen, die sie wäscht – ich kann sie nicht gleichzeitig halten und waschen.“
Anna liefen Tränen bei der Vorstellung übers Gesicht, wie die beiden Alten – die Mutter war 82, der Stiefvater ein rüstiger 75jähriger – sich über die Treppe kämpften.
Gleichzeitig machte sich Tatkraft in ihr breit – hier musste und konnte sie helfen. Und sie wollte es auch. Der Klumpen in ihrem Bauch löste sich auf und sie konnte freier atmen.

Als Mutter eingeschlafen war, gingen Anna und Bernd in den Garten. In jahrelanger Arbeit hatte das Paar aus dem schmalen Hanglagegarten eine grüne Oase gemacht. Ein kleiner Wasserlauf mündete in einen Teich mit Goldfischen, über den man auf drei großen Steinen gehen konnte, um an einen Sitzplatz mit Bank zu gelangen.
Dort nahmen sie Platz.
Anna musste sprechen, um die vielen Gedanken zu ordnen:
„Es tut mir leid, dass ich jetzt erst komme... aber ich wusste nicht, dass es so schlimm um Mama steht.... sie sagte immer, dass sie sich erholen würde... dass sie zusätzlich eine Unterleibsentzündung habe, gegen die sie Antibiotika nehmen würde, daher die Schmerzen... ich hätte mich mehr kümmern müssen, für dich allein ist das ja zu viel...“
„Mach dir keine Vorwürfe...“, beschwichtigte Bernd. “Sie wollte nicht darüber reden, selbst mit mir nicht zur Gänze... sie wollte nicht, dass du dir Sorgen machst oder deinen Job und dein sonstiges Leben durcheinander bringst, wegen ihr...
Und auch ich habe versucht, es zu verdrängen...“ dabei versagte ihm die Stimme, er holte ein Stofftaschentuch aus seiner Hosentasche und putzte sich die Nase, „ich kann es jetzt noch nicht aussprechen... dass...dass sie wohl nie mehr gesund wird.“
Nein, dachte Anna, nie mehr gesund ist wohl noch immer zu optimistisch. Sie wird sterben. Bei diesem Gedanken bekam sie eine Gänsehaut trotz des Sommersonnenscheins.
Beide horchten auf, als sie ein Stöhnen hörten. Sie lauschten, und hörten, diesmal noch lauter, den Ruf: „Bernd!“
Der war mit wenigen Schritten über den Teich und die vier Stufen zur Gartentür gerannt, Anna setzte hinterher.
Mutter war aufgestanden und hatte es irgendwie bis in den Wintergarten geschafft und war dann gefallen.
„Liebes, was machst du nur...“ Bernd bückte sich und hob die zerbrechliche Mutter auf.
„Ihr wart nicht da... ich habe euch gesucht...“ brachte die Mutter mit schwacher Stimme hervor. Gemeinsam stützen Anna und Bernd den leichten Körper der Mutter und legten sie wieder auf die Couch. Anna nahm einen schwachen Geruch aus Süße, Urin und Verwesung wahr, der ihr kurz den Atem nahm. Bernd erklärte, dass Mutter inkontinent sei und Einlagen tragen müsse. Er wechsle sie zwar regelmäßig, aber die Geruchsbildung sei nicht zu vermeiden.
Sie setzten sich wieder zur Mutter und sprachen mit ihr. Sie war jetzt sehr wach und erzählte selbst lebhaft, Geschichten von Verwandten aus ihrer Kindheit. Ein Bruder des Großvaters habe früh seine Frau verloren, die seine große Liebe war. Nacht für Nacht war er auf den Friedhof gegangen, um am Grab zu weinen, bis die Familie aus Sorge um seine Gesundheit die Schlösser im Haus auswechseln ließ, um ihn nachts einzuschließen.
Anna und Bernd hielten abwechselnd ihre Hand, gaben ihr zu trinken oder küssten ihre Stirn.
Am Nachmittag kamen dann zwei junge Männer, die das Pflegebett brachten. Eine freundliche Pflegerin half, die Mutter behutsam umzubetten – Anna konnte sehen, dass es die Mutter schmerzte. Die Couch wurde an eine andere Wand gerückt und schnell sah das Wohnzimmer so aus, als ob darin schon immer das Pflegebett geständen hätte. Bernd holte das Bettzeug aus dem Schlafzimmer, und deckte seine Frau liebevoll mit der Decke zu.
„Ihr Lieblingsmuster“ sagte er und deutete auf den Rosenbezug.
„Nun liegst du besser, nicht wahr, mein Schatz?“ Bernd setzte sich auf den Stuhl am Bett und küsste seine Frau auf die Hand.
„Wie hast du den Haushalt bewältigt?“ fragte Anna, der jetzt auffiel, dass alles sauber und in Ordnung war. „Kommt die Putzfrau jeden Tag?“
„Nein“, sagte Bernd,“ ich mache alles selbst, Wäsche, kochen, saugen. Die Putzfrau kommt nur einmal die Woche. Allerdings... das mit dem Bügeln, das habe ich nicht geschafft. Deine Mutter hat das immer vorm Fernseher gemacht...“ und wieder versagte seine Stimme.
Also holte Anna das Bügelbrett und den Korb Wäsche und bügelte. Dabei unterhielten sie sich leise, denn die Mutter war wieder eingeschlafen, nachdem sie ein neues Schmerzpflaster bekommen hatte.
Seltsam, dachte Anna, nun sitze ich hier mit einem fast Fremden, bügle Bettbezüge und Nachthemden, im Bett liegt meine schwerkranke Mutter...und es fühlt sich seltsam richtig und normal an, als hätte ich kein anderes Leben. Und sie dachte kurz an ihren Freund und das Projekt, an dem sie gerade arbeitete – doch das war in weiter Ferne.
Später kochte sie etwas für sich und Bernd zum Abendessen und sie fütterten die Mutter mit ein paar Löffeln Kartoffelpüree.
Als Bernd sie zu einem weiteren Löffel ermuntern wollte, kniff die Kranke die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. „Was soll ich essen, wenn ich doch bald steif und kalt bin!“ stieß sie fast ärgerlich hervor.
Bernd und Anna sahen sich an.
„Sie ist jetzt öfter mal etwas aggressiv – du weißt, sie hat sich nie gerne helfen lassen.“
Zur Mutter gewandt meinte er nur freundlich: „Du musst ja nicht, Liebes!“ und streichelte ihr über den Arm. Die Mutter dämmerte wieder ein.
Anna räumte die Küche auf und horchte immer wieder ins Wohnzimmer auf den ruhigen Atem der Mutter, während Bernd ein Feldbett aus dem Keller holte und abstaubte.
„Ich will weiter bei ihr schlafen“ hatte er nach dem Essen verkündet.
Anna staunte mehr und mehr über die Liebe, Geduld und Kraft, die Bernd in dieser Situation aufbrachte.
Ihre Mutter hatte sich manches Mal bei Anna beklagt, dass er zuwenig im Haushalt helfe, und auch gerne Vergleiche zu Annas Vater gezogen, der früh verstorben war, bei denen Bernd nicht eben gut davon gekommen war. Anna hatte immer mit den Schultern gezuckt – aus ihren eigenen Erfahrungen wusste sie, dass es den perfekten Partner gar nicht gab – und die Mutter zu Nachsicht und genauem Hinschauen gemahnt.
Doch der Bernd, den sie jetzt erlebte, verdiente ihren ganzen Respekt.
Sogar das Bett im Gästezimmer hatte er schon bezogen, stellte Anna fest, als sie der Mutter und Bernd Gute Nacht gewünscht hatte und nach oben gegangen war.

Am Morgen frühstückten sie am niedrigen Couchtisch, um nah bei der Mutter zu sein, die nur ein paar Pfirsichstückchen lutschte. In der Nacht hatte sie wohl schwer geträumt, berichtete Bernd, sie habe oft gemurmelt, aufgestöhnt und nach seiner Hand gegriffen. Da Mutter nur noch schwer eine Tasse oder ein Glas halten konnte, spülte Anna die Sprudelflasche, die sie sich auf der Fahrt gekauft hatte, und füllte sie mit Wasser – so konnte die Mutter besser saugen und trank mehr.

Dann kam die Pflegerin Monika wieder. Das Gesicht der Mutter erhellte sich und sie gab ihr Antwort auf deren Fragen. Mit geschickten Griffen setzte die zierliche Monika Mutter an die Bettkante und zog sie aus, Bernd brachte eine Schüssel mit lauwarmen Wasser und einem Waschlappen.
Anna hatte ihre Mutter schon lange nicht mehr nackt gesehen, und es erschütterte sie, wie dünn sie geworden war, kaum, dass man noch Muskeln an den Beinen und Armen erkennen konnte. Die Mutter war in den letzten Jahren immer fülliger geworden und ein wenig zu rund für ihre geringe Größe gewesen, und hatte bei jeder Gelegenheit über ihre Figur gemeckert. Noch vor ein paar Wochen hatte sie Anna gesagt, dass sie jetzt ihr Traumgewicht habe und endlich wieder schick aussehen würde.
Auch die Zahnprothese der Mutter schrubbte Monika ab und wusch den Kiefer mit einem Tuch aus. Ohne Zähne sah die Mutter wie eine Hundertjährige aus, empfand Anne.
Als Monika das Höschen auszog und die Einlage wechselte, machte sich wieder der unangenehme Geruch breit. Anna kippte das Fenster, da es sie zu würgen drohte. Sie bewunderte Monika, die mit professionellen Handgriffen auch diese Waschung durchführte und den Geruch ignorieren konnte. Bernd stand die ganze Zeit dabei und sprach liebevoll auf die Mutter ein.
Als die Mutter wieder lag, geölt am ganzen Körper und mit einem frischen Hemd, sprach Monika noch mit Bernd und Anna.
„Es gibt eine Stelle am Rücken, da droht sie sich wund zu liegen – ich werde morgen entscheiden, was zu tun ist. Vielleicht können sie die Mutter ab und zu auf die Seite betten, das wäre gut.“
Bernd beschrieb den Sturz am Vortag und die Nacht. Anette antwortete darauf:
„Die Schmerzmittel haben als Nebenwirkungen auch Halluzinationen – das kann ebenfalls im Wachzustand passieren. Sie sollten sie wenn möglich nicht mehr alleine lassen.“
Zu Anna gewandt meinte sie: „Schauen Sie mal, ob sie eine schöne Gesichtscreme bei Ihrer Mutter finden. Cremen Sie sie damit ab und zu ein, das wird ihr gut tun.“
Und nach einer kleinen Pause drückte sie Annas Arm und sagte:
„Es ist gut, dass sie da sind.“

Anna ging ins Bad und holte die teure Tagescreme ihrer Mutter. Zart strich sie die duftende Creme auf ihr Gesicht und den Hals.
„Ja, auch den Hals, Mütterchen, das hast du mir beigebracht: der Hals gehört auch zum gepflegten Gesicht einer Frau, hast du immer gesagt.“
Die Mutter lächelte und antwortete, dass es darauf nicht mehr ankäme.
Anna wunderte sich, wieso ihr das Wort „Mütterchen“ über die Lippen gekommen war– ein Kosewort, das sie vorher nie benutzt hatte. Doch ihre Mutter war nun so klein und hilflos, wie ein Kind, und so war der Ausdruck passend.
Bernd musste einkaufen gehen und so blieb Anna am Bett. Die Mutter fiel in unruhigen Schlaf, stöhnte oft und sah sie immer wieder mit großen Augen an.
„Hast du Schmerzen?“ fragte Anna und die Mutter nickte. Mit der Hand fuhr sie immer wieder zum Bauch.
Anna fragte, ob sie der Mutter etwas vorlesen sollte. Die Mutter schüttelte den Kopf. „Sing mir was“ bat sie.
Also begann Anna alle Schlaflieder zu singen, an die sie sich noch erinnern konnte. Und dann auch ein paar Weihnachtslieder. Die Mutter wimmerte dazwischen vor Schmerzen.
Anna war froh als Bernd kam. Er nahm seine Frau in den Arm und die weinte - vor Schmerz oder Freude, dass er wieder da war.
Bernd rief die Ärztin an, die versprach, mit einer Spritze bald vorbei zu kommen. Bernd setzte sich zur Mutter und streichelte ihren Arm. Anna ging in den Garten. Sie merkte, wie anstrengend die Betreuung war, die Konzentration auf die kleinen Zeichen der Mutter, das schiefe Sitzen am Bett.
Als sie wieder ins Haus kam, hörte sie Bernd singen, ein Kirchenlied, dass ihr bekannt vorkam.
Auf Zehenspitzen ging sie in die Küche und kochte Tee. Da Bernd noch immer sang oder leise sprach, und Mutter weiter stöhnte, schnappte sie sich Essigreiniger und einen Lappen und schrubbte das Bad und die Gästetoilette.
Dann hörte sie die Türklingel und ging wieder ins Wohnzimmer. Bernd hatte eine rundliche Frau schon ins Zimmer geführt. Die Ärztin streichelte die Mutter zur Begrüßung.
„Haben Sie große Schmerzen?“ Die Mutter nickte.
„Ich gebe Ihnen eine Spritze, dann wird es gleich besser.“
Während sie eine Spritze aufzog, sprach sie weiter. „Trinken Sie auch genug? Und wie ist es mit dem Appetit?“ Die Mutter machte eine wegwerfende Handbewegung. Für eine Antwort in Worten hatte sie keine Kraft mehr.
Als sie fertig war, winkte die Ärztin Bernd und Anna an den Esstisch.
„Achten sie darauf, dass sie trinkt – wenn nicht, müssten wir überlegen, ob eine Infusion sinnvoll ist. Ich habe mit Schwester Monika wegen der Stelle am Rücken gesprochen, vielleicht können Sie sie in einer Stunde, wenn die Schmerzen gedämpft sind, ein wenig auf die Seite legen.“
Dann verabschiedete sie sich.

Sie tranken Tee und gaben auch der Mutter davon ein wenig in die Flasche. Bernd wirkte erschöpft – oder erschüttert, und Anna bat ihn, in den Garten und die Sonne zu gehen. Dann nahm sie sich ihr Buch und setzte sich zur dösenden Mutter. Mit einer Hand streichelte sie deren Arm, mit der anderen Hand hielt sie das Buch. Nach einer Weile erwachte die Mutter und deutete erregt in die entfernte Zimmerecke: „ Da ist der Mann wieder... der hat vorhin schon durch das Fenster geschaut...“ Anna beruhigte die Mutter.
„Ich bin da, Mama, der kann dir nichts tun, ich beschütze dich.“
Da sah die Mutter Anna direkt in die Augen und sagte:
„Ich will nicht sterben“!
Anna umarmte sie und hielt sie fest, damit sie ihre Tränen nicht sehen konnte.
Bernd kam wieder herein und sie versuchten, die Mutter auf die Seite zu legen. Doch da wimmerte das arme Wesen so, dass sie sie schnell wieder zurückrollten. Kurz versuchte sich Anna das Chaos aus Krebsgeschwulst und Entzündung in Mutters Bauchhöhle vorzustellen und verstand, dass jede Bewegung Schmerz barg.
Den Nachmittag verbrachten Anna und Bernd mit leiser Unterhaltung am Bett der Mutter, dann spielten sie Rommé, wie sie es an manchen Besuchsabenden getan hatten; zwischendurch sprachen sie ein paar Sätze mit der Mutter, wenn sie wach war. Doch meist schlief sie.

Anna machte ein kleines Abendessen aus Salat und belegten Broten, denn weder sie noch Bernd hatten großen Hunger. Die Mutter lutschte ein paar Tomatenstückchen und trank eine kleine Flasche Wasser.
Bernd richtete wieder sein Feldbett.
„Gutes Kind!“ sagte sie, als sich Anna für die Nacht verabschiedete.
Und Bernd umarmte sie: „Ich bin froh, dass du da bist!“

Anna legte sich eine Schlaftablette auf den Nachttisch, da sie erwartete, zu aufgewühlt zum Schlafen zu sein. Doch sie schlief tief und traumlos.

Am Morgen waren die Hände der Mutter ungewöhnlich heiß, als sie die Mutter begrüßte, und Anna fragte Bernd, ob die Mutter fieberte. Er sagte, dass die Nacht sehr unruhig war. Die Mutter antwortete auch nicht mehr, als Anna sie ansprach, sondern sah sie nur lange an.
Als Monika kam, ließen sie von ihr Fieber messen, doch es war nur leicht erhöhte Temperatur, obwohl die Hände zu glühen schienen. Monika sah beim Waschen, dass die Stelle am Steiß kurz vor dem Öffnen war und fuhr noch einmal los, um Kissen zu holen.
Zu dritt betteten sie die Mutter auf Kissen und bewegten sie dazu mit Hilfe eines Tischtuchs, auf das sie sie legten. Die ganze Prozedur musste sehr schmerzhaft sein, da die Mutter laut stöhnte und wimmerte. Anna hielt ihren Kopf und weinte in ihr Haar.
„Armes Mütterchen, es tut mir so weh, dich leiden zu sehen... gleich ist es vorbei und wir lassen dich in Ruhe...“ versuchte sie die Mutter zu trösten.
Monika gab noch einmal Schmerzmittel. Auf der verschmutzten Unterlage sah Anna eine dunkle Absonderung – das Ausmaß der inneren Verrottung ihrer Mutter musste immens sein.
Monika konnte die Zähne der Mutter nicht mehr einsetzen, denn auch der Kiefer war geschrumpft, und sie befürchtete Atemprobleme durch die herab fallende Prothese.
Bernd fiel es schwer, seine Frau ohne Zähne zu sehen, da er wusste, wie sorgsam sie darauf bedacht gewesen war, dass er sie nie ohne sah.
Monika ließ noch eine Spritze da, die der Mutter das Atmen erleichtern würde, das nun laut und rasselnd war. Bernd konnte sie ihr später einfach in den Bauch geben, falls er das Gefühl hatte, sie habe Atemnot.
Anna nahm die heiße Hand ihrer Mutter und sang wieder, als Monika weg war. Bernd machte sich im Haus zu schaffen.
Laut ging der Atem der Mutter, als ob sie schwere Arbeit verrichten würde, und die Augen waren nur noch halb offen. Anna konnte nicht sagen, ob Mutter sie noch hörte oder auch nur spürte, dass sie da war. Aber sie glaubte daran, und dass ihre Hand der Mutter bei ihrem Kampf half.
Später löste Bernd sie ab und Anna legte sich mit einer Decke in den Garten und schlief ein. Sie war auf eine seltsame Art erschöpft und zugleich so ruhig wie schon lange nicht mehr.
Als sie wieder ins Wohnzimmer kam – sie hatte fast eine Stunde geschlafen – sagte Bernd, dass die Ärztin noch einmal da gewesen war.
Die Hände der Mutter waren jetzt kalt, ebenso die Füße. Die Ärztin habe das erklärt: der Körper konzentriere sich in der letzten Phase nur noch auf die Versorgung der wichtigsten Organe im Rumpf.
Dabei musste er sich schneuzen. Auch Anna bekam bei dem Ausdruck „letzte Phase“ einen Stich ins Herz.
Die Mutter würde also wirklich sterben, und das bald, vielleicht noch heute. Anna bekam wieder kurz Angst, ob sie dem gewachsen war.
Und gleichzeitig hatte sie ein Gefühl, als ob ihre gesunde Mutter eben jetzt zur Tür herein kommen müsste, energiegeladen und fröhlich vom Einkauf, und dass dieses arme Bündel Mensch im Bett nichts mit der Mutter, die sie kannte, zu tun hatte.
Dann sah sie Bernd zusammengesunken über der Hand der Mutter.
„Komm, geh ein wenig in den Garten, ich bleibe bei ihr. Ich rufe dich, wenn sich etwas verändert.“
Folgsam trottete er nach draußen.
Anna nahm ihr Mutter fest in den Arm. Wie kalt sie jetzt war, auch die Lippen waren blau. Ohne die Zähne sah sie jetzt schon aus wie eine Tote.
„Mutter, weißt du, was du für einen wundervollen Ehemann hast? So rührend, wie er sich um dich kümmert, muss er dich unendlich lieben.“
Die Augen der Mutter gingen bei diesen Worten auf und aus Anna flossen Sätze, die sie nie gedacht hatte.
„Ich weiß, ich bin nicht immer eine gute Tochter gewesen. Aber jetzt bin ich bei dir und ich helfe dir bei deinem schweren Weg. Hab keine Angst vorm Sterben. Dein Körper ist so müde, der kann nicht mehr. Wehre dich nicht weiter und fürchte dich nicht.“
Sie sah Bernd im Garten, wie er abgeblühte Rosen schnitt. Der Garten, den die Mutter so geliebt hatte.
Noch immer sah die Mutter sie mit weit geöffneten Augen an – Anna war sich nicht sicher, ob sie sie ansah oder etwas ganz anderes.
„Mutter, du kannst jetzt in einen wundervollen Garten gehen... die Sonne scheint, Vögel singen und überall sind schöne Blumen. Du hast keine Schmerzen mehr und wirst in einer Hängematte schaukeln...“
Der Atem der Mutter rasselte in Wellen.
„Ach Mutter, liebes Mütterchen, hab keine Angst...“ Anna weinte.
Bernd kam herein und sagte: „Ich habe endlich die Rosen geschnitten, darum hat sie mich schon vor zwei Wochen gebeten.“
Anna streckte die Hand nach ihm aus.
„Setz dich her... sie scheint ein wenig wacher...sprich mit ihr.“
Bernd setzte sich auf den Stuhl und Anna sank auf die Couch und schneuzte sich. Bernd küsste den Arm der Mutter und flüsterte:
„Jetzt musst du also sterben, meine Liebste...“ und noch mehr, was Anna nicht verstand.
Nach einer Weile waren die Augen der Mutter geschlossen, aber noch immer ging ihr Atem laut und heftig, und ab und zu seufzte sie so stark, dass das Bett leicht wackelte.
Bernd drehte sich zu Anna, ohne die Hand der Mutter loszulassen.
„Weißt du, ich habe immer wieder mit ihr über den Tod oder die Beerdigung reden wollen. Aber sie hat das vehement abgelehnt. Ich weiß nur, dass sie beerdigt und nicht verbrannt werden will.“
Er wischte sich Tränen von den Wangen.
„Ich möchte, dass alles so wird, wie sie es sich gewünscht hätte.“
Und so sprachen sie über Gedichte, die die Mutter gemocht hatte, über Musik, die zur Trauerfeier in Frage kommen könnte, und ihre Lieblingsblumen - bis Anna bemerkte:
„Jetzt ist ihr Atem aber ruhiger geworden.“
Sie sah den Alarm in Bernds Augen und sprang auf.
Bernd fragte: „Atmet sie denn noch?“ und sie hielten beide die Luft an, um zu horchen.
Kein Laut.
Beide standen sie nun vor dem Bett.
Bernd fühlte den Puls am Handgelenk.
„Mach du, ich spüre nur meinen eigenen.“
Anna legte die Finger an die Halsschlagader. Sie spürte nur die angespannten Sehnen. Bernd legte seinen Kopf auf die rechte Brust, um das Herz abzuhorchen.
„Bernd, das ist auf der anderen Seite...“ flüsterte Anna.
„Nichts“ sagte er, nachdem er sein Ohr auch auf die andere Brusthälfte gelegt hatte.
Anna holte tief Luft und sagte: „Ich glaube sie ist tot...sie hat wohl einfach aufgehört zu atmen.“
Bernd sah sie an.
“Ich muss die Ärztin anrufen...“ und ging zum Telefon.
Anna blickte auf ihre Mutter und fuhr ihr zärtlich mit der Hand über das Haar.
„Nun hast du es geschaft, Liebes. Siehst du, es ging dann doch ganz leicht!“
Die Augen der Mutter waren noch halb geöffnet und Anna legte ihre Finger leicht auf die Lider, die erstaunlichen Widerstand leisteten. Erst als sie die Finger länger liegen ließ, blieben sie geschlossen.
Bernd kam wieder.
„Die Ärztin kommt später wegen des Totenscheins.“
Dann stellte er sich neben Anna.
„Machst du ihr wieder die Zähne rein? Ich habe extra Haftcreme gekauft.“
Also fummelte Anna mit etwas gemischten Gefühlen die Prothesen in den Mund der Mutter. Der Unterkiefer klappte immer wieder nach unten und es sah grotesk aus.
„Wir müssen den Kiefer nach oben binden“, sagte sie und dachte an ägyptische Mumien. Bernd nickte. Sie sauste nach oben und holte aus ihrem Koffer einen Seidenschal mit Rosenmuster. Den band sie fest um den Kopf der Mutter und erinnerte sich an ihre Mumps als Kind, wo sie tagelang mit solch einem Tuch und kühlenden Umschlägen herumgelaufen war.
„Falten wir ihr die Hände?“ fragte sie Bernd.
„Aber erst nimm ihr den Ring ab“, sagte er.
„Du willst ihr den Ehering abnehmen?“ Anna hörte ihre Mutter in ihrem Innern aufschreien. “Mutter würde nicht ohne Ehering sein wollen, nie hat sie ihn abgelegt.“
„Ich dachte, das macht das Beerdigungsinstitut sowieso“, antwortete Bernd kleinlaut.
„Dann sollen sie es tun, aber wir lassen ihn dran.“
Noch waren die Finger zwar kalt, aber zu bewegen, und Anna flocht sie vorsichtig zusammen.
Dann sah sie Bernd an.
„Möchtest du jetzt mit ihr allein sein?“
Bernd nickte und ein Schluchzen schüttelte ihn.
Anna ging nach draußen. Die Sonne war hinter die Bäume gesunken und der Garten lag in langen Schattenstreifen.
Sie blickte in den blauen Sommerhimmel.
„Flieg, flieg in den Himmel, Mutter... und grüße mir die Engel, an die du so fest geglaubt hast. Sie werden gut zu dir sein.“
Und ihr Herz war leicht. Es musste kein Satz mit „Verzeih mir“ mehr begonnen werden, und auch sie hatte nichts mehr zu verzeihen.
In ihr war nur viel Liebe und tiefer Friede. Und Dankbarkeit, dass sie diese Tage mit ihrer Mutter gehabt hatte.


©tangocleo 2012
****is Frau
9.947 Beiträge
Wie soll man das lesen können, wenn man vor lauter Wasser in den Augen keinen Buchstaben mehr erkennt?

Ich habe geheult wie ein Schlosshund!

Bewegend und einfühlsam...
danke dir! *g*
Danke
mehr kann ich nicht schreiben

*roseschenk* Ev
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Überaus berührend und großartig geschrieben!

Vor allem, weil die Geschichte tief geht und anrührt, ohne sentimental zu sein - und dennoch direkt ins Herz trifft ...

Ein aufrichtiges und zutiefst empfundes Danke! *blumenschenk*

(Der Antaghar)
**********Engel Frau
25.833 Beiträge
Gruppen-Mod 
Danke für diese sehr berührende Geschichte!

Du kamst mir ein wenig zuvor, ich wollte eine ähnliche schreiben *zwinker*

Da dieses Erleben in mir momentan sehr präsent ist, konnte ich tief mitfühlen und natürlich flossen auch bei mir die Tränen.
Meine Mutter ist gestern eingeschlafen und ich bin auch sehr dankbar, dass ich lange intensiv für sie da war. So bleiben keine Schuldgefühle. Jedoch der Abschied fällt dennoch schwer.

Du hast das Empfinden der Tochter wundervoll echt beschrieben. Genau so ist es. Viele Situationen lösten in mir ein "ja genau" aus. Und es tut irgendwie gut, dass es nicht nur mir so gegangen ist.

Intensive und schmerzhafte Wochen, Tage, Stunden... sie gehören halt auch zum Leben dazu. Schön, wenn so viel Liebe und Zuwendung dabei ist!
Dank euch, für euer Lob und euer Einfühlen.

Meine Mutter hat letzte Woche den letzten Atemzug getan - und die Wochen davor waren ein Wechselbad der Gefühle und Stimmungen, die ich selbst in dieser relativ langen Geschichte nicht alle fassen konnte.
Doch der Tenor ist wiedergegeben.

Mir ist Großes begegnet - fremd, Angst machend, allumfassend, gewaltig... zugleich auch zutiefst natürlich, menschlich, beruhigend im Ausblenden all der alltäglichen Wichtigkeiten.

Ich bin zutiefst dankbar für diese Erfahrungen.
*****har Paar
41.020 Beiträge
Gruppen-Mod 
Und so, Ihr Lieben, wachsen wir auch am Sterben von Menschen, die uns lieb und kostbar waren. Auf diese Weise macht uns jeder, der "geht", noch ein letztes großartiges Geschenk ...

*knuddel*

(Der Antaghar)
*****tti Frau
1.384 Beiträge
Danke ..
*****e_M Frau
8.519 Beiträge
Sehr berührt! Danke Dir ganz besonders....
**********Engel Frau
25.833 Beiträge
Gruppen-Mod 
Mir ist Großes begegnet - fremd, Angst machend, allumfassend, gewaltig... zugleich auch zutiefst natürlich, menschlich, beruhigend im Ausblenden all der alltäglichen Wichtigkeiten.

Ich bin zutiefst dankbar für diese Erfahrungen.
Diesen Worten kann ich mich nur anschließen. Danke!
Du hast es wirklich treffend ausgedrückt. Mir geht es genauso.
Und ich bedauere jeden, der dies nicht bewusst erleben möchte/kann, sondern diese Gefühle verdrängt. Sie sind so wichtig und wertvoll in unserem Werden und Sein. Auch wenn sie noch so schmerzhaft sind.
Wirklich berührend!
Dass Du den Text in der distanzierten dritten Person geschrieben hast, fand ich sehr stimmig und für das Mitfühlen hilfreich.
Danke! Olaf
an euch alle: *herz*
Profilbild
****ia Frau
22.263 Beiträge
Im Gedenken an meinen vor nun 12 Jahren verstorbenen Papa: Danke!
*******an_m Mann
3.831 Beiträge
Da hats mich beim Lesen am Hals gepackt. Und die Geschichte wirkt nach, sie stößt Gedanken an, die man normalerweise von sich weg schiebt.
In meinen 30 Berufsjahren durfte ich viele Sterbende auf ihrem letzten Weg begleiten (ja, früher hatte man noch Zeit dafür) und ich war jedes Mal dankbar füe eine solche Erfahrung.

Ich hätte nie gedacht, dass man es auch so authentisch in Worte fassen kann - Danke dafür!

Luna
Danke
Wunderbar beschrieben
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