Picket fences oder: Krieg am Gartenzaun
Phase einsEs begab sich zu der Zeit, als wir unser Haus gerade gebaut hatten - weg aus den beengten Verhältnissen in einer Mietwohnung - hinaus ins Grüne, mit viel Platz zum Spielen für die Kinder, netten Nachbarn für anregende Unterhaltungen über den Gartenzaun hinweg und viel Freiraum für unser neu zu belebendes Sexleben - so hatten wir uns das zumindest vorgestellt.
Kaum war unser Umzugswagen vor der Tür unseres neuerworbenen, schmucken Reihenhauses vorgefahren, stand auch schon die erste unserer Nachbarinnen vor der Tür - nicht etwa im Negligée, was meinen Göttergatten sicher sehr erfreut hätte - mich allerdings weniger - sondern in einer verblichenen Kittelschürze. "Grüß Gott", tönte es uns fröhlich entgegen. "Von wem?" war ich versucht zu sagen, "und wann wollen Sie dahin abreisen?" unterdrückte aber meinen Hang zur Ironie, da mich zwanzig Jahre unter Schwaben gelehrt haben, dass es hier Menschen gibt, die sich mit dieser humoristischen Kunstform etwas schwer tun. Also nickte ich nur freundlich zurück, um mich nicht durch falsche Wortwahl und den mangelnden dialektischen Einschlag gleich als "Ausländerin" zu outen.
Mein Mann parkte derweil unser am gleichen Tag im Autohaus frisch erstandenes Schmuckstück am Straßenrand.
"Sie, des geht so nicht!" ließ sich die freundliche Nachbarin vernehmen. "Des muss hier alles seine Ordnung haben, und der Platz, wo ihr Mann jetzt steht, ist unserer". Zähneknirschend fuhr mein Mann das Auto in die Garage - man will es sich ja nicht gleich am ersten Tag mit den Nachbarn verderben.
Während die Möbelpacker vorsichtig entluden, blieb die gute Frau abwartend auf ihrem Posten. Ihre nächste kritische Bemerkung ließ auch nicht lange auf sich warten: "So, so, Sie haben also Möbel aus Ebenholz! Wisset Sie denn nicht, dess des Tropenhölzer sind und Sie damit zum Aussterben des Regenwaldes beitragen?"
"Das macht nichts", war ich versucht zu sagen, "mein Mann trinkt genug Bier, und in der Werbung heißt es, für jeden Kasten wird der Regenwald wieder aufgeforstet", aber ich hielt mich wiederum um des nachbarschaftlichen Friedens zurück. Außerdem bin ich mir schon, seit ich hier lebe, nicht sicher, ob dieser Volksstamm nicht in irgendwelchen düsteren Praktiken der schwarzen Magie, hier auch "Vootoo" genannt, bewandert ist.
Inzwischen war auch unser Untermieter in seinem etwas abgewrackt aussehenden VW-Bus vorgefahren, den er seit Wochen mangels einer anderen Bleibe in einem Parkhaus untergestellt hatte und in dem er auch während dieser Zeit übernachtet hatte. Entsprechend sahen er und sein Gefährt auch aus. Der biederen Nachbarin liefen die Augen über. Besonders seine Ausrüstung zum Tauchen beäugte sie mißtrauisch. Vielleicht hatte sie ja mal in der BILD im Rahmen des neuen Hypes um BDSM und andere Abartigkeiten etwas über Fetisch-Kleidung gelesen und hielt ihn nun für besonders pervers. Sie murmelte etwas von: "Moi Mann kommt gleich heim, ich muss noch kochen und wegen seiner Diabetes hat mir der Arzt empfohlen, keine Kartoffeln sondern Maniok für ihn zu machen. Da muss ich erstamol schauen, wie das überhaupt geht".
Erleichtert aufatmend schauten mein Mann, unser Untermieter und ich uns an, warteten bis die restlichen Möbel und Kisten ins Haus gebracht waren, verabschiedeten die Möbelpacker und begaben uns einträchtig in unser neues Domizil.
Phase zwei
Inzwischen wohnten wir schon einen ganzen Monat im neuen Haus. Tunlichst hatte ich es vermieden, der netten Nachbarin allzu oft über den Weg zu laufen; irgendwie mochte ich keine neugierigen Fragen zu unserem fröhlichen Leben zu dritt beantworten. Angesichts ihrer von mir vermuteten Moralvorstellungen hätte sie mich wohl für ein liederliches Frauenzimmer gehalten, wäre ihr bewusst geworden, dass unser "Untermieter" eigentlich unser Hausfreund ist, mit dem wir ein polyamoröses Experiment gestartet hatten.
Heute morgen konnte und wollte ich ihr aber nicht aus dem Weg gehen und klingelte an ihrer Tür. Gestern waren wir bis tief in die Nacht durch die Töne einer Klarinette im Schlaf oder anderen vergnüglichen Aktivitäten gestört worden. Nicht, dass ich hier falsch verstanden werde, ich liebe Musik, aber besagte Nachbarin litt unter Asthma und ihr Arzt (der wohl auch den Tipp mit dem gedünsteten Maniok zur Senkung des Blutzuckers gegeben hatte) hatte ihr wohl geraten, dieses Instrument im Rahmen ihrer Atemtherapie zu spielen, und so hörten wir dann von abends um acht bis weit nach Mitternacht das "Lied der Deutschen" (ihr Mann scheint ein wahrer Patriot zu sein) in 1001 hingekeuchten Strophen.
Ich überlegte krampfhaft, wie ich ihr schonend beibringen konnte, ihre musikalischen Etüden auf die Tageszeiten zu beschränken, zu denen wir nicht anwesend sind, da wir beide berufstätig sind, aber bevor ich überhaupt den Mund öffnen konnte, scholl es mir in leicht meckerndem Ton entgegen: "Sie, mit ihnen wollte ich auch scho reden. Ihr Mann hat mit seinem Coupé unseren Buchsbaum angefahren. Das geht so nicht! Da sind die Zweige abgeknickt, und nun kann man gar nicht mehr erkennen, dass er in Form eines Gartenzwergs geschnitten war."
Ich gab mich zutiefst zerknirscht und versprach, umgehend ins Garten-Center zu fahren und einen neuen Buchsbaum zu erstehen. "Bringet Sie mir auch gleich noch Flieder mit," rief sie mir hinterher. "Der riecht so gut, und dann kann ich auf das Desinfektionsspray im Haushalt verzichten, das mich immer so keuche lässt." Ich nickte nur - weiterhin mit zusammengebissenen Zähnen freundlich lächelnd - und begab mich zum Einkauf ins Gartenland. Die Lösung der Keuch-Klarinetten-Konzerte vor Augen, legte ich sogar der Optik und des Duftes wegen noch einen Zierrosenstrauch mit auf's Gebinde.
Phase drei
Nun wohnen wir schon fast ein Jahr in unserem neuen Häuschen. Was soll ich sagen, unsere anfängliche Euphorie hat empfindliche Dämpfer erfahren.
Im Winter wurden wir von Frau Nachbar wieder und wieder darauf hingewiesen, dass Tübingen eine ganz besonders strikte Räum-Verordnung hat, und es nicht ausreicht, morgens vor der Arbeit einmal den Schnee wegzuräumen und dann abends nach dem Heimkommen noch einmal; nein, auch während des Tages müsse man jeder einzelnen Schneeflocke mit Besen und Schieber hinterherjagen und darüber hinaus Splitt ("nicht Salz! Sie wisset scho unser Bürgermeister ist von die Grüne") streuen, um sämtliche Gefahren, auch für tollpatschige Briefträger auszuschalten. Seufzend ergaben wir uns in unser Schicksal und zahlten einen privaten Hausmeister-Service, der auch gleich die ungeliebte Kehrwoche für uns miterledigte. Es ist ja nicht so, dass wir wegen dieser geringen Ausgaben gleich vor dem finanziellen Ruin stünden, wir konnten allerdings nicht ahnen, dass dieses Arrangement weiter zu unserer mitmenschlichen Pleite mit der Nachbarin beitragen würde. Fortan beäugte sie uns noch strenger mit verkniffener Miene.
Das Frühjahr kam und die Kinder waren froh, dass die unwirtlichen Temperaturen vorüber waren und sie unbeschwerter von den dicken Schneeanzügen im Freien herumtollen konnten. Fröhlich spielten sie in der Einfahrt Fußball und schossen den Ball immer wieder gegen das Garagentor, das unter den Stößen erzitterte und dumpf donnerte. Postwendend öffnete sich das Fenster im Nachbarhaus und eine keifende Stimme ertönte: "Sie, haltet Sie sich gfälligst an die gesetzlichen Ruhezeiten. Jetzt ist Mittagsruhe und da haben die Kindr drauße nichts verloren!" Glücklicherweise waren meine beiden Sonnenscheine vom Spielen hungrig geworden, so dass ich sie mit dem Mittagessen und einer Extraportion Nachtisch ins Haus locken konnte.
Der Sommer brachte neue Konfliktfelder in unserer nachbarschaftlichen Idylle. Mal war es unser Grill, dessen schwarze Schwaden den Garten nebenan vernebelte (mein Mann liebt seine Steaks nun einmal gut-angebrannt-durch), mal ertönte Sonntagsmorgens um neun Uhr der stotternde Benzinmotors des Rasenmähers (motorisiert für ein ein-Hektar-Handtuch-großes Rasenstück), dann wiederum waren wir die Störenfriede, da wir mit unseren Freunden an einem lauen Sommerabend noch nach 22 Uhr auf der Terasse saßen. "Sie wisset aber scho, dass das die Lärmschutzverordnung net zulässt?".
Inzwischen ist es Herbst geworden. Ich bin schon ganz gespannt, welche Freuden mich nun in unserer täglichen Seifenoper mit der lieben Nachbarin erwarten. Wird es das nasse Laub sein, auf dem sie vielleicht endlich ausrutschen und sich Hals und oder Beine brechen wird? Könnte der langsam vor sich hingammelnde Halloween-Kürbis ("Was iss denn des wiedr mal für a heidnisches Zeugs"?) ausreichend Generationen von Drosophilae generieren, die sie an einer Hirnhautentzündung dahinscheiden lassen?
So langsam bin ich richtig verliebt in all die Mord-Ideen, die mir so durch den Kopf schießen, während ich ihrer neuesten Schimpftirade lausche - und weiterhin freundlichst - mit zusammengebissenen Zähnen lächele ...
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[Fußnote: das sind dann sozusagen meine Hausaufgaben für die vergangenen drei Wochen mit dreimal acht Wörtern. Bis dato war ich irgendwie nicht inspiriert ;-)]