Murder – I Wrote (Mord ist meine Profession)
Also ich weiß ja nicht, ob Sie es schon wussten... aber im richtigen Leben bin ich Privatdetektivin!
Und nein, ich bin nicht so, wie sie sich eine Privatdetektivin vorstellen: graues, kurz geschnittenes Haar, das unter immer neuen Billigperücken verschwindet, dicke Sonnenbrille und Kaffeeflecken auf der grau-blauen Streifenbluse, die rechte Tasche der schwarzen Bundfaltenhose ausgebeult vom unvermeidlichen Derringer.
Wie? Werden Sie sich jetzt fragen: ist sie wirklich die attraktive Frau mit dieser ungemein erotischen Ausstrahlung auf den Bildern in ihrem Profil? Nun ja, zum Glück habe ich Bildbearbeitungsprogramme und Photoshop nicht nötig. Wenn schon, dann verwandle ich mich in der Realität. Mögen andere ruhig glauben, mit Speck fange man Mäuse. Ich weiß, wie es wirklich geht. Vielleicht haben Sie gestern neben mir an der Bar gesessen und sich nicht getraut, mich anzusprechen, weil Sie bei einer so umwerfenden Schönheit keine Chance zu haben glauben. Vielleicht haben Sie gestern neben mir auf der Bank gesessen und nicht einmal gemerkt, dass ich da war. Ich habe im Übrigen dieses Profil nicht, um mir mit Hilfe von pseudo-wissenschaftlichen Beiträgen im Diskussionsforum und taktischem Naiv-stellen im Austausch von persönlichen Nachrichten zur Jagdbeute streunender Männer zu machen. Ich habe mich hier angemeldet, um eine bestimmte Person nicht aus den Augen zu lassen.
Machen wir uns nichts vor! Wären Sie eine grauhaarig beknotete, Schildpattbrillen tragende Mitarbeiterin einer Bibliothek, gefangen zwischen rosa Twinset und grauem Bücherstaub, sie kämen vielleicht auch auf die Idee, sich etwas Abwechslung zu verschaffen. Und so hatte mein Auftraggeber – den zu nennen die Berufsehre verbietet – die Idee, ich solle mich hier auf die Lauer legen, diskret Kontakt aufbauen und die Dame beschatten.
Sie ist wirklich unsagbar aktiv! Beliebte Topoi sind hierbei:
Der Mann an sich in allen Unzulänglichkeiten!
Der Wetterfrosch und andere Sündenböcke!
Sprachliche Wortverdrehungen und hyperaktive Nonsensproduktionen als autoerotische Stimulation!
Aber ich schweife ab. Denn jetzt habe ich sie!
Gestern morgen, als sie zur Arbeit erschien, herrschte unter ihren Kolleginnen helle Aufregung. In ihrem ehrwürdigen historischen Lesesall mit den dekorativen Wandgemälden war eine Leiche gefunden worden. Ein Mann, nackt und komplett rasiert, ein Nacktmull sozusagen, erschlagen von einer Gutenberg-Bibel! Wie zu erwarten war, schlich sie sich in den Raum, der für das Publikum natürlich gesperrt war, und in dem es von Polizisten wimmelte, die hektisch alles auf Fingerabdrücke, Blutspuren und andere Hinweise auf den Täter untersuchten.
Sie nahm sich alle Zeit der Welt, um den Tatort und die Leiche eingehend zu betrachten. Ihrem Blick war zu entnehmen, dass sie ihn erkannte. Hatte sie es doch sogar fertig gebracht, mir sein Wedelpalmenfoto per Clubmail zuzuleiten, um sich damit zu brüsten, dass sie ihn sich einverleiben würde. Diese Information verschwieg sie dem anwesenden Kommissar Bienzle wohlweislich. Vermutlich nahm sie an, dass es sich bei diesem etwas kantigen, schwäbisch-biederen Polizisten sowieso nicht um eine Leuchte in seinem Beruf handelt. Sie kann ja nicht wissen, dass mein Sandkastenfreund schon immer das Understatement liebte. Und so hatten wie leichtes Spiel und stellten ihr eine Falle.
Er nahm mich als dringend Verdächtige fest. Und so stand ich als vermeintlich in flagrantie ertappte, herzzerreißend schluchzende Verdächtige neben ihm, die mit Handschellen geschmückten Hände ringend und mich nahezu über die Leiche dieses Mannes werfend. Aus dramatechnischen Gründen hatten wir einen Hammer in meine Handtasche getan und warf mir nun vor, diesen als Mordinstrument in die Bibliothek geschmuggelt zu haben. Erst im letzten Moment hätte ich zu der schwereren und tödlicheren Bibel gegriffen. Ich beteuerte natürlich meine Unschuld, behauptete, durch einen anonymen Brief hergelockt worden zu sein. Was sogar stimmte. Doch es ging mitnichten um ein schwieriges Rätsel bei den Sprachfetischisten – eingestellt von einer auch in Tübingen ansässigen „bjutifool“, sie hatte mich vielmehr aufgefordert, um Mitternacht in die Bibliothek zu kommen, allerdings, ohne zu wissen, dass ich es war, denn in der realen Welt bin ich ihr anderweitig begegnet. Es ging um die Rückgabe einer anderen Sache. Offensichtlich hatte das unsägliche Foto von Pittiplatsch aber magische Wallungen bei ihr ausgelöst. Und so hatte sie ihn zu eben diesem Zeitpunkt zu einer heißen Inszenierung von „Sex an außergewöhnlichen Orten“ in die Bibliothek bestellt.
Wir brauchten nur hinter den Überwachungskameras sitzend warten, was passiert. Und der Plan wäre wirklich hervorragend aufgegangen, hätte sie sich nicht Pittiplatsch bestellt. Um den Mann tut es mir wirklich leid. Vor allem aber tut mir seine Witwe leid, die offensichtlich nicht wusste, dass sie in einer offenen Beziehung lebt. Und so geriet die Sache etwas außer Kontrolle. Und da sie unglücklicherweise ein Ganzkörper-Latexkostüm samt Maske trug, reichten die Filmaufnahmen leider nicht auf, um sie zu überführen.
Sie fragen nach ihrem Motiv? Offensichtlich Eifersucht. Sie nahm wohl wirklich an, ich hätte Ambitionen, ihr diesen Pittiplatsch abspenstig zu machen. Mal abgesehen davon, dass ich ihr intellektuell weit überlegen bin, und sie, seit wir gemeinsam in den Diskussionsforen unterwegs sind, im direkten Vergleich autistisch wirkt. Und scheinbar glaubte sie wirklich, dass Kommissar Bienzle sein Metier so wsenig beherrscht, dass er nicht erkennt, dass nur jemand, der in der Bibliothek arbeitet, an den Schlüssel zum Rara-Raum kommt, in dem die Gutenberg-Bibel normalerweise sicher aufgewahrt wird, herankommen kann.
Schmunzeln sehen wir zu, wie sie den Schlüssel fingerfertig in der Schublade des Aufsichtspuls verschwinden lässt, den Lesesaal verlässt, sich in ihr Büro begibt, den PC hochfährt und sich seelenruhig im Joy-Forum einloggt...
Und während Bienzle hochgeht, um sie festzunehmen, rufe ich meinen Auftraggeber an.
„Hier Sylvie2day. Ich habe ihre Gutenberg-Bibel gefunden. Sie hatte sie zwischen Altbeständen versteckt. Und nein, wir müssen das Lösegeld dafür nicht berappen. Allerdings werde ich etwas Zeit brauchen, um das Teil aus der Aservatenkammer zu holen. Das wird wohl erst nach der Urteilsverkündung etwas!“
So und jetzt gehe ich nach Hause und suche mir vier Jungs für einen entspannten Gangbang.
© Sylvie2day, 12.09.2012