Ein böser Traum
Wir starrten den 20-Fuß- Container an. Alle 18 Mann. 2 Platoons. Und ich, der einzige Deutsche. Der Einzige, der sich auskannte und in 2 Stunden verfügbar war. Das Abc- Abwehr- Bataillon in Kabul.
Wie eine Vision erschien es mir, dass ich noch vor wenigen Stunden in Gedanken versunken auf meiner Klarinette übte. Ein flappendes Geräusch, untersetzt mit lauter werdendem Wummern zeugte davon, dass wieder einmal ein Chopper landen würde. Bestimmt der Versorger aus Incirlik, der Nato-Basis.
Dennoch klang der hier anders. Man lernt, zu unterscheiden zwischen 2, 4 und 5-Blatt-Rotoren. Dazu kommt das typische Motorengeräusch: Entweder Kolbenmotor oder Gasturbine. Man hört das. Wir benutzen Sikorsky CH 53 Transporthubschrauber mit 2 Gasturbinen. Der Rotor hat 6 Blätter, das bedeutet, man hört das nicht so deutlich wie zum Beispiel bei der Alten Bell Huey mit 2 Blättern.
Was sich hier ankündigte, war auch ähnlich, aber irgendwie verdoppelt.
Ein schneller Blick aus dem Zelt und ich erkannte eine CH47 Chinook. Kein Wunder, das Monster hat 2 Rotoren mit jeweils 3 Blättern, da kommt man schon einmal durcheinander.
USMC stand auf der vorderen Flanke. United States Marine Corps. Ich musste lachen, was ich aber im Angesicht der harten Jungs tunlichst vermeiden sollte. Aber die Vorstellung von Marinesoldaten hier in der Wüste von Kabul war zu köstlich.
Leicht geduckt rannte Oberst Klenner, unser Kommandeur, ein drahtiger, mit zahlreichen Narben im Gesicht gezeichneter Haudegen, auf den Hubschrauber zu und salutierte. Ich kannte die Abzeichen der Amerikaner, aber auf diese Entfernung konnte ich nichts erkennen. Ich wusste nur eines: Wenn sich die Amis herabließen, persönlich zu erscheinen, kochte etwas.
Ich zuckte mit den Schultern und widmete mich meiner Klarinette. Das Solo von Karl Stamitz Konzert in Es-Dur klang hier in der Einöde aber eher liederlich und ich verlor die Lust. Sorgsam reinigte ich zunächst das Mundstück, dann das Instrument und verpackte es.
Plötzlich wurde eine Zeltseite zu Seite geschlagen.
„Herr Oberleutnant?“ die Ordonnanz vom Kommandeur.
„Was gibt es HG?“
„Der Chef will Sie sehen. SSWM meinte er“
Wortlos griff ich nach meinem Barett und folgte dem Hauptgefreiten in die OPZ. Oberste Patrioten Zentrale nannten wie sie scherzhaft. Doch war die Operationszentrale so ziemlich der wichtigste Ort am Platze. Hier liefen die Fäden zusammen und hier wurden Entscheidungen gefällt. Brigadegeneral Klein weiß das, ich war dabei. Allerdings war er da noch Oberst.
Ich betrat die OPZ, baute mich vor dem Chef auf und salutierte. Zufällig fiel mein Blick auf den Mann hinter dem Chef und mir gefror das Blut in den Adern. Ich kannte die Abzeichen auf den Uniformen. Von weitem sah es aus, als teilten sich ein Buchsbaum und ein Flieder das wappenförmige Abzeichen. Aber in Wahrheit war es ein Baumstamm und ein Drache, umrahmt von drei Worten: Elementis regamus proelium. Ich bekam eine Gänsehaut vom Nacken bis in die Fußsohlen. Wo die Typen auftauchten, war die Scheiße am überkochen. Die eine Hälfte der Herrschaften gehörten zum United States Army Chemical Corps. Sozusagen das amerikanische ABC-Abwehr- Bataillon. Nur größer, stärker, skrupelloser und weitaus mächtiger. Die anderen 9 waren US.Marines.
Der Chef schmeichelte mir zunächst, indem er meine Teilnahme an der Überarbeitung der ZDv 5/300 lobte. Ich hatte damals die Neufassung der ABC-Abwehr für alle Truppengattungen mit verfasst. Das wurde mir nun zum Verhängnis. Die Amiländer wollten mich für einen Einsatz dabei haben. Angeblich, weil ich versiert darin war, Artilleriegranaten, die mit chemischen Kampfstoffen geladen waren, beim Aufschlag zu identifizieren. Diese Paranoiker. Das konnte jeder. Wenn eine C-Waffe beim Aufschlag detoniert und die Explosion ist orange, gelb, blau oder grün, ist es keine normale Detonation sondern etwas anderes. Also: Maske auf und am besten schnell rennen. Was sollte der Blödsinn? Am liebsten würde ich jetzt in meinem Coupe sitzen und ein wenig durch die Gegend cruisen, mehr nicht. Stattdessen musste ich mir diesen hanebüchenen Quatsch anhören.
Doch meine Bedenken wurden vom Chef ignoriert. Er faselte etwas von Waffenbrüdern, Pflichten und Bündnistreue. Und da bei uns ein Grundsatz gilt wie kein anderer: Ober sticht Unter, musste ich los, packen. Als ich den Chef fragte, ob ich Desinfektionsspray bekommen könnte weil so viel Dünnschiss-Gelaber vielleicht ansteckend wäre, warf er mich aus dem Zelt.
Kurz darauf saß ich in der großen alten Chinook und es ging los. Auf meine Frage: "Wohin" wurde nur mit den Schultern gezuckt. Ich fragte, was ich denn für eine Funktion hätte. Wieder Schulterzucken. Nur bei meinen Worten: „Suck my Dick“ erkannte ich das tödliche Glitzern in den Augen der anderen Soldaten. Sie mochten mich nicht. Und ich sie nicht. Ich saß in einem Hubschrauber ohne zu wissen wohin es ging und was ich dort sollte. Super Idee.
Die alte Chinook fliegt mit ca 300 km/h und wir waren schon satte 4 Stunden unterwegs, das bedeutet erstens, dass wir den PSR überschritten haben (Point of safe Return für Nicht-Soldaten) weil die Einsatzreichweite 700 km beträgt und zweitens, dass wir ca 1200 Kilometer zurück gelegt haben. Die maximale Reichweite dieses Baumusters beträgt bestenfalls 2000 km. Also war das entweder ein Einbahn-Einsatz ( was mich sehr beunruhigte) oder wir flogen zu einem weit entfernten Stützpunkt. Was mich auch nicht wirklich beruhigte. Alles, was ich wusste war, dass wir nach Westen flogen.
Ich erkannte Wasser, als ich einen Blick nach draußen warf. Wasser? In der Größe? Verflixt…
Ich deutete aus dem Fenster und fragte den First Lieutenant gegenüber, was das denn sei. „Caspian Sea“ kam die lakonische, gebrüllte Antwort, um die beiden tosenden Lycoming- Wellenturbinen zu übertönen.
Scheiße. Mehr ging mir nicht durch den Kopf. Wenn das da unten das Kaspische Meer war, hatten wir gerade den Iran umflogen. Und wenn die Richtung stimmte, flogen wir entweder in die Türkei, was mich beruhigte, oder nach Syrien und da sträubten sich mir die Nackenhaare. Aber ich wollte mal Optimist sein und an die Türkei glauben. Obschon ich nicht im Mindesten wusste, was ausgerechnet ich da sollte?
Ich sah auf die Uhr. 23:58 Uhr am 1. Oktober. Als ich in die Runde sah, erkannte ich, dass der abgebrühte Haufen mit Mann und Maus eingeschlafen war. Naja dann. Konnte es ja nichts schlimmes sein, oder? Das Barett in den Nacken geschoben als provisorisches Kissen, dann machte ich es mir leidlich bequem in den Hilfs-Stühlen aus Segeltuch. Und tatsächlich, in schlief ein. Zwischen nerv tötenden Turbinen, flappenden Rotoren, kreischendem Wind und dem Gestank von Desinfektionspray.
Ich erwachte erst, als ich unsanft am Arm gerüttelt wurde. „Somebody wake up Tom“ hörte ich noch und wunderte mich. Dann aber wurde ich schlagartig wach, als ich registrierte, wo ich war. Kein Traum? Kein Traum! Verdammte Axt. Ich riss die Augen auf. Einer der Amis hielt mir Tarnstifte entgegen. Ich konnte es nicht fassen“ Die bemalten ihre Gesichter, als ob sie in den Krieg ziehen würden! Mein Magen zog sich zusammen, mein Blut verschwand irgendwohin und mir wurde schwummerig.
Mechanisch griff ich nach den Utensilien. Das Tarnen geschah automatisch. Die Abzeichen und Nationalitäts-Insignien wurden abgeklebt. Die Amis luden ihre Waffen und machten den Container abwurfbereit. Ich hatte hier gar keine Funktion und das machte es noch schlimmer. Ich hatte außer meiner Pistole nicht einmal eine richtige Waffe mit.
Ein schnarrendes Signal ertönte und über der Heckklappe ging ein rotes Licht an, das Haupt-Licht ging aus. Ein Mastersergeant ging herum und verteilte Fallschirme. Da es sich um keine deutschen Fallschirme handelte, half der Mastersergeant mir netterweise. Er erklärte mir, das Ding sei Babysicher. Na klar. Es gibt wohl kaum Unfallopfer, die sich über nicht auf gegangene Fallschirme noch beschweren können oder? Aber er war recht humorlos. Ohne lange zu erklären, öffnete er an meinem Fallschirm ein Fach, holte einen Karabinerhaken heraus und klinkte ihn an einem Seil ein, das längs durch die Maschine führte. Wenigstens dieser Punkt war gleich zwischen Amis und uns. Automatikschirme. Sie öffnen sich automatisch beim Verlassen der Maschine, wenn das Seil sich spannt. Trotzdem wurde mir mulmig. Wir hatten das zwar geübt in Sonthofen, aber das hier war nicht Bayern, das war… ja was eigentlich?
“Turkey, we´re near Ziyaret“ brüllte der Lietenant, der wohl der Einzige war, der reden durfte.
Ein weiteres Signal ertönte und die rote Lampe erlosch. Stattdessen leuchtete die Grüne daneben auf und ein hydraulisches Sirren erklang, begleitet von einem animalischen Luftzug und der Verdopplung der Lautstärke. Die hintere Rampe war nun weit offen. Ich erkannte karge Landschaft, eine längliche Wasserfläche. Wohl ein See.
Die Marines schoben den Container auf einer Lafette über die Ladekante. Als das tonnenschwere Ding den Hubschrauber verließ, merkte man sofort einen Satz nach oben. Gefolgt von einem schweren Ruck, als die Reißleine sich straffte und die Fallschirme auslöste.
Dann ging alles sehr schnell. Der Mastersergeant brüllte wie am Spieß in der Gegend herum und schubste einen nach dem anderen über die Ladekante. Ich war als Letzter dran. Der Ruck, der einem bei Militärfallschirmen direkt in die Leiste fährt, wenn die Reißleine ihre Arbeit verrichtet, ist abartig. Und sie hindert einen wirklich daran, den kurzen Flug zu genießen. Eines, liebe Leser, ist gewiss: Ohne Todesnot aus einem Flugzeug zu springen, das nicht brennt, abstürzt oder sonst wie nicht landen kann ohne zu explodieren, ist nicht normal!
Und als ob der Tag nicht schon beschissen genug wäre, ich schlug auch noch mit dem Steißbein auf. Dieser Schmerz, gepaart mit einem animalischen Würgereiz ist einfach nur ekelhaft und will nicht aufhören.
Als ich mich aus dem Schirm befreit hatte und wieder halbwegs klar denken konnte, sah ich mich um.
Mein Kiefer klappte herunter und ich wusste nicht, wie mir geschah. Die Jungens waren dabei, die 4 Seitenwände des Containers abzuklappen. Dort kam jedoch keine ABC- Ausrüstung zum Vorschein, sondern ein Artilleriegeschütz! Eine alte russische AL-18, 122 mm.
Unsere Marines handhabten das alte Geschütz, als hätten sie niemals etwas anderes gemacht. Schnell waren die Bodenanker gesetzt, angerichtet und geladen.
Der Lieutenant zog mich beiseite, drückte mir ein Fernglas in die Hand und erklärte mir, ich solle das Vorfeld beobachten, Es könne sein, dass der Gegner mit VX, Tabun oder Sarin zurückschießt.
Scheiße, Scheiße, Scheiße… gerade noch an der Klarinette und ruckzuck im Krieg. Ich wusste, dass es eine bescheuerte Idee war, mit den Amis zu fliegen, aber was sollte ich nun machen? Verdammte Kacke ich wusste nicht einmal, in welche Richtung wir feu.. es krachte, dass der Wüstensand fast einen Meter in die Höhe gehoben wurde.
Mit einem metallenen Klimpern wurde die Hülse ausgeworfen. Eine Sekunde später das satte Geräusch, als der Verschluss sich hinter dem nächsten Projektil schloss. Ohne zu zögern wurde gefeuert. Kein Richten, kein Korrigieren, keine Gegnerwertermittlung und keine Trefferanalyse. Das geht doch so gar nicht! Schoss es mir durch den Kopf.
Kaum hatte ich es ausgedacht, ging alles wieder wie im Fluge. Die Mannschaft klappte die Containerwände hoch, fixierte das Dach mit massiven Metallscharnieren, sammelten die Hülsen auf und einer hatte sogar einen Besen in der Hand! Ein anderer stieg auf den Container und wartete. Ich hörte auch, worauf.
Ohne Hoheitszeichen und ohne Beleuchtung näherten sich 2 Hubschrauber. Ein Sikorsky Skycrane und ein Black Hawk.
Der Crane nahm kurzerhand den Container an den Haken, der vom Marine auf dem Dach eingehakt wurde. Der Hawk landete und nahm uns an Bord. Ab ging es durch die Nacht und ich hatte nicht die geringste Ahnung was wir da getan hatten.
Der Black Hawk war wesentlich bequemer als die alte Sikorsky, aber an Schlaf war nicht zu denken. Nur der Lieutenant grinste zufrieden, hatte aber nicht das geringste Mitteilungsbedürfnis.
Gegen 6:30 Uhr am 2.10.2012 landeten wir, nachdem ich das einmalige Erlebnis mit erleben durfte, wie ein Hubschrauber mitten in der Nacht in der Luft aufgetankt wurde (der Skycrane war mit der Hälfte der Soldaten in eine andere Richtung abgedreht), in der Nähe von Kabul, wo mein Chef vor einem gepanzerten Transporter mich erwartete.
Er fragte, ob alles in Ordnung wäre. Die Antwort konnte ja nur:“Nein“ heißen. Er lachte. Er würde mich in Kürze zum Hauptmann befördern. Es gäbe nur eine Bedingung: Diese Nacht hat nie stattgefunden. Ich wäre abkommandiert worden, um Desinfektionspray zu holen und würde jetzt gerade erst zurück kehren. Er überließ mir das Fahrzeug und wechselte in sein eigenes. Fassungslos fuhr ich zurück zu meiner Einheit. Ich konnte anstellen, was ich wollte, meine Gedanken wollten sich nicht beruhigen. Ich kam einfach nicht dahinter, was das für eine blödsinnige Aktion war.
Gegen 8 Uhr, nach dem 10ten Kaffee und einer tierischen Wut, dass ich mit niemandem über das nächtliche Ereignis sprechen durfte, schaltete ich das Radio an.
„5 Tote durch syrische Granaten auf türkischem Gebiet. Die Türkei rüstet zum Krieg und fordert das Nato-Mandat“