Murder - She Wrote (Mord ist ihr Hobby)
Also - ich weiß ja nicht, ob Sie es schon wussten ... aber im richtigen Leben bin ich Bibliothekarin!
Und ja, ich bin genau so, wie sie sich eine Bibliothekarin vorstellen: graues, strähniges Haar, am Hinterkopf mit vielen Haarnadeln zu einem altmodischen Knoten zusammengefasst, dicke Brillengläser in einer Fassung aus Schildpatt, alt-rosé-farbenes Twinset und ein bis zu den Knöcheln reichender Rock aus dickem Tweed.
Wie? werden Sie sich jetzt fragen: wer ist denn dann die attraktive Frau mit dieser ungemein erotischen Ausstrahlung auf den Bildern in meinem Profil? Nun ja, auch Sie haben doch sicher schon davon gehört, was ein gutes Bildbearbeitungsprogramm wie photoshop so alles verändern kann an einem Menschen, der in der Realität nun einmal so unscheinbar ist, wie Sie sich das von einer Frau, die in einer Bibliothek arbeitet, schon immer gedacht haben. Mit Speck fängt man Mäuse, mit Titten fängt Frau Männer! Dies in Kombination mit ein paar halbwegs intelligenten Zitaten in meinem Profil und gelegentlichen pseudo-wissenschaftlichen Beiträgen im Diskussionsforum, dann noch ein taktisches sich ein bisschen Naiv-stellen im Austausch von persönlichen Nachrichten - all dies wirkt auf den Typus Mann, der hier täglich auf der Jagd ist, geradezu magisch.
Und machen wir uns nichts vor! Wären Sie wie ich gefangen in einem derart öden Alltag zwischen der Katalogisierung von alten Buchbeständen nach den "preussischen Instruktionen", der sachlichen Erschließung von Studien zum "Habitat des gemeinen Nacktmulchs" und der Beantwortung dümmlicher Fragen von Erstsemestern, die von einem Studienjahr zum nächsten immer dämlicher zu werden scheinen, dann wäre es auch für sie ein Highlight, sich hier zur erotischen Männerfantasie schlechthin zu stilisieren.
Beliebte Topoi sind hierbei:
Baby, lass uns Sex zwischen den Regalen haben - wild und ungehemmt!
Süße, ich kniee zu deinen Füßen unter deinem Schreibtisch und verschaffe Dir den besten Cunnilingus deines Lebens!
Wow, du verführst sicher täglich die jungen, knackigen Studenten!
Aber ich schweife ab.
Heute morgen, als ich zur Arbeit kam, herrschte unter meinen Kolleginnen helle Aufregung. In unserem ehrwürdigen historischen Lesesaal mit den dekorativen Wandgemälden war eine Leiche gefunden worden. Ein Mann, nackt obendrein, erschlagen von unserer wertvollen Gutenberg-Bibel! Obwohl der Raum nun für das Publikum gesperrt war und von Polizisten wimmelte, die hektisch alles auf Fingerabdrücke, Blutspuren und andere Hinweise auf den Täter untersuchten, war es mir möglich, mich dort einzuschleichen, da ich mitverantwortlich bin für den Schutz der historischen Altbestände.
So konnte ich den Tatort und die Leiche eingehend betrachten und stellte bald, anhand der charakteristischen Krümmung des nun zwar erschlafften und nicht so eindrucksvoll wie in seiner letzten Mail an mich praesentierten Glieds, fest, dass es sich um den mir unter dem Pseudonym "pittiplatsch" bekannten Joy-User handelte. Diese Information verschwieg ich dem anwesenden Kommissar Bienzle wohlweislich, da ich durch die regelmäßig am Sonntagabend gesehenen "Tatort"-Folgen weiß, dass es sich bei diesem etwas kantigen, schwäbisch-biederen Polizisten sowieso nicht um eine Leuchte in seinem Beruf handelt.
Obendrein hatte er ja auch schon eine dringend Verdächtige festgenommen. Neben ihm in Handschellen stand die Frau, die wir hier alle unter dem Nick "sylvie2day" kennen. Man hatte sie sozusagen in flagranti ertappt, herzzerreissend schluchzend über die Leiche dieses begehrenswerten Mannes geworfen und in ihrer Handtasche war ein Hammer gefunden worden. Man warf ihr vor, diesen für einen geplanten Mord mit in die Bibliothek geschmuggelt zu haben und erst im letzten Moment spontan zu der schwereren und tödlicheren Bibel gegriffen zu haben. Da nutzte es wenig, dass sie immer wieder beteuerte, durch einen anonymen Brief hergelockt worden war, in der ihr die Lösung des letzten ungemein schwierigen Rätsels bei den Sprachfetischisten - eingestellt von einer auch in Tübingen ansässigen "bjutifool" - versprochen wurde, wenn sie sich um Mitternacht in der Bibliothek einfände? Der Kommissar hielt dies für das wirre Geschwätz einer frustrierten jungen Frau, deren Liebhaber sie verlassen wollte und den sie darum im Zorn getötet hatte. Bei "pittiplatsch" war nämlich ein Brief gefunden worden, der ihn um Mitternacht zu einer heissen Inszenierung von "Sex an aussergewoehnlichen Orten" in die Bibliothek bestellte, gezeichnet mit dem realen Vornamen dieser Dame.
So ging mein Plan wirklich hervorragend auf. "pittiplatsch" wurde für sein Fremdflirten angemessen gestraft, "sylvie2day" meine ärgste Konkurrentin auf dieser Plattform, die sich am Vorabend noch unverschaemterweise in der Kurzgeschichten-Gruppe mit der Eroberung "pittiplatschs" gebrüstet hatte, würde für Jahrzehnte hinter Gefaengnismauern verrotten und erst als alte, hässliche Hexe ohne jegliche Chancen auf dem Erotik-Markt wieder entlassen werden. Und ich wäre nun endlich die schönste, begehrteste und erotischste Frau im ganzen Joy-Land.
Wie? Sie nennen so ein Denken autistisch?
Was kann ich denn dafür, dass Kommissar Bienzle sein Metier so wenig beherrscht, dass er nicht erkennt, dass nur jemand, der in der Bibliothek arbeitet, an den Schlüssel zum Rara-Raum, in dem die Gutenberg-Bibel normalerweise sicher aufbewahrt wird, herankommen kann.
Fingerfertig lasse ich diesen wieder in der Schublade des Aufsichtspults verschwinden, verlasse zufrieden lächelnd den Lesesaal, begebe mich in mein Büro, fahre meinen PC hoch, logge mich im Joy-Forum ein und warte auf Nachrichten ...